Stellungnahme zum Antrag
38/2016

Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart, 04/06/2016
Der Oberbürgermeister
GZ: OB 7640-00



Stellungnahme zum Antrag
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
    FDP
Datum
    02/13/2016
Betreff
    Migrantenökonomie
Anlagen
    Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:

Aufgabe der Abteilung Wirtschaftsförderung ist es, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Landeshauptstadt Stuttgart positiv zu gestalten. Dabei versteht sie sich als Lotse und Impulsgeber für Unternehmer/-innen, Investoren, Existenzgründer/-innen und Wissenschaftler/-innen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Das Dienstleistungsangebot umfasst die Bereiche Bestandspflege/-sicherung, Neuansiedlung, Unternehmensgründung, Standortmarketing und Stadtteilmanagement. Dabei wird das Handeln der Wirtschaftsförderung durch das Bewusstsein für unternehmerische Vielfalt geprägt. Unter dieser Vielfalt versteht sie insbesondere die Diversität hinsichtlich des Geschlechts, der Branchenzugehörigkeit, des Innovationspotenzials, der sprachlichen und kulturellen sowie ethnischen Hintergründe.

So bietet die Wirtschaftsförderung hinsichtlich der unternehmerischen Vielfalt in puncto Branchenzugehörigkeit z.B. bei der Kreativwirtschaft einen umfassenden Informations- und Netzwerkservice an, der auf diese Branche maßgeschneidert ist. Gleiches gilt für den Bereich Landwirtschaft. Speziell für Existenzgründer/-innen gibt es ebenfalls zugeschnittene Serviceleistungen. Gleichfalls werden zielgruppenspezifische Aktivitäten für Einzelhandel, Handwerk, Dienstleistung und Gewerbe in den Stadtbezirken realisiert.

Mit dem Begriff „Migrantenökonomie“ wird die unternehmerische Vielfalt in Bezug auf die Migrationserfahrung der Unternehmer/-innen in den Fokus gerückt. Das Verständnis, auch der Zielgruppe selbst, ist, dass es sich dabei in der Regel um „deutsche Unternehmen“ handelt, d.h., dass es Unternehmen mit Sitz in Deutschland sind, deren Gesellschafter/-innen bzw. Geschäftsführung Migrationserfahrung hat, oder dass der/die (Einzel-)Unternehmer/-in die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt bzw. das Gewerbe in Deutschland angemeldet hat und Migrationserfahrung hat.


Frage: Welche Anstrengungen wurden bislang beim Thema Migranten-ökonomie in Stuttgart unternommen – dies insbesondere auch im Hinblick
auf die vorliegende Studie der Landeshauptstadt Stuttgart zu Stuttgarter
Unternehmer mit Migrationshintergrund?


Grundsätzlich werden die Angebote der städtischen Wirtschaftsförderung auch von Unternehmern/-innen mit Migrationshintergrund wahrgenommen. So besitzen rund 30 bis 35 Prozent der im Gründerbüro beratenen Personen einen Migrationshintergrund. Im Gründerbüro kann auf Anfrage in englischer oder türkischer Sprache beraten werden. In der Broschüre „Start-up! Wegweiser für Existenzgründungen“, in der sich die verschiedenen Institutionen vorstellen, die Gründungsberatung anbieten, werden seit dem Jahr 2014 die von den Institutionen angebotenen Fremdsprachen aufgeführt sowie die Unternehmensverbände mit Migrationshintergrund. Auch das Team Bestandspflege und das Team Stadtteilmanagement sind in engem Kontakt mit Unternehmern/-innen mit Migrationshintergrund, z.B. bei der Gewerbeflächensuche oder bei Fragen zum Warensortiment im Bereich Einzelhandel. Der Bereich Internationales betreut überwiegend Anfragen aus dem Ausland bzw. Unternehmer/-innen mit Migrationshintergrund.

Bereits im Jahr 2008 ist die Wirtschaftsförderung dem Aufruf des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg zur „Zielgruppenspezifischen Förderung der ExistenzgründerInnen und Gründungswilligen mit Migrationshintergrund in der Region Stuttgart“ unter dem Aufruftitel EXINET - „Zielgruppen- und branchenspezifische Maßnahmen zur Unterstützung von Existenzgründungen“ gefolgt. Das Projekt fand in
Kooperation mit einem Unternehmensverband mit Migrationshintergrund statt. Die aus diesem Projekt gewonnenen Ergebnisse lieferten aussagekräftige Erkenntnisse über die Inanspruchnahme von bestehenden Förderangeboten sowie über zielgruppenspezifische Bedarfe. Das Projekt gliederte sich in vier Arbeitspakete. Zunächst wurde eine breit angelegte Befragung von Unternehmer/-innen mit Migrationshintergrund durchgeführt, um die zielgruppenspezifischen Herausforderungen in Erfahrung zu bringen. In den weiteren Arbeitspaketen erfolgten
die Analyse von Angeboten, die Erarbeitung von Sensibilisierungsmaßnahmen für die Zielgruppe sowie die Entwicklung konkreter Beratungsangebote. Zentrale Erkenntnis war u. a., dass es wichtig ist, die Unternehmensverbände mit Migrationshintergrund als Brückenbauer und Multiplikatoren einzubinden, um das Thema Existenzgründung sowie das Dienstleistungsspektrum der Wirtschaftsförderungseinrichtungen besser bei den Mitgliedern der Unternehmensverbände mit Migrationshintergrund bekannt zu machen. Insgesamt nahmen rd. 1.800 Personen an dem Projekt teil, mehr als 150 Unternehmer/-innen wurden persönlich interviewt.

Im Rahmen der europäischen CLIP-Studie wurde dieses Projekt unter 27 europäischen Städten als besonders erfolgreiches Projekt auf dem Gebiet der Migranten-ökonomie hervorgehoben (siehe „Unternehmertum von Personen mit Migrationshintergrund in Stuttgart“, Doris Lüken-Klaßen und Franziska Pohl, Bamberg, Juni 2010, europäisches forum für migrationsstudien [efms], Institut an der Universität Bamberg).


Nachdem sich die aus dem EXINET Projekt gewonnenen Erkenntnisse auf eine umfangreiche Datenbasis stützen, orientierten sich die Zielsetzungen und Maßnahmen der Wirtschaftsförderung im Bereich Migrantenökonomie zunächst in erster Linie an den Ergebnissen und Erkenntnissen dieser Studie. So wurden in der Folge z.B. folgende Aktionen durchgeführt:

- Jährliche Veranstaltung „Deutsch-Türkischer Tag der Wirtschaftsbegegnungen“ zusammen mit der IHK Region Stuttgart und türkischen Unternehmensverbänden (z.B. ATGIAD, MÜSIAD, DESBIR, SELF, TÜMSIAD, ITBC). Ziel ist es, deutschen Unternehmen sowie Unternehmen mit Migrationshintergrund eine Kommunikationsplattform zu bieten, die es ihnen ermöglicht, Wirtschaftsbeziehungen aufzubauen.
- Am 26.06.2012 fand zudem ein Treffen im Rathaus mit Vertretern von Unternehmensverbänden mit Migrationshintergrund und Vorsitzenden der Handels- und Gewerbevereine statt, mit dem Ziel der Eruierung möglicher Kooperationen. Am 29.04.2014 folgte ein weiterer Termin zur Vertiefung der Zusammenarbeit.
- Außerdem informiert die Wirtschaftsförderung bei von Unternehmensverbänden mit Migrationshintergrund organisierten Frühstücken deren Mitglieder über ausgewählte Themen sowie über das Dienstleistungsangebot der Wirtschaftsförderung.
- Die Auflistung von Fremdsprachen in der Broschüre „Startup! Wegweiser für Existenzgründungen“ sowie die Aufnahme der Unternehmensverbände mit Migrationshintergrund ist ebenfalls Ausfluss des Projektes EXINET.


Frage: Ob und in welcher Form ein regelmäßiger Austausch mit den migran-tischen Unternehmensverbänden (Runder Tisch, bilaterale Kontakte) stattfindet und ob notwendige Informationen rund um das Thema Selbständigkeit hier bereitgestellt werden? Welche Zielsetzungen werden hier in Zukunft verfolgt?

Ein regelmäßiger Austausch findet seit einigen Jahren mit den türkischen Unternehmensverbänden u.a. im Rahmen der Vorbereitung der bereits oben erwähnten Veranstaltung „Deutsch-Türkischer Tag der Wirtschaftsbegegnungen“ statt.

Seit Frühjahr 2015 ist die Wirtschaftsförderung federführend für den Bereich Migrantenökonomie zuständig. Vor diesem Hintergrund wurde der Austausch mit
den Unternehmensverbänden mit Migrationshintergrund noch weiter intensiviert. Zu diesem Zweck hat sich die Wirtschaftsförderung dazu entschieden, mit einem Berater zusammenzuarbeiten, der selbst einen Migrationshintergrund hat, im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit über fachliche Kompetenz im Bereich Migrantenökonomie verfügt und zudem praktische Expertise durch langjährige Mitarbeit in einem Unternehmensverband mit Migrationshintergrund besitzt. Dem Berater obliegt insbesondere die Kommunikation mit den Unternehmensverbänden.


Der Austausch mit den migrantischen Unternehmerverbänden findet einerseits durch die Arbeitsgespräche im Stuttgarter Rathaus (1. Sitzung: 21.10.2015, 2. Sitzung: 26.02.2016) und andererseits durch den ständigen Kontakt über den Berater zu den Unternehmensverbänden statt. Ziel ist es, den Austausch mit diesen zu intensivieren sowie basierend auf diesem Dialog zielgruppenspezifische Angebote zu entwickeln. Bei den letzten zwei Sitzungen nahmen Vertreter der folgenden Einrichtungen teil: VIU-FIDI Verband italienischer Unternehmer, VHU-Verband Hellenischer Unternehmer, Arab Business Center (Arabischer Raum), Bundesnetzwerk TANG (Afrikanische Unternehmer), Deutsch-Chinesische Wirtschaftsvereinigung e.V., Indescon (Indien) sowie die 4 türkischen Unternehmensverbände Atgiad, Self, Desbir und Tümsiad.
Im Rahmen der Arbeitsgespräche haben die Unternehmensverbände klar den Wunsch geäußert, den Begriff „Migrantenökonomie“ durch den Begriff „Unternehmerische Vielfalt durch internationale Erfahrung“ zu ersetzen. Aus Gründen der Formulierung in der Anfrage und der Lesbarkeit wird in diesem Text weiterhin der Begriff „Migrantenökonomie“ verwendet, soll aber zukünftig weitestgehend vermieden werden. Es wurden folgende gemeinsame Handlungsfelder erarbeitet.

1. Information
2. Veranstaltungen
3. Beratung
4. Vernetzung
5. Öffentlichkeitsarbeit/Wertschätzung und
6. Verbandsprofessionalisierung/Entlastung des Ehrenamts.

Die geplanten konkreten Maßnahmen hierzu können der Anlage entnommen werden.

In der Studie „Stuttgarter Unternehmer mit Migrationshintergrund“ von der Abteilung Integration wurde ausgeführt, dass Herausforderungen in der Vorgründungsphase insbesondere im Bereich „Finanzierung“ (51 %), „Rechtliche Angelegenheiten/For-malitäten“ (51 %) sowie „steuerliche Angelegenheiten“ (48 %) bestehen (siehe
S. 17). Darüber hinaus wünschen sich die Unternehmen Schulungen sowie Unterstützung beim Zugang zu Krediten (siehe S. 24).


Derzeit wird zusammen mit den migrantischen Unternehmensverbänden ein Angebot zum Thema Finanzierung (Bankgespräch/Kreditvergabekriterien) erarbeitet. Dabei sollen auch die Banken in die Erarbeitung von Maßnahmen einbezogen werden.
Außerdem ist die Unternehmensnachfolge ein wichtiges Thema für die Verbände. In der letzten Sitzung wurde entschieden, dass die Wirtschaftsförderung zusammen mit den Unternehmensverbänden eine Veranstaltung zu diesem Thema anbietet. Im Vorfeld zur Veranstaltung findet ein Arbeitsgespräch mit Einrichtungen und Unternehmen statt, die Übergeber und Übernehmer bei der Unternehmensnachfolge begleiten (z.B. Steuerberaterkammer, Rechtsanwaltskammer, Verband Unternehmensberater etc.).

Damit die Angebote der Wirtschaftsförderung, insbesondere auch im Bereich Existenzgründung, von den Mitgliedern der migrantischen Unternehmensverbände besser wahrgenommen werden, wurde vereinbart, dass die Wirtschaftsförderung die Unternehmensverbände über ihre Veranstaltungen und Angebote kontinuierlich informiert. Dies erfolgt zum einen mit dem Newsletter und zum anderen individuell. Die Verbände teilten mit, dass sie diese Informationen an ihre Mitglieder weiterleiten.
Ab 2016 (2. Hj.) werden zusätzlich Unternehmensbesuche bei Unternehmen mit Migrationshintergrund durchgeführt.


Die Wirtschaftsförderung verfolgt das Ziel, gemeinsam mit den Unternehmensverbänden mit Migrationshintergrund die Maßnahmen entsprechend ihrer jeweiligen Prioritäten durchzuführen und bei Bedarf um neue Maßnahmen zu ergänzen. Im Zuge der regelmäßigen Arbeitstreffen werden die Maßnahmen vorbereitet und entsprechende Vorschläge verabschiedet. Zudem dienen diese Treffen auch dazu, den Austausch fortzuführen und weiter zu intensivieren.


Frage: Welche Öffentlichkeitsarbeit fand bislang zum Thema Migranten-ökonomie statt?

Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere jedoch die damit verbundene Wertschätzung für Unternehmer/-innen mit Migrationserfahrung, ist für diese sehr wichtig. Gemeinsam mit den Verbänden wurden erste Maßnahmen hierzu erarbeitet, die in den nächsten Monaten zur Umsetzung gelangen. Die Maßnahmen können dem Handlungsfeld
„Öffentlichkeitsarbeit/Wertschätzung“ der Anlage entnommen werden.









Fritz Kuhn

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Handlungsfelder und MaßnahmenFinal11032016.doc.docx