Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Jugend und Bildung
Gz: JB
GRDrs 295/2021
Stuttgart,
06/09/2021


Rahmenkonzept für die integrierte kommunale Psychologische Beratung/Erziehungsberatung



Mitteilungsvorlage zum Haushaltsplan 2022/2023


Vorlage anzurSitzungsartSitzungstermin
JugendhilfeausschussKenntnisnahmeöffentlich21.06.2021

Bericht:

Das Arbeitsfeld der kommunalen Psychologischen Beratung/Erziehungsberatung in Stuttgart hat sich in den vergangenen 20 Jahren gewandelt. Durch die Integration der vormals eigenständigen Erziehungsberatungsstellen in die multiprofessionellen Teams der Beratungszentren haben sich bestehende Aufgaben der Psychologischen Beratung erweitert und es kamen neue Aufgaben hinzu. Zudem ergaben und ergeben sich durch gesellschaftliche Entwicklungen wie der Inklusion neue Tätigkeitsfelder für die Erziehungsberatung.

Auf dieser Grundlage bildet das neue „Rahmenkonzept für die integrierte kommunale Psychologische Beratung/Erziehungsberatung“ vom Februar 2021 (siehe Anlage 1) die drei hauptsächlichen Tätigkeitsbereiche der Psychologischen Beratung in den Beratungszentren ab und formuliert entsprechende fachliche Standards. Um den drei Hauptaufgabenfeldern gerecht zu werden, benötigt die Psychologische Beratung ausreichend personelle Ressourcen. Seit der Integration der Erziehungsberatungsstellen in die Beratungszentren sind die Stellenanteile unverändert geblieben.

Bewährter integrativer Ansatz der Beratungszentren
Kinder und Jugendliche aus alleinerziehenden Haushalten haben eine 18-fach höhere Wahrscheinlichkeit und Minderjährige aus Stiefelternkonstellationen eine 54-fach höhere Wahrscheinlichkeit, in einer stationären Wohnform fremduntergebracht zu werden, als Kinder und Jugendliche, die bei beiden Elternteilen aufwachsen. Der gezielte Einsatz von Erziehungsberatung kann, wie unter anderem Daten aus der Stadt Berlin zeigen, einen wichtigen präventiven Beitrag dazu leisten, Fremdunterbringungen zu vermeiden und somit die oben genannten Kinder und Jugendlichen zu unterstützen1. Dies verdeutlicht, dass die Erziehungsberatung eine für die Heranwachsenden bedeutsame und zugleich kosteneffiziente Hilfeform darstellt.

Laut der Landesarbeitsgemeinschaft für Erziehungsberatung Baden-Württemberg e. V. (LAG BW) stellen niedrigschwellige und sozialraumorientierte Beratungsangebote sowie der Zugang zu Familien mit Migrationshintergrund und aus Armutslagen Qualitätskriterien der Erziehungsberatung dar (siehe Anlage 2).

Das bundesweit einmalige Stuttgarter Modell, in dem Leistungen des Allgemeinen Sozialen Dienstes und der Psychologischen Beratung in einem Beratungszentrum vor Ort im Sozialraum angeboten werden, erfüllt diese Kriterien in besonderem Maße und hat sich in der Praxis bewährt.
Die kommunale Psychologische Beratung/Erziehungsberatung ist in allen 11 Bereichen vertreten und versorgt somit auch Familien aus Stuttgarter Randgebieten. Die Psycholog*innen führen zudem Hausbesuche durch und unterstützen auf diese Weise ebenfalls niedrigschwellig und frühzeitig.
Die Psychologische Beratung/Erziehungsberatung in den Beratungszentren erreicht in hohem Maße Familien mit Migrationshintergrund – 2019 hatte die Hälfte der begleiteten Familien einen Migrationshintergrund (Baden-Württemberg insgesamt: 33,3 %).
Auch Familien aus prekären Lebensverhältnissen werden durch die Psychologische Beratung/Erziehungsberatung in den Beratungszentren erreicht. 2019 bezogen 22 % der beratenen Familien Transferleistungen (Baden-Württemberg insgesamt: 15 %).

Ein weiteres Qualitätsmerkmal der Erziehungsberatung ist laut LAG BW die Arbeit im multidisziplinären Team. Durch Zusammenarbeit von Sozialpädagog*innen und Psycholog*innen in den Beratungszentren profitieren die Nutzer*innen der Erziehungsberatung. Die psychologischen Berater*innen können unter anderem auf diese Weise schnell an weitere Hilfeleistungen des Allgemeinen Sozialen Dienstes verweisen.
Gleichzeitig kommt auch den Kindern und Jugendlichen, die vom Allgemeinen Sozialen Dienst betreut werden, die Präsenz der Psycholog*innen in der gleichen Dienststelle zu Gute. So führen die psychologischen Fachkräfte im Rahmen ihrer fachdienstlichen Aufgaben Diagnostik für Familien, für die die Fallregie bei den Kolleg*innen des Allgemeinen Sozialen Dienstes liegt, durch oder geben entwicklungspsychologische Einschätzungen ab. Gerade für besonders junge Kinder und für Kinder und Jugendliche, die von einer (drohenden) seelischen Behinderung betroffen sind (Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII) können durch diesen multidisziplinären Austausch Bedarfe passgenauer erfasst und gezielte Lösungsansätze entwickelt werden.

Neben ihren fallbezogenen Tätigkeiten leisten die psychologischen Fachkräfte einen großen Beitrag zur Vernetzung in den 11 Bereichen, indem sie Öffentlichkeitsarbeit betreiben und mit internen und externen Kooperationspartner*innen intensiv zusammenarbeiten. So geben die Psycholog*innen unter anderem Vorträge für Eltern und tragen mit zahlreichen Kontakten im Gesundheitswesen (Ärzte, Kliniken, Therapeut*innen) zu einer engeren Zusammenarbeit bei.

1Quelle: Trialog (2009): Offizielle Fachzeitschrift der LAG für Erziehungs- und Familienberatung in Brandenburg und Berlin. LAG, Berlin.


Herausforderungen der vergangenen und kommenden Jahre
Seit Beginn der Corona-Krise unterstützen die kommunalen psychologischen Berater*innen die Stuttgarter Familien bei der Bewältigung einschränkungsbedingter Problemlagen. Eine bundesweite repräsentative Befragung ergab, dass sich zwei Drittel der 11- bis 17-Jährigen durch die Auswirkungen der Pandemie in hohem Maße psychisch belastet fühlen. 24,1 % nannten Symptome einer generalisierten Störung. Bei 17,8 % der Kinder und Jugendlichen berichteten die Eltern unter anderem von emotionalen und verhaltensbezogenen Auffälligkeiten2. Erziehungsberatung ist gefordert, vor allem für Kinder, deren Auffälligkeiten unterhalb der Schwelle einer klinischen Behandlungsbedürftigkeit sind, ein fundiertes Beratungsangebot zu machen und benötigt hierfür mehr personelle Ressourcen.

Neben der aktuellen Corona-Krise hat sich im Hinblick auf die Kernaufgaben nach § 28 SGB VIII in den vergangenen Jahren ein höheres Fallaufkommen sowie höhere qualitative Anforderungen an die Aufgaben der Psychologischen Beratung ergeben. Hierbei sind vor allem folgende gesellschaftliche Trends zu nennen:
Neben den genannten Herausforderungen strebt das Jugendamt zudem eine fachliche Weiterentwicklung der bewährten Ansätze der integrierten Psychologischen Beratung an. Unter der Voraussetzung höherer personeller Ressourcen könnten niedrigschwellige Angebote wie Hausbesuche sowie präventive Fallberatungen in Kindertagesstätten und Schulen ausgebaut werden. Wichtig ist zudem eine nachhaltige Öffentlichkeitsarbeit, die die vielfältigen Unterstützungsangebote der kommunalen Psychologischen Beratung/Erziehungsberatung in den Stadtteilen sichtbarer macht.

2Ravens-Sieberer, U., Kaman, A., Erhart, M. et al. Impact of the COVID-19 pandemic on quality of life and mental health in children and adolescents in Germany. Eur Child Adolesc Psychiatry (2021). https://doi.org/10.1007/s00787-021-01726-5

Durch gesellschaftliche Entwicklungen der letzten Jahre – Migration, Inklusion, komplexe Scheidungs- und Trennungsprozesse, geplante erweiterte Beratungsansprüche und zuletzt die psychosozialen Folgen der Corona-Pandemie – haben sich umfangreiche neue Bedarfe der Stuttgarter Familien an die kommunale Psychologische Beratung/Erziehungsberatung ergeben. Das Rahmenkonzept formuliert hierzu fachliche Standards. Um den berechtigten Bedarfen nachkommen zu können, benötigt die Psychologische Beratung in den Beratungszentren zusätzliche personelle Ressourcen.

Für die aktuellen und kommenden Herausforderungen und die Weiterentwicklung der kommunalen Psychologischen Beratung/Erziehungsberatung ist ein ausreichender Personalschlüssel erforderlich. Laut KVJS-Statistik (Stichtag 31.12.2018) liegt die Stadt Stuttgart mit 0,35 Stellen je 1.000 Jugendeinwohner*innen von 0 – 21 Jahren (freie und städtischer Trägerschaft) allerdings unterhalb des Durchschnitts der Stadtkreise in Baden-Württemberg (0,41 Stellen je 1.000 Jugendeinwohner*innen von 0 – 21 Jahren). Die Landeshauptstadt verfehlt daher deutlich die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation, die 0,40 Stellen je 1.000 Jugendeinwohner*innen von 0 – 21 Jahren vorsieht.

Alle Stuttgarter Bürger*innen haben einen Anspruch auf Leistungen nach § 28 SGB VIII.

Seit Beginn der Beratungszentren vor 20 Jahren sind die Stellenanteile der Psychologischen Beratung/Erziehungsberatung unverändert geblieben und reichen nicht mehr aus, um die zusätzlichen Bedarfe zu decken. Vor allem in den Randbereichen der Stadt (z.B. Weilimdorf/Feuerbach, Stammheim/Zuffenhausen und Möhringen) werden weitere Stellen benötigt, um zu lange Wartezeiten zu vermeiden und ausreichende Beratungskontakte anbieten zu können (s. Anlage 3)

Zudem fehlt eine eigenständige qualifizierte Fachberatung für das Arbeitsfeld Psychologische Beratung/Erziehungsberatung, wie sie vom Gesetzgeber vorgeschrieben ist. Um die Qualitätsstandards für dieses Arbeitsfeld, das sich auf 11 Beratungszentren mit jeweils einer kleinen Fachkraftzahl verteilt, zu sichern und fachlich weiter zu entwickeln, ist eine zentrale Fachberatung unabdingbar. Die Fachkräfte benötigen für ihre komplexe eigene Beratungsarbeit eine*n kompetente*n, fachlich versierte*n Ansprechpartner*in, die/der zudem die fachlichen Weiterentwicklungen des Gebiets im Blick behält und für den Transfer in jedes einzelne Beratungszentrum sorgt (analog zur Fachberatung Wirtschaftliche Jugendhilfe)

Daher ist es aus Sicht des Jugendamts unbedingt notwendig, in einem ersten Schritt entsprechend der oben genannten Empfehlungen Stellen zu schaffen. Es wurden deshalb Stellenplananträge im Umfang von 7,57 Stellen/ A13 h. D. für psychologische Berater*innen in den BZ und eine 1,0 Stelle/ A13 h. D. für eine Fachberatung psychologische Beratung/Erziehungsberatung gestellt.

Finanzielle Auswirkungen


Stellenbedarf (Mehrungen und Minderungen):
Beschreibung, Zweck, Aufgabenbereich
Anzahl Stellen zum Stellenplan
2022
2023
später
Psychologische Berater*innen (A13 h.D.)
7,57
Fachberatung für Psychologischen Berater*innen (A13 h.D.)
1
Summe
8,57

Mitzeichnung der beteiligten Stellen

Die Referate AKR und WFB haben Kenntnis genommen. Haushalts- und stellenrelevante Beschlüsse können erst im Rahmen der Haushaltsplanberatungen erfolgen.





Isabel Fezer
Bürgermeisterin



Anlagen:

1. Rahmenkonzept für die integrierte kommunale Psychologische
Beratung/Erziehungsberatung
2. Landesarbeitsgemeinschaft für Erziehungsberatung Baden-Württemberg e. V. (2021).
Erziehungsberatung in Baden-Württemberg heute. Mannheim: LAG BW.
3. Berechnung "Stellenbedarf für die psychologische Beratung/Erziehungsberatung"
4. Flyer Psychologische Beratung/ Erziehungsberatung im Beratungszentrum Mitte
5. Broschüre des Beratungszentrums Feuerbach "Ideen für Familien für die Zeit zu Hause
während der Corona-Pandemie"


<Anlagen>

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Anlage 4_Flyer Psychologische Beratung Beratungszentrum Mitte.pdf
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Anlage 5_BZ Feuerbach_ Tipps für Familien 08-04-2020.pdf
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Anlage 1_Rahmenkonzept 2021 Psychologische Beratung.002.pdf
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Anlage 3_Berechnung Stellenbedarf Psychologische Beratung.002.pdf
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Anlage 2_LAG_BE_Erziehungsberatung in Baden-Württemberg heute.002.002.pdf