Landeshauptstadt Stuttgart
Oberbürgermeister
Gz: OBM
GRDrs 1335/2019
Stuttgart,
11/14/2019



Haushalt 2020/2021

Unterlage für die 1. Lesung des Verwaltungsausschuss zur nichtöffentlichen Behandlung am 18.11.2019



Haushalt 2020/2021: Das 365-Euro-Ticket

Beantwortung / Stellungnahme

Zu der Frage eines 365-Euro-Tickets für alle ÖPNV-Nutzerinnen und Nutzer sowie für einzelne Zielgruppen gibt es vergleichbare Anträge mehrerer Fraktionen, die hier gemeinsam beantwortet werden.

Die Auswirkungen eines 365-Euro-Ticket für alle Nutzerinnen und Nutzer sowie für einzelne Zielgruppen wurden in einer Vorlage des VVS für den Ausschuss für Umwelt und Technik vom 16. Juli 2019 ausführlich dargelegt. Je nach Variante ist bei einem 365-Euro-Ticket für alle Nutzerinnen und Nutzer mit Kosten zwischen 118 und 146 Mio. Euro pro Jahr zu rechnen. Ohne neue Finanzierungsinstrumente für den öffentlichen Personennahverkehr (z.B. Nahverkehrsabgabe) ist die Einführung eines 365-Euro-Tickets für alle ÖPNV-Nutzerinnen und Nutzer aktuell nicht umsetzbar.

Mit der VVS-Tarifreform, zu der die LHS in den Jahren 2020 und 2021 einen Beitrag von jeweils 14,4 Mio. Euro erbringt, der bis 2025 auf 18,9 Mio. Euro steigt, wurde das Tarifsystem vereinfacht und die Fahrpreise für viele Verbindungen günstiger. Der Kostendeckungsgrad sinkt durch dieses Engagement der öffentlichen Hand in signifikantem Umfang. Insoweit zieht sich weder die öffentliche Hand „aus der Mitfinanzierung schrittweise zurück“ noch muss der Kunde „einen immer höheren Anteil“ an den Kosten des ÖPNV tragen. Die Tarifreform zeigt auch schon erste Wirkungen, die Fahrtenzahl bei den durch die Tarifreform betroffenen Tickets ist um über 5 Prozent gestiegen.

Falls das 365-Euro-Ticket nur für die Zone 1 (früher 10/20) eingeführt werden sollte, würden sich zwar die Kosten reduzieren, die LHS müsste die Finanzierung jedoch alleine tragen. Es wäre in jedem Fall ein hoher zweistelliger Millionenbetrag zu finanzieren. Das Tarifsystem wäre außerdem nicht mehr konsistent. Die Preissprünge zu den benachbarten Städten würden eklatant steigen. Die Differenz zwischen der Preisstufe 1 (= Zone 1) und der Preisstufe 2 (= 2 Zonen) beträgt heute beim Jahresticket 189 Euro. Bei Einführung eines 365-Euro-Tickets nur für die Zone 1 würde der Preissprung auf 500 Euro steigen.


Beim Überfahren der Tarifzonengrenze wäre deutlich mehr als der doppelte Betrag fällig:
Wenn man nur eine oder zwei Haltestellen über die Zone 1 hinaus fährt, würde der Preis des Jahrestickets von 365 Euro auf 865 Euro steigen. Damit würde man würde gewissermaßen die Pendlerinnen und Pendler aus dem Umland einladen, mit dem Auto hinter die Tarifzonengrenze nach Stuttgart zu fahren und dort ihr Fahrzeug stehen zu lassen.

Gleichzeitig müssten wohl die bewährten verbundweit geltenden Angebote (z. B. für Schülerinnen und Schüler, Studierende, Auszubildende) wieder preislich zwischen der Zone 1 und dem Rest-Verbund differenziert werden, was tariflich ein Rückschritt wäre.

Aus verkehrlicher Sicht ist davon abzuraten, tarifliche Alleingänge nur für die Zone 1 zu machen.


Bezüglich eines 365-Euro-Jahrestickets für einzelne Zielgruppen stellt sich die Situation wie folgt dar:

A) Schülerinnen und Schüler (Scool-Abo)

Das VVS-Scool-Abo kostet derzeit 43,20 Euro pro Monat (11 Monate, der Ferienmonat August ist frei), pro Jahr somit 475,20 Euro. Es wird von den Schulwegkostenträgern in der Region Stuttgart (Landkreise und LHS) mit 11,50 Euro finanziell unterstützt. Die LHS zahlt darüber hinaus für das Scool-Abo von Schülerinnen und Schülern, die in Stuttgart wohnen und in Stuttgart zur Schule gehen, aktuell einen „Schülerbonus“ von 3 Euro pro Monat. Im vergangenen Schuljahr wurde der Schülerbonus 284.058 Mal gezahlt. Keinen Schülerbonus erhalten die Schülerinnen und Schüler, die in Stuttgart zur Schule gehen, dort aber nicht wohnen.

Es wäre wünschenswert, wenn im Verbundgebiet des VVS eine einheitliche Lösung für das Scool-Abo erzielt werden könnte. Die LHS ist mit den anderen Schulwegkostenträgern, dem VVS und den Verkehrsunternehmen im Gespräch über eine Fortschreibung des Zuschusses zum Scool-Abo. Die bisherige Vereinbarung läuft zum 31. August 2020 aus. Es ist allerdings fraglich, ob es gelingt, die Landkreise zu einer Erhöhung des Zuschusses in dem Umfang zu bewegen, dass ein Betrag in der Größenordnung von 365 Euro pro Jahr zu Stande kommt. Daher wäre hilfsweise auch eine Erhöhung des Schülerbonus der LHS denkbar.

Unter Berücksichtigung des Schülerbonus zahlen heute Stuttgarter Schülerinnen und Schüler einen Betrag von 442,20 Euro pro Schuljahr (11 Abbuchungen à 40,20 Euro). Zur Erreichung eines Preises von rund 365 Euro müsste der Schülerbonus um 7 Euro erhöht werden. Dies verursacht zusätzliche Kosten von ca. 2,0 Mio. Euro pro Jahr. Bei einer Reduzierung auf 300 Euro pro Jahr (Antrag 1141/2019) würden Mehrkosten in Höhe von rund 3,7 Mio. Euro entstehen. Soll der Preis bei 270 Euro pro Jahr liegen (Antrag 596/2019), würden Mehrkosten in Höhe von rund 4,5 Mio. Euro entstehen.

Wenn auch die Scool-Abonnentinnen und -Abonnenten in Stuttgart einbezogen werden, die bisher keinen Schülerbonus erhalten, wäre mit einem zusätzlichen Finanzierungsbedarf in Höhe von rd. 1,0 Mio. Euro pro Jahr bei einem 365 Euro-Ticket zu rechnen. Bei
einem 300-Euro-Jahresticket (Antrag 1141/2019) würden sich diese Kosten auf rund 1,6 Mio. Euro erhöhen. Soll der Preis bei 270 Euro pro Jahr liegen (Antrag 596/2019), würden Mehrkosten in Höhe von rund 1,9 Mio. Euro entstehen.


Eine Umsetzung von Veränderungen beim Scool-Abo könnte zum Beginn des Schuljahres 2020/21 erfolgen.


B) Studierende und Auszubildende

Wird nur für diese Zielgruppen ein 365-Euro-Ticket geschaffen, stellen sich die Mindereinnahmen wie folgt dar:

Auszubildende ca. 12,2 Mio. Euro
Studierende ca. 3,8 Mio. Euro


Diese Zahlen beziehen sich jeweils auf den gesamten VVS. Da die Tickets für diese Zielgruppen verbundweit gültig sind, ist eine eindeutige Zuordnung auf die Gebietskörperschaften schwierig. Wie bei der Tarifreform müsste eine Verständigung mit anderen Finanzierungspartnern im VVS, insbesondere mit den Verbundlandkreisen, erfolgen. Der Anteil der LHS würde nach groben Schätzungen für die Zielgruppen der Studierenden und Auszubildenden bei 8 bis 10 Mio. Euro pro Jahr liegen. Allerdings sieht die Verwaltung bei den Partnern im VVS aktuell keine Bereitschaft, nach Einführung der Tarifreform zusätzliche tarifliche Maßnahmen in diesem Umfang zu finanzieren. Die Tarifreform hat die Verbundlandkreise, aber auch die LHS finanziell bereits sehr stark belastet.

Soll der Preis für Auszubildende bei 270 Euro pro Jahr liegen (Antrag 596/2019), würden Mehrkosten in Höhe von rund 16,2 Mio. Euro entstehen.

Unabhängig vom Preis hält die LHS an dem Ziel fest, mittelfristig für diese Gruppen sowie für Schülerinnen und Schüler ein einheitliches „Jugendticket“ zu schaffen und sie wird darüber wird mit den Partnern im VVS Gespräche aufnehmen. Dieses Ziel ist auch im Nahverkehrsentwicklungsplan enthalten.

C) Sozialticket

Auch beim Sozialticket sieht die LHS derzeit bei den Verbundlandkreisen keine Bereitschaft, ein verbundweit gültiges Ticket zum Preis von 365 Euro einzuführen. Für Stuttgarter Bedürftige finanziert die LHS selbst ein SozialTicket, indem sie 50 Prozent der Fahrtkosten übernimmt. Das SozialTicket der LHS wird als Jedermann-MonatsTicket (ohne zeitliche Einschränkung), als 9-Uhr-MonatsTicket, als SeniorenTicket und als 14-Uhr-Junior-Ticket angeboten. Für das Stadtgebiet Stuttgart kosten das Jedermann-MonatsTicket 33,80 Euro, das 9-Uhr-MonatsTicket 25,70 Euro, das 14-Uhr-JuniorTicket 11,30 Euro (Verbundnetz) und das SeniorenTicket 28,30 Euro. Bedürftige Schülerinnen und Schüler erhalten das Scool-Abo im Rahmen des Bildungs- und Teihabepaketes kostenfrei.

Mit Ausnahme des Monats-Tickets Jedermann bietet das SozialTicket der LHS somit bereits heute die Möglichkeit, innerhalb von Stuttgart über das ganze Jahr hinweg für weniger als 365 Euro mit dem ÖPNV unterwegs zu sein. Nutzt ein Kunde ein SozialTicket als MonatsTicket Jedermann (also ohne zeitliche Begrenzung), muss er mindestens 11 Monate pro Jahr das Ticket kaufen, um die Schwelle von 365 Euro zu überschreiten. Die Einführung eines Sozialtickets zum Preis von 365 Euro ist vor diesem Hintergrund fraglich, zumal die Möglichkeit besteht, ein Ticket monatlich nach den jeweiligen Bedürfnissen zu erwerben.


D) Seniorinnen und Senioren

Das SeniorenTicket ist heute bereits verbundweit und ohne zeitliche Beschränkung gültig. Die Seniorinnen und Senioren fahren derzeit mit einem Preis von 46,70 Euro pro Monat, was auch im Vergleich zu anderen Gruppen (z. B. Auszubildende) relativ günstig ist. Die Reduzierung auf einen Preis von 365 Euro würde Mindereinnahmen von 7,5 Millionen Euro pro Jahr auslösen, wovon die LHS den Hauptteil (ca. 6,0 Mio. Euro) übernehmen müsste. Für Seniorinnen und Senioren in wirtschaftlich angespannten Verhältnissen besteht zudem die Möglichkeit, das nochmals kostengünstigere Sozialticket (siehe Punkt C) zu nutzen.




Vorliegende Anträge/Anfragen

326/2019 BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Nr. 2; 596/2019 Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei; 621/2019 Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei; 798/2019 SPD-Gemeinderatsfraktion; 1141/2019 PULS-Fraktionsgemeinschaft




Fritz Kuhn



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