Protokoll: Sozial- und Gesundheitsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
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VerhandlungDrucksache:
627/2021
GZ:
SI
Sitzungstermin: 26.07.2021
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BMin Dr. Sußmann
Berichterstattung:Frau Vogel (SozA)
Protokollführung: Herr Krasovskij
Betreff: Erster Bericht über den Sachstand zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in der Landeshauptstadt Stuttgart

Beratungsunterlage ist die Mitteilungsvorlage des Referats Soziales und gesellschaftliche Integration vom 19.07.2021, GRDrs 627/2021. Sie ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.

Zu Beginn hatte sich das Gremium darauf verständigt, dass die ausführliche Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt in der Sitzung des Sozial- und Gesundheitsausschusses (SGA) am 27.09.2021 erfolgen solle. Heute werde die Verwaltung kurz über den Sachstand zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in Stuttgart informieren, anschließend sollen Verständnisfragen der Ratsmitglieder beantwortet werden.

Frau Vogel (SozA) berichtet, dass sich die Stuttgarter Sozialverwaltung im Zuge der Umsetzung des BTHG nicht nur auf die Umstellung auf den neuen Landesrahmenvertrag SGB (Sozialgesetzbuch) IX beschränke, sondern versucht werde, den künftigen Paradigmenwechsel in einem umfassenden gemeinsamen Prozess mit den freien Trägern, den Interessensvertretungen, der städtischen Behindertenbeauftragten Frau Fischer mit ihrem Team und unter Beteiligung von Menschen mit Behinderung zu gestalten. Das Ziel sei es, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit mit dem Auslaufen der jetzigen Übergangsvereinbarung zum 01.01.2022 die Angebote für Menschen mit Behinderung in Stuttgart entsprechend dem neuen Gesetz umgestellt werden könnten. Denn nur dann, so die Sozialamtsleiterin, würden sich für die Betroffenen wirkliche Mehrwerte ergeben.

Derzeit würden die Angebote für Menschen mit Behinderung noch entsprechend der Leistungsvereinbarungen nach altem Recht (Hilfebedarfsgruppen) stattfinden, und würden dann hilfsweise in das neue Recht übersetzt. Tatsächliche Umstellungen im Rahmen der Leistungserbringung könnten aber erst erfolgen, wenn auf den neuen Landesrahmenvertrag SGB IX umgestellt werde.

Um die Frage der künftig erforderlichen Angebotsstruktur zu klären, seien paritätisch besetzte Arbeitsgruppen gebildet worden, in welchen auch die Menschen mit Behinderung eng eingebunden würden. Diese Arbeitsgruppen würden sich u. a. auch damit befassen, wie die Vergütungssystematik entsprechend dem neuen Recht ausgestaltet werden müsse, sowie bspw. auch was die neuen Leistungsvereinbarungen beinhalten sollten etc.

Frau Vogel betont, dass das Thema Umsetzung des BTHG in Stuttgart die Sozialverwaltung derzeit sehr beanspruche. Der allgemeine Umsetzungsprozess sei sehr zeitintensiv und es gebe einen straffen Zeitplan sowie leider auch einige Hürden.

So habe am vergangenen Freitag (23.07.2021) die Vertragskommission beschlossen, dass die aktuell geltende Übergangsvereinbarung auf Landesebene um zwei Jahre bis spätestens zum 31.12.2023 verlängert werden solle. Diese Information sei sehr aktuell und deshalb nicht in der Vorlage enthalten.

Die Stuttgarter Sozialverwaltung rechne nach dem Beschluss der Vertragskommission für Herbst dieses Jahres mit der Notwendigkeit einer Verlängerung der aktuell mit den Trägern abgeschlossenen Übergangsvereinbarung, so Frau Vogel weiter. Dies sei bedauerlich und stelle aufgrund des aufwendigen Verfahrens insgesamt ein Risiko für eine Verzögerung im Umstellungsprozess dar.

Abschließend bezeichnet die Sozialamtsleiterin den Bezug des Interimsgebäudes Jägerstraße 2 als einen wichtigen Schritt im Zusammenhang mit der Umsetzung des BTHG. Hinsichtlich der Besetzung der geschaffenen Stellen der Fallmanager*innen gestalte sich die Suche nach passenden Bewerbern*innen leider schwieriger als zu Beginn angenommen. Zusätzlich zum allgemeinen Fachkräftemangel stehe die Stadt Stuttgart hier in Konkurrenz mit den benachbarten Kommunen und Kreisen. Aus diesem Grund konnten bislang noch nicht alle geschaffenen Stellen der Fallmanager*innen besetzt werden. Diese Experten*innen würden aber dringend benötigt, um gemeinsam mit den Menschen mit Behinderung den aufwendigen aber auch zielführenden Prozess der Teilhabeplanung umzusetzen.

In ihrer Wortmeldung bedauert StRin Rühle (90/GRÜNE), dass die geschaffenen Stellen der Fallmanager*innen noch nicht vollständig besetzt werden konnten.

Nach einer Frage der Stadträtin versichert die Sozialamtsleiterin, dass der Bereich der Bedarfsfeststellung und -planung aufgrund der aktuellen personellen und zeitlichen Engpässe nicht vernachlässigt werde. Dies sei (insbesondere bei Neufällen) schließlich die Grundlage für die Gesamtplanungen und die Mittelbewilligung. Dennoch müsse hier aufgrund der personellen Engpässe priorisiert werden. Die Bedarfsfeststellung erfolge mit Hilfe des Bedarfsermittlungsinstruments sowohl bei Bestandsfällen als auch bei Neufällen auf Grundlage des SGB IX. Die Abrechnung und die Vergütung für die Leistung erfolge aber über die bestehende Übergangsvereinbarung. Grundsätzlich, so Frau Vogel, stehe die Sozialverwaltung bei diesem Thema in einem engen Austausch mit den Leistungserbringern und den Fallmanager*innen, die ihre betreuten Personen und ihre Bedarfe gut kennen würden.

Gegenüber StRin Rühle erklärt Frau Schultz (SozA), dass der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) seine Schulungen zur Zertifizierung von Fallmanagern*innen nach einer coronabedingten Einstellung aktuell wieder aufgenommen habe. Sie sei im Gespräch mit dem KVJS mit dem Ziel eine separate Schulungsveranstaltung speziell für die Stuttgarter Fallmanager*innen auf den Weg zu bringen.

Im Weiteren macht StRin Rühle auf das Problem aufmerksam, dass Menschen mit Behinderung nicht selten aufgrund fehlender Betreuung die ihnen zustehenden Leistungen nicht in Anspruch nehmen würden. Dies müsse man unbedingt in den Blick nehmen.

Auf eine Nachfrage der Stadträtin zu den geplanten Assistenzkräften erklärt Frau Vogel, dass diese bei den Leistungserbringern angesiedelt seien. Derzeit könne der Bedarf gedeckt werden. Man müsse aber davon ausgehen, dass die Nachfrage nach Assistenzkräften künftig aufgrund der zunehmenden Individualisierung steigen werde und es womöglich herausfordernd sein würde, den Bedarf an Kräften decken zu können. In diesem Kontext merkt die Sozialamtsleiterin an, dass die Frage welche Art von Assistenz ein Mensch mit Behinderung benötige, maßgeblich mit der Art seiner Behinderung und dem benötigten Unterstützungsbedarf zusammenhänge. Während manche Betroffene im Alltag die Begleitung durch fachlich ausgebildete Assistenzkräfte benötigten, gebe es auch Assistenzbedarfe, die ohne fachspezifisches Wissen erfüllt werden könnten. In solchen Fällen könnten für die Betroffenen bspw. auch Unterstützungsleistungen in den Quartieren hilfreich sein. Auch die Sozialraumorientierung spiele hier in Zukunft eine wichtige Rolle. Frau Vogel sagt zu, in den nächsten Berichten zum Thema Umsetzung des BTHG immer auch über den aktuellen Stand hinsichtlich der Assistenzkräfte zu informieren.

Durch StRin Rühle und im Folgenden auch durch StRin Dr. Hackl (SPD) wurde auch das Thema finanzielle Auswirkungen der Umsetzung des BTHG angesprochen. Frau Vogel berichtet in diesem Kontext, dass sie gemeinsam mit dem Leiter der Stadtkämmerei, Herrn Vaas, auf Landesebene in sämtlichen Arbeitsgruppen zum Thema finanzielle Auswirkungen mitwirke, um die Interessen der Stadt Stuttgart zu vertreten. Grundsätzlich werde das Konnexitätsprinzip durch Land und Bund leider noch immer nicht anerkannt. Aufgrund der breiten Angebotsstruktur mit zahlreichen Spezifika würden sich in Stuttgart aber deutlich mehr Kosten ergeben, die durch das Land nicht abgedeckt würden - bspw. Overheadkosten und Sachkosten.

StRin Dr. Hackl bittet anschließend darum, in der SGA-Sitzung am 27.09.2021 auch über die finanziellen Auswirkungen für das Eingliederungsbudget zu informieren.

StRin Bulle-Schmid (CDU) erklärt, dass die Umsetzung des BTHG ein wichtiger Schritt sei, damit Menschen mit Behinderung ihr Leben in Zukunft besser und einfacher gestalten können. Ähnlich äußert sich in ihrer Wortmeldung auch StRin Dr. Hackl. Vor diesem Hintergrund erachtet es StRin Bulle-Schmid als unbedingt notwendig, dass alle geschaffenen Stellen der Fallmanager*innen baldmöglichst besetzt werden.

Im Folgenden übt die Stadträtin Kritik daran, dass das Land bislang noch keinen Landesrahmenvertrag vorgelegt habe. Eine Verlängerung der Übergangsvereinbarung sei aus ihrer Sicht keine gute Lösung und verlängere die Probleme für die Betroffenen nur weiterhin. Die Stadträtin appelliert an das Land seine Verantwortung wahrzunehmen und spricht sie gleichzeitig dafür aus, dass die Stadt Stuttgart und die anderen betroffenen Kommunen in der Sache den Druck auf das Land erhöhen sollten.

Darauf eingehend, erklärt Frau Vogel, dass die kommunalen Spitzenverbände und die Verbände der Leistungserbringer hier gefordert seien, die aktuelle Situation aber leider festgefahren wäre. Das Sozialministerium sehe sich hingegen eher in einer moderierenden Rolle. Die Stadt Stuttgart wolle allerdings nicht auf eine Einigung auf Landesebene warten, und habe deshalb mit den Stuttgarter Trägern gemeinsame individuelle Lösungen für das weitere Vorgehen gefunden. Viele Kommunen und Kreise in Baden-Württemberg würden sich mittlerweile dem Stuttgarter Vorgehen anschließen. Die Sozialamtsleiterin dankt in diesem Kontext den Leistungserbringern für ihre Kooperationsbereitschaft und äußert zudem die Hoffnung, dass sich die Diskussion in den Gremien auf Landesebene in Zukunft stärker an der Praxis orientieren werde.

Nach einer Frage durch StRin Dr. Hackl bezüglich der Möglichkeiten des Gemeinderates zur Unterstützung der Verwaltung bei der Umsetzung des BTHG erklärt Frau Vogel, dass interessierte Stadträte*innen sich aktiv an einem weiteren Trägerhearing beteiligen können, das bislang für kommenden Herbst geplant sei. Derzeit sei die Sozialverwaltung mit der Organisation dieser Veranstaltung und der Raumsuche beschäftigt, was sich allerdings aufgrund der Corona-Situation als nicht ganz einfach gestalte. Auch die Entwicklungen auf Landesebene würden die ursprüngliche zeitliche Planung beeinflussen. Über die weiteren Entwicklungen werde man die Ratsmitglieder auf dem Laufenden halten. StRin Rühle regt in diesem Kontext an, das Trägerhearing digital durchzuführen.

Auf eine weitere Nachfrage durch StRin Dr. Hackl eingehend, berichtet die Sozialamtsleiterin, dass der Begleitkreis, der nach dem ersten Trägerhearing ins Leben gerufen worden und seitdem im Teilaufgabenbereich Angebotsstruktur verortet sei, sich neben der Amtsleitung des Sozialamtes aus Mitarbeitern*innen der Abteilungen Sozialplanung und Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung, der städtischen Behindertenbeauftragten, den Sprechern des Ligafachausschusses Behindertenhilfe sowie Sprechern des Gemeindepsychiatrischen Verbunds und des Suchthilfeverbunds zusammensetze. Dadurch seien in dem Begleitkreis auch alle Leistungserbringer vertreten. Der Begleitkreis habe die Aufgabe zu prüfen, welche übergeordneten Punkte im Zusammenhang mit der Umsetzung des BTHG noch gemeinsam geklärt werden müssten bzw. welche Strukturen ggf. neu geschaffen werden sollten.

Aus dem Begleitkreis seien auch die Arbeitsgruppen Wohnen und Tagesstruktur entstanden, die ebenfalls Unterarbeitsgruppen zu bestimmten Fragen aus dem Bereich der Sozialpsychiatrie oder der Eingliederungshilfe gebildet hätten. Frau Vogel sagt zu, in der SGA-Sitzung am 27.09.2021 in einem ersten Zwischenfazit über die Arbeit der Arbeitsgruppen zu berichten.

Abschließend dankt BMin Dr. Sußmann der Sozialverwaltung, den freien Trägern, den beteiligten Menschen mit Behinderung und allen weiteren Beteiligten für ihren großen Einsatz im Rahmen der Umsetzung des BTHG in Stuttgart.




Danach stellt BMin Dr. Sußmann fest:

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss hat von der GRDrs 627/2021 Kenntnis genommen.

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