Protokoll: Sozial- und Gesundheitsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
103
3
VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 26.09.2016
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BM Wölfle
Berichterstattung:Herr Schwarz (Evangelische Gesellschaft Stuttgart e. V.)
Protokollführung: Herr Häbe de
Betreff: Fachberatung Demenz / 4. Lebensphase
- mündlicher Bericht -

Die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigte Präsentation ist dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt. Dem Originalprotokoll und dem Protokollexemplar für die Hauptaktei ist sie in Papierform angehängt. Die Präsentation wurde den Ausschussmitgliedern am 22.09.2016 per Mail übersandt. Sie konnte aufgrund von technischen Problemen nicht parallel zu dem einführenden Vortrag von Herrn Schwarz im Sitzungssaal gezeigt werden.

Zu Beginn merkt BM Wölfle an, Herr Schwarz von der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart e.V. (eva) sei auf Wunsch des Ausschusses im Kontext mit der Zusammenlegung der Fachberatung Demenz und dem Besuchsdienst 4. Lebensphase in die heutige Sitzung eingeladen worden.

Die einführenden Ausführungen von Herrn Schwarz, dem Leiter der im Betreff genannten Fachberatung, sind nachstehend im überarbeiteten Wortlaut wiedergegeben.

Herr Schwarz:

"Meine Damen und Herren, ich möchte mich zunächst bei Ihnen und bei der Stadt Stuttgart ganz herzlich für die langjährige Förderung bedanken, die uns diese Arbeit ermöglicht.

Ich möchte mich bei dem kurzen Bericht auf die niedrigschwelligen Betreuungsangebote beziehen, die durch über 250 freiwillig Tätige für gerontopsychiatrisch erkrankte Menschen zuhause geleistet werden. Zum Hintergrund. Ein Teil dieser Hilfen verursacht Kosten für die Betroffenen. Hier ist die Pflegeversicherung relevant. Nächstes Jahr wird es viele Veränderungen geben, wobei die Finanzierung dieser niedrigschwelligen Angebote, d. h. die Leistungen für die Versicherten, sich nur unwesentlich verändert. Was sich aber verändern wird, ist die Struktur dieser Angebote, denn es gibt eine Erweiterung aufgrund des Pflegestärkungsgesetzes, dass künftig nicht nur Betreuungsangebote als niedrigschwellige Hilfen zugelassen werden, sondern es auch haushaltsnahe Dienste sein können, Alltagshilfen und Begleitung sowie bürokratische Hilfen, also Hilfen bei Antragstellungen. Die Angebote werden daher künftig "Angebote zur Unterstützung im Alltag" heißen. Eine weitere Neuerung: Auch gewerbliche Dienste können eine Anerkennung künftig erhalten.

Was hat dies für Folgen für die Betroffenen, für die Nutzer dieser Angebote? Jede Differenzierung ist gut. Die Komplexität fordert aber die Menschen auch heraus, sich zurechtzufinden, d. h. wir gehen von einem zunehmenden Beratungs- und Aufklärungsbedarf aus. Auf der anderen Seite die Frage, wie kann man so ein sich erweiterndes Angebot steuern, beeinflussen? Es wird jetzt im Herbst eine Landesverordnung geben, und wir gehen eigentlich davon aus, so wie das in der Vergangenheit in Baden-Württemberg war, dass es zu relativ klaren Regelungen in dieser Verordnung kommen wird, an denen wir uns orientieren können. Zudem haben die Land- und Stadtkreise als anerkennende Institutionen die Möglichkeit, auch hier Einfluss zu nehmen.

Wichtig für all diese Angebote ist die Vernetzung und Zusammenarbeit. Hier gibt es in Stuttgart schon ein gutes Netz, an dem wir auch beteiligt sind.

Um welche Angebote geht es nun konkret bei uns? Es ist zum einen der Besuchsdienst 4. Lebensphase für allein und isoliert lebende gerontopsychiatrisch Erkrankte. Ein kostenfreies Angebot, das schon viele Jahre besteht. Etwa über 100 Helfer sind hier aktiv. Dann der Helferkreis für demenzkranke Menschen, freiwillig Tätige unterstützen stundenweise Familien zuhause, entlasten, betreuen. Auch hier sind über 100 Helfer aktiv. Dieses Angebot verursacht Kosten, ist aber über die Pflegeversicherung finanzierbar.

Muttersprachliche Betreuungshilfen für ältere Migranten, ein eher junges Angebot. Aber wir sind sehr stolz, dass es in Gang gekommen ist. Die Herausforderung ist insofern groß, als es nicht nur darum geht, hier eine Passung zwischen dem betreuten Menschen und dem freiwillig Tätigen zu finden, sondern auch die Sprache muss noch stimmen. Der Sinn des Ganzen ist ja, dass sich die älteren Menschen dann in ihrer Muttersprache mit den Helfenden unterhalten können, was sehr positiv ist.

Wir haben ein zugehendes Kontakttelefon. Man kann sich das in etwa so vorstellen wie eine Telefonseelsorge, bei der man nicht anruft, sondern von der man angerufen wird. Gerade für ältere Menschen mit gerontopsychiatrischer Erkrankung ist es sehr wichtig, dass die Angebote zugehend sind. Denn zu erwarten, dass sie sich selbst irgendwo melden oder ihren Bedarf kundtun, ist doch eher die Ausnahme.

Ein ganz neues Projekt, die Übergangsbegleitung nach psychiatrisch stationärer Behandlung oder allgemein nach Klinikaufenthalt. Hier arbeiten wir mit Frau Dr. Thomas zusammen im Moment, wobei andere Kliniken selbstverständlich auch gerne einbezogen werden. Hier ist im Moment die Idee, dass wir älteren Menschen, die aufgrund einer depressiven Erkrankung in der Klinik sind, dann entlassen werden, durch freiwillig Tätige eine befristete Unterstützung leisten, damit die Menschen sich wieder gut im Alltag einfinden können. Hier haben wir erste Erfahrungen, sind aber noch am Anfang.

Zudem die Betreuungsgruppen, die jetzt nicht Teil dieser speziellen Förderung sind, aber die wir auch seit vielen Jahren aufbauen und begleiten. Besonders interessant die innovativen Angebote - Museumsbesuche, Ausflüge, Werken -, die gerade von aktiveren, jüngeren demenzkranken Menschen auch gern angenommen werden.

Welche Grundlage hat unsere Arbeit? Nach wie vor ist der Gemeinderatsbeschluss von 2004 maßgeblich. Wir sind ein fest verknüpfter Bestandteil der gerontopsychiatrischen Versorgung, fest verknüpft mit den GerBera-Diensten. Diese Vernetzung und Zusammenarbeit praktizieren wir, ist uns sehr wichtig. Es geht hier um regelmäßigen Austausch mit den Diensten, über die Hälfte der Zugänge, der Vermittlungen kommen von den GerBera-Diensten. Auch in viele kommunale Gremien sind wir eingebunden.

Was ist uns generell wichtig? Leicht zugänglich sein, verlässlich, kompetenter Partner sein, Beziehungskonstanz durch Ehrenamtliche, die Hilfe soll bezahlbar und teilweise kostenfrei sein. Und wir wollen die freiwillig Tätigen gut begleiten.

Insgesamt gibt es bei der Zielgruppe wenig schwerwiegende Veränderungen. Es gibt eine leichte Zunahme von Menschen mit Migrationshintergrund, eine absehbare Entwicklung. Es gibt auch eine leichte Zunahme älterer Menschen mit geringem Einkommen. Interessant ist, dass ältere Menschen mit depressiver Erkrankung vor allem bei den kostenfreien Angeboten zu finden sind. Das hat einfach damit zu tun, dass die Pflegeversicherungsleistungen bei diesen Menschen in der Regel nicht greifen. Wir erwarten natürlich zukünftig mehr ältere Menschen und mehr ältere Migranten.

Wir sind froh über dieses Angebot. Die vielen freiwillig Tätigen schätzen ihren Status sehr positiv, denn sie sind, wie der Name sagt, freiwillig tätig, sie sind nicht weisungsgebunden. Insofern sehen wir uns auch oft eher als eine qualifizierte Partnervermittlung, die eine gute fachliche Begleitung anbietet und viel Beziehung und Kontakt ermöglicht. Ich glaube, das ist für die Menschen besonders hilfreich. Vielen Dank."


StRin Bulle-Schmid (CDU), StRin Nuber-Schöllhammer (90/GRÜNE), StRin Gröger (SPD) und StR Pantisano (SÖS-LINKE-PluS) bedanken sich für den Bericht und für die von der Fachberatung geleistete Arbeit.

StRin Bulle-Schmid begrüßt, dass zukünftig haushaltsnahe Dienste, Alltagshilfen, Hilfen für Begleitung sowie bürokratische Hilfen von der Pflegeversicherung abgedeckt werden. Dieses werde sicherlich die Betreuung durch Familien erleichtern. Die Niedrigschwelligkeit, das Kontakttelefon sowie das Aufsuchen der Angebote wird von StRin Nuber-Schöllhammer besonders hervorgehoben. Von StRin Gröger wird daran erinnert, dass sich ihre Fraktion die heutige Berichterstattung gewünscht hat. Für diesen Wunsch habe es zwei Gründe gegeben. Zum einen werde dieser Dienst, der seit Jahrzehnten im Interesse der Betroffenen störungsfrei arbeite, zu wenig gewürdigt. Bei der Altenhilfe seien klare Zugangsstrukturen zu Hilfsangeboten, insbesondere wenn es um gerontopsychiatrisch Erkrankte gehe, wichtig. Wenn Angehörige oder hilfesuchende ältere Menschen nach zwei telefonischen Anrufversuchen nicht die richtige Stelle gefunden hätten, werde nicht weiter nach Hilfe gesucht. Daher sei die Vernetzung der Dienste immens wichtig. Zum anderen, und damit beschreibt sie den zweiten Grund für den Berichtswunsch, gebe es eine veränderte gesetzliche Lage. Damit hätten zum ersten Mal auch gewerbliche Dienste Zugang zu Leistungen. Diese breitere Ebene könne zu Schwierigkeiten führen. Etablierte, nicht immer im Blickfeld befindliche Dienste, böten Sicherheit und von daher stelle sich die Frage, nach der Einbindung in den Trägerverbund der stationären Einrichtungen.

Seitens der StRinnen Bulle-Schmid, Nuber-Schöllhammer und Gröger wird nachgefragt, ob es viele alleinlebende Menschen gibt, die das Angebot zwar benötigen, aber dieses nicht annehmen können, da niemand sie auf dieses Angebot aufmerksam macht. Hierzu berichtet Herr Schwarz, tatsächlich erfolge ein Zugang zu alleinlebenden Menschen häufig erst dann, wenn Auffälligkeiten im Umfeld z. B. durch Nachbarn wahrgenommen werden oder Geldprobleme auftreten. Nachbarn, die sich nach Unterstützungsmöglichkeiten informierten, landeten z. B. beim Gesundheitsamt oder idealerweise bei einem Beratungsdienst wie z. B. bei GerBera. Danach versuchten die Dienste mit den älteren Menschen Kontakt aufzunehmen. Bei älteren Menschen, die von vorn herein eine ablehnende Haltung einnehmen, sei ein Zugang grundsätzlich schwierig und häufig erst dann möglich, wenn sich sehr starke Beeinträchtigungen ergeben. Mit Demenzkampagnen oder ähnlichen öffentlichen Veranstaltungen werde versucht, die Öffentlichkeit stärker zu sensibilisieren, damit z.B. Nachbarn eher auf nicht mehr geleerte Briefkästen oder andere ungewöhnliche Dinge aufmerksam werden. Sicherlich gebe es eine Dunkelziffer von älteren Menschen mit Hilfebedarfen, die nicht erreicht werde. Aufgabe der GerBera-Dienste sei es Erstkontakte herzustellen. Dafür seien üblicherweise mehrfach Versuche zu unterschiedlichen Tageszeiten vonnöten.

Ergänzend erinnert Frau Tietze (SozA), die Fachberatung Demenz und die 4. Lebensphase seien keine isolierten Dienste, sondern im Jahr 2004 sei beschlossen worden, dass sie Teil der GerBeras sein sollen. Die GerBeras, die die Grundversorgung in Stuttgart abdeckten, seien den gemeindepsychiatrischen Zentren (GPZ) zugeordnet. Die GPZ seien wiederum für einen bestimmten Sozialraum verantwortlich. Auch die Verbindung mit LIA sei geregelt. Als Paket im gemeindepsychiatrischen Verbund sei die Aufgabe für die 4. Lebensphase eine gemeinsame und eine gut zu meisternde Aufgabe.

Zu Wortmeldungen von StRin Gröger und StRin Bulle-Schmid erklärt Frau Reichhardt (SozA), die Erweiterungen durch den § 45 b SGB XI würden begrüßt. Die bereits in Stuttgart vorhandenen 69 Angebote würden um die haushaltsnahen Dienstleistungen erweitert. In die Erweiterung werde erst nach der Verordnung des Landes gegangen. Diese werde ungefähr Ende des Jahres erscheinen. Dort würden dann Kriterien festgelegt, so dass es wohl schon möglich werde, den Markt zumindest ein Stück weit zu begrenzen, da das Sozialamt zulassende Behörde sei.

Das Gewinnen von neuen ehrenamtlichen Helfern, insbesondere für Dienste mit einer sehr geringen Aufwandsentschädigung, ist laut Herrn Schwarz schwierig. Das Tätigkeitsfeld seines Dienstes sei eben auch nicht so attraktiv wie andere ehrenamtliche Tätigkeiten. Bei der Gewinnung Ehrenamtlicher seien die Medien hilfreich. Wenn es gelinge z. B. Artikel in der Presse zu platzieren, ergebe sich eine wichtige Zugangsmöglichkeit.

StRin Gröger erhält von ihm die Mitteilung, im Netzwerk Demenz gebe es eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Stadtteilarbeit beschäftige. Dort würden sich in den Stadtteilen aktive Akteure austauschen. Ähnliche Gremien gebe es auch bei den GerBera-Diensten.

Sein Dienst habe den Auftrag eindeutig ambulant tätig zu sein. Dies bedeute, stationäre Einrichtungen müssten in der Regel ihre Ehrenamtlichen selbst gewinnen. Nach entsprechenden Anfragen würden von seinem Dienst Fortbildungsveranstaltungen angeboten. Das große Feld der stationären Hilfen gehöre eigentlich nicht zur Zuständigkeit des Dienstes.

Von StRin Yüksel (FDP) wird betont, dass Bezugspersonen bei älteren Menschen nicht häufig wechseln sollten. Sie hinterfragt die Fluktuationsquote bei den Ehrenamtlichen. In der Folge informiert Herr Schwarz, es gebe Ehrenamtliche in seinem Dienst, die über 10 Jahre bereits tätig seien. Einer der wichtigsten Arbeitsgrundsätze sei, keine wechselnden Einsatzorte zu organisieren. Dies bedeute, man bemühe sich, Beziehungen möglichst lange bestehen zu lassen. Für beide Seiten stelle dies ein Gewinn dar. Für die Ehrenamtlichen sei es hilfreich zu wissen, dass sie immer zu bestimmten Zeiten eingesetzt werden. Sie hätten dadurch die Möglichkeit, die Menschen intensiver kennenzulernen und sicherer im Umgang mit ihnen zu werden.

Abschließend betont BM Wölfle, und damit bestätigt er eine Aussage von StRin Gröger, die Landeshauptstadt könne stolz darauf sein, dass bereits frühzeitig in dem zur Beratung stehenden Bereich, nämlich im Jahr 2004, wegweisendes auf den Weg gebracht worden sei.




Abschließend stellt der Vorsitzende fest:

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss hat Kenntnis genommen.
zum Seitenanfang
File Attachment Icon
2016-09-26_Präsentation zu TOP 3.pdf