Protokoll: Sozial- und Gesundheitsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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44
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 08.04.2019
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BMin Fezer
Berichterstattung:Herr Jürgen Rost (Caritasverband für Stuttgart e.V., Projektleitung barrierefrei gesund, Herr Bernd Rühle (Diakonie-Klinikum Stuttgart, Geschäftsführung)
Protokollführung: Herr Krasovskij de
Betreff: Barrierefrei gesund - Bildung eines Medizinischen Zentrums für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) in Stuttgart
- mündlicher Bericht -

Die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigte Präsentation ist dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt. Aus Datenschutzgründen wird sie nicht im Internet veröffentlicht. Dem Originalprotokoll und dem Protokollexemplar für die Hauptaktei ist sie in Papierform angehängt.


Einleitend erklärt BMin Fezer, die ersten drei Tagesordnungspunkte der heutigen Sitzung behandeln die Fragestellung, wie für Menschen mit Behinderungen eine gute medizinische Versorgung gewährleistet werden könne. Dieses Thema beschäftige die Verwaltung, den Gemeinderat und die externen Beteiligten schon seit langem, berichtet die Vorsitzende und verweist darauf, dass die Menschen mit Behinderungen häufig zum Teil einen erschwerten Zugang zu den medizinischen Regelangeboten hätten.

BMin Fezer bedankt sich bei den Herren Rost (Caritasverband für Stuttgart e. V.) und Rühle (Diakonie-Klinikum Stuttgart) für deren Einsatz im Zusammenhang mit der Bildung eines Medizinischen Zentrums für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) in Stuttgart und der Unterstützung für Menschen mit Behinderung im Krankenhaus und speziell im Diakonie-Klinikum. Anschließend regt die Bürgermeisterin an, die Tagesordnungspunkte 1 und 2 (heutige Niederschriftsnummer 45) gemeinsam zu behandeln. Gegen diesen Vorschlag ergehen keine Widersprüche.

Im Folgenden informieren Herr Rost und Herr Rühle die Ratsmitglieder analog der Präsentation zum Thema MZEB. Bezugnehmend auf die Deckelung der Patientenzahl auf 40 Patienten pro Quartal erläutert Herr Rühle, dies sei eine Vorgabe der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg gewesen. Ferner betont er die noch leider hohen Eingangshürden für das MZEB. So seien für eine ambulante Behandlung/Versorgung (was die Grundidee des Angebotes sei) mitunter bestimmte Diagnoseschlüssel notwendig, was den Personenkreis einschränke. Das MZEB dürfe zudem erst auf Anfrage der niedergelassenen Mediziner nach einer Überweisung tätig werden, wenn die niedergelassenen Mediziner bzw. die sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) die Patienten nicht mehr behandeln können.

Trotz der kritischen Punkte in Bezug auf die hohen Eingangshürden sowie die gedeckelte Patientenzahl begrüßen Herr Rost und Herr Rühle die Einrichtung eines MZEB als wichtigen Beitrag zu einer besseren ambulanten medizinischen Versorgung von Menschen mit Behinderung. Herr Rühle verweist im Weiteren darauf, dass die anfänglichen Einsprüche der Stuttgarter Ärzteschaft gegen das Projekt zwischenzeitlich ausgeräumt werden konnten und Zustimmung seitens der Ärzteschaft vorherrsche. Derzeit befinde man sich mit der Gesamtprojektgruppe vor der finalen Abstimmung. Das MZEB solle dann voraussichtlich im Sommer dieses Jahres seinen Betrieb aufnehmen. Nach 1 Jahr Betrieb sei dann eine Evaluation geplant. Der Referent unterstreicht die Wichtigkeit einer guten Kommunikation zwischen dem medizinischen Personal beim MZEB, den SPZ und der niedergelassenen Ärzteschaft. Durch diesen Austausch wolle man den Patienten eine auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Behandlung garantieren.

Im Anschluss daran berichtet Herr Rühle unter dem Tagesordnungspunkt 2 über die Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung im Krankenhaus am Beispiel des Diakonie-Klinikums Stuttgart. Gemeinsam mit dem bhz Stuttgart e. V. habe man sich verpflichtet, Menschen mit Behinderungen bei ihrem Aufenthalt im Krankenhaus und den notwendigen Behandlungen unterstützend zur Seite zu stehen. Hierfür sei im Jahr 2017 das gesamte Pflegepersonal des Diakonie-Klinikums für den Umgang mit (schwer-)behinderten Menschen, zu deren Kommunikationsarten und alltäglichen Bedürfnisse speziell geschult worden. Es gebe ferner am Diakonie-Klinikum 2 Beauftragte für die Belange behinderter Menschen. In diesem Zusammenhang sei 2017/2018 auch die Qualifikation des leitenden Arztes Dr. Bepperling vorgenommen worden.

Herr Rühle erklärt abschließend, dass sich auch der Bundesgesetzgeber das Thema bessere Unterstützung für Menschen mit Behinderung im Krankenhaus auf die Agenda geschrieben habe. So sei es für Krankenhäuser ab diesem Jahr möglich, mit den Krankenkassen Qualitätsverträge abzuschließen. Das Diakonie-Klinikum habe dabei die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Unterstützungsarbeit über den Deutschen Evangelischen Krankenhausverband bis auf Bundesebene einbringen können, so dass diese eventuell als Maßstab für die Qualitätsverträge herangezogen werden. Damit eine gute Versorgung gelingen könne, erachte man fünf Aspekte als wesentlich – nämlich ein strukturiertes Aufnahmemanagement, Bezugspersonen im Krankenhaus, gute Kommunikation, ein strukturiertes Entlassungsmanagement sowie Aus- und Weiterbildung.

Im Verlauf der Aussprache zeigt sich StRin Bulle-Schmid (CDU) erfreut, dass durch die vorgestellten Angebote Verbesserungen bei der medizinischen Versorgung von Menschen mit Behinderung erreicht würden. Die Stadträtin betont, dass im Rahmen des MZEB Menschen mit einer geistigen Behinderung behandelt werden sollen. Diese Menschen bildeten eine spezielle Gruppe unter den Personen mit Handicaps, da sie oftmals nicht in der Lage seien, sich gut zu artikulieren und deshalb besonderer und auch zeitlich intensiver Zuwendung bedürften.

Mit Verweis auf die gedeckelte Patientenzahl von 40 Patienten pro Quartal spricht sich StRin Bulle-Schmid dafür aus, im Laufe der Zeit die Patientenzahl allmählich zu steigern. Ähnlich äußern sich auch StRin Seitz (90/GRÜNE) und StRin Gröger (SPD). StRin Gröger erklärt, dass man beim MZEB in Reutlingen ihres Wissens nach einen Deckel von 80 Patienten/Quartal genehmigt habe.

StRin Bodenhöfer-Frey (FW) möchte mit Verweis auf die Deckelung wissen, ob Patienten, die über mehrere Quartale behandelt werden müssten, in jedem Quartal erneut gezählt würden.

Anschließend bedankt sich StRin Bulle-Schmid bei Herrn Rost und Herrn Rühle für deren langjähriges Engagement in der Sache. Dem Dank schließen sich im weiteren Verlauf auch StRin Seitz, StRin Gröger, StR Pantisano (SÖS-LINKE-PluS), StRin Bodenhöfer-Frey sowie StRin Yüksel (FDP) an.

Von StRin Seitz wird bemängelt, dass der Zugang zum MZEB nur nach einer Überweisung durch einen niedergelassenen Arzt möglich sei. Sie halte diesen Weg für "zu bürokratisch", so die Stadträtin. Auch vor diesem Hintergrund halte sie die geplante Evaluation des Angebotes für sinnvoll. Grundsätzlich, fährt StRin Seitz fort, würden die GRÜNEN die Einrichtung des MZEB natürlich begrüßen. Dennoch sei man der Meinung, dass eine Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung auch weiterhin überall möglich sein müsse und es nicht zu der Haltung kommen dürfe, diese Personen würden fortan nur oder hauptsächlich im MZEB behandelt.

In ihrer Wortmeldung äußert sich StRin Gröger positiv hinsichtlich der Einrichtung eines MZEB in Stuttgart und erinnert an das langwierige Zulassungsprozedere. Ihrer Ansicht nach sollten die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg und die Krankenkassen diesem Thema grundsätzlich offener gegenüberstehen, so die Stadträtin. Sie erkundigt sich, wie viele MZEB mit Zulassungsbescheid es in der Region derzeit gebe und ob es schon konkrete Pläne hinsichtlich der Ausstattung der künftigen Einrichtung in Stuttgart gebe.

In diesem Zusammenhang nennt Herr Rost das Epilepsiezentrum Kork, sowie die Johannes-Diakonie in Mosbach, die als MZEB tätig seien. Ferner gebe es ein MZEB der Stiftung Liebenau in Meckenbeuren und eine Einrichtung in Reutlingen, weitere Häuser prüften gerade die Einrichtung eines MZEB.
Hinsichtlich des langwierigen Zulassungsverfahrens erklärt Herr Rost, die ersten Verhandlungen mit den Kassen hätten auch deshalb sehr viel Zeit in Anspruch genommen, weil man sich über die Standards für ein MZEB noch nicht einig gewesen sei. Nach wie vor gebe es aus seiner Sicht noch keine allgemeingültige Klarheit darüber, welche Qualitätskriterien ein Zentrum erfüllen müsse, damit es als MZEB zugelassen werden könne, so der Referent weiter. Als notwendige Kriterien nennt er die Vorgabe, dass der leitende Arzt eine Zusatzqualifikation für Medizin bei Menschen mit geistiger Behinderung abgeschlossen haben müsse. Zudem sollten in einem MZEB mindestens zwei Fachdisziplinen vertreten sein.

Ferner erklärt Herr Rost, dass auch Einsprüche aus der niedergelassenen Ärzteschaft gegen die Einrichtung eines MZEB sich hinauszögernd auf den Zulassungsablauf auswirken könnten. Auch in Stuttgart habe es anfangs trotz intensiver Vorarbeit und Dialoge zunächst Bedenken der Ärzte gegeben, die aber mittlerweile ausgeräumt werden konnten.

In ihrer Wortmeldung begrüßt auch StRin Yüksel die Einrichtung eines MZEB in Stuttgart. Allerdings bemängelt die Stadträtin wie schon StRin Seitz die ihrer Ansicht nach zu hohen Zugangshürden zu dem Angebot. Auch die Deckelung bei der Patientenzahl sollte nach der Evaluation noch einmal kritisch hinterfragt werden.

Auf die Konzeption für das Stuttgarter MZEB eingehend, erklärt Herr Rühle, das Zentrum solle keine Sondereinrichtung sein, wie die meisten MZEB. Man werde als Akutversorger am Diakonie-Klinikum fast alle medizinischen Fachrichtungen abdecken können. Hierbei betont Herr Rühle auch die Kooperation zu den anderen beteiligten Krankenhäusern. Aufgrund der gedeckelten Patientenzahl gehe man von einer Terminsprechstunde aus, die einmal wöchentlich (vermutlich freitags) in barrierefrei zugänglichen Räumlichkeiten stattfinden solle.

Im weiteren Verlauf der Aussprache unterstreicht StRin Bulle-Schmid die Notwendigkeit einer Unterstützung von behinderten Menschen und deren Angehörigen bei einem Aufenthalt im Krankenhaus. Sie begrüßt, dass am Diakonie-Klinikum hierfür extra das Pflegepersonal geschult worden sei und möchte wissen, ob ähnliche Unterstützungsmaßnahmen auch in anderen Stuttgarter Krankenhäusern, v. a. im städtischen Klinikum, praktiziert würden. In diesem Zusammenhang regt StRin Seitz an, dass auf den Webseiten der Krankenhäuser ähnlich wie beim Diakonie-Klinikum über etwaige Unterstützungsmöglichkeiten für behinderte Menschen und deren Behandlung informiert werden sollte. Dies sei eine wichtige Hilfe für die Betroffenen und ihre Bezugspersonen. Dem schließt sich auch StRin Gröger an.

Im Folgenden betont auch StRin Gröger die Bedeutung des Themas Unterstützung für behinderte Menschen bei stationären Aufenthalten im Krankenhaus und erkundigt sich, welche Kommunikationstechniken am Diakonie-Klinikum im Umgang mit den geistig behinderten Patienten angewandt würden.

Herr Rühle verdeutlicht die Wichtigkeit einer gelingenden Kommunikation mit den geistig behinderten Patienten und verweist auf Schwierigkeiten, wenn bei Personen, die sich selber gar nicht oder nur schlecht artikulieren können keine Kommunikationsperson zur Verfügung stehe. Für solche Fälle habe das Pflegepersonal in Schulungen Kenntnisse über verschiedene Kommunikationstechniken erworben. Auch künftig seien hierzu Fortbildungen vorgesehen.

Ferner spricht StRin Gröger das Thema Begleitpersonen an und merkt an, dass bei Aufenthalten von geistig behinderten und kommunikationseingeschränkten Personen im Krankenhaus häufig deren Angehörige mit aufgenommen werden müssten. Vielfach müssten die Begleitpersonen abgesehen von der zeitlichen Inanspruchnahme die Kosten für ihren Aufenthalt selbst tragen, was sich nicht jeder leisten könne. Hier sehe sie einen dringenden Bedarf für eine allgemeine Lösung im Sinne der betroffenen Patientinnen und Patienten und deren Bezugspersonen, so die Stadträtin. Ähnlich äußert sich auch StRin Yüksel. Sie betont zudem, dass das Pflegepersonal in den Krankenhäusern noch stärker für die Bedürfnisse der Menschen mit Behinderungen sensibilisiert und geschult werden müsse. In diesem Zusammenhang verweist die Stadträtin auf vorhandene Checklisten, die den Umgang mit behinderten Menschen erleichtern sollen, aber nicht in allen Krankenhäusern konsequent zur Anwendung kämen.



Nachdem keine weiteren Wortmeldungen vorliegen stellt BMin Fezer nach einem Dank an die Referenten fest:

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss hat von den Berichten Kenntnis genommen.

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