Protokoll: Jugendhilfeausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 06.05.2024
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BMin Fezer
Berichterstattung:Frau Dr. Flad (Jugendamt),
Frau Blümle (Sozialberatung),
Frau Wolf (Lagaya),
Frau Jarling, Herr Mildner (beide Ev. Gesellschaft, eva)
Protokollführung: Frau Klemm as
Betreff: Projekt Integrierte Jugendarbeit Innenstadt: Einblick in die Umsetzung des Teilprojekts "Eck am See"
- Beratung im öffentlichen Raum, gelingt sie?
- mündlicher Bericht -

Die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigte Präsentation ist dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt. Aus Datenschutzgründen wird sie nicht im Internet veröffentlicht. Dem Originalprotokoll ist sie in Papierform angehängt.


BMin Fezer stellt einführend die Berichterstatterinnen und Berichterstatter vor.

Danach fasst Frau Dr. Flad zusammen, im vergangenen Jahr seien analytische Ergebnisse zum Thema Sicherheit im Rahmen der Arbeitsgruppe Jugendbeteiligung im Jugendhilfeausschuss (JHA) vorgestellt worden. Neben der institutionellen Jugendarbeit biete man nun auch Beratung im öffentlichen Raum in Form einer Arbeitsgruppe (AG BÖR) an. Mittlerweile im 4. Jahr, werde die Tätigkeit mit jedem Jahr klarer und gewinne man Kooperationspartnerinnen und -partner hinzu.

Frau Jarling berichtet anschließend im Sinne der Präsentation. Ergänzende Anmerkungen sind nachfolgend in zusammengefasster Form mit Verweis auf die jeweilige Foliennummer wiedergegeben.


Aus der Tatsache, dass die doch eigentlich zahlreichen Angebote im öffentlichen Raum zu wenig sichtbar und vernetzt schienen, sei die Idee für Eck am See entstanden. Seit der ersten gemeinsamen Sitzung im Februar 2023 arbeite man nunmehr beratend mit Bus und Lastenrad und im Kreis vieler Kolleginnen und Kollegen mobil vor Ort (Folie "Akteur*innen bei Eck am See"). Besonders freue man sich über die Mitarbeit des Beratungszentrums Stuttgart und darüber, dass die sonst mehrheitlich in ihren Einrichtungen tätigen Kolleginnen und Kollegen im Rahmen von Eck am See nun auch dort mitarbeiteten. Neben anderen Zielen (Folie "Zielsetzung") hebt Frau Jarling die Vernetzung der Akteurinnen und Akteure hervor, die auch einen niedrigschwelligen Zugang ohne vorherige Anmeldung für alle jungen Menschen direkt im öffentlichen Raum ermöglichten.

Darauf geht danach Frau Blümle näher ein und stellt die Gruppen der Nutzerinnen und Nutzer auf der gleichnamigen Folie vor. In erster Linie richte sich das Angebot an junge Menschen ohne Zugang zum Hilfesystem; man heiße jedoch Menschen jeglichen Alters willkommen. Die Beratungslounge (Folie: "Let's talk …") sei bewusst einladend als eine Art Wohnzimmer und mit wechselnden Angeboten (Interviews, Umfragetools) gestaltet. Verschiedene Formate (Folie "Formatkombinationen") rundeten die Arbeit ab. So kooperiere man z. B. mit dem "Gemeinschaftserlebnis Sport (GES)".

Frau Wolf geht in ihrem anschließenden Vortragsteil auf das bisher Erreichte ein. Anhand der Folie "Erfolgsfaktoren" zieht sie eine sehr positive Bilanz von Eck am See und hebt dabei das gemeinsame Auftreten und Arbeiten der unterschiedlichen Institutionen als wichtigen Faktor hervor, der allerdings im stetigen Aushandlungsprozess auch eine Herausforderung sein könne. Die Beratungsstellen würden jedoch auf diese Weise bekannter und den dort Tätigen werde ein Gesicht gegeben, was dem Angebot einen Wiedererkennungswert verleihe. Ein weiterer Kernfaktor sei die Niedrigschwelligkeit (gleichnamige Folie), die sich zunächst als bloße Anwesenheit und Ansprechbarkeit der Akteurinnen und Akteure vor Ort in der direkten Lebenswelt der jungen Menschen zeige. So könne eine unmittelbare Beratung bzw. Weitervermittlung ohne Hürden erfolgen, schildert Frau Wolf anhand des Beispiels eines Jugendlichen. Gleichwohl gebe es auch Herausforderungen (gleichnamige Folie). So könne man Menschen außerhalb der Zielgruppe (bis 27 Jahre) den niedrigschwelligen Zugang im öffentlichen Raum zwar ermöglichen, sie aber bedauerlicherweise nicht adäquat bedienen. Hier sieht Frau Wolf noch Nachbesserungsbedarf, weshalb man derzeit in dem Bereich noch Kooperationen suche. Des Weiteren stelle die Erfolgsmessung zuweilen eine Herausforderung dar, da sich Erfolg - wie im sozialen Bereich üblich - nicht unbedingt an der Anzahl der Klientinnen und Klienten, sondern vielmehr an der Qualität der Beratung festmachen lassen müsse.

Zahlen (2023) und Fakten stellt dann Herr Mildner vor (Folien "Allgemeine Übersicht" ff.). Dabei vergleicht er Gespräche, Gesprächspartner und -partnerinnen nach Geschlecht und Altersstruktur der Klientinnen und Klienten, Bekanntheit der AG BÖR bei den Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern, Gesprächsthemen sowie Unterstützungsbedarfe jeweils mit und ohne AG BÖR. Die vor Ort per Handy gesammelten Daten würden im Nachgang verarbeitet, wobei nur eine tatsächliche Beratung als Gespräch zähle. Ein Fazit sei eine größere Vielfalt der Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner mit AG BÖR als ohne Beratung im öffentlichen Raum. Positiv wolle er den hohen Anteil an weiblich gelesenen und diversen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern bei der AG BÖR erwähnen, den man noch ausbauen wolle. Die Mobile Jugendarbeit (MJA) habe bisher deutlich mehr männlich Gelesene erreicht. Die Altersstruktur bewege sich zu einem großen Teil in der Kernzielgruppe der bis 27-Jährigen. Bei den Gesprächsthemen rangierten psychische und physische Gesundheit im vorderen Bereich. Je nach Anwesenheit der verschiedenen Einrichtungen bei Eck am See variierten die Schwerpunktthemen nach deren Arbeitsbereich. Die zahlreichen Unterstützungsbedarfe zeigten Hilfegesuche vor allem beim Gehörtwerden, Suchtmitteln und Vermittlung im Hilfesystem.

In letzter Zeit habe sich die Arbeitsgruppe verstärkt Gedanken zum Thema Werbung gemacht, so Herr Mildner weiter. Auch durch die Unterstützung des Gemeinderates sei es möglich gewesen, eine Agentur für ein besseres Design und klarere Kernsätze zu beauftragen. Nach der Fußball-EM werde die aufgearbeitete Werbung auf den digitalen Stelen der Stadt ausgespielt und auf Instagram etabliert, wo AG BÖR ohnehin bereits präsent sei. Eine Evaluation erfolge zu gegebener Zeit.

Für den guten Vortrag bedanken sich BMin Fezer, StRin Nuber-Schöllhammer (90/GRÜNE), StR Dr. Nopper (CDU), StRin Meergans (SPD), StR Pantisano (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei), StRin Hübsch (PULS), StR Dr. Rastetter (Stuttgarter Liste) und Herr Kullmann (Stuttgarter Jugendhaus gGmbH, stjg).

StRin Nuber-Schöllhammer hebt besonders positiv die Vernetzung der verschiedenen Einrichtungen hervor. Sie frage sich, ob die Mitarbeitenden der AG BÖR aktiv junge Menschen anspreche. Dazu erläutert Frau Wolf, neben der Streetwork-Arbeit der Mobilen Jugendarbeit (MJA) gehe man mit verschiedenen Formaten auch direkt auf die Zielgruppe zu, um ins Gespräch zu kommen.

Die wertvolle Arbeit der Vortragenden lobt StR Dr. Nopper. Ihn interessiere der konkrete Nutzen der Ausweitung der Mobilen Jugendarbeit auf mehrere Akteure. Auf seine Erkundigung nach Hintergründen zu den Kuchendiagrammen informiert Herr Mildner, "ohne AG BÖR" meine nur die MJA. Diese führe die statistischen Protokolle seit zwei Jahren.

Deutlich besser greifbar sei die Arbeit der AG BÖR nun, meint StRin Meergans, im Vergleich zu der früher geführten abstrakten Diskussion über das Vorhaben. Ihre Frage, ob es bei der Überweisung an andere Beratungsstellen eine Begleitung der AG BÖR gibt, bejaht Frau Wolf. Des Weiteren möchte StRin Meergans wissen, ob die Beratung im öffentlichen Raum einen zusätzlichen Bedarf in den ohnehin ausgelasteten Beratungsstellen und damit einen entsprechenden Personalbedarf auslöse. Frau Jarling betont, man wolle keine Mehrarbeit in den Beratungseinrichtungen auslösen. Gleichwohl sei es Ziel, so vielen Menschen wie möglich die Chance auf niedrigschwellige Angebote zu eröffnen.

Es sei sehr deutlich geworden, stellt StR Pantisano fest, dass bei einer räumlichen sozialen Arbeit eine Vernetzung unabdingbar sei. Insofern sei die AG BÖR folgerichtig. Außerdem möchte der Stadtrat Auskunft zu weiteren Kooperationspartnerinnen und
-partnern, z. B. zum Württembergischen Kunstverein (WKV) oder zur Staatsoper aus künstlerischer Perspektive. Frau
Jarling berichtet, mit dem WKV sei man in ständigem Kontakt und nutze auch deren Räumlichkeiten und Angebote für die Jugendlichen. Auch mit der Oper, dem Landtag und dem Finanzministerium habe man sich bezüglich der Nutzung von Außenräumen abgestimmt und werde positiv wahrgenommen. Die Frage von StR Pantisano nach dem Verhältnis von Eck am See zur Polizei und deren Haltung zu dem Angebot beantwortet Frau Jarling positiv. Einzig bei schlechtem Wetter, wo die Theaterpassage sowohl für die BÖR als auch die Polizei mobiler Standort sei, könne die Situation "verwirrend" für die Aufsuchenden sein.

StRin Hübsch lobt die tolle Arbeit. Es interessiere sie zudem, ob die Politik zu weiteren möglichen Verbesserungen des Angebots beitragen könne. Auf die Frage der Stadträtin nach dem optimalen Standort berichtet Frau Jarling, man überlege derzeit auch Pop-up-Konzepte an anderen Standorten, da man mit dem Bus ortsunabhängig sei. Gleichwohl sei man momentan noch ortsgebunden.

Interesse an weiteren, konkreten Umsetzungs- bzw. Kooperationsmöglichkeiten mit dem MedMobil und der Einrichtung Schlupfwinkel zeigt StR Dr. Rastetter. Konkret auf Suchtthemen eingehend, hinterfragt er die unterschiedliche Gewichtung von Abhängigkeit in den gezeigten Diagrammen. Wenn Release bei Eck am See anwesend sei, würden Suchtthematiken häufiger angesprochen, begründet Herr Mildner.

Herr Käpplinger (Evangelische Gesellschaft, eva) konstatiert, nach anfänglicher Zurückhaltung im JHA ziehe er eine positive Bilanz und wünsche sich eine Fortsetzung des Projekts. Ihn überrasche nicht, dass die AG BÖR Menschen über die integrierte Jugendarbeit hinaus erreiche; sei doch die Beratung vor Ort ein niederschwelliges Angebot, das auch präventiv helfen könne. Darin sehe er auch einen volkswirtschaftlichen Gewinn. Er fragt, ob bei der Anwesenheit der AG BÖR jeweils die Breite der verschiedenen Thematiken abgedeckt werden könne. Jede Einrichtung, berichtet Herr Mildner und geht damit auch auf eine Frage von StRin Hübsch ein, könne sich in einen Kalender nach Kapazität eintragen. Frau Blümle ergänzt, man sei mit weiteren Beratungsstellen diesbezüglich in Kontakt, z. B. versuche man, den LGBTQ-Plus-Bereich mehr abzudecken. Grundsätzlich sei es wichtig, so viele spezifische Anbieter wie möglich vor Ort zu haben. Außerdem pflege man regelmäßige Gesprächsrunden mit allen Teilnehmern der AG BÖR, fügt Frau Jarling hinzu.

Auf eine weitere Nachfrage von Herrn Käpplinger zu Prävention im Zusammenhang mit Erwachsenenarbeit berichtet Frau Jarling, vor Ort habe man zahlreiche Flyerstände und versuche, auf viele Themen präventiv einzugehen. So sei man auch in die Erwachsenenebene hinein sehr gut vernetzt, z. B. mit dem Netzwerk Straßensozialarbeit (Release Direkt, La Strada, Wohnungsnotfallhilfe), das man auch zu einem Austausch eingeladen habe. Eine Idee sei, einen Präventionsabend zum Thema "Lover Boys" mit La Strada und dem Café Strichpunkt im Reallabor zu veranstalten. Oft überschnitten sich Zielgruppen - keinesfalls wolle man jemanden abweisen. Gleichzeitig denke man auch über eine Mobile Erwachsenenarbeit nach, weil man den Bedarf nach einer niedrigschwelligen, kurzfristigen Beratung durchaus feststelle. Damit beantwortet sie auch eine Frage von Herrn Biermann (Caritasverband für Stuttgart e. V.), den besonders die Zusammenarbeit von Sozial- und Jugendamt in dem Kontext interessiert.

Anschließend meldet sich Frau Demircan (Jugendrat) zu Wort. Mentale Gesundheit und gute Angebote, Spiel und Spaß in Stuttgart seien dem Jugendrat wichtig. Die AG BÖR biete in der Hinsicht ein umfassendes Angebot für Jugendliche in schwierigen Situationen. Sie freue sich auf weitere Berichte.


Ausgelöst durch die Jugendkrawalle in Stuttgart, so Herr Biermann, seien eine innovative Entwicklung und ein niederschwelliges Angebot entstanden, die helfen, die hohe Spezialisierung in der Hilfelandschaft zu entzerren. Über die Innenstadt hinaus sei die AG BÖR insofern von großer Bedeutung. Er interessiere sich für die Vorgehensweise bzw. den Umgang mit unter 14-Jährigen. Frau Jarling bestätigt, auch diese Klientel stoße im öffentlichen Raum naturgemäß auf ihr Angebot. In solchen Fällen stimme man sich mit Einrichtungen in den Bezirken ab und koordiniere eine Vermittlung. Mit zusätzlichen Angeboten, ergänzt Herr Mildner, würden auch Kinder angesprochen (Sportmobil, Fußballkäfig). Die Erweiterung der Altersgruppe stelle allerdings eine Herausforderung dar. StRin Höh (FDP) hinterfragt die Einverständniserklärung von Erziehungsberechtigten bei der Beratung von Minderjährigen, insbesondere bei der Weitervermittlung an andere Beratungsstellen. Frau Jarling betont, falls Erziehungsberechtigte tatsächlich ins Boot geholt werden müssten, erfolge dies bei den Einrichtungen direkt. Bei institutionellen Beratungen, pflichtet BMin Fezer bei, sei das üblich. Frau Wolf ergänzt, Eck am See unterliege der Schweigepflicht - die allerdings bei einer Selbst- oder Fremdgefährdung ihre Grenzen erreiche. Kinder und Jugendliche hätten, so Frau Dr. Heynen (Jugendamt) und Frau Jarling, einen eigenständigen Beratungsanspruch, unabhängig von der Zustimmung der Eltern. Als öffentlicher Jugendhilfeträger sei man sogar dazu verpflichtet, das zu kommunizieren, hebt die Leiterin des Jugendamtes hervor. Im Fall eines Antrags auf Hilfe zur Erziehung, also, wenn Elternverantwortung ins Spiel komme, müsse ein Einverständnis eingeholt werden. Das gelte jedoch nicht für niedrigschwellige Angebote.

Herr Kullmann lobt die Multiprofessionalität bei der AG BÖR. Er bezieht sich in seiner Wortmeldung auf die geplante Werbekampagne und möchte wissen, ob die gesamte integrierte Jugendarbeit oder Eck am See solitär beworben werde. Auf der Instagram-Seite seien, so Herr Mildner, alle existierenden Angebote mit ausführlichen Beschreibungen verlinkt. Die gesamte Zielgruppe werde damit angesprochen. Des Weiteren fragt Herr Kullmann, wohin die Menschen weitervermittelt werden, ob auch digitale Beratungsangebote oder andere niederschwellige Angebote geplant seien.

Eine pauschale Vorgehensweise könne in der Beratung vor Ort nicht festgelegt werden, so Frau Wolf auf verschiedene dahingehende Fragestellungen der Ausschussmitglieder zu dem Vorgehen vor Ort. Einerseits sähen viele Menschen ad hoc eine Chance, ihre Probleme zu teilen, andererseits gebe es auch die eher verhaltene Form einer Annäherung über allgemeine Fragen zu Eck am See. Die Sozialarbeitenden müssten dann die Möglichkeiten und Grenzen der Beratung abstecken. Gleichwohl signalisiere man den Aufsuchenden, dass sie willkommen und am richtigen Ort seien, und überlege mit ihnen die nächsten Schritte. Diese könnten eine unmittelbare Krisenintervention in geschützter Atmosphäre abseits des Treffpunkts Eck am See oder aber eine Terminvereinbarung für eine Beratung und Begleitung zu spezifischen Beratungsstellen in den folgenden Tagen sein. Ob die Menschen den jeweiligen Empfehlungen folgten, könne man letztlich nicht nachweisen. Damit geht sie auch auf Fragen von StRin Nuber-Schöllhammer und StRin Höh ein.

Nachdem keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, bedankt sich die Vorsitzende für das Engagement der Vortragenden. Sie freue sich auf weitere Besuche und die Entwicklung des Projekts.




BMin Fezer stellt fest:

Der Jugendhilfeausschuss hat vom Bericht Kenntnis genommen.

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