Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales und gesellschaftliche Integration
Gz:
GRDrs 751/2023
Stuttgart,
09/04/2023


Sachstand Umsetzung Landesrahmenvertrag Bundesteilhabegesetz



Mitteilungsvorlage


Vorlage anzurSitzungsartSitzungstermin
Sozial- und GesundheitsausschussKenntnisnahmeöffentlich23.10.2023

Bericht:


1. Ausgangslage

Die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) und die konkreten Aufgaben im Rahmen der Umstellung auf den neuen Landesrahmenvertrag, Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), stellen im Jahr 2023 alle Beteiligten vor große Herausforderungen.

Wesentliche Ziele des BTHG sind:
Laut der Präambel des Landesrahmenvertrags für Baden-Württemberg gemäß § 131 Abs. 1 SGB IX (LRV SGB IX) will dieser dazu beitragen, unter Beachtung der Diversität der Teilhabebedarfe und der Leistungsangebote den Weg in die neue Welt des gelebten BTHG zu öffnen. „Der Landesrahmenvertrag will Leitlinien geben, dass auf der Grundlage der personenbezogen festgestellten Bedarfslagen landesweit die Teilhabe der Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft durch eine qualitativ hochwertige, aber auch wirtschaftliche Leistungserbringung ermöglicht und gesichert ist. Im Fokus steht daher, die neue Leistungssystematik schnell und rechtskonform umzusetzen.“

Gemäß § 10 Abs. 2 der Übergangsregelung zur weiteren Umsetzung des BTHG in
Baden-Württemberg ab 1. Januar 2022 haben die Rahmenvertragsparteien der Übergangs-regelung folgende zeitlichen Meilensteine zu Grunde gelegt, um ein fristgerechtes Gelingen der Umstellung sämtlicher Angebote im Rahmen der Umstellungsphase auf den LRV SGB IX zu ermöglichen:


a) Bis spätestens zum 31. Dezember 2022 muss für jedes unter die Übergangsregelung fallendes Leistungsangebot eine Aufforderung nach § 33 Abs. 2 LRV SGB IX erfolgt und damit das Verfahren zum Abschluss von Vereinbarungen nach Kap. A IV des LRV SGB IX förmlich eingeleitet sein.

b) Bis zum 30. Juni 2023 müssen die Leistungs- / Vergütungsvereinbarungen für alle umzustellenden Angebote fertiggestellt und von den Vertragsparteien unterschrieben sein.

c) Bis zum 31. Dezember 2023 müssen alle weiteren umsetzungsrelevanten Prozesse abgeschlossen sein (Gesamt- und Teilhabeplanverfahren / -bescheid, Verträge / Vorbereitung der Leistungserbringung nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz).

Damit die leistungsberechtigten Menschen mit Behinderung die Angebote der Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen können, muss ein Gesamtplanverfahren durchgeführt werden.

Zunächst wird der Mensch mit Behinderung vom Träger der Eingliederungshilfe umfassend beraten. Im Anschluss an die Beratung wird ein Antrag auf Leistungen der Eingliederungshilfe gestellt. Der Träger der Eingliederungshilfe prüft, ob der Mensch mit Behinderung leistungsberechtigt ist. Ist dies der Fall, ermittelt der Träger der Eingliederungshilfe mit dem Bedarfsermittlungsinstrument Baden-Württemberg (BEI_BW) den Teilhabebedarf der leistungsberechtigten Person. Bei Zustimmung der leistungsberechtigten Person werden gegebenenfalls die jeweils zuständige Pflegekasse und / oder der Träger der Hilfe zur Pflege sowie der Hilfe zum Lebensunterhalt beteiligt. Außerdem kann die leistungsberechtigte Person eine Person ihres Vertrauens im Gesamtplanverfahren hinzuziehen. Diese Person des Vertrauens kann auch die / der Betreuer*in sein.

Zur Sicherstellung der Leistungen für den Menschen mit Behinderung kann der Träger der Eingliederungshilfe eine Gesamtplankonferenz durchführen. Voraussetzung dafür ist, dass die leistungsberechtigte Person zustimmt. In einer Gesamtplankonferenz beraten der Träger der Eingliederungshilfe und andere beteiligte Leistungsträger gemeinsam mit der leistungsberechtigten Person über die Unterstützungsbedarfe und die notwendigen Leistungen. Auf dieser Grundlage stimmt der Träger der Eingliederungshilfe die Leistungen ab, erstellt den Gesamtplan und erlässt den Verwaltungsakt.

Das Gesamtplanverfahren wird nur vom Träger der Eingliederungshilfe durchgeführt. Sofern Leistungen verschiedener Leistungsgruppen oder mehrerer Reha-Träger erforderlich sind oder es die leistungsberechtigte Person wünscht, wird ein Teilhabeplanverfahren durchgeführt.

2. Aktueller Stand der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Stuttgart

2.1 Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen

In Stuttgart sind 170 Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen mit 22 Leistungserbringern zu verhandeln und abzuschließen. Davon gehören 35 zur Besonderen Wohnform und 135 zu den sonstigen Angeboten der Sozialen Teilhabe. Bislang wurden mit Stand vom 25. Juli 2023 insgesamt 85 Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen abgeschlossen, davon 24 der Besonderen Wohnform und 61 der sonstigen Angebote der Sozialen Teilhabe.

In einem breit angelegten Beteiligungsprozess haben die Akteure im Vorfeld zu den konkreten Vertragsverhandlungen versucht, sich über die Grundzüge der neuen vertraglichen Ausgestaltung der Leistungen der Eingliederungshilfe zu verständigen. Die Landeshauptstadt Stuttgart als Träger der Eingliederungshilfe, die Leistungserbringer und Menschen mit Behinderung und ihre Betroffenenvertretung haben in verschiedenen Arbeitsgruppen Vorarbeiten geleistet, die in den Verhandlungen Grundlage für die Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen geworden sind.

Beispielsweise erarbeitete die Unterarbeitsgruppe ABW (Ambulant Betreutes Wohnen) der Arbeitsgruppe Wohnen ein neues System einer individualisiert zeitbezogenen Assistenzleistung. Dieses löst die bisherigen fünf Hilfebedarfsgruppen ab und wird nun einheitlich angewandt. Der Beteiligungsprozess bewirkte, dass die neue ambulante Assistenzleistung von allen gemeinsam entwickelt und getragen wird. Auch die verabredete Weiterentwicklung wird von allen Beteiligten als eine gute Form der vertrauensvollen Zusammenarbeit wahrgenommen.

Leider konnte für den Bereich der Besonderen Wohnform keine gemeinsame Leistungsbeschreibung für alle Leistungserbringer in Stuttgart geeint werden. Dies hat zur Folge, dass 35 einzelne Leistungsvereinbarungen für diesen hochkomplexen Bereich zu schließen sind und der Arbeitsaufwand für administrative Aufgaben ein Vielfaches höher ist.

Anfang 2023 stellte sich heraus, dass der Zeitplan der Übergangsvereinbarung, alle Verhandlungen zum 30. Juni 2023 abzuschließen, sehr herausfordernd war. Beispielsweise war mit Stand vom August 2023 auf Landesebene noch nicht klar, wie die Leistungen für Kinder oder für die Kurzzeitunterbringung vereinbart werden sollen. Daher konnten die Leistungserbringer auch noch keine Aufforderung für Vergütungsverhandlungen für die Leistungen inklusive der dazugehörigen Kostenkalkulation stellen.

Der Umsetzungsprozess wird dauerhaft durch einen Begleitkreis unterstützt, der sich aus den Sprecher*innen der Leistungssysteme der Eingliederungshilfe und der Landeshauptstadt Stuttgart zusammensetzt. Hier werden strategische Fragen und anstehende Umsetzungsschritte erörtert. Themenbezogen lädt die Landeshauptstadt Stuttgart bei Bedarf auch zu übergreifenden Informationsrunden ein.

2.2 Bedarfsermittlungsprozess

In Stuttgart sind mit Stand vom 31. Juli 2023 insgesamt 4.849 Bedarfsermittlungsprozesse durchzuführen. Davon wurden mit Stand vom 9. August 2023 insgesamt 1.198 BEI_BW dokumentiert.

Um die Umsetzung des BTHGs und die Aufgaben im Rahmen der Umstellung auf den neuen Landesrahmenvertrag SGB IX bewältigen zu können, wurde die Abteilung Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung- Eingliederungshilfe (50-7) zum 14. November 2022, zunächst pilothaft bis 31. Dezember 2023, neu organisiert. Seitdem arbeitet ein speziell gebildetes Team zur Umsetzung des BTHG. Dies fokussiert sich auf die Bedarfsermittlungsprozesse. Die Gesamt- und Teilhabepläne wurden ebenfalls von ihr erstellt. Die Leistungserbringer wurden darüber in der Sitzung des Sozial- und Gesundheitsausschusses vom 10. Oktober 2022 und in der Planungskonferenz Behindertenhilfe vom 17. Oktober 2022 informiert.


Ebenfalls ab dem 14. November 2022 werden innerhalb der Sachgebiete der Bereich Kinder / Jugendliche / Bruttofälle von Fallmanager*innen spezialisiert bearbeitet. Dies auch im Hinblick auf die sogenannte „große Lösung“, die Umsetzung des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG), bei der bis Ende 2027 die Zusammenführung der Eingliederungshilfe für junge Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen in die einheitliche Zuständigkeit der Jugendämter umgesetzt sein soll. Diese Aufgabenbündelung hat sich bereits heute sehr bewährt. Um sie dauerhaft fortführen zu können, hat das Sozialamt einen entsprechenden Stellenplanantrag gestellt.

3. Ausblick

Durch das BTHG findet seit dem 1. Januar 2017 ein Paradigmenwechsel, vom Fürsorge-gedanken des Leistungsrechts im SGB XII hin zu einem modernen Teilhaberecht nach dem SGB IX, im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention statt. Die Eingliederungshilfe wird von einer überwiegend einrichtungszentrierten, zu einer personenzentrierten Leistung neu ausgerichtet.

Im Jahr 2024 ist im Rahmen des Organisationsentwicklungsprozesses „Sozialamt 2025“ die Regionalisierung der Zuständigkeiten in der Abteilung 50-7 vorgesehen. Das heißt, dass die Zuständigkeiten nicht mehr nach Buchstaben, sondern in Sozialräume verteilt werden. Eine Verortung der Arbeitsplätze in die Sozialräume ist damit nicht verbunden.

Im Rahmen der Regionalisierung werden die Mitarbeitenden über detailliertere Kenntnisse über die im Sozialraum vorhandenen Angebote erwerben, als es bei einer über die ganze Stadt reichenden Zuständigkeit der Fall wäre.

Die Bedeutung des Sozialraums ist im BTHG verankert. Sozialräumliche Kenntnis und Orientierung beim Träger der Eingliederungshilfe werden vorausgesetzt. Ziel ist, dass Leistungsberechtigte unter Einbeziehung vorhandener Ressourcen möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich im Sozialraum leben können.

Um eine entsprechende Ausrichtung der Träger der Eingliederungshilfe zu befördern, hat der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg – Dezernat Soziales eine Förderreihe im Rahmen der „Neuen Bausteine der Eingliederungshilfe 2023-2025“ ausgeschrieben und als Themenschwerpunkt die Sozialraumorientierung als Anforderung aus dem BTHG gesetzt.

Das Sozialamt der Landeshauptstadt Stuttgart hat sich mit dem Projektvorhaben „Gemeinsam in Stuttgart – Erschließung sozialräumlicher Ressourcen für Menschen mit Behinderung“ um eine Förderung beworben und im Februar 2023 den Zuschlag erhalten.

In zwei Projektstadtbezirken, Feuerbach und Weilimdorf, wird eruiert, wie sozialräumliche Ressourcen für Menschen mit wesentlicher Behinderung erschlossen und in individuelle Unterstützungsarrangements einbezogen werden können.

Ziel des Projekts ist es, die sozialräumliche Aufstellung des Teilhabemanagements in
einem definierten Sozialraum als Pilotprojekt zu erproben. Dabei soll die Gewinnung und Sicherung sozialräumlicher Kenntnisse getestet werden, die Erschließung von Ressourcen, ein Abbau von Barrieren und die Vernetzung im Sozialraum erprobt und zudem eruiert werden, wie erschlossene Ressourcen in individuelle Unterstützungsarrangements einbezogen werden können. Ausgehend von dem Pilotprojekt sollen Gelingensfaktoren auf weitere Sozialräume übertragen werden.


Weiter wird in der Abteilung 50-7 derzeit ein abteilungsbezogenes Controllingsystem aufgebaut. Dieses umfasst das Finanz- und Fachcontrolling und die Wirkungsorientierung. Der Fokus liegt dabei auf der Wirkung und Wirksamkeit.

Im Zuge der BTHG-Reform hat der Gesetzgeber den Wirkungs- und Wirksamkeitsbegriff zwar eingeführt, jedoch nicht definiert. Gemäß dem Abschlussbericht zum „Monitoring-Konzept zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Baden-Württemberg“ der Firma transfer im Auftrag des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg vom 6. Februar 2023 können die Wirkung(en) der Leistungen, ausgehend von den Leitzielen der Menschen mit Behinderung, mit Hilfe der Teilhabe-Ziele im Gesamtplanverfahren beurteilt werden. Demgegenüber ist Wirksamkeit ein Konstrukt zur
Beurteilung der Qualität eines Leistungsangebots.


Auf der Grundlage der KVJS Projektreihe „Neue Bausteine in der Eingliederungshilfe 2019-2022- Wissen, was wirkt!“ mit den Projektstandorten, der Stadt Ulm und dem Landkreis Heilbronn, werden in der Abteilung 50-7 Instrumente zur Wirkung und Wirksamkeit erarbeitet und in die Praxis installiert.

In den nächsten Monaten steht die sozialräumliche Ausrichtung im Fokus, damit die Teilhabe von Menschen mit Behinderung weiter gestärkt und intensiviert wird. Hierbei wird ein wichtiger Aspekt in Stuttgart sein, dass die Umsetzung des BTHGs bei den einzelnen Leistungsberechtigten Personen im Sozialraum ankommt und mit den entwickelten Instrumenten erhoben sowie betrachtet wird.






Dr. Alexandra Sußmann
Bürgermeisterin





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