Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Jugend und Bildung
Gz: JB
GRDrs 986/2020
Stuttgart,
12/03/2020



Kommunale Jugendhilfestrategie für eine integrierte Jugendarbeit in der Innenstadt



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
JugendhilfeausschussBeschlussfassungöffentlich08.02.2021



Beschlußantrag:

1. Der fachlichen Erweiterung und Verstärkung der „Mobilen Jugendarbeit Innenstadt“ auf Basis des vorgestellten Strukturmodells „Integrierte Jugendarbeit Innenstadt“ wird zugestimmt.

2. Der Strategierat „Integrierte Jugendarbeit Innenstadt" wird legitimiert, gemeinschaftlich für den Prozess Verantwortung zu übernehmen und diesen zu steuern.

3. Die Verwaltung wird beauftragt, eine Jugendstudie in Auftrag zu geben.

4. Den notwendigen Unterstützungsleistungen durch Dritte, insbesondere aus Wissenschaft und Forschung gemäß Anlage 1, Ziff. 4.1., wird zugestimmt. Die Verwaltung wird beauftragt, im Rahmen des mit GRDrs 657/2020 bereit gestellten Budgets passende Stellen anzufragen und zu beauftragen.

5. Falls eine Landesförderung der neu geschaffenen Stellen für die Mobile Jugendarbeit Innenstadt bewilligt wird, wird einer Verwendung der dadurch freiwerdenden städtische Fördermittel für die Stuttgarter Jugendstudie zugestimmt (siehe Ziff. 4 der Begründung).

6. Drittmittel durch finanzielles Engagement von Stiftungen oder durch Beteiligung an Landesprogrammen können gegebenenfalls zusätzlich projektbezogen eingesetzt werden.



Begründung:


Die sogenannte Stuttgarter „Krawallnacht“ hat einen besonderen Sommer 2020 für die Stadt eingeleitet, da sich ein solches Ereignis noch nie zuvor in Stuttgart gegeben hat. In dem anschließend angestoßenen Entwicklungsprozess wurde deutlich, dass für die weitere kommunale Jugendhilfestrategie nicht ein Ansatz per se der Richtige ist, sondern die Vernetzung vieler. Um diese Vernetzung und die weiteren Planungen vorzustellen, geht die vorliegende Beschlussvorlage auf folgende Aspekte ein:

1. Statusbericht: Erste Aktivitäten der "Integrierten Jugendarbeit Innenstadt"
2. Absichtserklärung zur Mitwirkung, Zusammenarbeit und Verantwortungsübernahme bei der weiteren Entwicklung einer "Integrierten Jugendarbeit Innenstadt"
3. Strukturmodell zur Weiterentwicklung einer jugendgerechten Innenstadt
4. Stuttgarter Jugendstudie

Die Ausführungen zu den Ziffern 1 bis 3 beziehen sich auf alle jungen Menschen, die die Stuttgarter Innenstadt nutzen, das heißt auch auf diejenigen, die nicht in Stuttgart wohnen und daher nicht an das kommunale Jugendhilfesystem angebunden sind bzw. in ihrer Lebenswelt durch dieses erreicht werden können. Bei Beschlussfassung der Vorlage ist geplant, Kontakt zu Akteur*innen der freien und öffentlichen Jugendhilfe aus den umliegenden Stadt- und Landkreisen aufzunehmen, um das Stuttgarter Modell einer "Integrierten Jugendarbeit Innenstadt" ggf. durch Vor-Ort-Maßnahmen in den Heimatorten der jungen Menschen zu ergänzen und damit nachhaltig präventiv zu wirken.

1. Statusbericht: Erste Aktivitäten der "Integrierten Jugendarbeit Innenstadt"

Die "Mobile Jugendarbeit Innenstadt", die Stuttgarter Jugendhaus Gesellschaft und die Dienststelle „Ambulante Maßnahmen der Jugendhilfe im Strafverfahren“ des Jugendamts haben bereits erste Schritte für die Aufarbeitung der so genannten „Krawallnacht“ ebenso wie Planungen für die kommende Zeit gemacht:

Mobile Jugendarbeit Innenstadt
Die fünf mit GRDrs. 657/2020 vom Gemeinderat beschlossenen Stellen der "Mobilen Jugendarbeit Innenstadt" sind besetzt und die meisten Fachkräfte haben ihre Arbeit bereits aufgenommen. Mitte Dezember wird das Team vollständig sein. Um die Erfahrungen und Kompetenzen von Beginn an anzureichern, wurde das Team "Mobile Jugendarbeit Innenstadt" mit dem „Team im Europaviertel“ zusammengelegt.

Aufgabenschwerpunkte in der Startphase sind neben dem Teamaufbau die Präsenz der Jugendarbeiter*innen in der Innenstadt, um beim jungen Publikum bekannt zu werden und Kontakte zu jungen Mensch in der Innenstadt aufzubauen. Die Mitarbeiter*innen werden auch in den Herbst- und Wintermonaten unterwegs sein, da sich beim ersten Lockdown gezeigt hat, dass viele junge Menschen nicht zu Hause sein können und somit auf die öffentlichen und halböffentlichen Räume angewiesen sind. Sobald der Bus als mobile Anlaufstelle hinzukommt, werden im Cityring weitere Orte angefahren. Für die feste Anlaufstelle werden derzeit noch Räumlichkeiten gesucht, was sich im Innenstadtbereich als besonders schwierig erweist.

Mit hohem Engagement und in sehr intensiver Form führt die „Mobile Jugendarbeit Innenstadt“ bereits Kooperationsgespräche. Es sind neue und neuartige Partnerschaften entstanden, beispielsweise der Kontakt zur City-Initiative Stuttgart e.V. (CIS) oder zum Staatstheater. Dabei wurde deutlich, dass die „Mobile Jugendarbeit Innenstadt“ vielfältige Player, Anliegen, Ressourcen, Wünsche und (Arbeits-)Haltungen in Einklang bringen muss. Darüber hinaus zeigen sich bereits jetzt Parallelen zum Europaviertel in Hinblick auf die Verknüpfung von kultureller Jugendbildung und Jugendsozialarbeit.

Neben dem Aufbau des Teams "Mobile Jugendarbeit Innenstadt" und der Präsenz in der Innenstadt wird zeitnah analysiert, welche Aufträge und Kooperationen die "Mobile Jugendarbeit Innenstadt" priorisiert, welche Kooperationen im Mittelpunkt stehen und wie sie Mehrwert und Austausch zwischen den unterschiedlichen Netzwerken anregen kann. Unterstützt wird die "Mobile Jugendarbeit Innenstadt" dabei durch die wissenschaftliche Begleitung, die mit der GRDrs 657/2020 beschlossen wurde (Anlage 1, Ziff. 4.1.).

Wiedergutmachungskonferenzen
Das Jugendamt Stuttgart ist derzeit für 25 junge Menschen aus der sogenannten Stuttgarter „Krawallnacht“ zuständig. Davon haben sich bisher sieben an die Schlichtungsstelle gewandt und wollen Wiedergutmachung für die von ihnen begangenen Schäden leisten: zerstörte Scheiben, gestohlene Ware, beschädigte Polizeifahrzeuge. Hierfür wurden bereits Entschuldigungsbriefe abgegeben, ein junger Mann hat die gestohlene Ware persönlich zurückgegeben und war mit den Besitzern im Gespräch.

Alle geschädigten Ladenbesitzer*innen wurden kontaktiert. Erste positive Rückmeldungen sind bei der Schlichtungsstelle eingegangen. Außerdem besteht Kontakt zu Herrn Jochen Hahn, Vorstand des Gerberviertel e.V. und Herrn Sven Hahn, Geschäftsführer CIS e.V.

Der Verein Starthilfe e.V. stellt Mittel zur Verfügung, um durch die Verrechnung geleisteter gemeinnütziger Arbeitsstunden Schadensersatzzahlungen zu ermöglichen. Mit diesem Angebot soll die Möglichkeit zur Verantwortungsübernahme durch Täter geschaffen werden, die keine Mittel zur Verfügung haben und den Geschädigten trotzdem Schadensersatz leisten wollen.

In Vorbereitung: Neben direkten Schadenswiedergutmachungen und persönlichen Ausgleichgesprächen sollen auch Fälle einbezogen werden, bei denen keine klare Zuordnung möglich ist. Hierfür wird mit gewillten Tätern und interessierten Geschädigten eine Wiedergutmachungskonferenz durchgeführt. Angestrebt wird hierbei auch die Einbeziehung von Vertreter*innen der Polizei.

Die Jugendämter und Schlichtungsstellen Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) aus Ludwigsburg und dem Rems-Murr-Kreis beteiligen sich ebenfalls an den Wiedergutmachungskonferenzen.

Projekt „Sprachrohr“
Mit dem Projekt „Sprachrohr“ hat die Stuttgarter Jugendhaus Gesellschaft in einer schnellen Umfrage Eindrücke und Aussagen von Jugendlichen zu der Krawallnacht eingefangen und ausgewertet. Der Fragebogen wurde mit der Polizei und der Stadtverwaltung abgestimmt. Insgesamt 116 Jugendliche wurden in den Jugendhäusern stadtweit zu den Ereignissen der Krawallnacht und zu damit verbundenen Themen interviewt. Diese Umfrage wird durch „Explanandum – Gesellschaft für empirische Sozialforschung“ ausgewertet. Eine erste Auswertung zeigt deutlich, dass die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen die Ereignisse als falsch bezeichnet. Gleichzeitig wird deutlich, dass Jugendliche sich mehr Mitsprache bei jugendrelevanten Themen erhoffen. Diese Umfrage kann als erste und einzige Jugendbefragung zu der Krawallnacht in seiner Kürze einen wichtigen Einblick in die Stimmungslage und Hintergründe geben. Am 16. November 2020 wurde die Broschüre in Papierform im Jugendhilfeausschuss ausgelegt; die Ergebnisse sind online abrufbar unter:
https://www.yumpu.com/de/document/read/64827802/stjg-broschure-sprachrohr-2020



Projekt „15 Fragen – 15 Antworten“
„15 Fragen – 15 Antworten“ ist ebenfalls ein aktuelles Projekt der Stuttgarter Jugendhaus Gesellschaft in Kooperation mit der Polizei, um die Kommunikation zwischen Polizei und Jugendlichen zu fördern. Hierbei wird das Medium Film/Video als Plattform genutzt. In Jugendhäusern werden 15 verschiedene Jugendliche ab 15 Jahren ausgewählt, die in verschiedenen Kontexten bereits Kontakt mit der Polizei hatten. Auch auf Seiten der Polizei nehmen 15 Personen am Projekt teil, die im Streifendienst tätig sind. Die Antworten und Fragen werden gefilmt und anschließend den interviewten Personen vorgeführt. Dies ermöglicht das Hineinversetzen in die jeweils andere Seite und gibt den Anstoß zur direkten (niedrigschwelligen) Kommunikation. Diese mittelbare mediale Kommunikation dient dazu, Zeit zum Nachdenken zu geben, die angesprochenen Themen begleiten zu können und so hitzige, emotionalisierte Gruppendiskussion zu vermeiden. Das Projekt „15 Fragen – 15 Antworten“ unterstützt den wichtigen Dialog zwischen Jugendlichen und Polizeit und wirkt auf ein gegenseitiges Verständnis hin.

2. Absichtserklärung

Jugendarbeit in der Innenstadt steht vor besonderen Herausforderungen wie wechselnde Besucher*innen und Cliquen außerhalb ihrer Alltagsräume (siehe Anlage 1, Ziff. 2.2.). Das bedeutet, dass an Stelle kurzfristiger Aktionen oder Maßnahmen einzelner Träger oder Verwaltungseinheiten die gemeinsame Erkenntnissuche und eine gemeinsam abgestimmte Handlungsstrategie treten müssen. Der innerhalb der Krisenstruktur des Oberbürgermeisters eingeschlagene Kurs einer „Integrierten Jugendarbeit in der Innenstadt“ bringt diese Intention zum Ausdruck.

Bei der Planung und Entwicklung weiterer Schritte und Strukturen wurden daher Institutionen und Personen gesucht, die sich mit der Stadt Stuttgart und den jungen Menschen, die sich in ihrer City aufhalten, verbunden und gleichzeitig verpflichtet fühlen, einen Beitrag für eine integrierte Jugendarbeit in der Innenstadt zu leisten. Hierfür wurden folgende Akteur*innen gefunden, die sich gemeinsam dafür einsetzen wollen, dass die Stadt Stuttgart die Vision einer jugendgerechten Innenstadt verfolgt und die hierfür ihre Ressourcen und Netzwerke einbringen (in alphabetischer Reihenfolge):


In einer Absichtserklärung (Anlage 2) bekunden diese ihre gemeinsame Positionierung zu dem, was in Folge der Ausschreitungen erreicht werden soll und erklären ihren Willen zur Mitwirkung, Zusammenarbeit und Verantwortungsübernahme bei der weiteren Entwicklung einer "Integrierten Jugendarbeit Innenstadt". Durch diese Absichtserklärung wird eine fachliche Linie und ein nach außen hin erkennbarer Weg der Stadt Stuttgart im Umgang mit den Vorkommnissen festgelegt.

Unterstützer*innen der Absichtserklärung


3. Vorschlag für ein Strukturmodell zur Weiterentwicklung einer jugendgerechten Innenstadt

In der Stuttgarter Gremienstruktur „Sicherheitspartnerschaft – Sichere Innenstadt 2020“ etablierte sich aus dem „Runden Tisch Jugend“ unter Leitung von Frau Bürgermeisterin Fezer eine Unterarbeitsgruppe mit dem Ziel, ein Gesamtkonzept "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt" zu erarbeiten, durch dessen Umsetzung alle jungen Menschen in der Innenstadt durch unterschiedliche Akteur*innen nicht nur aus der Jugendhilfe, sondern auch aus anderen Handlungsfeldern wie zum Beispiel Kultur oder Handel, erreicht werden, unabhängig von ihrer kulturellen oder ethnischen Herkunft, ihrer ökonomischen Situation, ihres Geschlechts, ihrer Familiensituation und anderer Differenzlinien.

Die Unterarbeitsgruppe "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt" entwickelte unter Federführung der Jugendhilfeplanung und in Abstimmung mit dem Team "Mobile Jugendarbeit Innenstadt" ein Strukturmodell, durch welches das Integrative und die Vision einer jugendgerechten Stuttgarter Innenstadt erreicht werden sollen. Diese Entwicklung stellte für die Beteiligten eine wahre Herausforderung dar: Die Unterarbeitsgruppe musste nicht nur analysieren, welche Akteur*innen in welcher Form am Gesamtkonzept "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt" beteiligt werden sollen. Sie musste darüber hinaus auch identifizieren, welche Schnittstellen zu bestehenden Gremien und Kampagnen – auch anderer Referate – berücksichtigt und eingebunden werden müssen. Und sie musste sich der wohl größten Herausforderung stellen, dass die Einzelinteressen der Beteiligten in den Hintergrund treten zu Gunsten einer gemeinsamen Vorgehensweise, um die Innenstadt für und mit jungen Menschen zu einem wertvollen Aufenthalts- und Lebensraum zu gestalten.

Das Ergebnis ist ein differenziertes Modell, in dem das Team "Mobile Jugendarbeit Innenstadt" gemeinsam mit Visionär*innen (Strategierat), Erkenner*innen (Aktionsrat), Macher*innen ("Ad-hoc-Teams") und einem Ressourcen-Netzwerk die Themen und Bedarfe junger Menschen in der Innenstadt aufgreift und durch Aktionen und Beteiligung die Vision einer jugendgerechten Innenstadt verfolgt:


- Im „Strategierat“ sitzen die Visionär*innen, die sich für eine jugendgerechte Stuttgarter Innenstadt einsetzen, mit der Aufgabe, aktuelle Entwicklungen und Themen zu reflektieren und weitere Planungen für die Gesamtstrategie der "Integrierten Jugendarbeit Innenstadt" zu erarbeiten und Türen zu Entscheidungsträger*innen zu öffnen.

- Mitglieder des „Aktionsrats“ sind Mitarbeiter*innen der Träger aus dem Strategierat mit der Aufgabe, Probleme und Themen der jungen Menschen in der Innenstadt zu erkennen und auf Basis dieser Erkenntnisse entsprechende Maßnahmen einzuleiten.

- Der Aktionsrat organisiert mindestens einmal jährlich „Jugendkonferenzen Innenstadt“ im öffentlichen Raum in der City, um die jungen Menschen direkt zu beteiligen.

- Die "Ad-hoc-Teams" sind anlassbezogen und temporär, um bedarfsgerecht spezielle Aktionen zu organisieren und durchzuführen.

- Das Ressourcen-Netzwerk „Jugendgerechte Innenstadt“ setzt sich aus Einrichtungen, Institutionen und Trägern zusammen, die für junge Menschen relevant sind, und greift auf deren bestehende Ressourcen zurück.

Detaillierte Ausführungen zu dem Strukturmodell, den Aufgaben und der Zusammensetzung der verschiedenen Gremien sind der Anlage 1 zu entnehmen.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass das vorgeschlagene Strukturmodell kein starres Gebilde ist, sondern ein atmendes System, das sich ab dem Start im Frühjahr 2021 weiter entwickelt und offen ist für neue Ideen und Mitglieder.
4. „Man greift seine eigene Stadt nicht an…“ – Stuttgarter Jugendstudie

Direkt in Anschluss an die sogenannte „Krawallnacht“ stand die Stadt Stuttgart gewissermaßen unter Schock. Die Aufnahmen, die in den Medien kursierten, und das Ausmaß der Gewalt, die sich in der Nacht zeigte, ließen die Befürchtung entstehen, dass weitere Ausschreitungen folgen könnten und die Stuttgarter Innenstadt sich zu einem sozialen Brennpunkt entwickelt. Infolgedessen wurde im Juli 2020 – mit Beginn des Entwicklungsprozesses des Strukturmodells "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt" – die Überlegung angestellt, eine Stuttgarter Jugendstudie durchzuführen, welche auf eine Problemeinordnung der Ereignisse und deren Ursachen abzielen sollte. Eine wissenschaftliche Erforschung der Ursachen wurde lokalpolitisch wie auch in der pädagogischen Fachwelt als notwendig erachtet für eine produktive Aufarbeitung und Bewältigung der Ereignisse in der Innenstadt.

Bislang sind die Ausschreitungen vom Juni 2020 einmalig geblieben, die Stuttgarter City hat sich nicht zu einem „Gewalt-Hot-Spot“ entwickelt, und es scheint wieder ein weitgehend friedliches Miteinander eingetreten zu sein, nicht zuletzt dadurch, dass viele Stellen der Stadtgesellschaft sich verantwortlich zeigen. Die Ausschreitungen sind jedoch nach wie vor als Ausdruck von Jugend zu lesen und haben eine starke Sensibilisierung hervorgerufen. Es entsteht die Möglichkeit, die Krise als Chance zu nutzen, als Impuls nach vorne zu schauen und die Situation und kollektiven Erfahrungen junger Menschen in Stuttgart qualitativ zu beleuchten. Dabei geht es um drei zentrale Fragen:


Die Fachverwaltung schlägt daher vor, eine Jugendstudie in Auftrag zu geben mit den Schwerpunkten „Aufwachsen in Stuttgart“, „Zuhause sein in Stuttgart“, „Jugend im öffentlichen Raum“. Die Studie soll so angelegt sein, dass sie von Beginn an auf Dialog setzt. Wesentlich ist, Einfließen sollen dabei die Ergebnisse aus der Jugendbefragung durch die Stuttgarter Kinderbeauftragte, die vom 01.10. bis 15.11.2020 mit einem online-Fragebogen durchgeführt wurde. Diese Befragung ist eine Maßnahme des Aktionsplans zur lokalen Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Stuttgart. Neben der Erhebung der Einstellungen der 14- bis 18jährigen in Stuttgart, inwiefern Kinder- und Jugendrechte in Stuttgart gewährt werden, wird auch nach den Einschätzungen und Wünschen zu einem jugendgerechten Stuttgart gefragt, beispielsweise in den Bereichen Lebensqualität, Schutz vor Gewalt oder Recht auf Bildung. Auch die Ergebnisse aus den kommunalen Befragungen der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft und des Jugendamts (Dienststelle Ambulante Maßnahmen der Jugendhilfe im Strafverfahren) und aus bundesweiten Jugendstudien (z.B. Sinusstudie 2020) sollen berücksichtigt werden, ebenso wie der 16. Kinder- und Jugendbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Hieraus ergeben sich wertvolle Anhaltspunkte, die für die Stuttgarter Jugendstudie genutzt werden können.

Bedeutung der Jugendstudie für den Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe
Ein Teil der in Stuttgart bereits eingeleiteten Maßnahmen beziehen sich auf die Bereiche Sicherheit (verstärkte Polizeipräsenz, Video- und Beleuchtungskonzepte etc.) und Bestrafung. In den ersten Verfahren gegen zwei junge Männer Mitte November 2020, die in der „Krawallnacht“ Polizeiautos zerstört haben, wurden harte Urteile gefällt: Zweieinhalb Jahre Jugendstrafe ohne Bewährung. Bei einem der Verurteilten wird dadurch seine Ausbildung unterbrochen, was gravierende Auswirkungen auf seinen weiteren Lebensweg haben wird. Die Stuttgarter Jugendhilfe will solche Entwicklungen verhindern und gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag „junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden
oder abzubauen“ und „dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.“ (Sozialgesetzbuch [SGB] – Achtes Buch [VIII], § 1, Abs. 3)

Die Stuttgarter Jugendstudie soll dazu beitragen, fundierte Erkenntnisse zu erhalten, um diesen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen und bedarfsgerechte neue Strukturen und Maßnahmen aufzubauen. Durch die Studie können neue Ansätze der partizipativen Jugendarbeit entwickelt werden, die ein positives Aufwachsen und die Beheimatung junger Menschen in einer Großstadt verstärken und damit präventiv wirken.

Bei Beschlussfassung der Stuttgarter Jugendstudie werden potenziell zu beauftragende Institute angefragt und ein entsprechendes Studienprofil festgelegt, das dem Jugendhilfeausschuss im Frühjahr/Sommer 2020 zur Beschlussfassung vorgelegt wird.

Finanzierung der Stuttgarter Jugendstudie
Abgeleitet aus Erfahrungswerten ähnlicher Forschungsprojekte wird die Studie, die sich über einen Zeitraum von zwei Jahren erstrecken soll, auf 180.000 Euro kalkuliert. Die Studie soll finanziert werden

Mit Beschlussfassung der GRDrs 934/2020 im Verwaltungsausschuss am 18.11.2020 ergibt sich daraus folgende Gesamtfinanzierung:




Finanzielle Auswirkungen

Sollten die Landesfördermittel nicht bewilligt werden, wird die Verwaltung mit Nachdruck weitere Drittmittel zur Finanzierung der Stuttgarter Jugendstudie akquirieren.


Beteiligte Stellen

Referat WFB, OB-KB, Referat SI, SOS und Referat AKR zeichnen die Vorlage mit. Referat AKR ergänzt die Ausführungen folgendermaßen: "Die Möglichkeiten der Beteiligung von Jugendlichen und die Mitarbeit des Jugendrats in der Gremienstruktur (Anlage 1 Punkte 3.1., 3.2 und 3.3) werden mit der Koordinierungsstelle Jugendbeteiligung im Haupt- und Personalamt abgestimmt. Ziel ist es, die Jugendräte sowohl auf gesamtstädtischer Ebene (AK Stuttgarter Jugendrat) als auch auf Bezirksebene (Jugendrat bzw. Projektgruppe Mitte) in angemessener Weise einzubinden."

Vorliegende Anträge/Anfragen

Antrag 471/2020, CDU-Gemeinderatsfraktion, Betreff: Stuttgarter Jugendstudie - Jungen Menschen zuhören und sie ernst nehmen




Isabel Fezer
Bürgermeisterin


Anlagen

Anlage 1: Strukturmodell zur Weiterentwicklung einer jugendgerechten Innenstadt
Anlage 2: Absichtserklärung


Strukturmodell zur Weiterentwicklung einer jugendgerechten Innenstadt

1. …alles andere als unbeteiligt! Was junge Stuttgarter*innen denken

Die Stuttgarter Jugendhilfe will nicht nur über, sondern vor allen Dingen auch mit den jungen Menschen reden: Was bewegt sie? Wie ordnen sie die Ereignisse im Spiegel ihrer eigenen Erfahrungen ein? Die nachfolgenden Zitate stammen aus verschiedenen Interviews und Gesprächen, die im Nachgang zur Krawallnacht in unterschiedlichen Kontexten der Jugendarbeit geführt wurden. In den Interviews mit Datum August 2020 wurde das Thema explizit als Konflikt zwischen Polizei und Jugend angesprochen. Die Aussagen wurden der Jugendhilfeplanung zur Verfügung gestellt oder durch sie erhoben. Sie sind nicht repräsentativ, sondern stellen exemplarisch Haltungen und Sichtweisen junger Menschen in Bezug auf die sogenannte „Krawallnacht“ dar:




2. Zentrale Herausforderungen für die kommunale Jugendhilfestrategie

2.1. Die ethische Herausforderung: Respektvolle Konfliktkultur
Die ausgewählten Aussagen der jungen Menschen machen deutlich, dass – auch wenn sie überwiegend nicht direkt beteiligt waren – sie doch durchaus eine stellvertretende Perspektive einnehmen. Erfahrungen herablassender Behandlung oder das Gefühl von Schikane ist kollektiv verankert und bildet ein dominantes Deutungsmuster, mit dem die „Krawallnacht“ eingeordnet wird, zumindest auf den ersten Blick. In erster Linie erfahren sogenannte „bildungsferne“ junge Menschen Polarisierung, Aggression oder Abwertung und haben Angst, niemals in der Mitte der Gesellschaft anzukommen so ein Befund der Sinus-Jugendstudie 2020.1 Zudem zeigen die Beobachtungen der Mobilen Jugendarbeit in den vergangenen Monaten, dass in der Innenstadt auch Übergriffe und Konflikte unter jungen Menschen zunehmen, das heißt, dass rivalisierende Cliquen oder Einzelne sich gegenseitig anfeinden.

Diese Phänomene an sich sind nicht neu. Neu sind die Intensität und das Sichtbarwerden des ‚sich nicht respektiert Fühlens‘ und der außer Kontrolle geratenen Ausschreitungen. Auch wenn sich die Lage seit der sogenannten "Krawallnacht" nicht mehr in dieser Form zugespitzt hat, gilt es, über diverse Ansätze von Jugendarbeit ein Klima zu schaffen, in dem junge Menschen die City nicht nur als Eventraum, sondern auch als Ort, der durch demokratische Verhältnisse und Praktiken bestimmt ist, begreifen: Die Innenstadt ist eine Chance, weil sie demokratische Gesellschaft zeigt und erlernbar macht.

Es geht in nächster Zeit und langfristig um die Ermöglichung von Dialog und Aussprache sowie um den Aufbau einer respektvollen Konfliktkultur.

2.2. Die räumliche Herausforderung: Die Innenstadt als künstlicher Erlebnisraum
In der Innenstadt leben vergleichsweise wenige junge Menschen. Sie ist daher nicht als Alltagsraum von jungen Menschen, sondern als Erlebnisraum auf Zeit zu sehen. Jugendliche bewegen sich wie Tourist*innen durch diesen Raum, haben hedonistische Motive, wollen Freizügigkeit genießen, die freie Zeit gemeinschaftlich erleben. Es ist ein künstlicher Raum, im Außen geprägt durch Denkmäler, Vorhöfe der Kultur und des Konsums. Innenräume sind derzeit durch die Pandemie reglementiert und haben deswegen weniger Bedeutung. Wer am Wochenende auf wen trifft, ist eher zufällig. Zwar gibt es angestammte Plätze von Cliquen, das Gesamtspektrum der jungen Menschen setzt sich jedoch wechselnd zusammen.

Jugendarbeit in einem solchen Raum ist besonders. Sie schafft nicht besondere Ereignisse für Jugendliche im Rahmen ihrer eigenen Strukturen (Häuser, Treffs), sondern bewegt sich mit den Jugendlichen innerhalb des öffentlichen oder halböffentlichen Raums und inmitten der situativ entstehenden Ereignisse.

Es geht darum, innerhalb dieses prominenten Raums die Raumnutzung für junge Menschen zu ermöglichen trotz tendenzieller Kommerzialisierung, Funktionalisierung, Privatisierung. Wenn nötig ist auf Verbesserungen hinzuwirken, sind Türen zu öffnen für bisher ungewöhnliche Orte, ist ein Mitmachen an tradierten City-Veranstaltungen bedeutsam, in denen junge Menschen eine Rolle außerhalb des Konsumzwangs finden.


1vgl. https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/311857/sinus-jugendstudie-2020-wie-ticken-jugendliche, S.567, zugegriffen am 30.10.2020

2.3. Die gesamtgesellschaftliche Herausforderung: „How dare you…“
Eine kommunale Jugendhilfestrategie ist nicht losgelöst von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen. Die heutige junge Generation wächst in einer Welt auf, die nur wenig aus ihren bisherigen Fehlern gelernt zu haben scheint. Im Gegenteil: Ungerechtigkeiten, soziale Differenzen, Kriege, Flucht und die Klimazerstörung haben ein Ausmaß angenommen, das zunehmend als existenzielle Bedrohung der Zukunft erlebt wird.

Vor allen Dingen junge Menschen formieren sich global und regional in Bewegungen, um diese Entwicklung aufzuhalten. Teilweise verstärkt eine gespürte politische Leerstelle und ein ‚Weder-gehört-noch-adressiert werden‘ im Rahmen von Staatsinteressen den erlebten Handlungsdruck. Die zwei populärsten und auch in Stuttgart agierenden sind die Klimaschutzbewegung „fridays for future“ und die „black lives matter“-Bewegung, die sich gegen Rassismus generell und gegen Polizeigewalt gegen People of Color im Speziellen einsetzt. Die Haltung dieser Bewegungen wirkt sich nicht nur bei den Aktivist*innen aus; sie prägt zumindest indirekt die Haltung einer ganzen jungen Generation und findet ihren Ausdruck beispielhaft in Greta Thunbergs Rede auf dem UN-Klimagipfel 2019. Sie sagt nicht „I have a dream“, sie hat nicht nur einen Traum einer besseren Welt, aus dem sie wieder erwacht und erkennt, dass er nicht Wirklichkeit ist. Sie sagt: „How dare you…“ – „Wie könnt ihr es wagen?!“

„How dare you“ kann als Leitmotiv der aktuellen Bewegungen und vieler junger Menschen definiert werden, in dem nicht nur der Vorwurf an die Gesellschaft steckt, rücksichtslos die Welt zu zerstören bzw. Rassismus zu tolerieren, sondern auch die Verzweiflung und die Wut, nicht ernst genommen zu werden. Dies belegt auch die Sinus-Jugendstudie 2020: „Viele Jugendliche haben das Gefühl von Macht- bzw. Einflusslosigkeit und die Überzeugung, als Minderjährige nichts ausrichten zu können, im Zweifel nicht einmal gehört zu werden. Die massenhafte Teilnahme an Fridays-for-Future-Demonstrationen ist Ausdruck ihrer Ohnmacht und Empörung.“2

Es geht darum, junge Menschen nicht nur in ihrer individuellen Lebenslage, sondern auch in ihrem gesamtgesellschaftlichen Kontext wahr- und ernst zu nehmen und sie mit ihren Anliegen an der Gestaltung der Zukunft zu beteiligen.

_______________________________________________________________________

Zusammenfassend beinhaltet der Leitgedanke einer jugendgerechten Innenstadt drei Entwicklungslinien: die Förderung von Konfliktkultur im Kontext von Vielfalt und Begegnung, eine stadtarchitektonisch-bauliche Ebene der Ermöglichung und die Ebene des Gestaltungswillens als Teilhabewille von jungen Menschen.

Aus Sicht von Jugendhilfeträgern, Partner*innen innerhalb der Verwaltung und Jugendamt sind für diese anspruchsvollen Aufgaben eine agile Struktur des Zusammenwirkens (3.) sowie eine vereinbarte Bereitschaft zur zielgeleiteten Zusammenarbeit in Form der bereits dargestellten Absichtserklärung erforderlich. Im Folgenden wird das Strukturmodell „"Integrierte Jugendarbeit Innenstadt" dargestellt.





2vgl. https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/311857/sinus-jugendstudie-2020-wie-ticken-jugendliche, S.567, zugegriffen am 30.10.2020

3. Innovatives Strukturmodell "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt"

Angesichts der zentralen Herausforderungen und der Verschränkung verschiedener Handlungsebenen setzt die kommunale Jugendhilfestrategie nicht auf einen Ansatz der Jugendarbeit als per se richtigen, sondern auf die Vernetzung vieler:

Die Philosophie dieser integrierten Organisation liegt zusammengefasst darin, für junge Menschen Signale zu setzen, Signale der Wertschätzung, der Ermöglichung und der Erlaubnis anstatt des Verbots, der Reglementierung und des Verdachts. Das Bedürfnis junger Leute, Teil von Gemeinschaft zu sein, wird ernst genommen, sie werden kritisch-konstruktiv unterstützt, dass aus respektvoller Teilhabe gute Erfahrungen entstehen. Mit dem Strukturmodell und seiner Umsetzung wird für junge Menschen unmittelbar erlebbar, dass die Stadt Stuttgart auf ihre Jugend setzt, was die Stadt selbstredend mit Vielem beweist – hier in offensiver Form des Zuhörens und genau Hinschauens, woraus beteiligungsorientiert Aktionen und Kampagnen entstehen. Darüber hinaus wird auf erkannte soziale Schieflagen, die sich im öffentlichen Raum zeigen, hingewiesen, so dass sie Eingang in die politische Problemwahrnehmung finden können. Dieses vernetzte Wirken fördert demokratische Praktiken des Zusammenlebens in besonderer Weise: Was Menschen tun und weniger, was sie sind, wird zum wesentlichen Ausgangspunkt und bestimmt die Handlungsweise.

Viele einzelne Stuttgarter Akteur*innen würden einer solchen inhaltlichen Zielsetzung zustimmen bzw. diese für sich reklamieren. Neu am Strukturmodell ist, dass das Ziel über die einzelnen Interessen hinaus in einem koordiniert kollektiven Prozess verfolgt wird.

Zentraler Bestandteil der "Integrierten Jugendarbeit Innenstadt" ist die „Mobile Jugendarbeit Innenstadt“, für die mit der GRDrs 657/2020 eine Projektförderung (01.11.2020 bis 31.10.2024) mit 5,0 Fachkraftstellen beschlossen wurde. Der ausführliche Sachstandsbericht zur Mobilen Jugendarbeit in der Innenstadt ist der Anlage 2 zu entnehmen.

Die Ziele der Mobilen Jugendarbeit generell sind die Verhinderung oder Aufhebung von Benachteiligung junger Menschen, ihre Befähigung zu Selbstverantwortung und Gemeinschaftsfähigkeit, die Erschließung ihrer individuellen Ressourcen und die Reduktion von Straftaten, Sucht und Gewalt. Sie wendet sich daher an junge Menschen, die sozial benachteiligt sind, deren persönliche Entwicklung hierdurch gefährdet ist und die von anderen sozialen Angeboten nicht oder nur unzureichend erreicht werden. Um dies zu erreichen, baut der Jugendarbeitsansatz auf obligatorische Schnittstellen auf, wie z.B. zur örtlichen Polizei, zum örtlichen Beratungszentrum und Bezirksbeirat. Darüber hinaus erschließt er sich raumspezifische Kontakte, wie im Fall der Innenstadt beispielsweise zum Clubkollektiv, zur City Initiative CIS und zum Staatstheater (siehe Anlage 2).

Ein zentraler Aspekt des Konzepts der „Mobilen Jugendarbeit Innenstadt“ ist ihre Einbettung in ein übergeordnetes Netzwerk:

Daraus abgeleitet wurde aus dem „Runden Tisch Jugend“ unter Leitung von Frau Bürgermeisterin Fezer eine Unterarbeitsgruppe etabliert mit dem Ziel, ein Gesamtkonzept "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt" zu erarbeiten, durch dessen Umsetzung alle jungen Menschen in der Innenstadt mit unterschiedlichen Akteur*innen erreicht werden, unabhängig von ihrer kulturellen oder ethnischen Herkunft, ihrer ökonomischen Situation, ihres Geschlechts, ihrer Familiensituation und anderer Differenzlinien. Die Federführung der „Unterarbeitsgruppe Integrierte Jugendarbeit Innenstadt“ liegt bei der Jugendhilfeplanung, die bisher beteiligten Akteur*innen sind:
Von der Unterarbeitsgruppe wurde in Abstimmung mit dem Team „Mobile Jugendarbeit Innenstadt“ das folgendes Strukturmodell erarbeitet, das ab 2021 aufgebaut und weiterentwickelt wird:


Abb. 1 Übersicht Gesamtstruktur "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt"

Das Strukturmodell, wie hier skizziert, versteht sich als agiles und „atmendes“ System. Es darf selbstverständlich um weitere Verbündete und Ideen wachsen, ebenso wie sich bestimmte Interessensvertreter*innen entsprechend veränderter Belange zurückziehen können. Die neue Form des Zusammenwirkens wird bei der Organisationsentwicklung unterstützt und beraten. Auch für die personelle Zusammensetzung der im Folgenden beschriebenen Gruppierungen gilt diese Offenheit. Jede Einheit hat ein Vorschlags- und Entscheidungsrecht, um durch zusätzliche Akteur*innen den Kompetenzmix und die Reflexionsrichtungen neu auszurichten.

3.1. Strategierat "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt" (Visionär*innen)
Der Strategierat "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt" versteht sich als anwaltliches Gremium für die Interessen und Lebenslagen junger Menschen, die sich in der Innenstadt aufhalten, und verfolgt die Vision einer jugendgerechten Stuttgarter Innenstadt als Bestandteil einer inklusiven Stadt für alle Menschen.

Mitglieder des Strategierats sind die Mitglieder der Unterarbeitsgruppe "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt", die sich mit Etablierung des Strategierats auflöst. Ergänzend dazu nimmt zukünftig der GesundheitsLaden Stuttgart e.V. als Träger der Mädchen*- und Jungen*-Arbeit am Strategierat teil, um den Aspekt der Gendersensibilität zu verankern, sowie die Stuttgarter Kinderbeauftragte, um die Themen und Aufgaben zur Weiterentwicklung einer kinder- und jugendfreundlichen Stadt gesamtstädtisch zu kommunizieren und voranzutreiben. Somit setzt sich der Strategierat wie folgt zusammen: In Stuttgart gibt es eine fachlich äußerst differenzierte Landschaft der Jugendhilfe und der Sozialen Arbeit und somit viele potenzielle Partner*innen und Ressourcen. Mit den Vertreter*innen im Strategierat sollen stellvertretend und querschnittig die Themen Jugendhilfe, Gewalt- und Suchtprävention, Migration, Kinder- und Jugendrechte sowie Gendersensibilität miteinander verbunden werden.

Aufgabe des Strategierats ist zum einen der Austausch mit dem „Aktionsrat“ (siehe Ziff. 3.2.), um aktuelle Entwicklungen und Themen zu reflektieren und daraus abgeleitet weitere Planungen und/oder Modifizierungen für die Gesamtstrategie der "Integrierten Jugendarbeit Innenstadt" zu erarbeiten. Zum anderen besteht die Aufgabe des Strategierats in der Vernetzung mit Entscheidungsträger*innen aus verschiedenen Handlungsfeldern, die für die Entwicklung und Umsetzung von Angeboten und Maßnahmen für eine jugendgerechte Innenstadt maßgeblich sind (siehe Ziff. 3.5.). Damit öffnet der Strategierat der Praxis und den jungen Menschen Türen für Innovation und Kreativität und gewährleistet, dass unterschiedliche Lebens- und Interessenslagen berücksichtigt werden.



3.2. Aktionsrat "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt" (Erkenner*innen)
Um innovativ und flexibel auf unterschiedliche Szenentrends und Bedarfslagen einer diversen Jugendkultur zu reagieren, ist unkonventionelles Denken notwendig. Eine praktisch-progressiv denkende, integrierte Jugendarbeit zeichnet sich wie folgt aus:
Mitglieder des Aktionsrats sind Mitarbeiter*innen der Träger aus dem Strategierat sowie aus dem Team „Mobile Jugendarbeit Innenstadt“.

Die Aufgaben des Aktionsrats bestehen zum einen in der Bedarfsanalyse, das heißt darin, Probleme und Themen der jungen Menschen in der Innenstadt zu erkennen und auf der Basis dieser Erkenntnisse entsprechende Maßnahmen auf zwei Ebenen einzuleiten: Zum anderen soll der Aktionsrat die jungen Menschen beteiligen und ihre Rückmeldungen und Ideen sowohl zu konkreten Aktionen als auch zur Gesamtentwicklung einholen. Hierfür organisiert der Aktionsrat mindestens einmal jährlich Jugendkonferenzen, die im öffentlichen Raum in der Innenstadt stattfinden (siehe Ziff. 3.3.).

Auch andere Stellen haben gute Ideen und Intuition. Insofern ist der Aktionsrat auch Ansprechpartnerin für Ideen und Anfragen aus anderen Feldern und koordiniert diese gegebenenfalls.

Der Aktionsrat hat zwei obligatorische Schnittstellen: Zum einen soll sie mit dem Stuttgarter Jugendhilfesystem der „Regionalen Trägerkoordination“ vernetzt werden (Träger- und Handlungsfeldkonferenzen der Bezirke Mitte und Nord), zum anderen mit dem Respektlotsen-Projekt und der Respekt-Kampagne unter Federführung der Abteilung Integrationspolitik des Referats Soziales und gesellschaftliche Integration. Weitere Schnittstellen werden sich im Prozess als notwendig erweisen.

3.3. Jugendkonferenzen Innenstadt („Beteiligte“)
Um die jungen Menschen direkt zu beteiligen, werden vom Aktionsrat Jugendkonferenzen organisiert, die im öffentlichen Raum in der Innenstadt stattfinden, um einen Milieu differenzierten Zugang zu eröffnen. Die Konferenzen verbinden die professionelle Fachwelt mit dem Wissen und den Ideen junger Menschen. Sie fungieren als Kurskorrektur, setzen Prioritäten im Rahmen einer Maßnahmenplanung und geben dem Aktionsrat neue Aufgaben.

3.4. „Ad-hoc-Teams“ (Macher*innen)
"Ad-hoc-Teams" gründen sich anlassbezogen, wirken temporär und werden aus der Aktionsrat heraus eingerichtet. Sie organisieren spezielle Aktionen und führen diese durch. Dies können beispielsweise Kultur- oder Sportereignisse, Themenkampagnen oder auch Aktionen zur Gestaltung des öffentlichen Raums sein. Das bedeutet, dass – abhängig von der Themenstellung – weitere Akteur*innen aus unterschiedlichen Handlungsfeldern mit eingebunden werden, wie Theater, Sportvereine oder Handel. Die hierfür notwendigen Kontakte sollen durch das Ressourcen-Netzwerk „Jugendgerechte Stuttgarter Innenstadt“ aufgebaut und vorhandene Ressourcen genutzt werden (siehe Ziff. 3.4.).

3.5. Ressourcen-Netzwerk „Jugendgerechte Stuttgarter Innenstadt"
Für eine integrierte Jugendarbeit ist es unerlässlich, dass Netzwerke bestehen, auf die unkompliziert zurückgegriffen werden kann. Daher soll im Rahmen der Gesamtstruktur der "Integrierten Jugendarbeit Innenstadt" vom Strategierat, von der Aktionsrat und vom Team „Mobile Jugendarbeit Innenstadt“ ein Ressourcen-Netzwerk „Jugendgerechte Stuttgarter Innenstadt“ aufgebaut und kontinuierlich fortgeschrieben werden im Sinne einer Netzwerk-Karte. Relevante Felder, die sich bereits heute zeigen, sind Kultur, Sport, Stadtentwicklung, Sicherheit inklusive Polizei, Handel, Jugendhilfe, Soziale Arbeit und Politik. Diese Felder haben zumeist einen Verantwortungsbereich in der Verwaltung, und zugleich beinhalten sie freie Organisationen, Träger, Stadtinitiativen. Beide Bereiche sind zu berücksichtigen. Die Partner*innen des Netzwerks bilden kein festes Gremium. Das Ressourcen-Netzwerk ist als Plattform im Sinne eines Marktplatzes zu verstehen, auf dem sich die einzelnen Markthändler*innen mit ihren unterschiedlichen Waren gegenseitig kennen und bedarfsweise unterstützen. Wichtige Partner*in ist dabei die Struktur der Regionalen Trägerkoordination (RTK), die in der Entwicklung berücksichtigt und eingebunden wird.

Die Stadt Stuttgart fördert vielfältige und unterschiedlichste Angebote und Maßnahmen für junge Menschen. Diese bestehenden Ressourcen stellen im Strukturmodell "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt" bunte Schatzkisten dar, die für die verschiedenen Themen und Bedarfe anlassbezogen geöffnet werden, um den verschiedenen Interessenslagen und Fähigkeiten junger Menschen gerecht zu werden. Bezogen auf die zwei Ebenen, auf denen der Aktionsrat Maßnahmen einleitet, sind dies auf der Ebene der individuellen Hilfe Bestandsangebote der Jugendhilfe und der Sozialen Arbeit (z.B. Schuldenberatung, LSBTTIQ-Beratung), die die jungen Menschen je nach Themenstellung nutzen können. Auf der Aktionsebene handelt es sich um bestehende Aktivitäten, Räumlichkeiten etc. in den Bereichen Kultur, Sport, Handel und anderen Bereichen, die als Ressource herangezogen werden sollen (z.B. städtebauliche Projekte, tradierte Festivals oder Sportevents).


4. Wissenschaftliche Unterstützung und Organisationsentwicklung für das Strukturmodell "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt"

4.1. Wissenschaftliche Unterstützung der „Mobilen Jugendarbeit Innenstadt“
Die "Mobile Jugendarbeit Innenstadt" wurde als Reaktion auf die sogenannte Stuttgarter Krawallnacht im Sommer 2020 ermöglicht und beauftragt. Es handelt sich um einen vollumfänglichen Arbeitsansatz, der keineswegs begrenzt ist auf Streetwork-Einsätze am Wochenende. Vielmehr ist die "Mobile Jugendarbeit Innenstadt" über das neue Strukturmodell "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt" eingebettet in ein erweitertes Jugendarbeitssystem Innenstadt, was über klassische Kooperationsformen hinausgeht. Infolgedessen braucht die "Mobile Jugendarbeit Innenstadt" eine stärker auf Interdisziplinarität ausgerichtete Selbstsicht.

Aus diesem Grund wird die "Mobile Jugendarbeit Innenstadt" wissenschaftliche Unterstützung erhalten hinsichtlich der Effekte einer solchen Einbettung sowie bei der Entwicklung eines neuen Rollenverständnisses in der Gesamtstruktur. So geht es beispielsweise um die methodische Weiterentwicklung der Mobilen Jugendarbeit im besonderen Setting "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt" sowie um ein Verständnis und eine Offenheit für die Abwägung, wann eigenverantwortete Tätigkeiten und Aktionen gefragt sind und wann kollektiv generierte Lösungsansätze sinnvoll sind. Darüber hinaus geht es um die Entwicklung eines inklusiven Methodenrepertoires, das sowohl den Ansatz der Mobilen Jugendarbeit für benachteiligte junge Menschen als auch generelle Methodenansätze der Jugendarbeit verbindet.

Die wissenschaftliche Begleitung wird vom ISM – Institute für Science and Markets durchgeführt. Durch regelmäßig stattfindende Auswertungs- und Coachinggespräche, Frage- und Dokumentationsbögen, qualitative Interviews und Workshops wird die Rolle und Einbindung des Teams "Mobile Jugendarbeit Innenstadt" in ein erweitertes Jugendarbeitssystem Innenstadt reflektiert und damit die fachliche Weiterentwicklung gewährleistet.
Ein Zwischenbericht erfolgt zum September 2022, ein Abschlussbericht zum Juli 2024.

Die Finanzierung der wissenschaftlichen Begleitung der "Mobilen Jugendarbeit Innenstadt" erfolgt über die Sachkostenförderung, die mit GRDrs 657/2020 beschlossen wurde.

4.2. Organisationsentwicklung für neue und innovative Kooperationsformen
Wie unter Ziffer 3. dargestellt, soll im Erlebnisraum Innenstadt mit dem Strukturmodell "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt" eine neue und innovative Form der Kooperation aufgebaut und erprobt werden. Die Vernetzung vieler Ansätze ist notwendig, Konkurrenzen und trägerpolitische Interessen sollen in der Hintergrund treten zu Gunsten des gemeinschaftlichen Handelns und des Ziels, die Stuttgarter Innenstadt jugendgerecht zu gestalten.

Das bedeutet: Es geht nicht nur um die Entwicklung neuer Projekte. Es geht um die modellhafte Erprobung eines Kulturwandels innerhalb des Stuttgarter Jugendhilfesystems und darum, grundlegende Veränderungen herbeizuführen. Selbstverständlichkeiten und Selbstverständisse werden in Frage gestellt, neu definiert und in ein neues Organisationsmodell transformiert. Ein solcher Wandlungsprozess birgt große Chancen für innovative und bedarfsgerechte Formen von Kooperationen und Angeboten – und gleichzeitig Unsicherheiten, Bedenken und die Gefahr, an Altbewährtem festzuhalten. Damit wird deutlich, dass dieser Prozess begleitet werden muss durch eine Organisationsentwicklung, die Chancen und Risiken gleichermaßen berücksichtigt und bei allen Mitwirkenden Verhaltens- und Einstellungsänderungen herbeiführt, die in eine agile Organisationsform münden.

Das Strukturmodell "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt" soll daher durch eine Organisationsentwicklung begleitet und moderiert werden, die prozessorientiert und partizipativ bei den Beteiligten eine Offenheit für zukunftsweisende Innovationen herstellt. Erste und prioritäre Aufgaben für die Organisationsentwicklung bestehen darin, das Strukturmodell zusammen mit den Beteiligten in ein Organisationsmodell zu überführen. Dazu gehören folgende Entwicklungsaufgaben:

Die Finanzierung der Organisationsentwicklung soll über Mittel stuttgartnaher gemeinwohlfördernder Stiftungen sowie des „Aktions- und Initiativfonds“ der Partnerschaft für Demokratie Stuttgart“ (Bundesprogramm „Demokratie leben“) erfolgen.


5. Ausblick auf weitere Planungsschritte

Bei Beschlussfassung des Strukturmodells "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt" sollen folgende Planungsschritte eingeleitet werden:



- Wissenschaftliche Unterstützung "Mobile Jugendarbeit Innenstadt" und Organisationsentwicklung Strukturmodell "Integrierte Jugendarbeit Innenstadt"
- Verbindung mit Schnittstellen
- Stuttgarter Jugendstudie
- Strukturübertrag auf die Stuttgarter Außenbezirke
- Kontaktaufbau zu umliegenden Stadt- und Landkreisen
- Ressourcen-Netzwerk „Jugendgerechte Stuttgarter Innenstadt“


zum Seitenanfang