Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales und gesellschaftliche Integration
Gz:
GRDrs 733/2022
Stuttgart,
10/27/2022


Weiterentwicklung des Angebotes von Pro Kids, Caritasverband für Stuttgart e.V.



Mitteilungsvorlage


Vorlage anzurSitzungsartSitzungstermin
Sozial- und GesundheitsausschussKenntnisnahmeöffentlich28.11.2022

Bericht:


Vermehrt leiden Kinder und Jugendliche in Deutschland unter seelischen und psychischen Problemen. Die Beschränkungen der Coronapandemie haben diese Situation noch verstärkt. Zahlreiche Studien im In- und Ausland weisen auf z. T. starke seelische Belastungen hin (Mohler-Kuo et al. 2021, Achtenberg et al.2021, Racine et al. 2021).
Die COPSY - Studie beispielsweise, die Familien mit Kindern im Alter von 7 bis 17 Jahren untersucht hat, kommt zu dem Ergebnis, dass sich der Anteil der Kinder mit beeinträchtigter Lebensqualität in Deutschland nach dem ersten Pandemiejahr verdreifacht und der Anteil psychisch auffälliger Kinder fast verdoppelt hat (Ravens-Sieberer et al. 2022). Aktuell verbessert sich die psychische Gesundheit vieler Kinder und Jugendlicher wieder leicht. Ein Ergebnis der Studien ist jedoch, dass das nicht für alle Kinder und Jugendlichen in gleichem Maße gilt. Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aus vulnerablen Bevölkerungsgruppen ist weiter stark belastet.

Stabile Familienverhältnisse werden als wichtige Ressource für Kinder und Jugendliche beschrieben. Fehlen diese stabilen Familienverhältnisse, hat das direkten Einfluss auf die psychische Gesundheit der Betroffenen. Das gilt im Besonderen für sucht- und/oder psychisch belastete Familien. Laut der ehemaligen Drogenbeauftragten der Bundesregierung leben ca. 3 Millionen Kinder in Deutschland mit mindestens einem suchtbelasteten Elternteil zusammen, damit ist jedes 4. bis 5. Kind betroffen. Vgl. Jahresbericht der Drogenbeauftragten (JDB) der Bundesregierung 2020. Nimmt man diese Schätzung als Grundlage und bezieht sie auf die Zahl der Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren, die in Stuttgart leben (79.180) Vgl. KomunIS, 2.2.8 Einwohner in Stuttgart am 31.12.2021 nach Altersgruppen und Stadtbezirken., würde das darauf hindeuten, dass rund 17.000 Kinder und Jugendliche in Stuttgart mit mindestens einem suchtbelasteten Elternteil leben. Diese Kinder haben ein hohes Risiko, im weiteren Verlauf ihres Lebens selbst eine Suchterkrankung oder eine andere psychische Erkrankung zu entwickeln. Nur jedes dritte dieser betroffenen Kinder wächst gesund auf. Eine frühzeitige und adäquate Unterstützung reduziert das Risiko. Vgl. Jahresbericht der Drogenbeauftragten (JDB) der Bundesregierung 2021.

Hier setzten die Angebote für sucht- und psychisch belastete Familien von Pro Kids an.
Sie unterstützen Kinder und Jugendliche dabei, soziale und psychische Belastungen zu reduzieren sowie ein gesundes Selbstbewusstsein aufzubauen und eigene Stärken zu entwickeln. Mit niedrigschwelliger Beratung und Begleitung sowie präventiven pädagogischen Gruppen-, Bildungs- und Freizeitangeboten werden die Kinder, Jugendlichen und ihre Familien stabilisiert. Im Jahr 2019 In den Jahren 2017/ 2018 stand das Dokumentationssystem Dot.sys nicht zur Verfügung. Die Zahlen während der Coronapandemie sind ger hat Pro Kids mit seinen selektiven Angeboten beispielsweise 812 Adressat*innen und 680 Multiplikator*innen erreicht.

In den letzten drei Krisenjahren hat Pro Kids eigeninitiativ viele Wege gefunden, trotz erschwerter Rahmenbedingungen durch die Coronapandemie, die Angebote für ihre Zielgruppe aufrecht zu erhalten und sogar auszuweiten. Es sind dringende Bedarfe sichtbar geworden, über die im Folgenden berichtet werden soll:

1. Der Bedarf zur psychologischen Frühintervention im Rahmen der indizierten Prävention

2. Die Bedarfe zur Prävention, Diagnose, Beratung und Vernetzung in Bezug auf das Fetale Alkoholspektrumssyndrom FASD 1. Bedarf zur psychologischen Frühintervention im Rahmen der indizierten Prävention
Aktuell brauchen weit mehr Kinder und Jugendliche in Stuttgart psychologische Hilfe als es Behandlungsplätze gibt. So wächst beispielsweise auch die Zahl der Kinder, die im Gruppensetting von „Pro Kids“ nicht mehr ausreichend begleitet werden können. Der Bedarf an Einzelgesprächen mit Kindern und Jugendlichen ist angestiegen (2020: 147, 2021: 156, 2022 bis 30.09.: 141). Um auf diesen Bedarf unmittelbar zu reagieren, hat der Caritasverband Stuttgart Stiftungsgelder akquiriert und im Oktober 2022 ein einjähriges Modellprojekt gestartet. Das Angebot umfasst niederschwellige, alltagsnahe Begleitung und Beratung für Kinder und Jugendliche, die in Krisensituationen mehr Unterstützung brauchen. Dies beinhaltet zunächst die kurzfristige Hilfe sowie bei Bedarf die Überleitung in therapeutische Behandlung. Auch die Förderung der Vernetzung mit in Frage kommenden Kinder- und Jugendpsycholog*innen ist ein Ziel der neuen Stelle.

Die psychologische Frühintervention ist ein Angebot im Rahmen der indizierten Prävention und wird durch Stiftungsgelder unterstützt. Aktuell wird diese Aufgabe mit einer
30 % VK Stelle umgesetzt. Als Modellvorhaben ist das Angebot im Oktober 22 gestartet und für ein Jahr angesetzt. In diesem ersten Jahr soll u. a. auch die Bedarfssituation in Stuttgart genauer geprüft und beschrieben werden.



2. Bedarf zur Prävention, Diagnose, Beratung und Vernetzung in Bezug auf das Fetale Alkoholspektrumsyndrom (FASD)
FASD fasst ein Spektrum von Erkrankungen zusammen, die durch mütterlichen Alkoholkonsum in der Schwangerschaft entstehen. Die Auswirkungen des Alkoholkonsums in der Schwangerschaft werden in Deutschland oft unterschätzt und immer noch zu wenig thematisiert.




Die geschätzte Inzidenz für FASD liegt in Deutschland bei 1,77 Kinder pro 100 Lebendgeburten. Vgl. Kraus, L., Seitz, NN., Shield, K.D. et al. Quantifying harms to others due to alcohol consumption in Germany: a register-based study. BMC Med 17, 59 (2019). Abgerufen https://doi.org/10.1186/s12916-019-1290-0. è In den letzten 10 Jahren wurden in Stuttgart im Schnitt 6.234 Kinder geboren. Vgl. Statistisches Jahrbuch Stuttgart 2020/2021. 65. Jahrgang. S. 57. Wendet man die geschätzte Inzidenz für FASD in Deutschland auf Stuttgart an, sind jährlich schätzungsweise 110 Neugeborene betroffen.

FASD ist damit die häufigste, bei Geburt bestehende, vollständig zu verhindernde chronische Erkrankung. Überwiegend wird sie nicht oder fehldiagnostiziert. Vgl. Moder JE, Ordenewitz LK, Schlüter JA, Weinmann T, Altebäumer P, Jung J, Heinen F, Landgraf MN. Fetale Alkoholspektrumstörungen – Diagnose, Prognose und Prävention]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2021 Jun; 64(6):747-754. German. doi: 10.1007/s00103-021-03329-6. Epub 2021 May 3. PMID: 33942146; PMCID: PMC8187172.

FASD betrifft besonders auch die Kinder und die Jugendlichen von Pro Kids und ihre Familien. In der täglichen Arbeit werden dringende Bedarfe sichtbar: In Stuttgart fehlt es an Expertise zu FASD. Es ist sinnvoll, spezifische Diagnose- und Beratungsangebote sowohl für Betroffene und die (Pflege-)Familien als auch für pädagogische Fachkräfte auszubauen.

Zukünftig ist es wichtig, ein Netzwerk aufzubauen und Selbsthilfe zu unterstützen. Denn FASD ist nicht heilbar und begleitet die Betroffenen und ihr Umfeld ein ganzes Leben. Aufgabe des Hilfesystems ist es vor allem, Rahmenbedingungen zu schaffen, um betroffene und ihre Angehörigen adäquat unterstützen zu können.

Auch die Evaluation von FOGS empfiehlt, mit suchtpräventiven Angeboten verstärkt Risikogruppen wie beispielsweise Kinder aus suchtbelasteten Familien in den Blick zu nehmen. Vgl. GRDrs 571/2019: Evaluation der ambulanten Suchthilfe und Suchtprävention der Landeshauptstadt Stuttgart“, Anlage 1. S. 29.






Dr. Alexandra Sußmann
Bürgermeisterin





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