Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales und gesellschaftliche Integration
Gz:
GRDrs
241/2017
Stuttgart,
05/03/2017
Mietobergrenzen 2017/2018 - angemessene Kosten der Unterkunft in der Grundsicherung für Arbeitsuchende und in der Sozialhilfe
Mitteilungsvorlage
Vorlage an
zur
Sitzungsart
Sitzungstermin
Sozial- und Gesundheitsausschuss
Kenntnisnahme
öffentlich
15.05.2017
Bericht:
Das Jobcenter und das Sozialamt berücksichtigen die Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II und § 35 SGB XII in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen sind. Für die Kaltmiete gelten von der Haushaltsgröße abhängige Mietobergrenzen. Diese bestimmen sich u.a. nach der Verwaltungsvorschrift zur Wohnraumförderung sowie dem jeweils aktuellen Mietspiegel und werden zusammen mit dem Statistischen Amt ermittelt. Aufgrund des neuen Mietspiegels 2017/2018 sind die Mietobergrenzen rückwirkend ab 01. Januar 2017 neu festzulegen:
Haushaltsgröße
Mietobergrenze
2017/2018
Mietobergrenze
2015/2016
Veränderung
in
%
1 Person
450,00
436,50
3,1%
2 Personen
564,00
546,00
3,3%
3 Personen
675,00
645,00
4,7%
4 Personen
801,00
774,00
3,5%
5 Personen
966,00
903,00
7,0%
6 Personen
1.104,00
1.068,00
3,4%
jede weitere Person
138,00
133,50
3,4%
Die Mietobergrenzen wurden anhand der Daten, die dem Mietspiegel zugrunde liegen, ermittelt. In der Auswertung wurden aufgrund der Neuausrichtung des Mietspiegels alle Baujahre und alle Lagen (2015/2016: Nur durchschnittliche Lage) berücksichtigt, jedoch nur Wohnungen einfacher Ausstattung, um das vom Bundessozialgericht vorausgesetzte „untere Marktsegment“ abzubilden.
Wegen der neuen Baualterseinteilung und der Bildung von je drei Innen- und Außenlagen kann nicht mehr wie bisher auf die oberen Spannwerte für Wohnungen der Baujahre vor 1975 in durchschnittlicher Lage mit einfacher Ausstattung zurückgegriffen werden.
Werner Wölfle
Bürgermeister
Ausführlicher Bericht
I. Ermittlung der Mietobergrenzen
Die Angemessenheitsgrenzen müssen nach dem Bundessozialgericht (BSG) in einem standardisierten Verfahren ermittelt werden, das die wirklichen und aktuellen Verhältnisse des regionalen Wohnungsmarkts abbildet.
Die Mietobergrenze für die jeweilige Haushaltsgröße berechnet sich aus dem Produkt der Wohnfläche, die sich aus der Verwaltungsvorschrift zur Wohnraumförderung des Landes ergibt, und einem Quadratmeterpreis, der aus den Daten für Wohnungen mit einfacher Ausstattung ermittelt wird, die dem Mietspiegel zugrunde liegen. In der Auswertung wurden alle Baujahre (2015/16: nur Baujahre bis 1975) und alle Lagen (2015/16: nur durchschnittliche Lage) berücksichtigt, jedoch nur Wohnungen einfacher Ausstattung, um das vom BSG vorausgesetzte „untere Marktsegment“ abzubilden.
Berechnung der Mietobergrenzen nach der Produkttheorie:
Haushaltsgröße
Fläche
m²
Quadratmeterpreis
neu alt
Mietobergrenze
2017/2018
1 Person
45
10,00 €
9,70 €
450,00
2 Personen
60
9,40 €
9,10 €
564,00
3 Personen
75
9,00 €
8,60 €
675,00
4 Personen
90
8,90 €
8,60 €
801,00
5 Personen
105
9,20 €
8,60 €
966,00
6 Personen
120
9,20 €
8,90 €
1.104,00
jede weitere Person
+ 15
9,20 €
8,90 €
138,00
Basis der Auswertung sind alle mietspiegelrelevanten Wohnungen der Mietspiegel- und Wohnungsmarktbefragung 2016 vom April 2016. Dabei handelt es sich um 3.335 Mietverhältnisse im freien Wohnungsmarkt (ohne untypische Komfortwohnungen, z.B. Penthousewohnungen), die in den letzten vier Jahren abgeschlossen wurden oder bei denen in diesem Zeitraum eine Mietpreisanpassung erfolgte. Nicht zum freien Wohnungsmarkt zählen Wohnungen, die von Freunden und Verwandten vergünstigt angemietet werden, Werkswohnungen, Wohnungen in Wohnheimen und Sozialmietwohnungen.
Um eine ausreichende Fallzahl und eine sachgerechte Abbildung zu gewährleisten, wurde um die Normwohnflächen (45 m², 60 m², usw.) jeweils ein Korridor von +/- 10 m² gelegt. Bei den größeren Wohnungen (105, 120, 135 m²) wurde aufgrund der geringeren Fallzahl ein größerer Korridor gebildet (95-159m²). Das heißt zum Beispiel, die Mietobergrenze für Wohnungen mit 45 m² (1-Personen-Haushalte) errechnet sich aus allen mietspiegelrelevanten Wohnungen mit 35 bis 55 m².
Die Verteilung der Mietpreise in den einzelnen Flächenkategorien (Korridor +-10 m²) wurde anschließend analysiert und mit Hilfe von 4/5-Spannen jeweils das teuerste 1/5 (20%) der Fälle abgeschnitten. Zur tatsächlichen Verfügbarkeit in ausreichender Häufigkeit vgl. II. Belastbarkeit der Mietobergrenzen. Das Landessozialgericht hatte in seiner Entscheidung vom 05. Juli 2011 – AZ L 1 AS 2852/09 den Spannoberwert gefordert, da damals lediglich die Haushalte der Baujahre bis 1975 – und nicht wie aktuell alle Baujahre – bei der Ermittlung der Mietobergrenzen berücksichtigt wurden.
II. Belastbarkeit der Mietobergrenzen
Die Belastbarkeit der neuen Mietobergrenzen bzw. inwieweit diese für Leistungsberechtigte ausreichend sind, wurde mit Hilfe des Statistischen Amtes untersucht. Die folgenden Schaubilder zeigen zum einen wie viele SGB II-Haushalte unterhalb der neuen Mietobergrenze liegen (durchgezogene Linie) sowie das Marktsegment, das die Mietobergrenzen auf dem gesamten Wohnungsmarkt bezogen auf die mietspiegelrelevanten Mietverhältnisse abdecken (gestrichelte Linie). Die gestrichelte Linie bezieht sich auf die Mietverhältnisse, die dem Mietspiegel zugrunde liegen.
Circa 92 % der 1-Personen-Haushalte, die Leistungen des Jobcenters beziehen, liegen mit ihrer Kaltmiete unter der neuen Mietobergrenze in Höhe von 450,00 € (durchgezogene Linie). Die durchschnittliche Kaltmiete von 1-Personen-Haushalten im SGB II liegt bei ca. 323,60 €. Von allen 1-Personen-Haushalten, deren Daten in die Mietspiegelerstellung eingeflossen sind, liegen 32 % unter der Mietobergrenze i.H.v. 450,00 € (gestrichelte Linie).
Anteil SGB II - Haushalte unterhalb der Mietobergrenze
Mietobergrenze 2017/18
1 Person
92%
2 Personen
90%
3 Personen
94%
4 Personen
98%
5 Personen
98%
Um beurteilen zu können, ob Leistungsberechtigten, die eine neue Wohnung suchen, mit den neuen Mietobergrenzen ein ausreichendes Wohnungsangebot zur Verfügung steht, wurde Mitte März 2017 eine Marktrecherche im Internet (u.a. Immobilienmarkt der Stuttgarter Zeitung, ImmobilienScout24, Immowelt, Wohnungsbörse) mit folgendem Ergebnis durchgeführt:
Mitte März wurden in Stuttgart ca. 86 Wohnungen mit einer Kaltmiete bis zu 450,00 € (Mietobergrenze für 1-Personenhaushalte) angeboten, ca. 150 Wohnungen zu einer Kaltmiete bis zu 564,00 € (Mietobergrenze für 2-Personenhaushalte); ca. 110 Wohnungen zu einer Kaltmiete bis zu 675,00 € (Mietobergrenze für 3-Personenhaushalte); ca. 83 Wohnungen zu einer Kaltmiete bis zu 801,00 € (Mietobergrenze für 4-Personenhaushalte); ca. 160 Wohnungen zu einer Kaltmiete bis zu 966,00 € (Mietobergrenze für 5-Personenhaushalte) und ca. 50 Wohnungen zu einer Kaltmiete bis zu 1.104,00 € (Mietobergrenze für 6-Personenhaushalte).
Ob eine Vermittlung an einen SBG II-Leistungsempfänger Erfolg hätte, kann nicht gesagt werden.
Die größte Nachfrage besteht bei den 1-und 2-Personen-Haushalten, in denen zusammen über 70 % der SGB II - Leistungsberechtigten leben.
Anteil der jeweiligen Haushaltsgröße im SGB II:
1 Person
2 Personen
3 Personen
4 Personen
5 Personen
6 Personen
52 %
20 %
13 %
9 %
4 %
2 %
III. Kostensenkung
a) zumutbare Kostensenkung
In den Fällen, in denen die Kaltmiete über der Mietobergrenze liegt, ist vom Jobcenter und Sozialamt im Einzelfall zu prüfen, ob die Senkung der Kosten auf die Mietobergrenze zumutbar ist.
Grundsätzlich gibt es bei zumutbarer Senkung verschiedene Möglichkeiten die Kosten zu vermindern z.B. durch
·
Untervermietung,
·
Zuschuss Dritter,
·
Einsatz von Einkommensfreibeträgen/geschütztem Vermögen,
·
Verhandlungen mit den Vermietern,
·
Umzug.
Ein Wohnungswechsel stellt für die Betroffenen jedoch das letzte Mittel zur Senkung von unangemessenen Kosten der Unterkunft dar. Setzen die Betroffenen eine zumutbare Kostensenkung allerdings nicht um, hat dies zur Folge, dass die Kaltmiete in der Regel nach 6 Monaten nur noch in Höhe der Mietobergrenze anerkannt wird. Meistens versuchen Leistungsberechtigte bei zumutbarer Kostensenkung und soweit die Mietobergrenze nur in geringem Umfang überschritten wird, dies mit Hilfe der o.g. anderen Senkungsmöglichkeiten auszugleichen. Ein Umzug ist also i.d.R. nicht zwingend erforderlich.
b) unzumutbare Kostensenkung
- Härtefälle, Wirtschaftlichkeitsprüfung-
Liegt die Kaltmiete über der Mietobergrenze und ergibt die Einzelfallprüfung, dass eine Kostensenkung aus beachtenswerten Gründen nicht zumutbar oder nicht wirtschaftlich ist, erkennen das Jobcenter und das Sozialamt bis auf Weiteres die höhere (unangemessene) Kaltmiete auch nach Ablauf der 6-Monats-Frist an.
Die Obliegenheit zur Senkung unangemessener Kosten kann im Einzelfall aus beachtenswerten Gründen, die in den persönlichen Lebensumständen der Leistungsberechtigten liegen, eingeschränkt sein. Solche Gründe können sich ergeben z.B. bei Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, Rücksichtnahme auf schulpflichtige Kinder, Alleinerziehung, nur vorübergehende Änderung der Bewohnerzahl (Trennung, Haft), Wahrnehmung eines Umgangsrechts.
Nach der Rechtsprechung bleibt die Berücksichtigung einer unangemessenen Miete der durch sachliche Gründe begründungspflichtige Ausnahmefall. Hierfür ist eine Einzelfallprüfung zwingend Voraussetzung.
Im SGB II ist bei unangemessenen Aufwendungen abschließend noch eine Wirtschaftlichkeitsprüfung vorgeschrieben - § 22 Absatz 1 Satz 4 SGB II. Danach wird eine Senkung der Kosten (auch dann) nicht gefordert, wenn diese im Verhältnis zu den durch einen Umzug entstehenden Kosten unwirtschaftlich wäre. Dies kann z.B. bei nur vorübergehendem Leistungsbezug der Fall sein – z.B. Rentenantrag wurde gestellt oder Unterhaltsansprüche bestehen in ausreichender Höhe.
IV. Geförderter sozialer Wohnungsbau
Bei Wohnungen mit Belegungs- und Mietpreisbindung wird, auch soweit die Kaltmiete über der Mietobergrenze liegt, weiterhin die tatsächliche Miete anerkannt.
V. Umzüge
Die Anzahl der Umzüge liegt beim Jobcenter in den vergangenen Jahren bei mindestens circa 600 pro Jahr. In 2016 bewilligte das Jobcenter in ca. 630 Fällen (2015: 563) die Kosten für einen Umzug. Hinzu kommen Umzüge, die ohne Bewilligung von Umzugskosten durchgeführt wurden, deren Anzahl jedoch statistisch nicht erfasst wird. Die Gründe für einen Umzug können sein:
·
Arbeitsaufnahme, i.d.R. außerhalb Stuttgarts
·
Bedarfsgemeinschaft (BG) vergrößert sich durch die Geburt eines Kindes
·
BG verkleinert sich, da ein Partner oder ein volljähriges Kind auszieht
·
Krankheit z.B. Asthma, Gehbehinderung - Umzug in eine EG-Wohnung -
·
ungünstige Wohnverhältnisse z.B. Schimmelbildung, Lärm, bauliche Mängel, sanitäre Anlagen
·
Auszug aus dem Elternhaus von U25-Jährigen, wenn das Jugendamt einen schwerwiegenden sozialen Grund bestätigt
·
rechtskräftiges Räumungsurteil
·
Mietobergrenze wird überschritten und Kostensenkung ist zumutbar.
In schätzungsweise nur einem Viertel der Fälle ist der Grund für einen Umzug eine unangemessen hohe Miete.
VI. Heizkosten
Auch die Heizkosten werden in tatsächlicher Höhe berücksichtigt, soweit diese angemessen sind. Die Prüfung der Angemessenheit der Heizkosten richtet sich - soweit vorhanden - nach einem aktuellen kommunalen Heizspiegel, andernfalls nach dem bundesweit geltenden Heizspiegel. Anhaltspunkt für unangemessen hohe Heizkosten ist die Überschreitung von Grenzwerten, die sich aus dem Heizspiegel ergeben. Der Grenzwert ergibt sich aus der abstrakt angemessenen Wohnfläche z.B. 45 m² für 1-Personen-Haushalt und aus den entsprechenden Werten des Heizspiegels der Spalte „zu hoch“ für den jeweiligen Energieträger – Öl, Erdgas, Fernwärme.
Bei Überschreitung des Grenzwertes ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände zu prüfen, ob eine Senkung der Kosten zumutbar ist. Beachtenswerte Gründe, die gegen die Zumutbarkeit von Kostensenkungsmaßnahmen sprechen, können Gründe sein, die auch einem Umzug entgegenstehen würden, wie z.B. Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit – vgl. III b).
VII. weitere Entwicklung
Das Verfahren zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenzen wird zum einen regelmäßig durch die Rechtsprechung weiterentwickelt. Zum anderen hatte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2015 aufgrund der unterschiedlichen Herangehensweisen der Grundsicherungsträger, die zu deutlich divergierenden Ergebnissen führen, das Institut für Wohnen und Umwelt in Darmstadt (IWU) beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. Der Auftrag war, die Grundlagen für die Bemessung angemessener Kosten der Unterkunft und Heizung im SGB II und SGB XII zu erforschen und geeignete Verfahren für die Umsetzung vorzuschlagen. IWU hat im Januar das Ergebnis in einem Forschungsbericht vorgelegt. Es wird nun eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe gebildet, die die weitere Vorgehensweise abstimmen soll. Insoweit bleibt abzuwarten, inwieweit sich hieraus Präzisierungen für die künftige Ermittlung der Mietobergrenzen ergeben.
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