Protokoll: Sozial- und Gesundheitsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
130
6
VerhandlungDrucksache:
732/2017
GZ:
SI
Sitzungstermin: 25.09.2017
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BM Wölfle
Berichterstattung:Frau Dr. Plößl (Rudolf-Sophien-Stift)
Protokollführung: Herr Krasovskij
Betreff: Teilhabe psychisch Kranker an Arbeit und
Beschäftigung - Sachstand 2016

Beratungsunterlage ist die Mitteilungsvorlage des Referats Soziales und gesellschaft-liche Integration vom 21.08.2017, GRDrs 732/2017. Sie ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


Einleitend stellt BM Wölfle fest, es gäbe hier im Vergleich zu anderen Bereichen von städtischer Seite erfreulicherweise viele Möglichkeiten, die Teilhabe psychisch Kranker an Arbeit und Beschäftigung zu fördern. Dies zeige auch der Sachstandsbericht 2016.

Die Vorlage mache deutlich, wie wichtig es auch für psychisch kranke Menschen sei, einer geregelten Tätigkeit nachzugehen und dass die Stadt hier ein breites und differenziertes Spektrum an Arbeitsmöglichkeiten für die Betroffenen anbiete, meint StRin Bulle-Schmid (CDU). Sie fragt, wie es gelinge, die Menschen in eine solche Arbeit zu vermitteln, die sie befriedigt und ausfüllt. Die Stadträtin erzählt von einer jungen Frau, die an Schizophrenie erkrankt ist und ihr geklagt habe, mit ihrer jetzigen einfachen Tätigkeit unterfordert zu sein.

Von StRin Rühle (90/GRÜNE) wird die positive Bilanz bei der Teilhabe psychisch Kranker an Arbeit und Beschäftigung lobend hervorgehoben. Es sei wünschenswert, dass dies auch in anderen Bereichen gelinge. Die Stadträtin spricht den geringen Anteil derer an, die an AGH-Maßnahmen teilnehmen, und möchte den Grund hierfür wissen. Zudem würden im Rahmen der individuellen betrieblichen Qualifizierung nur fünf bis acht Plätze angeboten. Dies sei ihrer Meinung nach für eine Stadt wie Stuttgart und vor dem Hintergrund, dass dieses Beratungsangebot stark nachgefragt werde, sehr wenig. Dieser Ansicht schließt sich StRin Gröger (SPD) an. Von den beiden Stadträtinnen wird gefragt, ob es Überlegungen gibt, dieses Angebot auszuweiten.

StRin Gröger meint ferner, in den letzten Jahren habe es vor allem auch im Bereich der Arbeitsplätze außerhalb der Behindertenwerkstätten eine positive Entwicklung bei der Integration psychisch Kranker in Arbeit gegäben. Als erfreuliches Beispiel nennt sie das Rudolf-Sophien-Stift, wo Betroffene versorgt und beschäftigt würden. Es sei wichtig, auch künftig die Teilhabe dieser Menschen immer weiter zu verbessern, weitere individuelle Unterstützung anzubieten und neue Tätigkeitsfelder zu erschließen.

Nach der Effizienz der Vermittlung von psychisch Kranken in den ersten Arbeitsmarkt fragt StR Dr. Fiechtner (AfD). Er möchte wissen, ob es Erfahrungen gibt, wie lange die Menschen nach der Arbeitsaufnahme in Beschäftigung sind.

Auf die Frage von StRin Bulle-Schmid antwortet Frau Dr. Plößl, Abteilungsleiterin Berufliche Teilhabe im Rudolf-Sophien-Stift, es gäbe in der Einrichtung ein regelmäßig vorgehaltenes breites berufliches Angebot für psychisch kranke Menschen. Dazu gehörten nicht nur die klassischen Montage- und Verpackungsarbeiten, sondern auch anspruchsvollere Büro- oder EDV-Tätigkeiten sowie Arbeitsangebote in der Druckerei und Gastronomie. Gemeinsam mit den Betroffenen würden die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten in mehrfachen Gesprächen beurteilt, um passende Beschäftigungen anzubieten. Es gäbe Menschen, die wünschen, eine einfachere Tätigkeit auszuüben, die sie ohne Angst und Überforderung verrichten könnten. Patienten, die unzufrieden mit ihrer Arbeit seien oder sich unterfordert fühlten, hätten die Möglichkeit, durch ein Praktikum in anderen Tätigkeitsfeldern Erfahrungen zu sammeln. Frau Dr. Plößl erklärt, dass es natürlich auch Fälle gäbe, in denen die Selbsteinschätzung und die tatsächlichen Fähigkeiten weit auseinanderklaffen würden. In solchen Fällen müsse man zusammen mit den Betroffenen versuchen, eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung zu finden. Die Betroffenen könnten sich außerdem an multiple Ansprechpartner wenden, z. B. den Arbeitsgruppenleiter am Arbeitsplatz, die Sozialdienste, den Werkstattrat, der ähnlich wie ein Betriebsrat wirke, oder die Verantwortlichen im Rudolf-Sophien-Stift. Es gäbe hier ferner regelmäßige Gespräche mit den sogenannten Bildungsbegleitern und ein jährliches Mitarbeiterentwicklungsgespräch, um die Zufriedenheit am Arbeitsplatz oder Änderungswünsche festzustellen.

Die Verantwortlichen Jobcoaches im Rudolf-Sophien-Stift bemühten sich aber auch, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nach Beschäftigungsmöglichkeiten für die Betroffenen zu suchen und gezielt Firmen und Betriebe anzusprechen, um so die psychisch Erkrankten in einzelne Außenarbeitsplätze zu vermitteln. So wolle man vor allem für Menschen, die nicht in die klassischen Werkstätten für Behinderte oder in Unterstützte Beschäftigung aufgenommen würden, neue Arbeitsmöglichkeiten erschließen. Hilfreich seien hierbei auch die Projekte "reINTEGRA" und "RuBIN", so Frau Dr. Plößl. In vielen Stuttgarter Firmen und auch bei der Stadtverwaltung würden derweil in kleineren inklusiven Arbeitsgruppen bereits psychisch Erkrankte arbeiten oder ein Praktikum machen. Beispielhaft nennt sie das inklusive Café Rudolfs im Rotebühlzentrum, wo Betroffene und Menschen ohne Handicaps miteinander arbeiten würden. Frau Dr. Plößl dankt der Stadt für diese Möglichkeit. Dies trage enorm zur Integration psychisch Erkrankter und deren Entstigmatisierung bei. Man wolle versuchen, künftig noch weitere Außenarbeitsplätze für die Betroffenen zu erschließen. Gerade sei man diesbezüglich auch in Gesprächen mit dem Stuttgarter Stadtmuseum im Wilhelmspalais zwecks Übernahme der Museumsaufsicht durch ausgelagerte Arbeitsgruppen.

Von StRin Gröger wird angeregt, auch die Landesmuseen in der Stadt oder die Wilhelma zwecks Beschäftigung psychisch Erkrankter anzufragen. Diese Einrichtungen würden viele unterschiedliche Arbeitsplätze anbieten, so die Stadträtin. Dazu antwortet Frau Dr. Plößl, man befinde sich immer wieder diesbezüglich in vorbereitenden Gesprächen mit den Einrichtungen. Auf andere Museen oder die Wilhelma sei man bisher aber nicht zugegangen, denn nicht jede Arbeit sei für psychisch erkrankte Menschen geeignet, und man müsse da erst Erfahrungen sammeln, bevor inklusive Arbeitsgruppen ausgelagert werden könnten. Aber auch in der Wilhelma gäbe es heute schon ausgelagerte Einzelarbeitsplätze, und die dort beschäftigten Betroffenen würden unterstützt und begleitet.

Zum Thema individuelle betriebliche Qualifizierung (auch Unterstützte Beschäftigung genannt) erklärt Frau Dr. Plößl, es wäre wünschenswert, dieses Beratungsangebot weiter auszubauen. Das Angebot werden vonseiten der Agentur für Arbeit ausgeschrieben und durch das Sozialunternehmen Neue Arbeit gGmbH und das Rudolf-Sophien-Stift umgesetzt. Dabei würden die wenigen Plätze nicht ausschließlich für Menschen mit psychischer Erkrankung zur Verfügung stehen, sondern auch für Menschen mit anderen Behinderungsbildern. In anderen Landkreisen und Kommunen seien dabei deutlich mehr Plätze ausgeschrieben. In Köln z. B. gäbe es allein für psychisch Erkrankte 20 Plätze. Dies könne man aber nicht beeinflussen, da es ein Angebot der Agentur für Arbeit sei.

Gegenüber StR Dr. Fiechtner erklärt Frau Dr. Plößl, im Jahr 2016 konnten zwei Personen aus den Werkstätten für Behinderte in den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln. Diese Zahl sei leider sehr gering, und man hoffe auf eine Erhöhung im Jahr 2017, dennoch liege man in Stuttgart über dem bundesdeutschen Durchschnitt. Es liege nicht daran, dass die Arbeitgeber in Stuttgart nicht bereit wären, Menschen mit psychischer Erkrankung einzustellen, häufig würden die Betroffenen kurz vor der Arbeitsaufnahme sich dagegen entscheiden oder erneut erkranken, und könnten somit die angebotene Stelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht antreten. Die Erfahrung zeige aber, dass ein Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt schneller und einfacher gelinge, wenn man zuvor auf einem Außenarbeitsplatz und nicht in den Werkstätten für Behinderte beschäftigt gewesen ist. Man versuche, die Betroffenen zu diesem Übergang zu ermuntern und sie dabei zu unterstützen. Zweimal im Jahr werde z. B. zusammen mit dem Integrationsfachdienst besprochen, welche an Außenarbeitsplätzen beschäftigte Betroffenen in versicherungspflichtige Arbeit vermittelt werden könnten, um gezielt auch Arbeitgeber anzusprechen. Durch das Budget für Arbeit im neuen Bundesteilhabegesetz verspreche man sich eine weitere Verbesserung der Vermittlungsquote psychisch Erkrankter in den allgemeinen Arbeitsmarkt, so Frau Dr. Plößl.

Als Vertreter der Träger für den Bereich Sozialpsychiatrie erklärt Herr Dr. Obert, es sei natürlich wichtig, alles zu unternehmen, um psychisch Erkrankte wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Allerdings dürfe man nicht außer Acht lassen, dass von den rund 2.000 Menschen, die kontinuierlich in den Gemeindepsychiatrischen Zentren betreut würden, nur rund 8 % im ersten Arbeitsmarkt beschäftigt seien. Häufig werde der Übergang auch durch Langzeitarbeitslosigkeit zusätzlich erschwert. Vor diesem Hintergrund seien die Zuverdienstprojekte in den Tagesstätten sehr wichtig für diese Menschen. Vor allem für chronisch psychisch Erkrankte würden hier tagesgestaltende und strukturierende Aktivitäten in Form von stundenweiser Arbeit unterhalb von drei Stunden pro Woche angeboten. Diese Zuverdienstprojekte seien für die Menschen im Hinblick auf Zuverdienst, Teilhabe und sinnstiftende Tätigkeiten ungemein wichtig, meint Herr Dr. Obert.

Herr Ogger, sachkundiger Einwohner für den Bereich Psychiatrie, ergänzt, dass für psychisch erkrankte Menschen nicht nur die Inhalte der Arbeit wichtig seien, sondern vor allem auch das Arbeitsumfeld und die Beziehung zu den Vorgesetzten und Kollegen. Dies mache häufig die besondere Schwierigkeit bei der Auswahl des Arbeitsplatzes für diesen Personenkreis und deren Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt aus.

BM Wölfle macht abschließend deutlich, dass die Sozialverwaltung der Stadt Stuttgart gewillt ist, alles zu unternehmen, um die Teilhabe psychisch kranker Menschen an Arbeit und Beschäftigung auch in Zukunft zu verbessern. Im Haushaltsplanentwurf finde das Thema auch seinen Niederschlag - u. a. durch zusätzliche Stellen. Man dürfe das Thema aber nicht ausschließlich unter dem Aspekt Effizienz der Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt betrachten, sondern müsse die Verbesserung der Teilhabe in den Vordergrund stellen.

Der Vorsitzende schließt diesen Tagesordnungspunkt danach ab. Somit hat der Sozial- und Gesundheitsausschuss von der GRDrs 732/2017 Kenntnis genommen.
zum Seitenanfang