Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales und gesellschaftliche Integration
Gz: SI
GRDrs 274/2022
Stuttgart,
05/04/2022


OMID - Frühe Hilfen für traumatisierte Flüchtlinge - Zwischenbericht



Mitteilungsvorlage


Vorlage anzurSitzungsartSitzungstermin
Sozial- und GesundheitsausschussKenntnisnahmeöffentlich16.05.2022

Bericht:


Als begleitende Unterstützungsmaßnahme innerhalb des Integrationsmanagements fördert die Landeshauptstadt Stuttgart seit 01.01.2018 das Angebot OMID des Caritasverbands für Stuttgart e. V. mit einem Zuschuss in Höhe von 290.000 EUR pro Jahr (vgl. GRDrs 532/2017 „Pakt für Integration - Umsetzung bei der Landeshauptstadt Stuttgart und ergänzende Maßnahmen in den Jahren 2018/2019“, GRDrs 198/2021“ Integrationsmanagement und begleitende Unterstützungsmaßnahmen in den Jahren 2022 und 2023“). Der Gemeinderat hat die Fortführung des Angebots OMID auch jeweils für die Jahre 2022 und 2023 beschlossen. Im selben Zeitraum wird das Angebot in gleicher Höhe von der Diözese Rottenburg-Stuttgart kofinanziert.

Im vorliegenden Bericht wird die Arbeit von OMID dargestellt. Es wird ein Überblick über aktuelle Nutzungsdaten sowie ein Ausblick auf Ansätze zur Weiterentwicklung gegeben. Eckdaten aus den Jahren 2018 bis 2021 sind in Anlage 1 im Detail aufgeführt. Anlage 2 enthält die aktuelle Konzeption von OMID, in Anlage 3 wird der Jahresprojektbericht 2021 des Caritasverbands für Stuttgart e. V. und in Anlage 4 der 1. Quartalsbericht 2022 vorgelegt.

Ziele und Maßnahmen

2014 wurde OMID durch den Caritasverband für Stuttgart e. V. gestartet (größtenteils finanziert aus dem diözesan Zweckerfüllungsfonds Flüchtlingshilfe) mit dem Ziel, niedrigschwellige Stabilisierungsmöglichkeit für traumatisierte Geflüchtete anzubieten.

Mit der zusätzlichen Förderung durch die Landeshauptstadt Stuttgart seit 2018 konnte das Beratungsangebot verdoppelt und für alle Geflüchtete in den Stuttgarter Gemeinschaftsunterkünften geöffnet werden. Das OMID-Personal ist im Bereich Trauma geschult und verfolgt in der Arbeit unter anderem folgende Ziele:
· Frühzeitige Unterstützungsangebote für Geflüchtete vor Ort in den Stuttgarter Gemeinschaftsunterkünften
· Stabilisierung und Entlastung von traumatisierten Geflüchteten
· Vermeidung von Chronifizierung
· Stärkung des Selbstbewusstseins von Betroffenen
· Zugang zum Gesundheitssystem
· Unterstützung der Flüchtlingssozialarbeiter*innen
· Kooperation und Netzwerkbildung mit Institutionen und Fachkräften (sozialarbeiterische, psychologische und medizinische Versorgung, Gemeindepsychiatrische Zentren), um eine schnellere Versorgung von Geflüchteten zu gewährleisten.

Das qualifizierte Fachpersonal von OMID bietet niedrigschwellige psychosoziale Angebote mit Stabilisierungstechniken an. Diese finden überwiegend in Form von Einzelgesprächen statt. Ergänzt werden diese durch Gruppenangebote. Hier wird zwischen offenen und geschlossenen Gruppen unterschieden. An einer offenen Gruppe zu einem bestimmten Thema können alle Interessierten einer Zielgruppe ohne Anmeldung teilnehmen. Bei den geschlossenen Gruppen gibt es eine feste Gruppe mit definierten Teilnehmenden (nähere Informationen zur Struktur und der Arbeitsweise von OMID finden sich in Anlage 2 „Konzeption“).

Personalressourcen

Im Jahr 2021 waren im Beratungsdienst OMID 7,2 VZÄ (Vollzeitäquivalent) mit 3 Psychologinnen, 4 Sozialarbeiter*innen und einer Ergotherapeutin beschäftigt. Dieses Personal hat eine 2-jährige Zusatzausbildung zur Trauma-Fachberatung abgeschlossen. Zusätzlich ist eine Leitung sowie eine Verwaltungsfachkraft mit je 40 % Tätigkeitsumfang beschäftigt. Bei Bedarf werden qualifizierte Dolmetscher*innen zu Gesprächen hinzugezogen. Diese stammen aus einem Pool des Caritasverbands für Stuttgart e. V. und werden vor Einstieg in die Tätigkeit speziell für den Einsatz in diesem sensiblen Bereich geschult.

Auswertung der Daten und Schlussfolgerungen

Im Berichtszeitraum 01.01.2021 bis 31.12.2021 fanden 1.541 Einzelgespräche mit 192 Personen statt. Von 01.01.2022 bis 30.04.2022 wurden weitere 218 Einzelgespräche mit 63 Personen geführt.

Die Einzelgespräche stellen eine zentrale Säule der Unterstützung für die Hilfesuchenden dar. Der Bedarf an psychologischer Unterstützung bei Geflüchteten in den Gemeinschaftsunterkünften ist hoch, das Angebot wird rege genutzt (die Anlage 1 „Eckpunkte 2018 - 2021“ stellt im Überblick dar, wie hoch die Nachfrage an Einzelgesprächen sowie Gruppenangeboten in den vergangenen vier Jahren war).

Im Vergleich zu den Vorjahren zeichnet sich ein signifikanter Anstieg der Einzelgespräche ab. Während die Gruppenangebote aufgrund der Pandemie neu organisiert wurden, konnten die Einzelgespräche weitergeführt werden (eine ausführliche Beschreibung der im Jahr 2021 durchgeführten Angebote kann der Anlage 3 „Jahresbericht 2021“ entnommen werden).

Betrachtet man das Alter der Ratsuchenden in den Einzelgesprächen, wird deutlich, dass fast 25 % aller Ratsuchenden 20 Jahre und jünger waren. Die pandemiebedingt geschlossenen Kindergärten und Schulen lösten bei Kindern und Jugendlichen Ängste und Destabilisierung aus, wodurch sich dieser hohe Anteil erklären lässt (siehe Anlage 1 „Eckpunkte 2018 - 2021“, Tabelle 1 „Alter in Gruppen“).

In Bezug auf das Geschlecht der Teilnehmenden fällt auf, dass 60 % der Personen, die die Einzelgespräche wahrnahmen, männlich sind (siehe Anlage 1 „Eckpunkte 2018 -2021“, Tabelle 2 „Anteil Frauen und Männer“).

Insgesamt wurden im Jahr 2021 192 Personen beraten. In Bezug auf die Dauer der Unterstützung in Form von Einzelgesprächen lassen sich folgende Ergebnisse dokumentieren: 23 % der Gespräche dauerten weniger als 60 Minuten, 55 % der Gespräche dauerten 60 Minuten und 22 % bis zu 120 Minuten (siehe Anlage 1 „Eckpunkte 2018 - 2021“, Tabelle 3 „Dauer der Einzelgespräche“). Es lässt sich festhalten, dass es in den meisten Fällen sehr unterstützend ist, in einer akuten Notlage kurze stabilisierende Gespräche führen zu können. Zu welchem Zeitpunkt eine Beratung als abgeschlossen gilt, ist sehr unterschiedlich. In manchen Fällen reichen die niedrigschwelligen Angebote aus, die Menschen zu stabilisieren. In anderen Fällen dienen die Angebote als Überbrückung der Wartezeit, bis ein Therapieplatz zur Verfügung steht.

Im Jahr 2021 wurden insgesamt 80 Gruppenangebote (59 geschlossene und 21 offene) durchgeführt. In geschlossenen Gruppen werden mit festem Teilnehmerkreis prozesshaft bestimmte Themen bearbeitet. Insgesamt haben 163 Teilnehmende das Angebot der geschlossenen Gruppe im Jahr 2021 in Anspruch genommen. Die meisten Teilnehmenden waren Kinder und Jugendliche bis 15 Jahre (insgesamt 52 Personen) (siehe Anlage 1 „Eckpunkte 2018 - 2021“, Tabelle 4 „Teilnehmende geschlossene Gruppen“). Vor allem wurde bei den Kindern, bedingt durch die Pandemie, festgestellt, dass sie Entwicklungsdefizite, Ängste und Schwierigkeiten im Sozialverhalten aufweisen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die regelmäßigen Angebote mit den gleichen Teilnehmenden vor allem zu Zeiten der Pandemie für Kinder und ihre Familien eine wichtige stabilisierende Unterstützung und Sicherheit darstellten. Die offenen Gruppen hatten ihren Fokus auf die Unterstützung der Frauen, Kinder und Jugendlichen. Es handelte sich hierbei um Veranstaltungsformate, die den Ratsuchenden eine Struktur und Abwechslung ermöglichten. Diese Angebote wurden von insgesamt 155 Personen besucht. Die Altersspanne der Teilnehmenden bewegt sich zwischen 6 und 46 Jahren (116 männliche sowie 39 weibliche Teilnehmende) (siehe Anlage 1 „Eckpunkte 2018 - 2021“, Tabelle 5 „Zusammenfassung offene Gruppen“). Es fällt auf, dass in 2021 bedingt durch die Pandemie-Lage wenige offene Gruppen angeboten wurden (2021: 21 Veranstaltungen, 2020: 72 Veranstaltungen). Besonders zu erwähnen ist das Angebot „Powerzeit“, welches seit September 2021 in Kooperation mit der Mobilen Jugendarbeit Europaviertel (Stadtteilteam Mobile Jugendarbeit, Stadtbibliothek Stuttgart) junge Geflüchtete im Alter von 13 bis 24 Jahren unterstützt. Durch emotionale Stabilisierung konnte den Teilnehmenden sehr erfolgreich Sicherheit in der Kommunikation und dem Verhalten vermittelt werden.

Weiterentwicklung ab 2022

Seit 2018 unterstützt und stabilisiert OMID sehr erfolgreich Menschen mit Traumata. Durch die niedrigschwellige Begleitung der Menschen kann vor allem in einer frühen Phase gezielt interveniert und eine deutliche Verbesserung der Lebenslage der Ratsuchenden festgestellt werden. Das OMID-Team erreicht zahlreiche Menschen mit Fluchthintergrund: Menschen in den Stuttgarter Gemeinschaftsunterkünften sowie Menschen, die in privaten Wohnraum umgezogen sind.

Der Krieg in der Ukraine macht sich auch bei OMID bemerkbar. Die OMID-Mitarbeitenden erhalten vermehrt Anfragen, da Geflüchtete durch diesen Krieg (erneut) eine Destabilisierung ihrer Situation erleben und sich mit den eigenen Erlebnissen in ihren Herkunftsländern konfrontiert sehen (Anlage 4 „1. Quartalbericht 2022“ vermittelt einen guten Einblick über die Entwicklungen und die Arbeit der OMID-Mitarbeitenden bis März 2022). Zudem hat das OMID-Team die Angebote für neu in Stuttgart ankommende ukrainische Menschen erweitert: Es wird seit April 2022 ein Gruppenangebot für ukrainische Frauen durchgeführt mit dem Ziel der Krisenintervention.

Neben der Erweiterung der Adressat*innen sind folgende Inhalte für die Weiterentwicklung relevant: Die zentrale Säule des OMID-Beratungsdienstes stellen nach wie vor die Einzelgespräche dar. Auch zukünftig besteht in der Arbeit mit traumatisierten und psychisch belasteten Personen ein hoher Bedarf an Einzelgesprächen.

Seit Anfang des Jahres wird mit dem Unterprojekt „Amal“ (= Hoffnung in arabischer Sprache) in enger Zusammenarbeit mit zwei Mitarbeitenden der Sozialpsychiatrie des Caritasverbands für Stuttgart e. V. Unterstützung für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen angeboten. In diesem Kontext wurden bisher fünf Personen aus dem OMID-Angebot an Amal verwiesen, damit diese eine intensivere Betreuung erhalten.

Zudem werden für alle Kinder und Jugendlichen mit Fluchthintergrund neue Gruppenangebote entwickelt, da es nach wie vor wichtig ist, diese Zielgruppe frühzeitig in ihrem Leben zu unterstützen und sie für die Zukunft zu stärken.

Durch die gezielte Unterstützung durch OMID können die betroffenen Menschen ihre individuellen sozialen und psychischen Ressourcen aktivieren und mehr Verantwortung für ihr Leben übernehmen. Diese Faktoren sind von großer Bedeutung für die Integration dieser Menschen in der Landeshauptstadt Stuttgart.


Beteiligte Stellen

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Vorliegende Anträge/Anfragen

Antrag 115/2022 "OMID" - Ein Projekt für traumatisierte Flüchtlinge: Wie sieht die aktuelle Konzeption und Weiterentwicklung aus?
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Dr. Alexandra Sußmann Bürgermeisterin




1. Eckpunkte 2018 - 2021
2. Konzeption
3. Jahresbericht 2021
4. 1. Quartalbericht 2022


<Anlagen>


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GRDrs 274_2022 Anlage 4 1. Quartalsbericht 2022.pdf
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GRDrs 274_2022 Anlage 3 Jahresbericht.pdf
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GRDrs 274_2022 Anlage 2 Konzeption.pdf
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GRDrs 274_2022 Anlage 1 Eckpunkte.pdf