Protokoll: Sozial- und Gesundheitsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
177
1
VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 25.09.2023
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BMin Dr. Sußmann
Berichterstattung:ein Vertreter des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung e. V. (DIP)
Protokollführung: Herr Krasovskij fr
Betreff: Monitoring Pflegepersonal in Baden-Württemberg
- mündlicher Bericht -

Die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigte Präsentation ist dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt. Aus Datenschutzgründen wird sie nicht im Internet veröffentlicht. Dem Originalprotokoll ist sie in Papierform beigefügt.

Diese Niederschrift enthält Anonymisierungen nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).

Nach kurzer Einleitung durch BMin Dr. Sußmann stellt ein Vertreter des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung e. V. (DIP) den Ratsmitgliedern analog der Präsentation ausführlich die Ergebnisse der Studie "Monitoring Pflegepersonal in Baden-Württemberg" vor. Er berichtet über die Ziele und die Vorgehensweise im Rahmen des Monitorings und gibt u. a. einen Überblick sowie einen Ausblick bezogen auf die pflegerische Versorgungssituation in Stuttgart.

Im Verlauf der folgenden Aussprache macht StRin Rühle (90/GRÜNE) in ihrer Wortmeldung darauf aufmerksam, dass es neben einem Mangel an Pflegeplätzen auch einen spürbaren Fachkräftemangel im Bereich des Pflegepersonals gibt. Aufgrund des demografischen Wandels und Abgängen in den Ruhestand sei damit zu rechnen, dass sich dieser Personalmangel in den nächsten Jahren weiter verschärfen werde. Eine Möglichkeit dieser Entwicklung zu begegnen sei es, die Ausbildungskapazitäten im Bereich der Pflege auszubauen.

In diesem Kontext stellt die Stadträtin die Frage, weshalb Stuttgart bei den Ausbildungskapazitäten gleichauf mit Karlsruhe liege, obwohl Karlsruhe kleiner sei.

Bezogen auf einzelne pflegerische Angebote merkt die Stadträtin an, dass es besonders schwierig sei, einen Platz in der Kurzzeitpflege zu finden. In diesem Bereich sollten die Kapazitäten in Zukunft nach Möglichkeit ausgebaut werden.

Zudem macht die Stadträtin darauf aufmerksam, dass es in Großstädten wie Stuttgart immer mehr Single-Haushalte gebe. Diese Entwicklung müsse man mit Blick auf die Thematik häusliche Pflege und Pflege durch Angehörige/Bekannte berücksichtigen. Viele alleinlebende ältere Menschen hätten möglicherweise keine Verwandten oder Bekannten, die sie bei der notwendigen Pflege unterstützen könnten. Ähnlich äußern sich im weiteren Verlauf auch die StRinnen Höh (FDP) und von Stein (FW).

Nach einer Nachfrage von StRin Rühle führt der Referent aus, dass in der Studie im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel die künftige prognostizierte Entwicklung der Altersgruppe ab 75 Jahren angeschaut worden sei. Sehr häufig werde bereits die Altersgruppe ab 65 Jahren in den Blick genommen. In diesem Alter bestehe allerdings noch eine relativ geringe Pflegefallwahrscheinlichkeit, die erst ab 75 Jahren nennenswert ansteige. Unter Zuhilfenahme der Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes stufe man nach dem Monitoring die Situation in Stuttgart mit Blick auf die demografische Entwicklung der Altersgruppe der über 75-Jährigen im Zusammenhang mit dem Thema pflegerische Versorgungssituation nicht als bedenklich ein. Es gebe ferner eine Entkopplung der Pflegebedürftigkeitsentwicklung von der Altersdemografie.

In ihrer Wortmeldung verweist auch StRin Bulle-Schmid (CDU) auf die großen gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen zur Sicherstellung einer ausreichenden Pflegeversorgung in Stuttgart.

Die Stadträtin erklärt, dass sie die stationäre Pflege weiterhin als einen Stützpfeiler der pflegerischen Versorgung betrachte, weshalb auch in diesem Bereich trotz aller Schwierigkeiten, wie dem Fachkräftemangel, der nicht einfachen Suche nach Standorten für neue Pflegeheime etc., weiterhin über Möglichkeiten für einen Ausbau nachgedacht werden müsse. Für den Bereich der vollstationären Pflege gebe es bereits heute zum Teil sehr lange Wartelisten, und die Heimplätze seien mitunter sehr teuer und könnten nicht von jedem finanziert werden. Hier brauche es dringend Lösungsansätze zur Verbesserung. Zugleich brauche es ein größeres Wohnraumangebot für das Pflegepersonal. Das sollte im Rahmen von Bauvorhaben von Anfang an mitbedacht werden.

StRin Bulle-Schmid führt weiter aus, dass sie es mit einer gewissen Sorge betrachte, dass der Blickpunkt bei der pflegerischen Versorgung immer mehr auf den ambulanten Bereich verlagert werde. Sie macht darauf aufmerksam, dass ambulant betreute ältere Menschen in der Regel nur kurz durch die ambulanten Pflegedienste besucht würden. Den Rest des Tages würden diese Menschen alleine verbringen, wenn sie alleinlebend seien oder der Partner bzw. die Partnerin bereits verstorben sind. Aufgrund dessen bestehe eine große Gefahr der Vereinsamung, dem man rechtzeitig und mit geeigneten Mitteln entgegenwirken sollte. Ähnlich äußert sich auch StRin von Stein.

Im gleichen Zusammenhang begrüßt StRin Bulle-Schmid die im Rahmen des Monitorings vorgebrachte Idee der zugehenden präventiven Hausbesuche vor einer Pflegebedürftigkeit und möchte wissen, ob hierfür genügend Personal (Ehrenamtliche oder auch Hauptamtliche) bereitstehe.

Weiterhin sei es sehr wichtig, dass für ambulante Pflegedienste (insbesondere für Spezialpflegedienste mit einem größeren Einzugsgebiet, wie z. B. der Palliativpflege) aber auch für andere Pflegende in den Wohngebieten sowie vor Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen ausreichend Parkmöglichkeiten in fußläufiger Entfernung zur Verfügung gestellt werden. Dies müsse auch bei Neubaugebieten unbedingt in den Bebauungsplänen berücksichtigt werden. Die Wichtigkeit dieses Themas betont im weiteren Verlauf auch StRin von Stein.

Im Folgenden stimmt StRin Dr. Hackl (SPD) ihrer Vorrednerin hinsichtlich der Bedeutung der vollstationären Pflege (v. a. für hochaltrige pflegebedürftige Menschen) und dem Wunsch nach einem weiteren Ausbau in diesem Bereich zu. Bereits jetzt gebe es in diesem Bereich einen Pflegeplatzmangel und brauche Lösungen, wie man den aktuellen und künftigen Bedarf decken wolle. Zugleich sollte der Ausbau und die weitere Förderung der ambulanten Angebote und der Besuchsdienste nicht vernachlässigt werden.

Mit Blick auf die Pflegeausbildung erklärt die Stadträtin, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssten, um die Kapazitäten auszubauen und neue Auszubildende zu gewinnen. Eine Möglichkeit, um Anreize für die Ausbildung zu schaffen, sei auch hier die Bereitstellung von Wohnraum für die Auszubildenden.

Nach der Nachfrage von StRin Dr. Hackl, durch wen die Studie und die Datenerhebung in Zukunft fortgesetzt würden, äußert der Referent vom DIP die Hoffnung, dass das Land Baden-Württemberg alle zwei bis drei Jahre neue Daten erheben werde. Da aber für die Stadt Stuttgart noch weitere spezifischere Daten von Interesse wären, die nicht in das Monitoring für Gesamt-Baden-Württemberg aufgenommen werden könnten, sehe er hier auch die Verwaltung in der Pflicht.

Zur Frage der StRinnen Dr. Hackl und Meergans (SPD), inwiefern die erhobenen Daten des Monitorings künftig im Rahmen des Verwaltungshandelns Berücksichtigung fänden, verweist BMin Dr. Sußmann darauf, dass die Erkenntnisse der Studie selbstverständlich im Rahmen der übergeordneten städtischen Strategie zur Altenhilfe mitbedacht würden. Die konkreten Themen und Schwerpunktsetzungen wolle man den Ratsmitgliedern in den nächsten Tagesordnungspunkten 2 bis 2d vorstellen (siehe hierzu die heutigen Niederschriftsnummern 178 bis 182).

StRin Halding-Hoppenheit (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) macht in ihrer Wortmeldung darauf aufmerksam, dass der Anteil von pflegebedürftigen älteren Menschen mit einem Migrationshintergrund in Zukunft weiter zunehmen werde. Durch StRin Höh wird der Übergang zwischen dem Krankenhaus und Altenpflegeeinrichtungen bzw. der eigenen Häuslichkeit angesprochen. Viele ältere Menschen, die für einen Eingriff oder aufgrund einer Erkrankung im Krankenhaus stationär aufgenommen und dort auch gepflegt worden sind, müssten auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus entsprechend weiter gepflegt werden. Viele Einrichtungen seien darauf aber nicht wirklich ausgelegt. Und auch die Angehörigen wären oft überfordert und könnten aufgrund eigener Gebrechlichkeit oder mangelndem Wissen die notwendige Pflege nicht durchführen. Hier brauche es ebenfalls Überlegungen, wie man Abhilfe leisten könnte, bspw. durch eine stärkere Vernetzung aller Beteiligten und den weiteren Ausbau der ambulanten Pflegeangebote.

Auch StR Dr. Mayer (AfD) problematisiert in seiner Wortmeldung, dass die Zahl der zu Pflegenden bereits jetzt kontinuierlich steigt und in Zukunft weiter zunehmen werde, während die Zahl der Pflegefachkräfte und der Auszubildenden in der Pflege mit großer Wahrscheinlichkeit zurückgehen werde. Aufgrund des Pflegeplatzmangels würden die Herausforderungen für die Angehörigen und Bekannten von Pflegebedürftigen noch weiter zunehmen und es müsse überlegt werden, was auf kommunaler Ebene unternommen werden könnte, um diese Pflegenden bestmöglich zu unterstützten.

Im weiteren Verlauf der Aussprache nimmt der Referent vom DIP Stellung zu den Wortmeldungen der Ratsmitglieder. Er bezeichnet die stationäre Pflege ebenfalls als eine tragende Säule der pflegerischen Versorgung. Dennoch sei ein weiterer Ausbau in diesem Bereich in der Zukunft fraglich. Die entscheidende Frage sei nicht, ob entsprechende Standorte für neue Pflegeeinrichtungen gefunden werden und die Pflegeheime gebaut werden könnten, sondern, ob es aufgrund des Fachkräftemangels gelingen könne, die neu gebauten Häuser personell soweit auszustatten, um eine angemessene Auslastung zu erreichen. Außerdem werde die Frage der Finanzierbarkeit der stationären Altenpflege für viele Menschen künftig ein großes Thema.

Der Experte spricht sich dafür aus, dass die pflegerische Versorgung in Zukunft als ein vielfältiger wohnortnaher Mix aus professionellen und nicht professionellen Hilfsangeboten aufgestellt sein müsse. Nicht alle Themen in der Pflege könnten professionell gelöst werden. So könnten die ambulanten Pflegedienste nicht das Problem einer möglichen Vereinsamung älterer Menschen lösen. Deshalb sehe er eine gute Quartiersentwicklung und die zugehenden präventiven Hausbesuche von ehrenamtlicher oder aber auch hauptamtlicher Seite als zentrale Handlungsfelder an, so der Referent weiter.

Die Kommune könne an dieser Stelle tätig werden, um künftig durch Erhebungen oder Befragungen mehr über die pflegerischen Bedarfe der Bevölkerung in Erfahrung zu bringen und die Angebote noch zielgenauer darauf auszurichten. Heute gebe es bislang noch sehr wenige systematische Erkenntnisse über die sozialen Lebenswirklichkeiten und die Netzwerke der Altersgruppe über 75 Jahren.

Einen Handlungsbedarf sieht der Experte auch im Bereich der Ambulanten Pflege, die seiner Ansicht nach, strukturell unterfinanziert sei. Hier seien in Zukunft bundespolitisch nachhaltige Lösungen dringend notwendig. Auch ein Ausbau im Bereich der Kurzzeitpflege sei dringend notwendig, bspw. um Übergänge aus dem Krankenhaus besser gestalten zu können.

Zum Thema Ausbildung führt der Referent aus, dass hier die Ausbildungskapazitäten in Zukunft ausgebaut werden könnten und auch sollten, um dem Fachkräftemangel ein Stückweit entgegenzuwirken. Damit dies gelinge, müssten alle Beteiligten, darunter insbesondere die Altenpflegeschulen und die Träger, an einem Strang ziehen. Es brauche eine gemeinsame Trägerinitiative, die übergreifend handle. Die Träger dürften sich gegenseitig nicht mehr als Konkurrenten begreifen und nicht nur für den eigenen Betrieb ausbilden, sondern sollten sich eines gemeinsamen Versorgungsauftrags bewusst werden. Die Kommune sollte diesen Prozess über regionale Pflegekonferenzen, Hilfepläne und Bedarfserhebungen flankieren.


Abschließend werden noch einige wenige Verständnisfragen der Ratsmitglieder durch den Referenten beantwortet.


Danach stellt BMin Dr. Sußmann fest:

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss hat von dem Bericht Kenntnis genommen.

zum Seitenanfang