Protokoll: Sozial- und Gesundheitsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
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VerhandlungDrucksache:
858/2023
GZ:
5020-02
Sitzungstermin: 25.09.2023
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BMin Dr. Sußmann
Berichterstattung:Gesundheitsamt, Vertreter der Stuttgarter Kinder- und Jugendärzte und der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW)
Protokollführung: Herr Krasovskij th
Betreff: Kinder- und jugendärztliche Versorgung in Stuttgart
- Zwischenbericht zur Verbesserung der Situation

Beratungsunterlage ist die gemeinsame Mitteilungsvorlage des Referats Wirtschaft, Finanzen und Beteiligungen und des Referats Soziales und gesellschaftliche Integration vom 07.09.2023, GRDrs 858/2023. Sie ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokoll-exemplar für die Hauptaktei beigefügt.

Diese Niederschrift enthält Anonymisierungen nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).

In einer kurzen Einführung schildert BMin Dr. Sußmann eine schwierige und besorgniserregende Situation bei der medizinischen Versorgung im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin in Stuttgart. Auch die Stadtverwaltung würden regelmäßig Beschwerden und Briefe besorgter Eltern erreichen, die für ihre Kinder keinen Kinderarzt finden könnten. Die Vorsitzende macht unmissverständlich deutlich, dass diese Situation nicht hinnehmbar sei und die Verwaltung alles in ihrer Macht stehende daransetzen wolle, um die medizinische Versorgung zu verbessern.

Aus diesem Grund habe man bereits vor über einem Jahr verwaltungsintern (Gesundheitsamt, WFB-K) und zusammen mit anderen Akteurinnen und Akteuren (Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg [KVBW] und Vertreterinnen und Vertretern der Stuttgarter Ärzteschaft) einen Runden Tisch unter Leitung von BMin Dr. Sußmann und BM Fuhrmann gegründet, um gemeinsam die Versorgungssituation und die bestehenden Probleme in Augenschein zu nehmen und nach möglichen Lösungsansätzen zu suchen. Zwischenzeitlich konnten die Problem- und Handlungsfelder umfassend dargestellt werden. Im Rahmen der heutigen Sitzung erbitte die Verwaltung eine Rückmeldung vonseiten des Sozial- und Gesundheitsausschusses, zu welchen Themenfeldern die Gesundheitsplanung zu den kommenden Haushaltsplanberatungen mit entsprechenden Konzepten auf den Gemeinderat zukommen solle.

BMin Dr. Sußmann dankt allen Beteiligten für die gute Zusammenarbeit und betont noch einmal die Gesamtverantwortung aller Akteurinnen und Akteure zur Verbesserung der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Stuttgart beizutragen. Denn die Verwaltung sei sich dessen bewusst, dass die Stadt Stuttgart das Problem aufgrund der eingeschränkten kommunalen Möglichkeiten nicht alleine lösen könne. Vielmehr liege der Sicherstellungsauftrag bei der Kassenärztlichen Vereinigung.

Im Folgenden betont auch Herr Prof. Dr. Ehehalt (GesundhA) aus Sicht des städtischen Gesundheitsamtes einen dringenden Handlungsbedarf. Seiner Ansicht nach gerate die Stadt Stuttgart, die noch in der Vergangenheit als Großstadt Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachrichtungen angezogen habe, gegenüber dem ländlichen Raum immer mehr in Nachteil. Die wesentlichen Gründe hierfür seien u. a. die schwierige Immobilienlage in Stuttgart und die Tatsache, dass viele Praxen mit Raumknappheit zu kämpfen hätten sowie die hohen Mieten für die Räumlichkeiten. Bei gleichem Verdienst erscheine vielen Medizinern mit einem Praxiswunsch eine Niederlassung in ländlichen Regionen mitunter als lukrativer, was dazu führe, dass sich die medizinische Überversorgung aus der Vergangenheit in Stuttgart immer mehr und in vielen Bereichen mittlerweile in einen Ärztemangel umwandle. Dem müsse schnell, entschieden und mit geeigneten Maßnahmen begegnet werden, so der Amtsleiter.

Anschließend machen auch eine Vertreterin und ein Vertreter der Stuttgarter Kinder- und Jugendmediziner auf die aktuelle Versorgungsproblematik aufmerksam. Sie berichten von einer massiven Unterversorgung bei den Kinderärzten. Täglich würden sie in ihren Praxen 5 bis 15 Anfragen verzweifelter Eltern erreichen, die auf der Suche nach einem dauerhaften Kinderarzt seien. Manche Familien könnten zwar aufgenommen werden, doch müsse man den meisten leider absagen, um die eigenen Praxen und Teams vor Überlastung zu schützen. Dies sei laut den Medizinern eine für beide Seiten sehr belastende Situation.

Hinzu komme, dass viele Kinderärzte mit eigener Praxis, die den Ruhestand antreten möchten, große Probleme hätten einen Nachfolger zu finden und dies in manchen Fällen trotz jahrelanger Suche nicht gelinge. Dies liege zum Teil daran, dass vor allem Ärztinnen aber auch Ärzte mit eigenen Kindern heute aus Gründen der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf vermehrt in Teilzeit arbeiten wollen und das hohe Arbeitspensum ihrer häufig männlichen Vorgänger mit 60 bis 80 Wochenstunden nicht weiterführen könnten. Ferner hätten viele Praxen mit Personalengpässen und räumlichen Engpässen zu kämpfen, was ebenfalls einen Ausbau der Praxen und die Anstellung weiterer Ärztinnen und Ärzte erschwere.

Zudem habe die Belastung für den einzelnen Mediziner in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. So gebe es heute beispielsweise im Vergleich zum Jahr 1990 knapp doppelt so viele vorgeschriebene Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen für Kinder und Jugendliche. Neben immer komplexer werdenden gesetzlichen Vorgaben und Anforderungen an die Ärztinnen und Ärzte nehme auch die Komplexität der Krankheitsbilder zu. Während früher die klassischen Kinderkrankheiten, die meistens kurz aber heftig verlaufen seien, dominierten, beschäftigten die Kinder- und Jugendärzte heutzutage verstärkt chronische Krankheitsbilder wie Essstörungen, chronische Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen, zunehmende Allergien bei Kindern, Ängste aller Art usw. Die Behandlung dieser Beschwerden erfordere deutlich mehr zeitlichen Aufwand und ärztliche Beratung und könne nicht einfach mit Medikamenten geregelt werden.

Abschließend plädieren die beiden Mediziner eindringlich für Verbesserungen der aktuellen Versorgungssituation. Sie bedanken sich bei allen Beteiligten für die gute Zusammenarbeit im Rahmen des Runden Tisches und danken auch dem Gemeinderat für die Unterstützung bei dem Thema.

Im Verlauf der Aussprache begrüßen die Ratsmitglieder fraktionsübergreifend die Bemühungen aller Beteiligten zur Verbesserung der gegenwärtigen Situation und äußern sich positiv zur Vorlage. Es wird deutlich zum Ausdruck gebracht, dass diese gemeinsamen Anstrengungen dringend nötig seien, um den gegenwärtigen Herausforderungen zu begegnen.

In seiner Wortmeldung regt StR Dr. Rastetter (90/GRÜNE) an darüber nachzudenken, ob es möglich wäre, größere Impfkampagnen an Schulen sowie die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und Jugendliche bei den Hausärzten durchzuführen, um so die Kinderärzte ein Stück weit zu entlasten. Außerdem könnte nach Ansicht des Stadtrats auch der Einsatz telemedizinischer Beratungsangebote bei speziellen Fragen für eine Entlastung sorgen.

Möglicherweise könnten ältere Kinder und Jugendliche ferner verstärkt bei Allgemeinmedizinern betreut werden, damit sich Kinderärzte auf Kleinkinder und Neugeborene konzentrieren könnten.

Bezugnehmend auf die Bedarfsberechnung der KVBW äußert der Stadtrat die Auffassung, dass die zugrunde gelegte Stellenanzahl aufgrund der immer komplexer werdenden medizinischen und gesetzlichen Vorgaben dringend angepasst werden sollte.

Zudem sollte laut StR Dr. Rastetter darüber nachgedacht werden, ob seitens der Stadt zur Verbesserung der Situation nicht ein medizinisches Versorgungszentrum für Kinder- und Jugendmedizin mit angestellten Kinder- und Jugendärzten gegründet werden müsste. Darauf eingehend erklärt Herr Prof. Dr. Ehehalt, dass man diese Möglichkeit bereits gemeinsam mit dem Referat Wirtschaft, Finanzen und Beteiligungen in Erwägung gezogen habe, es aber aus unterschiedlichen Gründen als letztes Mittel betrachte und zuvor andere Maßnahmen für zielführender erachte, die man in den verschiedenen Handlungsfeldern aufgezeigt habe.

Zu weiteren Fragen von StR Dr. Rastetter zum Thema Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und Jugendliche führt der Gesundheitsamtsleiter aus, dass diese Untersuchungen zwar verpflichtend seien, die Inanspruchnahme aber nicht kontrolliert werde. Lediglich die Einschulungsuntersuchung werde flächendeckend durchgeführt. Nach Erhebungen des Gesundheitsamtes hätten vor der Corona-Pandemie rund drei Viertel aller Kinder und Jugendlichen alle vorgeschriebenen Vorsorgeuntersuchungen absolviert. Derzeit werde ausgewertet, ob und wie sich diese Zahlen aufgrund von Corona verändert hätten.

Im Zusammenhang mit dem Thema Vorsorgeuntersuchungen widerspricht StRin Durst (CDU) dem Vorschlag von StR Dr. Rastetter, diese künftig verstärkt bei Allgemeinmedizinern durchzuführen und verweist ihrerseits auf den ebenfalls vorhandenen Versorgungsmangel bei den Hausärzten.

Bezugnehmend auf die Vorlage bringt die Stadträtin die Auffassung zum Ausdruck, dass noch zu wenige Lösungsansätze zur Verbesserung der Versorgungssituation vorgeschlagen worden sind. Nach Ansicht der Stadträtin könnte die Stadt Stuttgart durchaus mehr Unterstützung leisten, um für Kinder- und Jugendärzte Anreize zu schaffen, sich in Stuttgart mit neuen Praxen niederzulassen. Dies könnte geschehen indem beispielsweise. in Stadtbezirken mit einem akuten Kinderarztmangel für eine bestimmte Zeit mietfrei oder zu einer geringen Miete Räumlichkeiten für neue Praxen zur Verfügung gestellt werden, um die kostspielige Praxisgründung so zu unterstützen. Für eine Mietunterstützung spricht sich auch StR Dr. Rastetter aus.

StRin Durst geht anschließend auf die Bedarfsberechnung der KVBW ein und äußert Unverständnis darüber, dass es auf dem Papier in Stuttgart anscheinend keine Versorgungsengpässe bei Kinder- und Jugendärzten gibt. Ähnlich äußert sich auch StRin Höh (FDP). Exemplarisch verweist StRin Durst auf Stuttgart-Zuffenhausen, wo es laut der Stadträtin eine hohe Unterversorgung gebe. Sie erklärt, dass Ärzte, die nur anteilig Kinder- und Jugendmedizin machen, nicht auf dem Papier als volle Arztstelle gezählt werden dürften.

In ihrer Wortmeldung nimmt StRin Dr. Hackl (SPD) Bezug auf die anstehenden Haushaltsplanberatungen und plädiert dafür, dass bereits im Rahmen des kommenden Doppelhaushaltes konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Stuttgart beschlossen werden sollten. Die Stadträtin erklärt, dass sie rechtzeitig vor den Etatberatungen entsprechende konkrete Vorschläge samt einer Schätzung der hierfür notwendigen Kosten von der Verwaltung erwarte. BMin Dr. Sußmann und Herr Prof. Dr. Ehehalt sagen nach zustimmendem Votum aus dem Gremium daraufhin zu, den Ratsmitgliedern so schnell wie möglich konkrete Vorlagen zu haushaltsrelevanten Vorschläge und Maßnahmen zu unterbreiten.

StRin Dr. Hackl spricht im weiteren Verlauf an, dass sich der Beratungsbedarf von Eltern in der letzten Zeit erhöht habe und es in Sachen Gesundheitsbildung und
-erziehung mitunter große Nachholbedarfe gebe. Die Stadträtin begrüßt daher die Ausweitung des Fortbildungsprogramms des Gesundheitsamtes für Familien und Eltern. Im gleichen Kontext spricht sie das Thema "Stuttgarter Rahmenkonzept Familienbildung" (GRDrs 702/2023) an und bittet das Gesundheitsamt Kontakt mit dem Jugendamt aufzunehmen, um gemeinsame Schnittstellen und Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. Herr
Prof. Dr. Ehehalt bestätigt, dass es in diesem Bereich bereits gemeinsame Gespräche gebe.

Ferner verweist StRin Dr. Hackl darauf, dass es mit der Webseite der "Frühen Hilfen" sowie mit der Website „Schul-Booster“ (initiiert und betrieben von der Stuttgarter Kinderstiftung) (siehe hierzu Anlage 1 zur Vorlage S. 12) bereits erfolgreiche Informationsmöglichkeiten mit Hinweisen und Angeboten zum gesunden Aufwachsen für alle Kinder, Jugendliche und Familien gebe. Die Stadträtin bittet die Verwaltung darum, die Kinderstiftung bei der gewünschten Ausweitung der Webseite auch auf die Kindertagesstätten zu unterstützen, die aktuell aufgrund begrenzter personeller Ressourcen durch die Stuttgarter Kinderstiftung nicht leistbar sei. Herr Prof. Dr. Ehehalt erklärt, dass man sich auch bezüglich dieses Themas in Abstimmung mit dem Jugendamt befinde.

Im weiteren Verlauf der Aussprache erteilt BMin Dr. Sußmann das Wort an einen Vertreter der KVBW. Dieser betont, dass sich auch die KVBW der aktuellen Versorgungsproblematik im Bereich der Kinder- und Jugendärzte sowie den dringenden Handlungsbedarfen bewusst sei. Die Herausforderung liege vor allem beim Thema Bedarfsplanung, denn auf dem Papier gebe es in Stuttgart bei den Kinder- und Jugendärzten keine unbesetzten Arztsitze und auch keine weiteren Niederlassungsmöglichkeiten für Kinder- und Jugendärzte. Die Bedarfsplanung gehe auf bundeseinheitliche und zum Teil sehr komplexe Regelungen zurück, an die auch die KVBW gebunden sei. Die Zulassungsausschüsse könnten derzeit nur auf Grundlage der Beschlüsse aus den Landesausschüssen Niederlassungen aussprechen.

Nichtsdestotrotz sehe man das strukturelle Problem, dass in Stuttgart mehr Kinder- und Jugendärzte gebraucht würden. Daher beteilige man sich gerne an dem Runden Tisch, um eine gemeinsame Problemanalyse zu betreiben und gemeinschaftlich mit allen Beteiligten Lösungsansätze zu erarbeiten, wie z. B. den Aufbau und den Betrieb von Weiterbildungsverbünden. Auf Landesebene und Bundesebene versuche die KVBW die Notwendigkeit zur Anpassung der Bedarfsplanung immer wieder zu kommunizieren. So konnten in den vergangenen Jahren in diesem Bereich tatsächlich gewisse Verbesserungen erreicht werden, was aber noch nicht ausreichend sei. Zudem konnte als weitere positive Maßnahme Anfang dieses Jahres die Entbudgetierung in der Kinder- und Jugendmedizin durchgesetzt werden. Es sei wichtig, dass die Versorgungsproblematik erkannt sei und erste Schritte zur Lösung des Problems gemacht werden, so der Referent, auch wenn es Stand heute nicht leicht zu prognostizieren sei, wie schnell tatsächlich nachhaltige Verbesserungen bei der kinder- und jugendmedizinischen Versorgung in Stuttgart erreicht werden könnten.

Im Folgenden macht der Vertreter der KVBW auf die Möglichkeit des Sonderbedarfs aufmerksam, bei der eine Zulassung bei vorhandenem regionalem Bedarf auch bei einer Überversorgung erteilt werden könne. Nach Nachfragen aus dem Gremium erläutert der Referent, dass der Antrag auf Sonderbedarf und Erteilung einer Zulassung von einem Arzt oder einer Ärztin beim Zulassungsausschuss gestellt werden müsse. Die KVBW informiere im Rahmen ihrer Niederlassungs- und Kooperationsberatung Mediziner über diese Möglichkeit.

In diesem Zusammenhang regt StR Dr. Rastetter an, dass die Stadt Stuttgart eine Ausschreibung im Ärzteblatt platzieren sollte, um ebenfalls auf die Möglichkeit des Sonderbedarfs aufmerksam zu machen.

Abschließend werden weitere wenige Verständnisfragen der Ratsmitglieder zur Vorlage durch die Verwaltung und die eingeladenen Experten beantwortet.



Danach stellt BMin Dr. Sußmann fest:

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss hat von der GRDrs 858/2023 Kenntnis
genommen
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