Das niederschwellige nachgehende Beratungsangebot für Klient*innen wird gut angenommen. Für Klient*innen ist die offene und spontane Beratungsmöglichkeit, gekoppelt an den Anmeldeprozess sowie die medizinische offene Sprechstunde, von unschätzbarem Wert. In den meisten Fällen resultiert eine längerfristige psychosoziale Begleitung sowie Beratung aus den einst spontanen Beratungsterminen. Bei allen Belangen, für die die Personen Hilfe und Unterstützung benötigen, konnten schnell und effektiv Lösungen gefunden werden. Oft ging es um den Wunsch, aus der Prostitution auszusteigen, eine Wohnung oder eine andere Finanzierung zu finden bis hin zur Hilfe beim Ausfüllen von Formularen. Hierbei wird vor allem im Netzwerk – auch mit anderen Trägern – gearbeitet, um die Klient*innen bestmöglich eingliedern und begleiten zu können. Die Sozialarbeiterin des Sozialdienstes für Prostituierte bleibt die individuelle Ansprechpartnerin und „Casemanagerin” in der Beratung oder Betreuung der jeweiligen Prostituierten. Für die Frauen mit Migrationshintergrund sind ein persönliches Gespräch, ein Gesicht und eine Stimme unabdingbar, um eine Vertrauensbasis aufbauen zu können. Informationsbroschüren oder Flyer über Beratungsangebote werden zwar mitgenommen, für eine Kontaktaufnahme zu einer unbekannten Stelle ist die Hürde aus eigener Initiative allerdings meistens zu hoch. Die in der Regel sehr belastenden, individuellen Themen sind oft schambesetzt. Hier geht es z.B. neben der allgemeinen psychosozialen Beratung um gesundheitliche Probleme, ungewollte Schwangerschaften, langwierige Ausstiegsprozesse, problematische Familienkonstellationen und auch um das – zum Teil ungewollte – Outing in der Prostitution. Ein vertrauensvolles Verhältnis zu einer Sozialarbeiterin ist daher die Voraussetzung für erfolgreiche Beratungen, Lebens- und ggf. auch Ausstiegsbegleitung. In der Beratung sind Personen aus insgesamt über 30 Staaten, die oft über wenig oder keine Deutschkenntnisse verfügen. Die komplexen Beratungsinhalte konnten durch den Einsatz von zunächst Videodolmetschen und aktuell Telefondolmetschen vermittelt werden. Gespräche auf Deutsch, Englisch und z.T. Spanisch werden von Mitarbeiterinnen selbst abgedeckt. Während Corona erfolgten die Beratungen überwiegend über Telefon- und E-Mailkontakt bzw. in dringenden Fällen unter den bestehenden Hygienemaßnahmen im persönlichen Kontakt. Seit 1. März 2019 bis zum Stichtag 31. Dezember 2022 wurden insgesamt ca. 280 Personen in der nachgehenden Sozialarbeit in engem Zusammenhang nach den Beratungsgesprächen zum Prostituiertenschutzgesetz beraten und begleitet. Allen Beratungswünschen und Hilfegesuchen konnte nachgekommen werden. Der Übergang zur Beratungsstelle für Prostituierte im Gesundheitsamt ist fließend. Die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung, um die ersten Tage, wenigen Wochen oder manchmal Monate beim Ausstieg zu unterstützen, ist essentiell. Die finanzielle Hilfe ist so lange erforderlich, bis die Frau in das soziale Hilfssystem integriert ist. Das dauert, je nach den individuellen Gegebenheiten, unterschiedlich lange. Nur wenn der Ausstieg zu Beginn auch finanziell abgesichert ist, hat der Prozess Aussicht auf Erfolg. 3. Erlaubniserteilung und Überwachung der Prostitutionsgewerbe Durch § 12 ProstSchG wurden erstmals die Betreiber von Prostitutionsstätten in die Erlaubnispflicht genommen. Zum 1. November 2017 wurde die LHS zuständig, zuvor existierte die Interimszuständigkeit des Ministeriums für Soziales und Integration BW. Angesiedelt ist der Bereich ProstSchG bei der Gewerbe- und Gaststättenbehörde im Amt für öffentliche Ordnung (AföO). Die Zuständigkeit gliedert sich in Erlaubniserteilung und Überwachung der Prostitutionsgewerbe. Keine Zuständigkeit betrifft die erlaubnisfreie Einzelprostitution (einzelne Prostituierte in ihrer Wohnung). Nach Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes wurden von den Betreiber*innen Erlaubnisanträge gestellt, diese wurden seit Anfang 2018 erfasst und bearbeitet, Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Betreiber*innen durchgeführt und bei der Baurechtsbehörde um Auskunft zu baurechtlicher Genehmigungsfähigkeit gebeten. Mit Schaffung der Außendienststelle wurden ab Herbst 2018 regelmäßig Betriebskontrollen durchgeführt. Zudem wurde begonnen, Erlaubnisanträge abzulehnen, überwiegend aufgrund mangelnder baurechtlicher Genehmigungsfähigkeit. Seit 2019 wurde vermehrt damit begonnen, auch Betriebsuntersagungen mit Anordnung der sofortigen Vollziehung sowie Einzelanordnungen und Beschäftigungsverbote durchzuführen. Der primäre Grund bestand hierbei bei der fehlenden Sachgerechtigkeit oder Nichtvorhandensein eines Notrufsystems. Darüber hinaus hat sich die dienststelleninterne Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Prostituiertenschutzrecht und Schwarzarbeitsbekämpfung bewährt und dazu geführt, dass herausragende Fälle bearbeitet wurden und Bußgelder im sechsstelligen Bereich verhängt wurden (Bereich Schwarzarbeit). Auch findet ein regelmäßiger Austausch mit Gesundheitsamt, Baurechtsamt, Polizei, Steuerfahndung, Sozialministerium und anderen Stadtkreisen statt. Hinzu kam mit Ausbruch der Corona-Pandemie und seit Inkrafttreten der ersten CoronaVO die Bearbeitung von Anfragen, Hinweisen auf illegale Prostitutionsausübung und Beschwerden im Zusammenhang mit Corona. Statistik allgemein · Anzahl bisher eingegangener Erlaubnisanträge: 88
4. Entwicklung der medizinischen Konsultationen (2016-2022) über den gesetzlichen Rahmen des Prostituiertenschutzgesetzes hinaus in Verbindung mit § 19 IfSG
Das medizinische Angebot des Gesundheitsamtes Stuttgart umfasst, neben der gesetzlich vorgeschriebenen gesundheitlichen Pflichtberatung nach § 10 ProstSchG, auch Vorsorgeuntersuchungen und gezielte medizinischen Diagnostik und Behandlung sexuell übertragbarer Infektionen (STI) bei akuten Beschwerden bzw. Erkrankungen und wird von Menschen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, sehr gut angenommen. Vor allem eine meist fehlende Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung macht ein entsprechendes Angebot nach § 19 IfSG und darüber hinaus notwendig. Dieses Angebot besteht aus (offenen) Sprechzeiten speziell für Prostituierte direkt im Gesundheitsamt, aber auch im Rahmen der aufsuchenden Sozialarbeit in der gemeinsamen Anlaufstelle im Café La Strada und Café Strich-Punkt vor Ort im Leonhardsviertel. Hauptschwerpunkt liegt dabei auf der Diagnostik von HIV-, Gonokokken- und Chlamydieninfektionen, aber auch von anderen STI. So kann z.B. durch ein Hepatitis-Screening ein unzureichender oder nicht vorhandener Impfschutz aufgedeckt werden. Eine Hepatitis B-Infektion wird in einem hohen Maße sexuell übertragen und ist weltweit eine der häufigsten Infektionskrankheiten. Mit Auffrischungs- bzw. Erstimpfung gegen Hepatitis A und B, die für nicht versicherte Prostituierte gebührenfrei angeboten wird, kann hier ein großer Beitrag zur Reduktion des Infektionsgeschehens geleistet werden. Die serologische Diagnostik einer chronischen Hepatitis C mit nachfolgender medikamentöser Therapie kann im Verlauf eine Leberzirrhose oder gar ein hepatozelluläres Karzinom (Leberkrebs) verhindern bzw. dessen Entstehen deutlich verzögern. Von diesen Untersuchungen profitiert nicht nur die Klientin bzw. der Klient, sondern auch die Allgemeinbevölkerung, da in Folge einer entsprechenden Behandlung eine Übertragung von STI und HIV unterbrochen werden kann. Aufgrund der COVID-19 Pandemie kam es auch im Rahmen der Prostitutionssprechstunde zu einer Einstellung bzw. deutlichen Reduktion des Angebotes, so dass die Fallzahlen im medizinischen Bereich drastisch von 435 Kontakten im Jahr 2019 auf 45 medizinische Konsultationen im Jahr 2021 zurückgingen. 2022 war wieder eine deutlich erhöhte Nachfrage zu verzeichnen. Tabelle 1: Prostitutionssprechstunde: Diagnostik/Prävention nach § 19 IfSG
Fallbeispiel aus der medizinischen Sprechstunde für Menschen in der Prostitution Eine 45jährige Bulgarin kommt seit 2018 relativ regelmäßig in die medizinische Sprechstunde. Die Klientin ist Analphabetin und hat keine Krankenversicherung. Sie hat zwei Kinder, das erste Kind hat sie mit 15 Jahren bekommen. Die alleinerziehende Mutter lebt mit ihren Kindern getrennt vom Vater. 2018 kam es zu einer erneuten Schwangerschaft; da der Vater unbekannt war, wollte die Klientin einen Abbruch der bestehenden Schwangerschaft veranlassen und stellte sich daher in der Sprechstunde zur Beratung vor. Bei der Untersuchung zeigte sich jedoch, dass die Schwangerschaft bereits zu weit fortgeschritten war, so dass ein Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht mehr durchgeführt werden konnte. 2019 erfolgte ein erneuter Kontakt, die Klientin berichtete, dass sie zwischenzeitlich in Dortmund war und dort ihr drittes Kind geboren hat, welches in einer Pflegefamilie untergebracht wurde. Im Rahmen der Konsultation wurden mit ihr die verschiedenen kontrazeptiven Methoden besprochen. Die orale Kontrazeption („Pille“) schied dabei aus, da die Patientin es schwierig fand, diese regelmäßig einzunehmen. Auch die Möglichkeit einer sog. „3-Monatsspritze“ wurde mit der Klientin diskutiert, jedoch war sie sich nicht sicher, die regelmäßigen Termine zur erneuten Applikation einhalten zu können, so dass davon ebenfalls Abstand genommen wurde. Erst nach 6 Monaten kam die Klientin wieder in die Sprechstunde. Ein weiterer Schwangerschaftsabbruch war zwischenzeitlich erfolgt, daher wurde erneut das Thema Kontrazeption mit der Ratsuchenden erörtert. Nach ausführlicher Aufklärung und Abwägung der Vor- und Nachteile erfolgte durch unsere Vermittlung im Februar 2020 in einer externen Praxis die Einlage einer Kupferspirale. Auf die zusätzliche Verwendung eines Kondoms wurde die Klientin regelmäßig hingewiesen. Wegen der COVID-19-Pandemie brach der Kontakt im Verlauf ab. Erst im September 2021 stellte sich die Klientin erneut bei uns vor. Sie kam mit starken Unterbauchschmerzen und zeigte das klinische Bild einer akuten Adnexitis (Entzündung von Eileiter und Eierstock), diese war so schmerzhaft, dass die Patientin sich kaum untersuchen ließ. Eine Klinikeinweisung oder eine ambulante, intravenöse antibiotische Therapie lehnte sie jedoch vehement ab. Aufgrund der Unterleibsentzündung (PID) hätte eigentlich die eingelegte Kupferspirale entfernt werden müssen, was aber von der Patientin nicht gewünscht wurde. Es folgte eine orale, kalkulierte antibiotische Therapie und eine engmaschige Verlaufskontrolle durch die Kolleginnen der Sozialarbeit, die die Patientin weiterhin betreuen und auch im häuslichen Umfeld aufsuchen. In den initial durchgeführten Abstrichen bestätigte sich eine Infektion mit Gonokokken. Nach 6 Wochen stellte sich die Patientin mit einer hartnäckigen Bronchitis erneut vor, die Beschwerden im Unterbauch waren inzwischen verschwunden. Es wurden im Rahmen der Therapiekontrolle erneut Abstriche durchgeführt, diese zeigten glücklicherweise einen negativen Befund. Zusammenfassung und Ausblick – medizinisches Angebot Die medizinische Sprechstunde mit der Möglichkeit zur kostenlosen Untersuchung auf sexuell übertragbare Infektionen stellt – nach einem deutlichen Einbruch während der Corona-Pandemie – unverändert ein wichtiges Angebot für Menschen in der Prostitution dar und öffnet häufig die Türe zur nachgehenden sozialen Beratung und Betreuung. Im Rahmen der gesundheitlichen Beratung nach dem ProstSchG wird das Angebot bekannt gemacht und sowohl in der gemeinsamen Anlaufstelle als auch im Gesundheitsamt selbst rege nachgefragt. Ein wichtiges Thema ist auch die Beratung zur Empfängnisverhütung. Neben der oralen Kontrazeption („Pille“) und der Hormon-Depotspritze ist insbesondere auch die Möglichkeit der Intrauterinspirale von Interesse. Da eine Vermittlung in niedergelassene Frauenarztpraxen oft schwierig ist, ist beabsichtigt, das Legen einer Spirale für nicht krankenversicherte, mittellose Frauen in der Prostitution auch im Gesundheitsamt zu ermöglichen. Beteiligte Stellen Das Referat SOS hat die Vorlage mitgezeichnet. Dr. Alexandra Sußmann Bürgermeisterin --- <Anlagen> zum Seitenanfang