Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales und gesellschaftliche Integration
Gz:
GRDrs 788/2023
Stuttgart,
07/10/2023


5 Jahre Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG): Bisherige Erfahrungen in der LHS 2018 bis 2022



Mitteilungsvorlage


Vorlage anzurSitzungsartSitzungstermin
Sozial- und GesundheitsausschussKenntnisnahmeöffentlich23.10.2023

Bericht:


Einleitung
Am 1. Juli 2017 trat das Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen in Kraft. Ziel des Gesetzes ist es, das Selbstbestimmungsrecht, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz für in der Prostitution tätige Menschen zu stärken, gesetzliche Grundlagen zur Gewährleistung verträglicher Arbeitsbedingungen zu schaffen, die Rechtssicherheit für die legale Ausübung der Prostitution zu verbessern sowie die Kriminalität im Bereich der Prostitution zu bekämpfen. Für Prostituierte ergibt sich daraus die gesetzliche Pflicht, vor der persönlichen Anmeldung eine gesundheitliche Beratung sowie ein Informations- und Bratungsgespräch wahrzunehmen. Dadurch erhält der Personenkreis persönliche Aufklärung über gesundheitliche Aspekte und medizinische Angebote, Rechte und Pflichten sowie über weitere Unterstützungsangebote.

Im Rahmen dieser Vorlage sollen die Erfahrungen innerhalb der LHS mit der Umsetzung des ProstSchG in den ersten 5 Jahren seiner Umsetzung dargestellt werden, aufgeteilt nach den beiden wesentlichen Bereichen Pflichtberatung für Menschen in der Prostitution, nachgehende soziale Arbeit für Menschen in der Prostitution sowie Erlaubniserteilung und Überwachung des Prostitutionsgewerbes, ergänzt durch einen Bericht über die medizinischen Angebote für Prostituierte im Rahmen der Beratung des Gesundheitsamtes.

Die Grundlagen der Umsetzung des ProstSchG innerhalb der LHS sind in der GRDrs 883/2016 ausführlich dargestellt und wurden im Rahmen des Doppelhaushaltes 2018/19 vom Gemeinderat beschlossen.

Die bundesweite Evaluation des ProstSchG führt im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. durch. Sie soll bis Mitte 2025 vorliegen und erhebt in ausgewählten Kommunen (nicht in Stuttgart) repräsentative Daten.


1. Anmeldepflicht für Menschen, die in der Prostitution tätig sind

Durch die gesetzlich vorgeschriebene Anmeldepflicht aller in der Prostitution tätigen Personen (§ 7 ProstSchG) bekommen alle Prostituierten wichtige Informationen über Rechte und Pflichten, über mögliche Unterstützungen durch nachfolgende Sozialarbeit im Gesundheitsamt und über weitere Hilfsangebote, die in Stuttgart für Prostituierte zur Verfügung stehen.

Das entsprechende Angebot an Hilfen für Prostituierte ist in Stuttgart sehr umfangreich. Insbesondere die Angebote zur medizinischen Untersuchung, die soziale Beratung und Begleitung in der nachgehenden Sozialarbeit, die gemeinsame Anlaufstelle für weibliche und männliche Prostituierte – Café La Strada / Café Strichpunkt – und die Beratung zum Ausstieg aus der Prostitution sind hier zu nennen. Kontakte werden bei Bedarf auch an andere Träger vermittelt (gemäß § 11, Maßnahmen).

Die Stadt Stuttgart hat sich bei der Konzeption der Beratungsstelle dafür entschieden, einen möglichst einfachen Zugang für die Frauen und Männer in der Prostitution zur Beratung zu schaffen: Beide Beratungen – nach § 7 (Informations- und Beratungsgespräch) und § 10 (Gesundheitliche Beratung) – werden in den Räumen des Gesundheitsamtes angeboten. Prostituierte müssen nicht zwischen Amt für öffentliche Ordnung und Gesundheitsamt pendeln, so wie das in den meisten Land- und Stadtkreisen üblich ist. Die Frauen und Männer müssen dann nur zu einer Stelle in einem Gebäude gehen und können im Idealfall die Anmeldebescheinigung anschließend sofort mitnehmen.
Im Folgenden wird wegen der einfacheren Lesbarkeit nur die weibliche Form verwendet, auch deshalb, weil seit Beginn der Beratung im Jahr 2018 bis Ende 2022 nur insgesamt 18 Männer und Transpersonen eine Anmeldebescheinigung, bzw. gesundheitliche Beratung im Gesundheitsamt nachgefragt haben.

Gesundheitliche Beratung nach § 10 ProstSchG

Die gesundheitliche Beratung ist dem öffentlichen Gesundheitsdienst zugeordnet und erfolgt angepasst an die persönliche Lebenssituation der zu beratenden Person. Sie soll insbesondere Fragen der Krankheitsverhütung, der Empfängnisregelung, der Schwangerschaft und der Risiken des Alkohol- und Drogengebrauchs einschließen. Die beratene Person wird auf die Vertraulichkeit in der gesundheitlichen Beratung hingewiesen. Die Terminvergabe kann telefonisch oder persönlich erfolgen. Mehrsprachiges Informationsmaterial ist vorhanden und wird in der Beratung ausgegeben. Außerdem konnte bis März 2020 bei Bedarf ein Video-Dolmetscherdienst genutzt werden; dieser steht seit Sommer 2023 wieder zur Verfügung. Auf das Angebot der nachgehenden Sozialarbeit und der ärztlichen Untersuchungsmöglichkeit wird hingewiesen und von der Klientel bei Bedarf gerne angenommen.

Die Themenbereiche der gesundheitlichen Beratung sind u.a.:
· Krankheitsverhütung und Gesundheitsförderung
· sexuell übertragbare Krankheiten
· Empfängnisverhütung
· Schwangerschaft
· Risiken durch Alkohol- und Drogenkonsum
· Prostitution und Psyche
· Prostitution und Gewalt

Seit 2020 wurde zusätzlich auch das Thema Corona bzw. die Möglichkeiten, sich davor zu schützen, mit in die gesundheitliche Beratung aufgenommen.

Nach der Beratung wird eine Bescheinigung (mit Klarnamen) und gegebenenfalls auch eine zusätzliche Aliasbescheinigung (mit Phantasienamen) ausgegeben.
Personen unter 21 Jahren müssen die gesundheitliche Beratung alle 6 Monate und Personen über 21 Jahren alle 12 Monate wiederholen.
Die Bescheinigung nach § 10 ist die Voraussetzung für die nachgestellte Beratung
nach § 7.

Informations- und Beratungsgespräch nach § 7 ProstSchG

Bei der Anmeldung nach dem ProstSchG ist ein Informations- und Beratungsgespräch zu führen.
Die Mindest-Inhalte dieser Beratung sind die
· Grundinformation zur Rechtslage nach dem ProstSchG, nach dem Prostitutionsgesetz sowie zu weiteren relevanten Vorschriften, die zur Ausübung der Prostitution bekannt sein müssen und im räumlichen Zuständigkeitsbereich der Behörde für die Prostitutionsausübung gelten (z. B. Information über Sperrgebiete),
· Grundinformationen zur Absicherung im Krankheitsfall und zur sozialen Absicherung im Falle einer Beschäftigung,
· Informationen zu gesundheitlichen und sozialen Beratungsangeboten, einschließlich Beratungsangeboten zur Schwangerschaft,
· Informationen zur Erreichbarkeit von Hilfe in Notsituationen und Informationen über die bestehende Steuerpflicht der aufgenommenen Tätigkeit und die in diesem Zusammenhang zu erfüllenden umsatz- und ertragssteuerrechtlichen Pflichten.
Auch zu den Themen dieser Beratung steht mehrsprachiges Informationsmaterial zur Verfügung.

Netzwerkarbeit

Seit der Eröffnung der Beratungsstelle Mitte 2018 wurde ein spezifisches Netzwerk mit allen in der Prostitution in Stuttgart befassten Stellen aufgebaut. Dazu gehören im Bereich der gesundheitlichen Beratung das Regierungspräsidium, Landesgesundheitsamt und Fachberatungsstellen, Sozialdienst für Prostituierte, AIDS/HIV-Beratungsstellen, Schwangerschaftsberatungsstellen, Diakonie, Caritas, BleibSafe und BZgA.
Zusätzlich bestehen enge Kooperationen mit dem Medizinischen Dienst des Gesundheitsamts, der Malteser Migranten Medizin, Café La Strada und Café Strich-Punkt.
Regelmäßigen Austausch gibt es mit Gesundheitsämtern in Baden-Württemberg.
Insbesondere zu Beginn der Beratungsarbeit nach ProstSchG wurden vom Gesundheitsamt Stuttgart Vernetzungstreffen mit Fortbildungscharakter (VEBS) organisiert und in Kooperation mit Fachreferenten und Fachreferentinnen durchgeführt.
Die Corona-Pandemie hat auch hier die kontinuierliche Arbeit unterbrochen; eine Wiederaufnahme der Arbeitsgruppen und Gremien erfolgte sukzessive.

Rückblick (2018-2022)

Es bestand eine kontinuierlich hohe Nachfrage an Beratungs- bzw. Anmeldeterminen bis zum ersten Lockdown im März 2020 (Verbot der Prostitution vom 16. März bis 11. Oktober 2020). Im Jahr 2020 wurden die Mitarbeiterinnen des Gesundheitsamtes zur Bewältigung der Corona-Pandemie eingesetzt; die Beratungsstelle konnte mehrere Monate lang nicht öffnen.
Zwischen März und Oktober 2020 wurden keine Beratungen nach dem ProstSchG durchgeführt. Während des zweiten Lockdowns ab November 2020 (Verbot der Prostitution vom 2. November 2020 bis 20. Juni 2021) wurden an einem Tag in der Woche Beratungen nach ProstSchG angeboten, allerdings war die Nachfrage durch die Pandemie gering.
In dieser Zeit waren die Beraterinnen überwiegend in der Nachverfolgung von Kontaktpersonen zur Pandemiebewältigung eingesetzt.
Alle Frauen in individuellen Problemlagen und Ausstiegsprozessen wurden weiterhin begleitet. Die Linderung finanzieller Not und die Beantragung der Corona-Hilfen war zentrales Thema.
Viele der Bescheinigungen nach § 10 ProstSchG waren in der Zwischenzeit abgelaufen und werden erneuert. (Telefon-) Dolmetschen wurde genutzt, war jedoch nur mit wesentlich größerem Aufwand als das vorherige Videodolmetschen nutzbar. Der Vorlauf für einen Beratungstermin verlängerte sich dadurch deutlich auf mindestens eine Woche. Termine werden trotz telefonischer persönlicher Erinnerung ein bis zwei Tage zuvor häufig nicht wahrgenommen. Wir gehen davon aus, dass sich mit der erneuten Möglichkeit des Videodolmetschens ab Sommer 2023 die Zahl der nicht-wahrgenommenen Termine wieder deutlich verringern wird. Eine offene Sprechstunde wird dann für alle relevanten Sprachen möglich sein.
Seit Mitte des Jahres 2022 wurde die Nachfrage nach Beratungsterminen wieder spürbar höher.

Statistik – Beratungen von Prostituierten:

Zu Beginn der Arbeit in den Beratungsstellen waren die Beratungszahlen der zwei Gespräche noch annähernd gleich, ebenso die Alters- und Geschlechtsverteilung,
sowie die Herkunftsländer. Insbesondere nach Corona unterscheiden sich die Zahlen deutlicher, da zur gesundheitlichen Beratung eine häufigere Beratungsfrequenz gesetzlich vorgeschrieben ist.
Vom 1. Juni bis 31. Dezember 2018 wurden insgesamt 270 Beratungen nach §10 ProstSchG durchgeführt (265 Erstberatungen und 5 Folgeberatungen) und 265 Beratungen nach § 7 ProstSchG.
Die Geschlechterverteilung der beratenen Frauen und Männern setzte sich zusammen aus 265 Frauen, drei Männern und zwei transsexuellen Personen.
Personen aus Rumänien und Deutschland bildeten die größte Gruppe, gefolgt von Bulgarien, Spanien und Thailand. Weitere Nationalitäten waren Polen, Ungarn, Dominikanische Republik, Italien, Tschechien, Niederlande, Litauen, China, Russland, Brasilien, Griechenland, Kolumbien, Marokko, Kenia, Portugal, Afghanistan, Schweiz, Ukraine und die Philippinen.
Von Januar bis Dezember 2019 wurden insgesamt 579 gesundheitliche Beratungen nach § 10 ProstSchG durchgeführt. Nach § 7 ProstSchG waren es 385 Beratungen.

Deutlich erkennbar ist der Rückgang der Beratungszahlen im Jahr 2020/21 während der Coronapandemie mit dem einhergehenden Prostitutionsverbot, das sich bis heute auszuwirken scheint. Es gibt Anhaltspunkte, dass viele Frauen während der Corona-Pandemie in ihre Heimatländer zurückgefahren sind und ein Teil möglicherweise auch die Arbeit in der Prostitution aus diesem Anlass beendet hat.


Gesundheitliche Beratungen nach § 102018 ab 01.06.182019202020212022
Erstberatungen265336 49 87168
Folgeberatungen 5243109246314
Gesamt270579158333482
Informations- und Beratungsgespräch
nach § 7
2018 ab 01.06.182019202020212022
Erstberatungen2653676991161
Folgeberatungen-1437229170
Sonstige Beratungen-46323
Gesamt265385103323354
Nicht erschienen
(nicht erfasst)
208

Geschlechterverteilung:
Geschlecht2018 ab 01.06.20182019202020212022
Frau 265565152318464
Mann 3 2 26 4
Divers 2 12 4 9 14

Altersverteilung:
Alter2018 ab 01.06.20182019202020212022
18-2121111211666
22-2546106326277
26-3054113236599
31-3524 67225370
36-4032 53154151
Über 41931294596119

Die Dauer eines Beratungsgespräches lag zwischen 15 und 45 Minuten; der Informations- und Beratungsbedarf ist individuell sehr unterschiedlich. Auch in den Jahren 2019 bis 2022 kamen Personen aus bis zu 32 verschiedenen Nationalitäten in die Beratungen. Die größte Gruppe der zu Beratenden kam weiterhin aus Rumänien und Deutschland, gefolgt von Personen aus Bulgarien, Thailand und Spanien.

Nationalität
2018
2019
2020
2021
2022
Rumänischnicht erfasst
184
40
113
107
Deutschnicht erfasst
69
25
56
65
Bulgarischnicht erfasst
44
9
35
72
Spanischnicht erfasst
21
4
24
25
Ungarischnicht erfasst
13
-
17
28
Polnischnicht erfasst
7
2
8
4
Thailändischnicht erfasst
4
5
10
11

Zusätzlich zu den Ausstiegshilfen durch die Sozialarbeiterinnen im Gesundheitsamt konnten durch die nachgehende Sozialarbeit über den Zeitraum 2019 - 2022 durch Mittelzuweisungen des Gemeinderates für die Folgekosten Prostitution mindestens 17 Prostituierten der Ausstieg aus der Prostitution ermöglicht und finanziert werden. Die Gesamtzahl der Aussteigerinnen lässt sich nicht exakt beziffern, da aussteigende bzw. ausgestiegene Frauen mitunter auch einfach nicht mehr in der Beratung auftauchen oder sich räumlich verändern. Insbesondere die Unterstützung bei der Beschaffung von Wohnraum, intensive psychosoziale Betreuung, Begleitung zu verschiedenen Behörden und Institutionen, gezielte Weitervermittlung an KollegInnen und andere Institutionen, Vermittlung in versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, Vermittlung in Deutschkurse und nicht zuletzt die finanzielle Unterstützung haben dies ermöglicht.

Beobachtungen und Herausforderungen:

Fünf Jahre nach Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes haben sich - nach unserer Beobachtung - die Lebensverhältnisse der Menschen, die in Stuttgart in der Prostitution tätig sind, nicht deutlich verbessert. Nach einem bzw. zwei Jahren sind gesetzlich Folgeberatungen vorgeschrieben.
· Nach Aussagen vieler Frauen in der Folgeberatung sei eine Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz oder der Beitritt in das Sozialversicherungssystem (noch) nicht erfolgt. Sie gaben an, dass sie die Kosten für ein weiteres Zimmer und/oder die Krankenversicherung nicht aufbringen können, oder sie gaben an, immer nur kurze Zeit in Deutschland tätig zu sein und in ihren Heimatländern sozialversichert zu sein. Etliche Personen verfügen über keinerlei Sicherungssysteme.
· Wenn Personen nicht sicher waren, ob sie in der Prostitution tätig sein möchten, wurden zunächst Vorgespräche durchgeführt, die auf Wunsch anonym waren.
Es konnte eine vertrauensvolle Gesprächssituation hergestellt werden. Frauen, Männer und Transpersonen konnten offen über ihre Probleme, Nöte und Wünsche berichten und auch über Missstände in den Prostitutionsbetrieben informieren. Diese Missstände wurden dann an die Polizei und Ordnungsbehörde weitergeleitet, was eine gezielte Kontrolle durch diese Behörden ermöglichte.

· Menschenhandel und Zwangsprostitution wurden in den Beratungen seitens der Prostituierten nie direkt angesprochen und waren auch nicht „handlungsrelevant” herauszuhören. Reine Vermutungen seitens der Mitarbeiterinnen und Hinweise sind unzureichend. Es müssen tatsächliche Anhaltspunkte für eine Zwangssituation vorliegen, um ggf. aktiv die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten.
Die betroffene Person muss diese konkret benennen und einer Weitergabe ihrer Informationen aktiv zustimmen. Die Person muss auch bereit sein, ihre Aussagen gegenüber den ErmittlerInnen der Polizei zu wiederholen, damit Maßnahmen zum Schutz und damit auch zum Ausstieg aus der Prostitution eingeleitet werden können. Andernfalls könnte das Einschalten der Polizei sie noch stärker gefährden.
Hierfür braucht es sehr großes Vertrauen zur Sozialarbeiterin, das ggf. im Laufe der weitergehenden Beratungen wächst. Auch zum Schutz der Prostituierten, bedarf es einer sehr sorgfältigen Planung, Vorbereitung und Begleitung, ggf. auch bei polizeilichen Maßnahmen. Bei einem begründeten Verdacht auf Eigen- oder Fremdgefährdung wäre die Situation anders.

· Ein Eingreifen aus einer Notfallsituation heraus war bis jetzt nicht erforderlich. Trotzdem ist es unabdingbar, dass zu jeder Beratungszeit auch Sozialarbeiterinnen und Ärztinnen vor Ort im Gesundheitsamt im Dienst und ad hoc ansprechbar sind.
· Eine weitere Herausforderung stellt die Anzahl der in der Prostitution tätigen Personen dar, die sich nicht anmelden. Die Polizeistatistik Stuttgart erfasste in den Jahren 2013 – 2017 zwischen 1.405 – 1.686 Prostituierte (weibliche, männliche und transsexuelle). Eine entsprechende Polizeistatistik wird seit 2018 in dieser Form nicht mehr geführt. Es ist davon auszugehen, dass sich die Zahlen bis heute nicht wesentlich verändert haben, wenn man die Zeit der Coronamaßnahmen außer Acht lässt. Es gibt Vermutungen und auch konkrete Hinweise, dass sich die Dunkelziffer, bedingt durch das weitgehende Prostitutionsverbot während Corona, erhöht hat. Von einer Verlagerung aus der Objektprostitution in private Apartments oder Hotels ist auch aktuell auszugehen und zu beobachten. Die Kontrolle seitens der Ordnungsbehörden ist dadurch erheblich erschwert.
· Die Anmeldequote mit insgesamt 15 Männern und Transpersonen in den Jahren 2018 – 2022 ist sehr gering. Auch hier muss von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. · Von Seiten des Gesundheitsamtes kann aktuell und nach Wiedereinführung des Videodolmetschens durchschnittlich innerhalb von vier Werktagen ein Termin vergeben werden, so entstehen keine langen Wartezeiten. Ab Sommer 2023 sollen offene Sprechstunden ohne Voranmeldung erprobt werden.
· Aktuell wird ca. ein Drittel der vereinbarten Termine durch die in der Prostitution tätigen Personen nicht wahrgenommen.
· Wir sind inzwischen dazu übergegangen, jede Prostituierte im Vorfeld telefonisch an den Termin zu erinnern. Auch hier gibt es erheblichen Mehraufwand für die Sachbearbeiterinnen, eine deutliche Sprachbarriere und vielfach kommen die KlientInnen trotzdem nicht.
· Wenn Termine vergeben sind, halten sich die Mitarbeiterinnen für das Beratungsgespräch bereit; es entstehen Leer- und Wartezeiten, die nur zu einem gewissen Grad effektiv genutzt werden können.

Bei allen Problemen, Herausforderungen und Beobachtungen ist immer zu beachten, dass im Gesundheitsamt insbesondere die Personen in der nachgehenden Sozialarbeit betreut werden, die auch Beratungsbedarf haben und Unterstützung benötigen. In der Beratungsstelle unterstützen wir die Personen, die zu uns kommen, auf ihrem eigenen Lebensweg. Prostituierte bzw. Sexarbeiterinnen, die sich reflektiert und selbstbestimmt für diese Tätigkeit entschieden haben, um Geld zu verdienen, sind vielfach dankbar für Informationen und ein reflektierendes Gespräch im Anmeldeprozess. Sie brauchen und wollen unsere sozialarbeiterische Unterstützung nur selten.


Zusammenfassung und Ausblick: Anmeldeverfahren für Prostituierte

Die gesundheitliche Beratung nach § 10 ProstSchG ist eines der zentralen Instrumente, mit der die Situation von Prostituierten in Deutschland verbessert werden soll. Die hohe Frequenz der Beratungsgespräche sowie die besondere Vertraulichkeit bezüglich des Gesprächsrahmens und hinsichtlich der persönlichen Daten erlauben dem Personenkreis sich in der gesundheitlichen Beratung zu öffnen. Da die gesundheitliche Beraterin nach § 10 ProstSchG eine ausdrückliche Verschwiegenheitspflicht auch gegenüber anderen Behörden hat und hier keine Daten weitergegeben werden, fassen KlientInnen erfahrungsgemäß in diesem geschützten Rahmen Vertrauen und besprechen persönliche, intime und sensible Themen. Durch die zusätzliche Möglichkeit der nachgehenden Sozialberatung und/oder das Angebot der medizinischen Untersuchungen kann der Person bei Bedarf vielschichtig und umfassend geholfen werden. Die zu Beratenden können sich in der gesundheitlichen Beratung darauf verlassen, dass nichts gegen ihren Willen passiert bzw. ohne die Absprache mit ihnen unternommen wird. Dies sorgt für enorme Entlastung und Redebedarf bei dem Personenkreis.

Da die gesundheitliche Beratung nach §10 ProstSchG sinnvollerweise unter hoher Vertraulichkeit durchgeführt wird und, im Gegensatz dazu, ab dem Informations- und Beratungsgespräch nach § 7 ProstSchG Daten an das Finanzamt weitergegeben werden und in bestimmten Situationen auch Maßnahmen durchgeführt werden müssen, ist die fachlich getrennte Zuständigkeit der beiden unterschiedlichen Beratungen gesetzlich vorgegeben, erforderlich und sinnvoll.

Nach den coronabedingten Maßnahmen wie Schließungen von Bordellen und teilweise Verboten der Prostitution steigen die Anmeldezahlen wieder kontinuierlich an.
Aktuell kommen viele Prostituierte zur Erstanmeldung. Durch Streetwork und Kooperation mit anderen Diensten soll die vermutete Dunkelziffer weiter ins Licht gebracht werden, um zu verhindern, dass Frauen ohne Anmeldung arbeiten.
Das Bestreben der Sozialarbeiterinnen im Gesundheitsamt ist es, als vertrauensvolle Beraterinnen und Sozialarbeiterinnen wahrgenommen zu werden, die bei allen Problemen ansprechbar sind. Es soll zum Schutz der Frauen auch an die Anmeldepflicht erinnert werden. Die Entscheidung, beide Beratungsgespräche – § 7 und § 10 – im Gesundheitsamt zu verorten, hat sich aus unserer Sicht und im Sinne der Betroffenen bewährt. Die enge räumliche und organisatorische Verknüpfung wird von den meisten Frauen als praktisch und zeitsparend erlebt.
Die Trennung von der Arbeit der Polizei und des Amtes für öffentliche Ordnung ist dabei aus Sicht der Frauen extrem wichtig. Vertrauen und Vertraulichkeit haben im Rahmen der Beratung und Sozialen Arbeit einen extrem hohen Stellenwert.


2. Nachgehende soziale Arbeit im Zusammenhang mit Beratungen nach dem ProstSchG:

Einen sehr großen Stellenwert hat die nachgehende Sozialarbeit, die sehr eng mit der Arbeit in der Beratungsstelle für Prostituierte verzahnt ist.
Ergeben sich während oder nach der gesundheitlichen Beratung weitergehende Hilfebedarfe, so wird zu den Sozialarbeiterinnen in die nachgehende Sozialarbeit vermittelt bzw. ein Kontakt hergestellt. Eine Sozialarbeiterin ist zu den Beratungszeiten in der Regel vor Ort. Klient*innen können im vertraulichen und auf Wunsch anonymen Rahmen kurzfristig weitere Beratungsgespräche wahrnehmen und vereinbaren. Hierbei kann vor allem bei akuten Fragen, Problemkonstellationen und psychosozialen Krisen Unterstützung geboten werden. Beratungsthemen sind insbesondere:
· sexuelle Gesundheit (HIV/STI, Schwangerschaft)
· Sucht
· Existenzsicherung
· Wohnen
· Partnerschaft und Familie
· berufliche Neuorientierung
· Ausstiegshilfen

Das niederschwellige nachgehende Beratungsangebot für Klient*innen wird gut angenommen. Für Klient*innen ist die offene und spontane Beratungsmöglichkeit, gekoppelt an den Anmeldeprozess sowie die medizinische offene Sprechstunde, von unschätzbarem Wert. In den meisten Fällen resultiert eine längerfristige psychosoziale Begleitung sowie Beratung aus den einst spontanen Beratungsterminen. Bei allen Belangen, für die die Personen Hilfe und Unterstützung benötigen, konnten schnell und effektiv Lösungen gefunden werden. Oft ging es um den Wunsch, aus der Prostitution auszusteigen, eine Wohnung oder eine andere Finanzierung zu finden bis hin zur Hilfe beim Ausfüllen von Formularen. Hierbei wird vor allem im Netzwerk – auch mit anderen Trägern – gearbeitet, um die Klient*innen bestmöglich eingliedern und begleiten zu können.
Die Sozialarbeiterin des Sozialdienstes für Prostituierte bleibt die individuelle Ansprechpartnerin und „Casemanagerin” in der Beratung oder Betreuung der jeweiligen Prostituierten. Für die Frauen mit Migrationshintergrund sind ein persönliches Gespräch, ein Gesicht und eine Stimme unabdingbar, um eine Vertrauensbasis aufbauen zu können. Informationsbroschüren oder Flyer über Beratungsangebote werden zwar mitgenommen, für eine Kontaktaufnahme zu einer unbekannten Stelle ist die Hürde aus eigener Initiative allerdings meistens zu hoch.
Die in der Regel sehr belastenden, individuellen Themen sind oft schambesetzt. Hier geht es z.B. neben der allgemeinen psychosozialen Beratung um gesundheitliche Probleme, ungewollte Schwangerschaften, langwierige Ausstiegsprozesse, problematische Familienkonstellationen und auch um das – zum Teil ungewollte – Outing in der Prostitution. Ein vertrauensvolles Verhältnis zu einer Sozialarbeiterin ist daher die Voraussetzung für erfolgreiche Beratungen, Lebens- und ggf. auch Ausstiegsbegleitung.
In der Beratung sind Personen aus insgesamt über 30 Staaten, die oft über wenig oder keine Deutschkenntnisse verfügen. Die komplexen Beratungsinhalte konnten durch den Einsatz von zunächst Videodolmetschen und aktuell Telefondolmetschen vermittelt werden. Gespräche auf Deutsch, Englisch und z.T. Spanisch werden von Mitarbeiterinnen selbst abgedeckt.

Während Corona erfolgten die Beratungen überwiegend über Telefon- und E-Mailkontakt bzw. in dringenden Fällen unter den bestehenden Hygienemaßnahmen im persönlichen Kontakt.
Seit 1. März 2019 bis zum Stichtag 31. Dezember 2022 wurden insgesamt ca. 280 Personen in der nachgehenden Sozialarbeit in engem Zusammenhang nach den Beratungsgesprächen zum Prostituiertenschutzgesetz beraten und begleitet. Allen Beratungswünschen und Hilfegesuchen konnte nachgekommen werden. Der Übergang zur Beratungsstelle für Prostituierte im Gesundheitsamt ist fließend.

Die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung, um die ersten Tage, wenigen Wochen oder manchmal Monate beim Ausstieg zu unterstützen, ist essentiell. Die finanzielle Hilfe ist so lange erforderlich, bis die Frau in das soziale Hilfssystem integriert ist. Das dauert, je nach den individuellen Gegebenheiten, unterschiedlich lange. Nur wenn der Ausstieg zu Beginn auch finanziell abgesichert ist, hat der Prozess Aussicht auf Erfolg.


3. Erlaubniserteilung und Überwachung der Prostitutionsgewerbe

Durch § 12 ProstSchG wurden erstmals die Betreiber von Prostitutionsstätten in die Erlaubnispflicht genommen. Zum 1. November 2017 wurde die LHS zuständig, zuvor existierte die Interimszuständigkeit des Ministeriums für Soziales und Integration BW.

Angesiedelt ist der Bereich ProstSchG bei der Gewerbe- und Gaststättenbehörde im Amt für öffentliche Ordnung (AföO). Die Zuständigkeit gliedert sich in Erlaubniserteilung und Überwachung der Prostitutionsgewerbe. Keine Zuständigkeit betrifft die erlaubnisfreie Einzelprostitution (einzelne Prostituierte in ihrer Wohnung).

Nach Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes wurden von den Betreiber*innen Erlaubnisanträge gestellt, diese wurden seit Anfang 2018 erfasst und bearbeitet, Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Betreiber*innen durchgeführt und bei der Baurechtsbehörde um Auskunft zu baurechtlicher Genehmigungsfähigkeit gebeten. Mit Schaffung der Außendienststelle wurden ab Herbst 2018 regelmäßig Betriebskontrollen durchgeführt. Zudem wurde begonnen, Erlaubnisanträge abzulehnen, überwiegend aufgrund mangelnder baurechtlicher Genehmigungsfähigkeit. Seit 2019 wurde vermehrt damit begonnen, auch Betriebsuntersagungen mit Anordnung der sofortigen Vollziehung sowie Einzelanordnungen und Beschäftigungsverbote durchzuführen. Der primäre Grund bestand hierbei bei der fehlenden Sachgerechtigkeit oder Nichtvorhandensein eines Notrufsystems. Darüber hinaus hat sich die dienststelleninterne Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Prostituiertenschutzrecht und Schwarzarbeitsbekämpfung bewährt und dazu geführt, dass herausragende Fälle bearbeitet wurden und Bußgelder im sechsstelligen Bereich verhängt wurden (Bereich Schwarzarbeit). Auch findet ein regelmäßiger Austausch mit Gesundheitsamt, Baurechtsamt, Polizei, Steuerfahndung, Sozialministerium und anderen Stadtkreisen statt. Hinzu kam mit Ausbruch der Corona-Pandemie und seit Inkrafttreten der ersten CoronaVO die Bearbeitung von Anfragen, Hinweisen auf illegale Prostitutionsausübung und Beschwerden im Zusammenhang mit Corona.

Statistik allgemein

· Anzahl bisher eingegangener Erlaubnisanträge: 88

· Anzahl erteilter Erlaubnisse: 4
· Anzahl abgelehnter Erlaubnisanträge: 42
· Anzahl eingegangener Widersprüche gegen Versagungen: 33
· Anzahl Betriebsuntersagungen: 18
· Anzahl Beschäftigungsverbote: 2
· Anzahl Anordnungen: 4
· Anzahl Betriebskontrollen: 437
· Anzahl zur Anzeige gebrachte Ordnungswidrigkeiten: 109


Stand der Umsetzung im AföO bezogen auf Betriebe im Leonhardsviertel

In den überwiegenden Bereichen der Landeshauptstadt ist die baurechtliche Situation bereits durch Vergnügungsstättensatzungen geklärt. Für den Bereich des Leonhardsviertels ist diese noch offen. Aus diesem Grund wurden vom Amt für öffentliche Ordnung die Entscheidungen über Erlaubnisanträge bislang zurückgestellt, bis die baurechtliche Situation für das Leonhardsviertel geklärt ist. Ein Verbot jeglicher Prostitutionsnutzung im Leonhardsviertel würde 7 Betriebe erfassen. Diese Betriebe sind noch nicht entschieden bzw. hängen an der bauplanungsrechtlich noch ungelösten Situation.

Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg hat im Oktober 2022 speziell in einem Fall aus dem Leonhardsviertel entschieden, dass ein Betrieb die bereits erwähnten Mindestanforderungen nicht erfüllen muss, solange über seinen Erlaubnisantrag nicht entschieden wurde. Der Hintergrund hierfür war unter anderem, dass der VGH davon ausging, dass der Gesetzgeber nur mit einer kurzen Zeit zwischen Antragstellung und Entscheidung der Behörde gerechnet hat. Eine hängende stadtplanerische bzw. baurechtliche Situation wie im Leonhardsviertel war nicht vorgesehen.

In den Betrieben im Leonhardsviertel und in den umliegenden Betrieben werden in keinem dieser Betriebe die Mindestanforderungen vollständig erfüllt. Vor allem sind die sanitären Anlagen nicht ausreichend, zudem wird in mehreren Betrieben die Trennung von Arbeiten und Schlafen/Wohnen nicht eingehalten.

Anwendungsprobleme und Herausforderungen des ProstSchG im Bereich der Gewerbeaufsicht

Die Betreiber*innen sind oftmals mit dem korrekten Ausfüllen der erforderlichen Formulare (Betriebskonzept, Mustervereinbarung, etc.) überfordert. Zudem missachten die Betreiber*innen oftmals das Gebot der Trennung von Arbeiten und Wohnen/Schlafen. Das Landesgesundheitsamt hat (interne) Handlungsempfehlungen bezüglich der Anforderungen an die sanitären Einrichtungen herausgegeben. Betreiber*innen empfinden die Anforderungen als (zu) anspruchsvoll und wollen finanziellen Aufwand vermeiden. Ein weiteres Anwendungsproblem des ProstSchG besteht darin, dass in Stuttgart verschiedene Vergnügungsstättensatzungen bestehen, die in vielen Stadtteilen Prostitutionsbetriebe bauplanungsrechtlich verbieten und eine baurechtliche Genehmigungsfähigkeit ausschließen. Eine Vielzahl von Erlaubnisanträgen wurde aus diesem Grund bereits abgelehnt.

Es ist zudem festzustellen, dass seit Beginn der Corona-Pandemie und aktuell weiterhin die Kontrollen sich erschwert gestalten, da die Prostituierten oftmals nicht mehr anzutreffen sind und statt in Bordellen oder Laufhäusern vielmehr in Wohnungen, Airbnb-Apartments und Hotels ihre Dienste anbieten. Dadurch ist auch die Erlaubnispflicht nicht immer einfach festzustellen. Zum einen öffnen Prostituierte nach Klingeln den Kontrollpersonen nicht die Tür, zum anderen können Kontrolltermine nur durch vorab von der Polizei fingierte Termine vereinbart werden, da auf einschlägigen Portalen kaum mehr Objektadressen angegeben werden.

Die Kontrollen im Rahmen der Überwachung des Prostituiertenschutzgesetzes finden in der Regel bei personeller Verfügbarkeit zusammen mit der Polizei, Fachbereich Prostitution statt. Gründe hierfür sind unter anderem der Sicherheitsaspekt, die vorzunehmenden Zeugenbefragungen und Personalienfeststellungen. In der Vergangenheit konnte die polizeiliche Mitarbeit aus verschiedenen Gründen nicht immer gewährleistet werden.

Die bislang noch laufenden Anträge mit Erlaubnisfiktion (circa 15) wurden überwiegend bislang nicht beschieden in der Annahme, dass zunächst die baurechtliche Thematik geklärt werden muss. Dies hat faktisch zur Folge, dass nach dem VGH-Beschluss in einem Einzelfall (Mindestanforderungen müssen bis zur Ablehnung des Antrags nicht eingehalten werden) auch alle anderen Betreiber*innen die Mindestanforderungen nicht einhalten müssen und auch keine Sanktionen zu befürchten haben.

Situation während der Corona-Pandemie

Seit Inkrafttreten der ersten CoronaVO mehrten sich die Hinweise auf illegale Prostitutionsausübung. Es konnte beobachtet werden, dass sich die Prostitution in Wohnungen, Airbnb-Apartments sowie Hotels verlagerte. Dies führte zu dem Problem, dass Prostituierte für die Überwachungsbehörden schlechter erreichbar waren und das Gewerbe in die Illegalität abdriftete. Die Prostitutionsbetriebe haben die CoronaVO überwiegend beachtet und ihre Betriebe geschlossen gehalten. Einzelne Verstöße unter anderem gegen die Kontaktdatenerfassung wurden jedoch angezeigt. Wenige Prostitutionsbetriebe mussten jedoch nach §15 Abs. 2 GewO untersagt werden, da sie unerlaubt weiter wirtschafteten und sich nicht an die CoronaVO hielten. Die überwiegende Anzahl der Prostitutionsbetriebe hat wieder geöffnet, einzelne Laufhäuser hielten ihren Betrieb jedoch lange geschlossen bzw. gaben das Gewerbe auf. Weiterhin bzw. zunehmend werden auch Wohnungen von Prostituierten als Arbeitsstätte genutzt, zudem finden immer noch häufig „Haus & Hotel-Besuche“ statt.

Erfolge der Verwaltungsverfahren nach dem ProstSchG

In klassischen Bordellen wurde durch Schaffung und Einhaltung von Mindestanforderungen (Notrufsystem und sanitäre Einrichtungen) eine merkliche Verbesserung der Ausstattung erreicht, die dem Schutz der Prostituierten dient. Vor allem bei Prostitutionsvermittlungen waren viele Prostituierte tätig, die nun durch ein sachgerechtes Notrufsystem geschützt sind, auch außerhalb des Betriebs z. B. in Hotels.

Des Weiteren konnten durch mittlerweile 18 Betriebsuntersagungen illegale Prostitutionsbetriebe geschlossen werden.

Ablehnungen, die auf mangelnder baurechtlicher Genehmigungsfähigkeit basierten, wurden durch Widerspruchsbescheide vom Regierungspräsidium bestätigt und sind zum Teil noch beim Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart anhängig. In einem Fall wurde vom VG Stuttgart für Recht befunden, dass Anträge für Prostitutionsbetriebe allein aus bauplanungsrechtlichen Gründen abgelehnt werden dürfen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde vom VGH abgelehnt.

Ausblick und Ziele für die gewerberechtliche Seite

Der „Stuttgarter Weg“ mit Zuständigkeitsaufteilung auf Gesundheitsamt und AföO soll auch weiterhin fortgesetzt werden. Zudem sollen die noch anhängigen Erlaubnisanträge zeitnah abschließend bearbeitet werden und auch die Versagungsverfahren sukzessive abgewickelt werden. Hierzu gehören auch die zahlreichen Rechtsmittelverfahren, die zum Teil bereits, wie oben genannt, erfolgreich abgeschlossen werden konnten bzw. weiterhin werden. Auch werden kontinuierlich Betriebskontrollen einschließlich der verwaltungs- und ordnungswidrigkeitenrechtlicher Würdigung durchgeführt.


Ein weiteres Ziel betrifft die Klärung von Grundsatzfragen, unter anderem der Umgang mit der kürzlich getroffenen Entscheidung des VGH im Oktober 2022, dass Betriebe die Mindestanforderungen nicht einhalten müssen, wenn über den Antrag noch nicht entschieden wurde, dieser sich also im „Schwebezustand“ befindet.

Darüber hinaus wird auch die Frage zu klären sein, ob einzelne Betriebe dem so genannten Mietwucher unterliegen, also zu viel Tagesmiete für die Nutzung der Zimmer in den Bordellen verlangen. Hierzu ist eine Orientierung an der ortsüblichen Vergleichsmiete unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten in den Prostitutionsgewerben vorgesehen.

Außerdem wird beabsichtigt, weitere Präzedenzfälle zu schaffen, etwa durch verwaltungsrechtliche Maßnahmen sicherzustellen, dass auch Internetportale wie „gesext.de“ die gesetzlichen Maßgaben des ProstSchG einhalten, da diese ebenfalls eine Prostitutionsvermittlung darstellen, jedoch keine Erlaubnisanträge gestellt haben.

Zuletzt bedarf es in Zukunft auch der Klärung von wichtigen Einzelfragen, beispielsweise, dass auch für den Eigentümer bzw. Vermieter die Erlaubnispflicht gilt, wenn dieser Einfluss in die Betriebsabläufe nimmt und mit Wissen und Wollen Räume an Prostituierte vergibt. Hinzu kommt deren bußgeldrechtliche Sanktionierung.

4. Entwicklung der medizinischen Konsultationen (2016-2022) über den gesetzlichen Rahmen des Prostituiertenschutzgesetzes hinaus in Verbindung mit § 19 IfSG

Das medizinische Angebot des Gesundheitsamtes Stuttgart umfasst, neben der gesetzlich vorgeschriebenen gesundheitlichen Pflichtberatung nach § 10 ProstSchG, auch Vorsorgeuntersuchungen und gezielte medizinischen Diagnostik und Behandlung sexuell übertragbarer Infektionen (STI) bei akuten Beschwerden bzw. Erkrankungen und wird von Menschen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, sehr gut angenommen. Vor allem eine meist fehlende Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung macht ein entsprechendes Angebot nach § 19 IfSG und darüber hinaus notwendig. Dieses Angebot besteht aus (offenen) Sprechzeiten speziell für Prostituierte direkt im Gesundheitsamt, aber auch im Rahmen der aufsuchenden Sozialarbeit in der gemeinsamen Anlaufstelle im Café La Strada und Café Strich-Punkt vor Ort im Leonhardsviertel.

Hauptschwerpunkt liegt dabei auf der Diagnostik von HIV-, Gonokokken- und Chlamydieninfektionen, aber auch von anderen STI. So kann z.B. durch ein Hepatitis-Screening ein unzureichender oder nicht vorhandener Impfschutz aufgedeckt werden. Eine Hepatitis B-Infektion wird in einem hohen Maße sexuell übertragen und ist weltweit eine der häufigsten Infektionskrankheiten. Mit Auffrischungs- bzw. Erstimpfung gegen Hepatitis A und B, die für nicht versicherte Prostituierte gebührenfrei angeboten wird, kann hier ein großer Beitrag zur Reduktion des Infektionsgeschehens geleistet werden. Die serologische Diagnostik einer chronischen Hepatitis C mit nachfolgender medikamentöser Therapie kann im Verlauf eine Leberzirrhose oder gar ein hepatozelluläres Karzinom (Leberkrebs) verhindern bzw. dessen Entstehen deutlich verzögern. Von diesen Untersuchungen profitiert nicht nur die Klientin bzw. der Klient, sondern auch die Allgemeinbevölkerung, da in Folge einer entsprechenden Behandlung eine Übertragung von STI und HIV unterbrochen werden kann.

Aufgrund der COVID-19 Pandemie kam es auch im Rahmen der Prostitutionssprechstunde zu einer Einstellung bzw. deutlichen Reduktion des Angebotes, so dass die Fallzahlen im medizinischen Bereich drastisch von 435 Kontakten im Jahr 2019 auf 45 medizinische Konsultationen im Jahr 2021 zurückgingen. 2022 war wieder eine deutlich erhöhte Nachfrage zu verzeichnen.

Tabelle 1: Prostitutionssprechstunde: Diagnostik/Prävention nach § 19 IfSG
2019
2020
2021
2022
Fallzahlen gesamt
435
88
45
295
weiblich
374
74
42
217
männlich
61
14
3
78
Abstrich (PCR und Mikrobiologie)
1688
313
167
766
Serologische Untersuchungen ohne HIV
1197
192
120
497
HIV-Tests
379
69
33
147

Abschließend soll in einem Fallbeispiel dargestellt werden, dass während der zurückliegenden pandemischen Lage eine medizinische Betreuung für Prostituierte z.T. lebenswichtige Notwendigkeit war und ggf. durch eine Erweiterung des Leistungsspektrums bei fehlendem Zugang zur Primärversorgung ausgebaut werden könnte. Ein immer wichtiger werdendes Thema ist dabei die Verhütung ungewollter Schwangerschaften. Deshalb ist eine intensivierte Beratung zu Fragen der Empfängnisverhütung vorgesehen, einschließlich der Möglichkeit, in der Beratungsstelle eine Kupferspirale eingelegt zu bekommen. Dies ist durch die vorhandene fachärztlich-gynäkologische Kompetenz im ärztlichen Team möglich; durch die Frauen wären nur die entstehenden Sachkosten zu tragen.

Fallbeispiel aus der medizinischen Sprechstunde für Menschen in der Prostitution

Eine 45jährige Bulgarin kommt seit 2018 relativ regelmäßig in die medizinische Sprechstunde. Die Klientin ist Analphabetin und hat keine Krankenversicherung. Sie hat zwei Kinder, das erste Kind hat sie mit 15 Jahren bekommen. Die alleinerziehende Mutter lebt mit ihren Kindern getrennt vom Vater.

2018 kam es zu einer erneuten Schwangerschaft; da der Vater unbekannt war, wollte die Klientin einen Abbruch der bestehenden Schwangerschaft veranlassen und stellte sich daher in der Sprechstunde zur Beratung vor. Bei der Untersuchung zeigte sich jedoch, dass die Schwangerschaft bereits zu weit fortgeschritten war, so dass ein Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht mehr durchgeführt werden konnte.

2019 erfolgte ein erneuter Kontakt, die Klientin berichtete, dass sie zwischenzeitlich in Dortmund war und dort ihr drittes Kind geboren hat, welches in einer Pflegefamilie untergebracht wurde. Im Rahmen der Konsultation wurden mit ihr die verschiedenen kontrazeptiven Methoden besprochen. Die orale Kontrazeption („Pille“) schied dabei aus, da die Patientin es schwierig fand, diese regelmäßig einzunehmen. Auch die Möglichkeit einer sog. „3-Monatsspritze“ wurde mit der Klientin diskutiert, jedoch war sie sich nicht sicher, die regelmäßigen Termine zur erneuten Applikation einhalten zu können, so dass davon ebenfalls Abstand genommen wurde.

Erst nach 6 Monaten kam die Klientin wieder in die Sprechstunde. Ein weiterer Schwangerschaftsabbruch war zwischenzeitlich erfolgt, daher wurde erneut das Thema Kontrazeption mit der Ratsuchenden erörtert. Nach ausführlicher Aufklärung und Abwägung der Vor- und Nachteile erfolgte durch unsere Vermittlung im Februar 2020 in einer externen Praxis die Einlage einer Kupferspirale. Auf die zusätzliche Verwendung eines Kondoms wurde die Klientin regelmäßig hingewiesen.

Wegen der COVID-19-Pandemie brach der Kontakt im Verlauf ab. Erst im September 2021 stellte sich die Klientin erneut bei uns vor. Sie kam mit starken Unterbauchschmerzen und zeigte das klinische Bild einer akuten Adnexitis (Entzündung von Eileiter und Eierstock), diese war so schmerzhaft, dass die Patientin sich kaum untersuchen ließ. Eine Klinikeinweisung oder eine ambulante, intravenöse antibiotische Therapie lehnte sie jedoch vehement ab. Aufgrund der Unterleibsentzündung (PID) hätte eigentlich die eingelegte Kupferspirale entfernt werden müssen, was aber von der Patientin nicht gewünscht wurde. Es folgte eine orale, kalkulierte antibiotische Therapie und eine engmaschige Verlaufskontrolle durch die Kolleginnen der Sozialarbeit, die die Patientin weiterhin betreuen und auch im häuslichen Umfeld aufsuchen. In den initial durchgeführten Abstrichen bestätigte sich eine Infektion mit Gonokokken.

Nach 6 Wochen stellte sich die Patientin mit einer hartnäckigen Bronchitis erneut vor, die Beschwerden im Unterbauch waren inzwischen verschwunden. Es wurden im Rahmen der Therapiekontrolle erneut Abstriche durchgeführt, diese zeigten glücklicherweise einen negativen Befund.

Zusammenfassung und Ausblick – medizinisches Angebot

Die medizinische Sprechstunde mit der Möglichkeit zur kostenlosen Untersuchung auf sexuell übertragbare Infektionen stellt – nach einem deutlichen Einbruch während der Corona-Pandemie – unverändert ein wichtiges Angebot für Menschen in der Prostitution dar und öffnet häufig die Türe zur nachgehenden sozialen Beratung und Betreuung. Im Rahmen der gesundheitlichen Beratung nach dem ProstSchG wird das Angebot bekannt gemacht und sowohl in der gemeinsamen Anlaufstelle als auch im Gesundheitsamt selbst rege nachgefragt. Ein wichtiges Thema ist auch die Beratung zur Empfängnisverhütung. Neben der oralen Kontrazeption („Pille“) und der Hormon-Depotspritze ist insbesondere auch die Möglichkeit der Intrauterinspirale von Interesse. Da eine Vermittlung in niedergelassene Frauenarztpraxen oft schwierig ist, ist beabsichtigt, das Legen einer Spirale für nicht krankenversicherte, mittellose Frauen in der Prostitution auch im Gesundheitsamt zu ermöglichen.



Beteiligte Stellen

Das Referat SOS hat die Vorlage mitgezeichnet.






Dr. Alexandra Sußmann
Bürgermeisterin





---

<Anlagen>


zum Seitenanfang