Protokoll:
Sozial- und Gesundheitsausschuss
des Gemeinderats der Landeshauptstadt Stuttgart
Niederschrift Nr.
TOP:
121
2
Verhandlung
Drucksache:
533/2019
GZ:
SI
Sitzungstermin:
22.07.2019
Sitzungsart:
öffentlich
Vorsitz:
BMin Fezer
Berichterstattung:
-
Protokollführung:
Herr Krasovskij
pö
Betreff:
Einrichtung eines Drogenkonsumraums in der Landeshauptstadt Stuttgart
Beratungsunterlage ist die Mitteilungsvorlage des Referats Soziales und gesellschaftliche Integration vom 21.06.2019, GRDrs 533/2019. Sie ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.
Anfangs betont BMin
Fezer,
dass die Verwaltung sehr sorgsam beim Thema "Einrichtung eines Drogenkonsumraums in der Landeshauptstadt Stuttgart" vorgehen wolle. Deshalb habe man einen umfangreichen partizipativen Prozess mit verschiedenen Beteiligten in Gang gesetzt, dessen konkrete Schritte und erste Erkenntnisse sowie das Konzept für einen möglichen Drogenkonsumraum in Stuttgart in der Vorlage dargestellt sind. Die Einrichtung eines Drogenkonsumraums in der Landeshauptstadt sei aus Sicht der Sozialplanung und der Träger der ambulanten Stuttgarter Suchthilfe eine notwendige Ergänzung des bestehenden Suchthilfesystems. Sofern der Sozial- und Gesundheitsausschuss der bisherigen und weiteren vorgeschlagenen Vorgehensweise zustimme, werde nach der Beratung über die Kriterien für die räumliche Verortung die Suche nach einer geeigneten Immobilie erfolgen, so die Vorsitzende.
Im Verlauf der Aussprache wird die Überlegung, in Stuttgart einen Drogenkonsumraum einzurichten, von StRin
Bulle-Schmid
(CDU), StRin
Rühle
(90/GRÜNE), StR
Ehrlich
(SPD), StRin
Halding-Hoppenheit
(SÖS-LINKE-PluS), StRin
Bodenhöfer-Frey
(FW) sowie StRin
Yüksel
(FDP) grundsätzlich befürwortet. In diesem Zusammenhang begrüßt das Gremium, dass das Land mit der Verabschiedung der Landesverordnung die notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen zum Betrieb eines Drogenkonsumraums in Baden-Württemberg geschaffen habe. Fraktionsübergreifend verweisen die Ratsmitglieder in ihren Wortmeldungen auf die zu erwartenden Vorteile des niedrigschwelligen Angebotes eines Konsumraums. Auf der einen Seite seien dies gesundheitspolitische Aspekte. Durch einen hygienischeren und risikoärmeren Drogenkonsum (beispielsweise durch Bereitstellung von Injektionsutensilien und Materialien) in einer angstfreien (ohne Diskriminierung und Stigmatisierung) und kontrollierten Atmosphäre könnten Infektionen und schwere Folgeerkrankungen bei den Klientinnen und Klienten besser vermieden werden. Zudem sei durch die Überwachung eine bessere Verhinderung
von Überdosierungen und Drogentodesfällen möglich, aber auch eine Verbesserung des Kenntnisstands zu Risiken des Drogengebrauchs.
Aus ordnungspolitischer Sicht verbinden die Ratsmitglieder mit der Einrichtung eines Drogenkonsumraums in der Stadt die Hoffnung einer Reduzierung der Belastung der Öffentlichkeit.
Denn gerade in der Stuttgarter Innenstadt sorgten der sichtbare Konsum bzw. die konsumspezifischen Verunreinigungen (gebrauchte Spritzen, Tablettenblister etc. auf Schulhöfen oder Kinderspielplätzen) sowie Szeneansammlungen und die damit verbundene Drogenkriminalität für ein zunehmendes Problem.
Nicht zu vernachlässigen seien aber auch die drogentherapeutischen Ziele eines überwachten Konsumraumes wie die
Kontaktaufnahme und -pflege von schwer erreichbaren Drogenkonsumenten sowie eine Erhöhung der Motivation zur Veränderung der aktuellen Lebenssituation.
Von StRin
Bulle-Schmid
wird auf Karlsruhe verwiesen, wo im Herbst dieses Jahres ein Drogenkonsumraum eingerichtet werden solle. Die Stadträtin bittet die Verwaltung darum, im weiteren Verfahren auf dem Weg zu einem möglichen Drogenkonsumraum in Stuttgart die positiven und insbesondere auch die negativen Erfahrungen aus Karlsruhe zu berücksichtigen sowie über diese in einer Sitzung des Sozial- und Gesundheitsausschusses zu berichten. Dieser Bitte schließt sich auch StRin
Yüksel
an.
Nachdem StRin
Bulle-Schmid
darauf hingewiesen hatte, dass laut einer Befragung 30 % der Klienten einen Drogenkonsumraum nicht nutzen würden, erklärt Herr
Baur,
sachkundiger Einwohner für den Bereich Sozialpsychiatrie, diese anfängliche Ablehnung hänge vermutlich damit zusammen, dass viele Drogenabhängige das Angebot eines Konsumraums schlichtweg noch nicht kennen würden oder sich nichts darunter vorstellen könnten bzw. viele die Sorge hätten, auch in einem Konsumraum diskriminiert und stigmatisiert zu werden. Er sei überzeugt, so Herr Baur weiter, dass die Akzeptanz für das Angebot nach einer ersten Anlaufphase sowie positiver Mundpropaganda steigen werde. Ähnlich äußert sich im weiteren Verlauf auch StRin
Halding-Hoppenheit.
Nach einer weiteren Frage von StRin Bulle-Schmid erläutert Herr
Binder,
ebenfalls sachkundiger Einwohner für den Bereich Sozialpsychiatrie, bei der Konzeption des Drogenkonsumraums habe man sich auch hinsichtlich der Anzahl der Konsumplätze an den Erfahrungen aus dem Drogenkonsumraum in Düsseldorf orientiert. Für Stuttgart seien derzeit sechs Konsumplätze für intravenös konsumierende Klienten sowie ein separater Bereich zur Inhalation mit weiteren vier Plätzen geplant.
Ferner möchte StRin
Bulle-Schmid
wissen, ob und welche Vorkehrungen im Drogenkonsumraum für einen möglichen medizinischen Notfall getroffen werden sollen.
Bezug nehmend auf das Konzept für den Konsumraum betont StRin
Rühle,
dass es wichtig sei, ausreichende Öffnungszeiten anzubieten sowie fachlich geschultes Personal für den Betrieb zu finden. Außerdem sei auch der Standort von großer Bedeutung, da eine gute Erreichbarkeit für die Akzeptanz unabdingbar sei. Allgemein sollte eine enge Vernetzung mit bestehenden Hilfsangeboten für Drogenabhängige angestrebt werden, um Synergieeffekte zu entwickeln und auch darüber weitere Klienten anzusprechen. In diesem Zusammenhang begrüßt die Stadträtin die im Konzept aufgeführte mögliche Verflechtung des Drogenkonsumraums mit dem Kontaktcafé "High Noon".
Im Weiteren macht StRin Rühle deutlich, dass der Drogenkonsumraum, dessen Bedarf im Rahmen der partizipativen Ansätze und durch die Evaluation des ambulanten Suchthilfesystems in Stuttgart bestätigt worden war, aus Sicht ihrer Fraktion so schnell wie möglich eingerichtet werden sollte. Das Projekt (weitere Konzepterarbeitung, Standortsuche etc.) dürfe auch dann nicht stagnieren, wenn in dem kommenden Doppelhaushalt hierfür noch keine Mittel eingestellt würden. Ähnlich äußern sich auch StR
Ehrlich
und StRin
Bodenhöfer-Frey
. Beide sprechen sich für eine Haushaltsvorlage aus, um so einen Finanzrahmen und eine Grundlage zur Finanzierung des Projektes aus Mitteln des kommenden Doppelhaushaltes zu schaffen. Hierauf erklärt BMin
Fezer
gegenüber den beiden Ratsmitgliedern, dass sie dies beantragen müssten.
In ihrer Wortmeldung begrüßt StRin
Yüksel
die geplante Einrichtung eines Drogenkonsumraumes in Stuttgart noch einmal ausdrücklich. Sie erinnert daran, dass die FDP-Gruppierung mit der Anfrage Nr. 280/2017 bereits die Kosten für einen solchen Raum (ausgehend von den Erfahrungen aus Frankfurt) erfragt habe. Damals sei von der Verwaltung die Summe von rund 400.000 EUR zzgl. weiterer laufender Kosten wie Miete mitgeteilt worden. Bezug nehmend auf die aktuelle Kostenschätzung aus der Vorlage möchte die Stadträtin wissen, weshalb diese mit fast 100.000 EUR darunterliege bzw. warum weniger Mittel für Honorarkräfte eingeplant worden sind und bislang auch kein Hausmeisterservice berücksichtigt sei.
Der dringende Bedarf für einen Drogenkonsumraum wird auch durch die sachkundigen Einwohner für den Bereich Sozialpsychiatrie, Herrn
Dr. Obert,
Herrn
Binder
und Herrn
Baur
bestätigt. Sie bedanken sich für die grundsätzliche Zustimmung der Ratsmitglieder zu diesem Thema. Übereinstimmend sprechen sie sich (auch aufgrund der zeitlichen Befristung der Landesverordnung) für eine möglichst schnelle Etablierung des Angebotes aus und plädieren dafür, für das Projekt Mittel im kommenden Doppelhaushalt einzustellen. Einen entsprechenden Antrag hätten der Caritasverband für Stuttgart e. V. und der Verein Release Stuttgart e. V. bereits gestellt. Ferner kündigen die Sachkundigen an, dass der Suchthilfeverbund am 17.09.2019 eine Veranstaltung durchführen werde, bei der über die Vor- und Nachteile eines Drogenkonsumraums diskutiert werden solle. Zu dieser Veranstaltung wolle man gerne auch die Mitglieder des Sozial- und Gesundheitsausschusses einladen. Außerdem werde man versuchen, einen Vertreter vonseiten der Polizei sowie einen Vertreter aus Düsseldorf einzuladen, um sich über die Erfahrungen mit dem dortigen Konsumraum auszutauschen.
Im weiteren Verlauf der Aussprache macht Frau
Dathe
(Staatsanwaltschaft Stuttgart) auf den Konflikt der Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang mit einem Drogenkonsumraum aufmerksam. Sie erklärt, dass der Konsum von Drogen in Deutschland an sich straffrei ist, strafbewehrt sei aber der Besitz von Betäubungsmitteln ungeachtet der Menge. Hier gebe es auch dann keine Ausnahmen, wenn die Betäubungsmittel für den Eigenkonsum gedacht seien. Frau Dathe führt weiter aus, dass die Strafverfolgungsbehörden an das Legalitätsprinzip gebunden seien und somit einschreiten müssten, wenn sich der Anfangsverdacht einer Straftat ergebe. Dieser Anfangsverdacht ergebe sich, wenn Personen auf dem Weg zu dem Drogenkonsumraum unterwegs seien, denn man müsse davon ausgehen, dass sie in Besitz von Drogen seien. Dennoch wollen die Strafverfolgungsbehörden den Menschen dieses Angebot ermöglichen, wenn ein Drogenkonsumraum politisch und sozialplanerisch gewollt sei und als sinnvoll erachtet werde. Allerdings sollten alle Beteiligten bei der weiteren Konzeption eines solchen Angebotes in Stuttgart versuchen, den Konflikt im Hinblick auf den Anfangsverdacht bestmöglich aufzulösen. In Düsseldorf, berichtet die Staatsanwältin weiter, habe man das Problem dadurch ein Stück weit aufgelöst, dass sich in den dortigen Räumlichkeiten neben einem Drogenkonsumraum auch weitere, räumlich voneinander getrennte Hilfsangebote befinden würden. Somit müssten die Strafverfolgungsbehörden bei den Klienten nicht zwangsläufig von einem Anfangsverdacht ausgehen, da auch der Besuch von einem der Hilfsangebote möglich sei. Eine ähnliche Lösung wäre aus Sicht der Staatsanwaltschaft auch für Stuttgart denkbar.
Im Weiteren plädiert Frau Dathe noch einmal für eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten bei der weiteren Konzeption für den Drogenkonsumraum. Zudem verweist sie darauf, dass in dem Gebiet rund um das zukünftige Angebot eine gewisse Polizeipräsenz notwendig sein werde, um auch die Akzeptanz der Nachbarschaft zu fördern sowie um zu vermeiden, dass sich an der Stelle ein Drogenumschlagplatz bilde.
Ergänzend erklärt Herr
Weiß
(Polizei), dass die Polizei ausgehend vom Legalitätsprinzip bei jeglichem Verdacht einer Straftat dazu verpflichtet sei, notwendige Maßnahmen zu treffen; dies umfasse die Fertigung einer Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft sowie die Sicherstellung der mitgeführten Betäubungsmittel. Erst die Staatsanwaltschaft habe im Weiteren die Möglichkeit, das Verfahren bei einer geringen Menge einzustellen. Ferner berichtet der Polizeibeamte, dass das Polizeipräsidium Stuttgart bereits eine Stellungnahme zum Thema möglicher Drogenkonsumraum in Stuttgart abgegeben habe. Diese hätte allerdings noch keinen Eingang in die vorliegende Vorlage gefunden. In der Stellungnahme der Polizei würden Bedenken hinsichtlich einer möglichen Verlagerung der Drogenszene in das unmittelbare Umfeld des künftigen Konsumraums geäußert. Zudem bestünde, wie Erfahrungen zeigen, die Gefahr einer Sogwirkung bzw. von Wanderungsbewegungen von Drogenkonsumenten auch aus anderen Städten der Region in den Stuttgarter Innenstadtbereich, falls dort ein gewisses Angebot entstehe. Diese Aspekte müssten im Zuge der weiteren Konzeption für das Angebot durch eine gute Zusammenarbeit aller beteiligten Institutionen unbedingt berücksichtigt werden.
Nach den Ausführungen von Frau Dathe und Herrn Weiß entwickelt sich im Gremium eine Diskussion angesichts des dargestellten Konflikts der Strafverfolgungsbehörden. BMin
Fezer
stellt dabei klar, dass die Einrichtung von Drogenkonsumräumen durch den Bundesgesetzgeber und die entsprechenden Landesverordnungen ermöglicht worden sei und ein solches Angebot aus sozialplanerischer Sicht, gesundheitspolitisch und ordnungspolitisch als sinnvoll und notwendig angesehen werde. Damit würde die Stadt Stuttgart mit einem Drogenkonsumraum kein illegales Angebot einrichten. Ferner macht die Vorsitzende deutlich, dass im Rahmen des Angebotes vonseiten der Stadt keine Drogen ausgeteilt würden, sondern die Klienten auf eigene Drogen zugreifen und diese mitbringen müssten, um sie im Konsumraum zu konsumieren. An diesem Punkt ergebe sich das Dilemma für die Strafverfolgungsbehörden, das vom Gesetzgeber bislang nicht aufgelöst worden sei, denn trotz der Möglichkeit und des Wunsches auf Einrichtung von Drogenkonsumräumen habe auch das Verbot, jegliche Betäubungsmittel zu besitzen, weiterhin Bestand.
Die
Ratsmitglieder
sowie die
Sachkundigen Einwohner
für den Bereich Sozialpsychiatrie sprechen sich daraufhin für eine gute Abstimmung zwischen allen beteiligten Institutionen aus, um das Angebot eines Drogenkonsumraums in Stuttgart gemeinsam ermöglichen zu können. Der von Frau Dathe geäußerte Vorschlag einer räumlichen Angliederung mehrerer Hilfsangebote, um den Konflikt des Anfangsverdachts für die Strafverfolgungsbehörden ein Stück weit aufzulösen, wird befürwortet.
BMin
Fezer
versichert ihrerseits, dass die Bedenken der Polizei und der Staatsanwaltschaft in rechtlicher und praktischer Hinsicht durch die heutige Aussprache deutlich geworden sind und in der weiteren konzeptionellen Planung berücksichtigt würden. Die Vorsitzende macht noch einmal deutlich, dass ein Drogenkonsumraum in Stuttgart nur dann verwirklicht wird, wenn zu dem Projekt eine grundsätzlich positive Einstellung aller beteiligten Institutionen, einschließlich Polizei und Staatsanwaltschaft, erreicht werde. Hierfür sei eine enge Abstimmung und Zusammenarbeit aller Beteiligten notwendig, und die Verwaltung sei hierzu bereit.
Nach der Bitte von StRin
Bulle-Schmid
um Zusendung der Stellungnahme des Polizeipräsidiums Stuttgart erläutert BMin
Fezer,
diese sei bei der Vorlagenerstellung nicht beigefügt worden, da die Verwaltung noch inhaltliche Gespräche mit dem Polizeipräsidenten führen wolle. Diese sollen zeitnah stattfinden.
Zusammenfassend und abschließend hält BMin Fezer fest, dass die Ratsmitglieder die Einrichtung eines Drogenkonsumraumes in Stuttgart unter der Voraussetzung einer positiven Einstellung aller Beteiligten zu dem Projekt grundsätzlich befürworten. Die Verwaltung werde nun entsprechend der dargestellten Verfahrensweise mit allen Beteiligten weiter an dem Projekt arbeiten und das Gremium dann über weitere Schritte und Entwicklung informieren.
Danach stellt BMin
Fezer
fest:
Der Sozial- und Gesundheitsausschuss hat von der GRDrs 533/2019
Kenntnis genommen.
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