Antrag vom 02/26/2021
Nr. 76/2021

Antrag
Stadträtinnen / Stadträte - Fraktionen

Bündnis 90/DIE GRÜNEN-Gemeinderatsfraktion
Betreff

Geplanter Gäubahntunnel: keine Informationen, keine Basis für Diskussionen, nur viele offene Fragen

Im Jahr 2009 hat die Stadt Stuttgart durch OB Schuster einen Vertrag unterzeichnet, der mit den Vertragspartnern Deutsche Bahn AG, Land Baden-Württemberg und Region Stuttgart die Realisierung (und Finanzierung) des Projekts Stuttgart 21 festschreibt. Darin enthalten ist der Planfeststellungsabschnitt PFA 1.3b, der den Anschluss des Gäubahnverkehrs über den Flughafen an den neuen Hauptbahnhof u. a. mit Hilfe eines dritten Gleises am S-Bahnhof im Flughafen Stuttgart regelt. Dieser Abschnitt befindet sich in der Planfeststellung, die abschließende Erörterung hat 2020 aufgrund der Corona-Epidemie nicht stattgefunden.

Im Sommer 2020 hat die Bundesregierung im Rahmen der Präsentation ihres Deutschlandtakt-Konzepts die Reduktion der Fahrtzeiten von Stuttgart nach Singen und Zürich durch einen stellenweisen Ausbau der Gäubahn zusammen mit einem neuen „Gäubahntunnel“ auf der Filder vorgestellt – eine Lösung, die den vertraglich festgeschriebenen PFA 1.3b vollkommen ersetzen würde. Anschließend hat Staatssekretär Bilger den neuen Gäubahntunnel befürwortet sowie die dazugehörige Wirtschaftlichkeitsberechnung für Dezember 2020 und – bei positivem Ausgang – die Aufnahme in den Bundesverkehrswegeplan angekündigt, was die Finanzierung durch den Bund bedeutet.

Von Staatsekretär Bilger wurde über die Medien informiert, dass die Wirtschaftlichkeitsberechnung positiv ausfalle und das entsprechende Gutachten Mitte März 2021 – nach der Landtagswahl – vorliegen soll. Durch einen Vertreter der DB wurde auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem Staatssekretär die Öffentlichkeit darüber informiert, dass deshalb die bestehenden Verträge zu Stuttgart 21 angepasst werden müssten. Nach unserer Kenntnis wurde keiner der Vertragspartner aus Baden-Württemberg weder über die Pläne, noch über die Wirtschaftlichkeitsberechnung, den Zeitablauf und die weiteren Konsequenzen informiert – auch die Stadt Stuttgart nicht. Ein Unding.

In der Folge hat das Regierungspräsidium Stuttgart als erste Konsequenz das laufende Verfahren zum PFA 1.3b auf unbestimmte Zeit verlängert und hat die Vorlage der entsprechenden Informationen zu Abläufen und Finanzierung sowie von Plänen eingefordert, um einen rechtssicheren Planfeststellungsbeschluss fassen zu können. Dies hat definitiv eine weitere Verzögerung der Lösung bei Stuttgart 21 auf der Filder und in Konsequenz des Anschlusses der Gäubahn an den Flughafen und den Hauptbahnhof zur Folge.

Die Leidtragenden dieser Hängepartie werden über viele Jahre die von den Unterbrechungen betroffenen Pendler*innen sein – egal welche Lösung letztendlich kommt. Wir erinnern an den Brief von 19 (Ober-)Bürgermeistern von Städten und Gemeinden entlang der Gäubahn, die ihre deutliche Unzufriedenheit mit den diskutierten Lösungen und Zeitabläufen zum Ausdruck gebracht haben.

Der neue Vorschlag eines unterirdischen Gäubahntunnels zeigt doch vor allem eins: Die bisherigen Konzeptionen waren und sind Murks. Die negativen Auswirkungen der Gäubahnführung auf den S-Bahn-Gleisen war noch nie zielführend bzw. würden zur enormen Beeinträchtigung für den für Stuttgart so bedeutsamen S-Bahn-Verkehr. Das Vorgehen der Bundesregierung und weiterer Befürworter dieses neuen und sicher teuren Tunnelprojekts werfen eine Vielzahl von Fragen auf. Wir stellen jetzt nur die derzeit naheliegendsten Fragen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, um die Dimension dessen zu skizzieren, was die Stadt Stuttgart bezüglich der neuen Konzeption beschäftigen wird:

• Warum informiert die Bundesregierung und/oder die DB ihre Vertragspartnerin Landeshauptstadt Stuttgart nicht über ihr Vorgehen, die Konsequenzen und ihre Vorschläge für das weitere Vorgehen? Welche Gründe verhindern das notwendige Einbeziehen der Landeshauptstadt? Die Vorschläge müssen schon länger bei der DB vorliegen und wurden Anfang Juli 2020 der Öffentlichkeit vorgestellt.
• Unter welchen Voraussetzungen sollen das Land Baden-Württemberg, der Verband Region Stuttgart und die Landeshauptstadt Stuttgart überhaupt bereit sein, rechtsgültige Verträge neu zu verhandeln?
• Welche Konsequenzen hat der neue Gäubahntunnel bzw. der Wegfall von PFA 1.3b für den Regional- und S-Bahnverkehr und die noch ausstehenden Notfallkonzepte? Wie sollen z. B. die S-Bahnhöfe zwischen Bernhausen und Sindelfingen-Goldberg – nach derzeitigem Planungsstand nicht einmal mehr durch den Gäubahntunnel erreichbar – bei Unterbrechungen auf der Stammstrecke angefahren werden?
• Was sind die zeitlichen Konsequenzen der im Raum stehenden Vorschläge für die Anbindung der Gäubahn an den Hauptbahnhof?
• Welche Folgen hätte diese Neukonzeption während der langen Unterbrechungsphase des Gäubahnanschlusses für den Stadtteil Vaihingen (Bahnhöfe Vaihingen und Rohr), und die vielen Pendler*innen aus den Filderkommunen bzw. von den Anrainerkommunen der Gäubahn, die nach Stuttgart einpendeln?
• Welche finanziellen Auswirkungen hätte diese Neukonzeption für den städtischen Haushalt?
• Wie sieht die Garantie des Bundes für die Finanzierung und den zeitnahen Bau des Gäubahntunnels aus? DB-Netz Vorstand Pofalla hat im Oktober 2020 öffentlich eingeschätzt, dass dies nur durch eine rechtsverbindliche Teilnahme des Bundes am neuen Stuttgart 21-Vertragswerk geschehen kann.


Wir beantragen:

1. Die Verwaltung terminiert möglichst im April 2021 eine Sondersitzung des Ausschusses Stuttgart 21/Rosenstein und informiert gemeinsam mit Vertretern des Regierungspräsidiums Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg über Kenntnisstand und Einschätzung der Landeshauptstadt bzw. des Landes zu dieser neuen Situation.

2. Vertreter*innen der DB werden gebeten, in dieser Sitzung darzustellen, welche Planung von ihr weiterverfolgt wird, welche Konsequenzen sich daraus für die Vertragspartner und welche Änderungen sich im zeitlichen Ablauf ergeben.


Gabriele Munk Andreas Winter Gabriele Nuber-Schöllhammer


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