Antrag vom 03/12/2015
Nr. 77/2015

Antrag
Stadträtinnen / Stadträte - Fraktionen

Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS
Betreff

Ablehnung von TTIP / TISA /CETA - Öffentliches Dienstleistungs- und Vergabewesen vor Freihandelsabkommen schützen


Wir beantragen:

Der Gemeinderat erklärt seine Ablehnung von TTIP, TISA und CETA

1. und der daraus resultierenden Einschränkungen kommunaler Selbstverwaltung. Er schließt sich der
im Beschluss vom 12. Februar 2014 erklärten Position des Deutschen Städtetags an (Siehe Anhang).

2. Das Thema "Auswirkungen der Freihandelsabkommen auf die Kommunen" kommt im nächsten
Verwaltungsausschuss zur Diskussion auf die Tagesordnung.

3. Der Gemeinderat setzt sich für mehr Aufklärung der Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger ein,
indem er eine öffentliche Veranstaltung zu oben genanntem Thema ausrichtet. Dazu wird ein
Vertreter des Bündnisses "TTIP unfairhandelbar" oder "Stop TTIP" als Referent geladen.


Begründung:
Die EU verhandelt derzeit mit den USA, Kanada und weiteren Ländern um die Freihandelsabkommen
TTIP, CETA und TISA (Erläuterungen im Anhang). Die Verhandlungen laufen weitgehend hinter
verschlossenen Türen. Durch geleakte Papiere sind jedoch einige Pläne bekannt geworden, die nun
von etlichen Nichtregierungs-Organisationen zu Recht scharf kritisiert werden. Werden die Verträge
der Freihandelsabkommen so, wie bislang verhandelt, ratifiziert, droht ein Abbau von demokratischen,
ökologischen und sozialen Standards sowie Verbraucherschutzrechten. Auch für die Kommunen
wären die Auswirkungen massiv: Durch eine Investorenschutzklausel, die vor unabhängigen
Schiedsgerichten durchgesetzt werden könnte, blieben die Kommunen praktisch ohne jedes
Mitspracherecht. Gegen ihren Willen könnten Privatisierungen durchgesetzt werden, für
Dienstleistungen und nahezu die gesamte Daseinsvorsorge würde eine Marktzugangsverpflichtung
gelten.

Bereits am 08.11.2013 hat der Bayerische Städtetag in einer Pressemitteilung deutliche Kritik an den
Verhandlungen um die Freihandelsabkommen geäußert und auf die daraus resultierenden Risiken für
die Kommunen hingewiesen (Siehe Anhang). Diesem Vorstoß hat der Hauptausschuss des
Deutschen Städtetags am 12. Februar 2014 zugestimmt und fordert per Beschluss einen verstärkten
Einsatz der Bundesregierung bei der EU-Kommission, um die kommunale Daseinsvorsorge von den
Verhandlungen auszuschließen. Von der EU-Kommission fordert der Deutsche Städtetag "das
Mandat über die Verhandlungen offen zu legen und über den Verhandlungsprozess regelmäßig zu
berichten". OB Kuhn hat diese Kritik in einem Brief an Ministerpräsident Kretschmann bestätigt und
gleiche Forderungen gestellt (Pressemitteilung vom 16. September 2014). Dem Beschluss des
Städtetags haben sich bundesweit bereits mehrere Gemeinderäte angeschlossen, zum Beispiel
München, Hannover, Solingen und Kassel.

Auch auf breiter gesellschaftlicher Ebene regt sich zunehmend Widerstand gegen die Verhandlungen.
Ein großes Bündnis aus 65 Organisationen hat sich in Deutschland gebildet, darunter z.B. der BUND
und der NABU, die CIR - Christliche Initiative Romeo oder WEED - Weltwirtschaft, Ökologie &
Entwicklung. Das Bündnis nennt sich "TTIP unfairhandelbar" und hat mit einer Petition über 715.000
Unterschriften gegen das Freihandelsabkommen gesammelt. Im internationalen Bündnis "Stop TTIP"
sind über 240 Organisationen vertreten. Angesichts der massiven Auswirkungen, die die Bedingungen
des Abkommens für die Stadt Stuttgart bedeuten würde, muss sich auch der Gemeinderat deutlich
gegen die Verhandlungen positionieren und eigene Initiativen zur Aufklärung der Bürgerinnen und
Bürger ergreifen.

Thomas Adler Hannes Rockenbauch
Fraktionsvorsitzender Fraktionsvorsitzender

Laura Halding-Hoppenheit Guntrun Müller-Enßlin

Christoph Ozasek Gangolf Stocker

Stefan Urbat Christian Walter


Anhang:


Auswirkungen weltweiter Handelsabkommen auf die kommunale Daseinsvorsorge

Beschluss des Hauptausschusses des Deutschen Städtetags am 12. Februar 2014 in

München

1. Der Hauptausschuss begrüßt die Festlegungen des Koalitionsvertrages von CDU, CSU

und SPD, bei den derzeit geführten Verhandlungen über eine transatlantische Handels- und
Investitionspartnerschaft (TTIP), auf die Wahrung der europäischen Sozial- und
Umweltstandards sowie auf den Schutz der kommunalen Daseinsvorsorge Wert zu legen.
Der Hauptausschuss begrüßt in diesem Zusammenhang auch das klare Bekenntnis des
Koalitionsvertrages zu der Bedeutung der Daseinsvorsorge, der Wichtigkeit des Subsidiaritätsprinzips
und somit der Erhaltung der Gestaltungshoheit der Kommunen bei der Daseinsvorsorge.

2. Vor diesem Hintergrund fordert der Hauptausschuss die Bundesregierung auf, sich

gegenüber der EU-Kommission mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass die kommunale
Daseinsvorsorge, darunter insbesondere die nicht liberalisierten Bereiche, wie die öffentliche
Wasserver- und Abwasserentsorgung, die Bereiche Abfall und ÖPNV, soziale
Dienstleistungen sowie alle Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge im Kulturbereich,
vom derzeit mit den USA verhandelten Freihandelsankommen – und allen weiteren
Handelsabkommen – explizit ausgeschlossen wird.

3. Der bisherige Prozess der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen EU-USA ist in

höchstem Maße intransparent und vernachlässigt erheblich die Rechte der gewählten
Parlamentarier auf europäischer, nationaler und Länderebene sowie die der Kommunen. Der
Hauptausschuss fordert die EU-Kommission auf, das Mandat über die Verhandlungen offen
zu legen und über den Verhandlungsprozess regelmäßig zu berichten. Die Grundsätze der
Rechtsstaatlichkeit müssen auch in Streitfällen gelten.

Erläuterungen:

Die Europäische Union und die USA haben am 13. Februar 2013 beschlossen,
Verhandlungen über eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft
(Transatlantic Trade and Investment Partnership – TTIP) aufzunehmen, mit dem Ziel die
transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen durch dieses Abkommen zu vertiefen.
Die EU ist der bedeutendste Handelspartner der USA. Zusammen machen die EU und die
USA fast 50 Prozent der Weltproduktion sowie ein Drittel des Waren- und
Dienstleistungshandels aus. Die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft
zwischen der EU und den USA soll erhebliche Wachstums- und Beschäftigungseffekte
erzielen und neuen Schwung für Wirtschaft und Arbeitsmarkt bringen. Laut einer, von der
EU-Kommission in Auftrag gegebenen, Folgenabschätzung könnte diese umfassende
transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zu einem Gesamtwirtschaftlichen
Gewinn von 119,2 Milliarden Euro jährlich für die EU (94,9 Milliarden Euro jährlich für die
USA) sowie einer Erhöhung der Ausfuhren aus der EU in die USA um bis zu 28 Prozent
führen. Das Abkommen wird für die Mitgliedstaaten der EU von der Europäischen
Kommission verhandelt.

Grundlage dieser Verhandlungen ist ein vom Rat erteiltes Mandat, welches jedoch nicht

veröffentlicht wird. Nach Abschluss der Verhandlungen müssen das Europäische Parlament
und der Rat dem Vertragstext des Abkommens im Ganzen zustimmen oder ihn ablehnen.
Nach Abschluss des Freihandelsabkommens wird dieses für die Mitgliedstaaten bindend.
Damit wird es Anwendungsvorrang vor dem europäischem Sekundärrecht, wie
beispielsweise Verordnungen und Richtlinien, sowie nationalem Recht haben. Dieses
rechtliche Gewicht des Abkommens verstärkt seine mögliche Bedeutung für die kommunale
Daseinsvorsorge.

Eine stärkere Harmonisierung von Normen und sogenannter nicht-tarifärer

Handelshemmnisse, wie die Angleichung von technischen Standards, eine umfassende
Handelsliberalisierung, der Abbau von Zöllen, ein besserer Zugang zum öffentlichen
Beschaffungswesen in den USA sowie ergänzende Vorschriften zu Sozial- und
Umweltstandards sind Bestandteil des Abkommens. Die genauen Inhalte des Abkommens
sind aufgrund der sehr eingeschränkten Beteiligung der Öffentlichkeit nur schwer
abzuschätzen. Die EU-Kommission verhandelt zwar das vom Parlament ratifizierte Mandat,
der genaue Wortlaut dessen und aller weiteren Verhandlungsdokumente – und damit auch
detaillierte Informationen über mögliche Ausnahmen im Bereich der Daseinsvorsorge – sind
für die Öffentlichkeit jedoch nicht zugänglich.

Je nach Ausgestaltung und Wortlaut des Abkommens, könnten Teile der kommunalen

Daseinsvorsorge unter den Anwendungsbereich der Handels- und Investitionspartnerschaft
fallen. Auch wenn sich das Handelsabkommen nicht direkt mit den Organisationsformen und
-aufgaben der öffentlichen Verwaltung befasst, können sich die Inhalte des Abkommens
indirekt auf die kommunale Organisationsfreiheit auswirken. Beschränkend für die
Organisationsfreiheit könnte sich beispielsweise eine Marktzugangsverpflichtung auswirken.
Diese untersagt lokale Monopole und ausschließliche Dienstleistungserbringer. Somit würde
einer Kommune zwar nicht vorgeschrieben, wie sie die öffentliche Daseinsvorsorge zu
erbringen hat. Die Marktzugangsverpflichtung könnte jedoch dazu führen, dass neben den
kommunalen auch private Unternehmen die Daseinsvorsorgeaufgaben wahrnehmen können
müssen und Rechtsformeinschränkungen für die Erbringung nicht zulässig sind.
Daher ist es wichtig, sicherzustellen, dass die Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge
prinzipiell nicht von einer transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft erfasst
sind. Dies gilt ebenso für das seit Juni 2013 von der EU-Kommission verhandelte
"Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen“ (Trade in Services Agreement – TISA),
welches nationale Dienstleistungsmärkte öffnen soll. Die Gefährdung der Daseinsvorsorge
besteht bei neuen Handelsabkommen im Allgemeinen darin, dass sie über das geltende
Recht der Welthandelsorganisation, also dem "Allgemeinen Abkommen über den Handel mit
Dienstleistungen“ (General Agreement on Trade in Services, GATS) hinausgehen. In den
GATS-Klauseln verpflichten sich die teilnehmenden Staaten lediglich zur Liberalisierung
expliziter Sektoren. Für Abkommen, wie TISA und TTIP, ist allerdings zu befürchten, dass
alle Dienstleistungssektoren von den Liberalisierungsverpflichtungen des Abkommens
erfasst sind, wenn diese nicht ausdrücklich ausgenommen werden.
Insofern begrüßen wir die Entscheidung der EU-Kommission, in einer dreimonatigen
Konsultationsphase offene Fragen zum umstrittenen Investitionsschutz zu klären. Es besteht
die Befürchtung, dass Investitionsschutzklauseln, wie sie auch im TTIP enthalten sein
dürften, mittelbare Auswirkungen auf die Gestaltungsfreiheit der Kommunen bei der
Organisation ihrer Aufgaben haben könnten. Unternehmen wäre es im Rahmen einer
Investitionsschutzklausel erlaubt, Staaten vor nicht öffentlichen Schiedsgerichten auf
entgangene Gewinne zu verklagen.

Die Erbringung zahlreicher Aufgaben der Daseinsvorsorge durch kommunale und öffentliche

Einrichtungen hat in unserer Gesellschaft eine lange Tradition und hat sich bewährt. Die
Bürgerinnen und Bürger vertrauen darauf, dass die Steuerung und Kontrolle der Leistungen
der Daseinsvorsorge durch demokratisch legitimierte kommunale Vertretungskörperschaften
erfolgt. Damit stellt die kommunale Daseinsvorsorge ein wichtiges Element eines
bürgernahen Europas dar, dem die EU und die Mitgliedstaaten gleichfalls verpflichtet sind.
Die öffentliche Daseinsvorsorge darf daher insbesondere in den Bereichen, in denen sie
wichtige Aufgaben in nicht-liberalisierten Märkten wahrnimmt, keinesfalls einer
Liberalisierung unterworfen werden. Darunter fällt insbesondere die Wahrnehmung der
Aufgaben in der Wasserver- und Abwasserentsorgung.

Diese Bereiche dürfen, vor dem Hintergrund des gerade erzielten Erfolges für die öffentliche

Wasserwirtschaft in der Konzessionsvergaberichtlinie der EU, nicht wiederholt angetastet
werden. Dies gilt gleichermaßen für die traditionell seitens der Länder und der Kommunen
geleistete Kulturförderung. Der Erhalt von eigenen Einrichtungen, wie Theatern, Museen und
Bibliotheken und die Förderung von zivilgesellschaftlichem sowie ehrenamtlichem
Engagement sind gemeinwohlerhaltende und wichtige Bestandteile der kommunalen
Daseinsvorsorge. Die Kommunen dürfen in der Erbringung auch dieser Aufgaben keinesfalls
durch ein Handelsabkommen eingeschränkt werden. Darüber hinaus sind insbesondere
auch die sozialen Daseinsvorsorgeleistungen zu nennen. Die Erbringung dieser Leistungen
durch Kommunen und die Funktionsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme sowie die
kommunale Kompetenz in der Krankenhausversorgung müssen weiterhin gewährleistet sein
und dürfen durch den Abschluss eines Handelsabkommens keiner Einschränkung
unterliegen.

Um die Rechts- und Planungssicherheit bei der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen zu

erhalten, ist es ebenso von großer Bedeutung, auch bei weltweiten Handelsabkommen
sicherzustellen, dass die kommunale Definitions- und Gestaltungshoheit respektiert wird, wie
sie mit dem Lissabon-Vertrag garantiert wird. Die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips –
auch im Bereich von Handelsabkommen – ist für die Erbringung von kommunaler
Daseinsvorsorge unabdingbar. Die dadurch gewährte grundsätzliche Entscheidungsfreiheit,
ob und wie eine Kommune Daseinsvorsorgeleistungen auf ihrem Hoheitsgebiet durch einen
eigenen Dienstleister erbringen will, dieses einem Privaten überlässt oder in Form von PPPModellen
erbringt, muss auch innerhalb eines weltweiten Handelsabkommens gewahrt
werden.

Demnach ist die deutsche Bundesregierung aufgefordert, sich in enger Abstimmung mit den

kommunalen Spitzenverbänden gegenüber der EU-Kommission für die Belange der
Kommunen einzusetzen und darauf hinzuwirken, dass diese beim Abschluss eines
Handelsabkommens mit den USA – und allen weiteren Handelsabkommen –
Berücksichtigung finden. Die Organisationsfreiheit der Kommunen im Bereich der
Daseinsvorsorge sowie das Recht, die Art und Weise der lokalen Daseinsvorsorge zu
gestalten, dürfen nicht angetastet werden.

http://www.staedtetag.de/fachinformationen/wirtschaft/068853/




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