Beantwortung zur Anfrage
9/2012

Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart, 05/31/2012
Der Oberbürgermeister
GZ: OB 6261-00



Beantwortung zur Anfrage
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
    Kotz Alexander (CDU), Bulle-Schmid Beate (CDU), Currle Fritz (CDU)
Datum
    01/20/2012
Betreff
    Stadt am Fluss – Baden im Neckar
Anlagen
    Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:

Vorbemerkung

Das Baden im Neckar wurde bereits durch Rechtsverordnung vom 04.08.1978 untersagt. Die damals maßgeblichen Gründe sind auch heute relevant und werden deshalb sogleich dargestellt:


Wasserqualität bzw. seuchenhygienische Gründe

Die Wasserqualität des Neckars hat sich zwar durch eine Vielzahl von Maßnahmen in den letzten Jahrzehnten stark verbessert. Der Neckar wird aber nach wie vor als Vorfluter eingesetzt, d. h., die Abwässer von rund 590 Kläranlagen mit 11 Millionen Einwohnerwerten werden in den Neckar eingeleitet. Diese gereinigten Abwässer führen in aller Regel noch eine große Anzahl von Krankheitserregern, wie Fäkalkeime, Salmonellen, Viren oder Pilze mit sich. Dadurch kann die Wasserqualität gesundheitsschädigend beeinflusst werden.

Neben den ständigen Klärwerkseinleitungen gelangt durch die in Baden-Württemberg vorherrschende Mischwasserkanalisation im Regenwetterfall verdünntes Abwasser über die Regenwasserentlastungen der Kanäle in die Gewässer, das zu einer zusätzlichen mikrobiologischen Belastung führt.


Um die Hygieneproblematik zu beherrschen, müssten u. a. die Klärwerke mit einer weiteren Reinigungsstufe zur Keimreduzierung nachgerüstet werden. Darüber hinaus müssten flächendeckende Maßnahmen zur Keimminderung bei einer Vielzahl von Regenwasserentlastungen auf Stuttgarter Markung getroffen werden. Dies ist aus heutiger Sicht weder technisch noch finanziell realisierbar.
Da über den Neckar mehr als 50 % des in Baden-Württemberg anfallenden Abwasservolumens abgeleitet wird, würden auch Einzelmaßnahmen der Landeshauptstadt Stuttgart nicht ausreichen.

In der Kanalisation und an den Uferbereichen lebende Ratten können eine Vielzahl von pathogenen Keimen (z. B. Leptospirose) übertragen. 2006 erkrankte ein Teilnehmer eines Triathlons an einer schweren Leptospirose. Der Verdacht lag nahe, dass sich der Teilnehmer mit Neckarwasser infiziert hatte.

Das Sozialministerium Baden-Württemberg rät aus diesen Gründen, zuletzt in der Pressemitteilung vom Mai 2011, vom Baden in Flüssen ab, „da diese – abgesehen von wenigen Badestellen – nicht zum Baden geeignet sind und amtlich auch nicht kontrolliert werden. Es sei daher nicht auszuschließen, dass an diesen Badestellen mikrobiologische Verunreinigungen über den geltenden Grenzwerten bestehen.“

Auch das für den Bereich Heidelberg zuständige Gesundheitsamt des Rhein-Neckar-Kreises lehnt das Baden im Neckar auf Markung Heidelberg ab (siehe Ausführungen zu Frage 2).

In einer Diplomarbeit der Universität Hohenheim, die in Zusammenarbeit mit dem Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg und Unterstützung des Gesundheitsamtes Stuttgart angefertigt wurde, wurde im Jahr 2010 erneut die Wasserqualität des Neckars im Bereich der Landeshauptstadt untersucht. Dazu wurden in der „Badesaison 2010“ (13. April bis 6. September 2010) 14-tägig Proben an 3 Stellen des Neckars auf Stuttgarter Markung (Max-Eyth-Steg, Hofener Straße, Mineralbad Leuze) entnommen und nach den Vorgaben der Badegewässerverordnung Baden-Württemberg vom 16. Januar 2008 (BadegVO) untersucht. Danach war die Badewasserqualität nach den Kriterien der Badegewässerverordnung an allen 3 Stellen mangelhaft.


Sicherheitsrelevante Gründe

Weite Teile des Neckarufers im Bereich der Stadt Stuttgart sind entweder betoniert, wobei der Neigungswinkel der Uferböschung ca. 45° beträgt oder aber bestehen aus so genannten Spundwänden. Letztere werden vorzugsweise an Schiffsanländen, Lade- und Löschstellen sowie im Schleusenbereich errichtet. Diese Spundwände werden senkrecht in den Gewässergrund eingerammt. Die glatten Eisenkomponenten dieser Art von Uferbefestigung machen das An-Land-Kommen eines Badenden
i. d. R. unmöglich. Ein erschöpfter Schwimmer müsste dann zusätzlich möglicherweise 100 m zurücklegen, um an eine geeignete Leiter zu gelangen.

Die betonierten Ufer stellen, insbesondere dann, wenn sie im Sommer im unteren Teil mit Algen bewachsen sind, für einen in Gefahr befindlichen Schwimmer ein unüberwindliches Hindernis dar. Auch hier müsste bis zur nächsten Treppe geschwommen werden. Ein Umstand, der im Hinblick auf die Badesicherheit nicht hingenommen werden kann. Die stark schwankende, in aller Regel nur sehr geringe Sichttiefe würde eine Bergung von in Schwierigkeiten geratenen Personen sehr erschweren.

Darüber hinaus besitzt der Neckar selbst in den Sommermonaten bei Niedrigwasser stets eine leichte Strömung, die von Badenden zu berücksichtigen wäre.

Die Bundeswasserstraße Neckar ist von der Mündung bis nach Plochingen eine Großschifffahrtsstraße. Er darf, aufgrund schifffahrtsrechtlicher Regelungen, von Wasserfahrzeugen mit einer Größe von bis zu 105 m Länge und 11,40 m Breite befahren werden. Mit einem einzigen solchen Fahrzeug werden bis zu 2.500 t Güter transportiert. Die Reaktionszeiten und die Anhaltezeiten sind daher verlangsamt. Bei leeren, hoch aufragenden Fahrzeugen besteht ein enorm großer toter Winkel (über 200 m), der das Sichtfeld des Schiffsführers stark einschränkt und ein sorgfältiges, vorausschauendes Fahren erforderlich macht. Plötzlich auftretende Hindernisse,
z. B. in Form eines Schwimmers, sind dabei kaum rechtzeitig auszumachen.

Das Fahrwasser des Neckars reicht im Stuttgarter Bereich meist bis in Ufernähe heran. Von einer sicheren „Badezone“ kann dabei nach Ansicht der Wasserschutzpolizei nicht ausgegangen werden. Folglich können Gefahrensituationen nicht ausgeschlossen werden.

Ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotenzial, sieht die Wasserschutzpolizei in der wachsenden Anzahl von Wassersporttreibenden (Vereinsmitgliedern), die mit unterschiedlichsten z. T. motorisierten Wasserfahrzeugen auf der Wasserstraße fahren bzw. trainieren. Ruderer beispielsweise, die naturgemäß mit dem Rücken zur Fahrtrichtung sitzen und nur von Zeit zu Zeit sich über das Freisein des Verkehrsraumes vergewissern, würden es schwer haben, einen Schwimmer rechtzeitig zu erkennen.

Auch wenn nach Auskunft des Wasser- und Schifffahrtsamts alle Schiffe, Fahrzeuge und Geräte auf dem Neckar einer Geschwindigkeitsbeschränkung zwischen 12 km/h und 18 km/h unterliegen, muss man berücksichtigen, dass die Trainingsgeschwindigkeiten bei nicht motorisierten Wasserfahrzeugen bis zu 20 km/h betragen.


Zu Frage 1

Aus den dargelegten Gründen muss das Baden im Neckar sowohl aus gesundheitlichen Gesichtspunkten wie auch wegen der nicht zu gewährleistenden Verkehrssicherheit nach wie vor untersagt bleiben. Die für Badende und auch andere Nutzer des Neckars bestehenden Risiken müssen im Interesse der Stadt schon aus haftungsrechtlichen Gründen dazu führen, das Badeverbot aufrecht zu erhalten.

Zu Frage 2

Die Wasserqualität des Neckars erfüllt nicht die gesetzlichen Vorgaben der entsprechenden EU-Richtlinie (Richtlinie 2006/7/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Februar 2006 über die Qualität der Badegewässer und deren Bewirtschaftung) und der darauf basierenden baden-württembergischen Badegewässerverordnung (Verordnung des Ministeriums für Arbeit und Soziales und des Umweltministeriums Baden-Württemberg über die Qualität und die Bewirtschaftung der Badegewässer (BadegVO vom 16. Januar 2008).

Schon in der Badesaison 2001 wurden entlang des Neckars an 12 Entnahmestellen von den jeweiligen Gesundheitsämtern unter der Federführung des Landesgesundheitsamtes (LGA) im Abstand von 14 Tagen nach den Vorgaben, die für Badeseen gelten, Wasserproben entnommen.

Das LGA stellte danach fest, dass bei jeder Entnahmestelle mindestens zweimal Salmonellen nachgewiesen wurden. Bei allen Probeentnahmestellen gab es zudem Grenzwertüberschreitungen für fäkalcoliforme und für gesamtcoliforme Bakterien: die Richtwerte für Fäkalstreptokokken wurden ebenfalls häufig überschritten. Auf Basis der EU-Richtlinie erreicht keine der untersuchten Stellen vom Schwarzwald-Baar-Kreis bis zum Rhein-Neckar-Kreis die geforderte Badewasserqualität.


Die Ergebnisse der Studie sind aus Sicht des für den Bereich Heidelberg zuständigen Gesundheitsamts des Rhein-Neckar-Kreises aufgrund der unveränderten Gesamtsituation auch heute noch relevant.

Aus diesen Gründen rät das Gesundheitsamt Rhein-Neckar-Kreis ebenfalls vom Baden im Neckar ab.
Insofern besteht kein Unterschied zwischen Stuttgart und Heidelberg. Nach Auskunft des Gesundheitsamt Rhein-Neckar-Kreis gibt es auch in Heidelberg keine ausgewiesene Badestelle.


Zu Frage 3

Unter naturschutzrechtlichen Gesichtspunkten ist es nicht erwünscht, dass die wenigen vorhandenen Renaturierungsbereiche noch durch eine Nutzung als Badestellen beeinträchtigt werden. Die Uferbereiche wurden renaturiert, um die Ufer möglichst naturgetreu wieder herzustellen und durch die Schaffung von Flachwasserzonen dem Fischbestand die Möglichkeit zur Laichablage zu geben. Dieses Ziel kann nur durch weitgehende Unberührtheit dieser Bereiche erreicht werden.


Zu Frage 4 und 5

Aus den o. g. Gründen sind auch im Rahmen des Projekts „Landschaftspark Neckar in Stuttgart“ keine Badestellen oder gar ein geregelter Badebetrieb geplant. Zwar ließen sich bei Renaturierungs- und Gestaltungsmaßnahmen Ufer herstellen, welche einen leichteren Ausstieg aus der Fahrrinne an Land ermöglichen, doch selbst wenn der Neckar als Badegewässer nicht mehr als mangelhaft eingestuft werden wird (womit in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist), dürften die mit der Schifffahrt verbundenen Gefahren in der engen Fahrrinne zu groß sein und der Einrichtung offizieller Badestellen entgegen stehen.
Nach der Binnenschifffahrts- und der Hafenverordnung ist das Baden 100 m ober- und unterhalb von Brücken, Wehren und Hafeneinfahren verboten. Dasselbe gilt im Schleusenbereich, in Hafeneinfahrten und in Hafengewässern sowie an nach der Binnenschifffahrtsverordnung mit Schildern gekennzeichneten Stellen.

Ziel der Planungen im Zusammenhang mit dem „Landschaftspark Neckar in Stuttgart“ ist es, an verschiedenen Uferstellen die Zugänglichkeit zum Wasser zu verbessern bzw. erstmalig zu ermöglichen. So könnten an mehreren Stellen Sitzstufen bis ins Wasser und Naturerlebnisflächen direkt am Wasser realisiert werden. Damit könnte das Ziel des direkten Erlebens von Wasser und Fluss erreicht werden. Vorplanungen bestehen in den Bereichen Wasenufer (Sitzstufen, Renaturierungsbereich), Wilhelmavorfeld (Sitzstufen), Sicherheitshafen/Hechtkopf (Renaturierungsbereich, Sitzstufen), Austraße (Renaturierungsbereich, zugängliches Ufer an „Liegewiese“, Wasserspielplatz am Tapach). Durch Beschilderung soll darauf hingewiesen werden, dass das Baden nicht erlaubt ist.







Dr. Wolfgang Schuster

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