Stellungnahme zum Antrag
351/2011

Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart, 01/17/2012
Der Oberbürgermeister
GZ: OB 5803-00



Stellungnahme zum Antrag
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
    Freie Wähler-Gemeinderatsfraktion
Datum
    09/22/2011
Betreff
    Urban Gardening
Anlagen
    Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:


1. Erfahrungen andere Städte

Urban Gardening hat seinen Ursprung in den USA (City Farm in Chicago, Community Gardens in New York). Hier haben sich Bewohner von Großstädten teilweise illegal Brachflächen, teilweise auch Flächen in gestalteten Parkanlagen angeeignet, um Nahrungsmittel zu produzieren. Inzwischen ist die Idee des Gärtnerns in der Großstadt auch in Europa angekommen. Christa Müller schreibt in ihrem jüngst erschienenen Buch „Urban Gardening“ (München 2011, S. 9): „Im Gegensatz dazu wendet sich der Garten, von dem in diesem Buch die Rede ist, der Welt zu, ja, er boomt ausgerechnet dort, wo es laut, selten beschaulich und zuweilen chaotisch zugeht: Mitten in der Stadt. Hier suchen die Akteure der neuen Gartenbewegung auch nach Ruhe, nach Erdung, nach Begegnung mit der Natur. Aber sie suchen in einer paradox anmutenden Bewegung zugleich die Begegnung mit anderen und die Konfrontation mit den Themen, die der Garten nahe legt – und so sind die Motivationen für das Gärtnern vielschichtig und vielfältig. Sie reichen vom Wunsch, sich gesund zu ernähren, einen Naturraum mitten in der Stadt zu gestalten, der Nachbarschaft zu begegnen, praktische Beiträge gegen die Abholzung von Urwald für die Nahrungsmittelversorgung der nördlichen Halbkugel zu leisten, bis hin zur Diskussion der Frage, für welche Zwecke die Kommune ihre Flächen zur Verfügung stellen soll.“

Einige Großstädte haben bereits Erfahrung mit dem Thema „Urban Gardening“. In Berlin bestehen seit Sommer 2009 die Prinzessinnengärten auf 6.000 Quadratmetern. Ein Dokumentarfilmer und ein Geschichtswissenschaftler kamen auf die Idee, eine zentrale Brachfläche für den Anbau von Pflanzen zu nutzen, wie sie es in Kuba erlebt haben. Sie wandelten das Konzept aber so weit ab, dass die Pflanzenproduktion in Behältern erfolgt, die jeder Zeit an einen anderen Ort gebracht werden können. Bio-Qualität versteht sich von selbst, der Anbau von Pflanzen ohne Erdöl wird propagiert. Die Stadt Berlin verpachtete auf Anfrage das Gelände und der Vertrag wird jährlich gegen eine geringe Gebühr erneuert. Die beiden engagierten „Stadtgärtner“ erhielten über einen Zeitungsaufruf und das Internet 150 Garteninteressierte und gründeten die GmbH Nomadisch Grün. Inzwischen gibt es auf dem Gelände ein Gartencafe, ein Bienenvolk, eine Kochgemeinschaft und Künstler haben Baumhäuser angefertigt. Der im Stadtteil eingebettete Garten hat großen Zulauf. Die beiden Initiatoren werden in Deutschland zu verschiedenen Vorträgen eingeladen, waren auf der Weltausstellung in Shanghai, werden für Veröffentlichungen angefragt oder beraten auch andere Gruppen, um einen eigenen Garten zu gründen.

Hamburg, www.gartendeck.de: Hier ist ein mobiler Garten auf St. Pauli in der Großen Freiheit, auf dem so genannten Pflanzendeck, weil auf dem Dach einer Tiefgarage gelegen, errichtet. In Industriekörben und Reistüten wird auf ca. 1.000 Quadratmetern Gemüse angebaut, von der Kartoffel bis zum Mais. Die Initiative „Die Keimzelle“ hat sich bei einem internationalen Sommerfestival gegründet und den Ort von einer Firma (Sprinkenhof AG) überlassen bekommen. Inzwischen haben sich zu der Gruppe viele Helfer und sogar zwei Gärtner eingefunden. Einmal wöchentlich gibt es Einführungskurse ins Thema Gärtnern.

In Hannover wurden bereits drei Gärten, zwei auf Tiefgaragen, einer auf einer 800 Quadratmeter Brache mit altem Obstbaumbestand, vom Verein Internationaler Stadtteilgarten Hannover e. V. angelegt.

In München sind Interkulturelle Bewohnergärten des ZAK (Verein ZAK "Zusammen Aktiv in Neuperlach"; Verein für Gemeinwesenarbeit und Stadtteilgestaltung) im Stadtteil München-Neuperlach angelegt.

Paris In Paris gab es zunehmend illegale Gärten auf Brachflächen. Deshalb wurde die Idee „main verte“ (grüne Hand) gegründet. Die Stadt hat eine Stelle eingerichtet, die dieses Thema koordiniert und als Anlaufstelle dient. Wenn sich Menschen für eine Fläche interessieren, müssen sie zuerst einen Verein gründen. Dann macht die Stadt Jahresverträge für die Nutzung gegen eine Verwaltungsgebühr und berät die Gruppe. Manchmal unterstützt sie auch mit Material. Der Verein muss sich zum ökologischen Landbau verpflichten und die Fläche zweimal in der Woche für alle öffnen. Von der Stadt wird ein Newsletter herausgegeben, der Tipps gibt oder Interessenten verknüpft. Inzwischen sind ca. 70 sehr unterschiedliche Gärten, in denen sich ca. 2.000 Menschen engagieren, entstanden. Vom Gemüse direkt in den Boden gepflanzt bis hin zu Pflanzkisten auf Paletten oder Blumengärten mit Sitzgelegenheiten gibt es vielfältige Anbauvarianten.

2. Wo und an welchen Plätzen Urban Gardening auch in Stuttgart ermöglicht werden könnte?

In Stuttgart gibt es schon seit langem die Arbeitsgemeinschaft Wangener Grünflächen (AWG) für ein sauberes und blumenreiches Wangen. Seit Ende der 90iger Jahre wurde der Blumenschmuck und die Pflegeintensität aus Kostengründen eingeschränkt. Dies führte zu einem sehr kritischen Artikel in der Ortschronik AUS WANGEN vom Dezember 2000 mit der Überschrift: „Im Ernst“. Aufgrund dieses Artikels kam ein intensives Gespräch mit dem Garten-, Friedhofs- und Forstamtes in Gang. Auch der Bezirksbeirat nahm sich dieser Thematik an und lud die Wangener Bevölkerung zu einer Anhörung ein, die dann in der Begegnungsstätte am 5. März 2002 stattfand. Dabei entstand die AWG, die es sich als Grünflächenpaten zum Ziel gesetzt hat, verschiedene Flächen in Wangen zu pflegen. Die Anlage der Beete übernahm das GFF. Dies wurde vertraglich zwischen der AWG und dem GFF geregelt, eine Gebühr wird nicht erhoben. Relativ schnell hat sich die Zahl der Paten auf 30 bis 40 eingependelt und ist bis heute so geblieben. Die Einbindung von Schülern wurde versucht, hat sich aber leider nicht bewährt. Die 100 Quadratmeter Blumenbeete sind inzwischen von der Stadt angelegt und erfreuen die Bevölkerung. Zweimal wöchentlich werden die Flächen von der AWG kontrolliert und gepflegt. Damit die Öffentlichkeit eingebunden wird, veranstaltet die AWG jährlich eine Pflanzen(tausch)börse zur Gewinnung neuer Paten. Für die Aktiven gibt es im Herbst eine gemütliche Versammlung mit kostenloser Bewirtung.

Generell gibt es in Stuttgart bereits annähernd 500 Patenschaften für die Pflege von kleinen Grünflächen, Bäumen, Hundetütenspendern und für die Sauberkeit und Sicherheit auf Spielplätzen. Diese finden auf Grundlage von geregelten Absprachen statt. Diese Aktivitäten werden von der Verwaltung gefördert, entsprechen aber nicht dem klassischen „Urban Gardening“.

Bürgergärten beim Travertinpark: Im Rahmen der Sozialen Stadt Hallschlag hat sich eine Initiative gebildet, die einen Gemeinschaftsgarten für Jung und Alt gründen wollte. Nachdem das Garten-, Friedhofs- und Forstamt ein geeignetes Grundstück im Bereich des Travertinparks zur Verfügung gestellt hatte, haben sich 27 Familien verschiedener Nationalitäten zusammengefunden und einen Verein gegründet. Seit zwei Jahren werden auf den 27 Parzellen, die zwischen 30 und 60 m² groß sind, Tomaten, Erbsen, Gurken und Beerenobst angebaut. Eine Gemeinschaftsfläche auf dem Grundstück lässt Raum für Spiele und Feste zu.

Im Stöckach (Stuttgart-Ost) entstand 2010 im so genannten „Stöckachtreff“ die Idee, einen Nachbarschaftsgarten anzulegen. Oberhalb des Stöckachplatzes gab es einen brachliegenden Spielplatz, dessen Neubebauung erst im Rahmen des Ausbaus der Hauswirtschaftsschule in ca. drei Jahren vorgesehen ist. Das GFF hat den Bereich den Initiatoren, die einen Verein gegründet haben, zur Nutzung überlassen. Ein Vertrag wird derzeit erarbeitet. Für alle Nicht-Vereinsmitglieder ist der Garten geöffnet, wenn sich Mitglieder dort aufhalten. Der Verein hat als erstes das Gelände geräumt und eine Gartenhütte für Arbeitsmaterial gebaut. Erste Beete wurden angelegt und im Herbst soll es ein Fest geben.

Zusätzliches Engagement von Bürgern findet sich auch bei den:

Obst- und Gartenbauvereinen in Stuttgart: 27 Vereine mit ca. 5000 Mitgliedern, die ca. 120 Hektar Streuobstwiesen (nicht eingezäunte Obstwiesen) und andere Obstwiesen (auch größere Gütle mit Zaun) mit ca. 1400 Hektar pflegen.

Siedler und Kleingärtnervereine: 40 Vereine mit ca. 5500 Mitgliedern, davon 30 Kleingartenvereine - mit 60 Gartenanlagen bzw. ca. 3650 Parzellen mit über 100 Hektar Fläche. 4 Siedlervereine mit 1000 Mitgliedern. 4 Eigenheimervereine mit 500 Mitgliedern. 2 Vereine Wochenendfreunde mit 200 Mitgliedern.

Dazu kommen im Bereich Streuobst noch der "Förderverein Stuttgarter Apfelsaft" und andere private Initiativen (z.B. "Schutzgemeinschaft Rohrer Weg"), die aber von der Mitgliederzahl kaum ins Gewicht fallen.

Grundsätzlich fördert die Verwaltung Bürgerengagement, wie die Beispiele oben zeigen. Jedoch neu zu etablierende und eventuell uneinheitlich, privat gestaltete Flächen erfordern einen hohen Betreuungs- und Schlichtungsaufwand seitens der Verantwortlichen. Die Verwaltung unterstützt überall dort, wo sich aus dem Stadtbezirk heraus Initiativen gründen die Initiatoren.

3. Wie hoch ist der Aufwand?

Bei einer Ausdehnung und Förderung des „Urban Gardening“ ist mit einem Betreuungsaufwand von 0,5 Stellen (25.000 €) pro Jahr zu rechnen.


Das Garten-, Friedhofs- und Forstamt hat im Arbeitskreis Spielflächen bereits zu dem Antrag und Thema berichtet. Ein weiterer Bericht im Ausschuss für Umwelt und Technik ist vorgesehen.






Dr. Wolfgang Schuster

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