Die bisherigen Erfahrungen verdeutlichen, dass die Beseitigung, Sanierung oder Sicherung eingetretener Schäden nicht nur kompliziert und zeitaufwändig ist, sondern auch hohe Kosten verursacht. Schätzungsweise wurden in den Stuttgarter Schadensfällen seit Mitte der 1980er Jahre (ohne baubedingte Maßnahmen) über 100 Tonnen organischer Schadstoffe entfernt. Dafür entstanden bei Industrie und Stadt Kosten in dreistelliger Millionenhöhe, wobei erfahrungsgemäß ca. eine halbe Million Euro pro ausgetragener Tonne veranschlagt werden muss. Der Aufwand, den die Stadt zur Grundwassersanierung aufgebracht hat, beträgt bis heute 1,2 Mio €. Die Kosten zur reinen Schadenserkundung liegen bei 12,5 Mio €. Nicht gerechnet sind hierbei die Kosten von ca. 5 Mio €, die von der Stadt in die Sanierung einer der größten Stuttgarter Altlasten, das Öl-Epple-Areal in Bad Cannstatt, investiert werden mussten. Zusammengefasst betrachtet waren die Bemühungen zur Minderung des Schadens-umfangs in Stuttgart erfolgreich. Insgesamt sind die Schadstoffgehalte im Grundwasser in vielen Fällen rückläufig. Das Ziel, die Schäden zu beseitigen und besonders die Heilquellen wieder in den Status der natürlichen Reinheit zurückzuführen, ist aber noch nicht erreicht. Von den vollzogenen bzw. noch laufenden Maßnahmen, die im vorliegenden Bericht ausführlich behandelt werden, sind folgende wichtige Ergebnisse hervorzuheben: Systematische Altlastenbearbeitung
In den Jahren 1993 bis 1996 wurden im gesamten Stadtgebiet systematisch Altlastenverdachtsflächen (Historische Erhebung, HISTE) erhoben. Sie sind im Informationssystem Altlasten Stuttgart (ISAS) integriert. Im Stadtgebiet sind 4.749 kontaminationsverdächtige bzw. kontaminierte Flächen bekannt. Nach ersten Bewertungen konnten 1.481 Flächen aus der weiteren Bearbeitung als unverdächtig ausgeschieden werden (sog. A-Flächen). Es verbleiben 2.553 Flächen, auf denen im Zuge von Baumaßnahmen mit kontaminiertem Bodenaushub bzw. Bauschutt zu rechnen ist (B-Flächen. “B” steht für “Belassen” im ISAS). Für 649 Flächen besteht weiterer Untersuchungsbedarf (U-Flächen). 31 Flächen sind sanierungsbedürftig (S-Flächen). Als überwachungsbedürftig sind 35 Flächen eingestuft. Priorisierung von Schadensfällen
Die Zahl der zu bearbeitenden Altlasten und Grundwasserschadensfälle nahm im Laufe der Jahre stetig zu. Grund hierfür waren weniger neue Schäden, sondern vielmehr Untersuchungen im Grundstücksverkehr und bauliche Aktivitäten, Erkundungen im Umfeld bekannter Kontaminationsflächen sowie die systematische Erfassung potenzieller Verdachtsflächen mit fraglicher Vornutzung. Gegenwärtig sind in Stuttgart 715 Schadensfälle in Bearbeitung. Hiervon besteht in 232 Fällen Handlungsbedarf mit mittlerer und hoher Priorität. Aus den 715 zur weiteren Bearbeitung anstehenden Fällen (K-, S-, U- Fälle - “Kontrolle”, “Sanierung”, “Untersuchung” - ) ergeben sich 483 Fälle mit niedriger Priorität, 171 Fälle mit mittlerer und 61 mit höchster Dringlichkeit (Gemeinderats-Drucksache 64/1999). Es wird angestrebt, zunächst die Fälle mit oberster Priorität aufzuarbeiten und einheitlich auf das Beweisniveau 4 (Sanierungsuntersuchung abgeschlossen, Vorschläge zur Sanierung liegen vor) zu bringen. Hydraulische Sanierung im öffentlichen Bereich Grundwasserverunreinigungen, die bislang keinem Störer zugeordnet werden können, werden zur Gefahrenabwehr auf Kosten der Stadt saniert. Solche hydraulischen Sanierungen betreibt die Stadt derzeit in insgesamt 15 Grundwasseraufschlüssen. Während des 15-jährigen Sanierungszeitraums sind aus den Grundwasseraufschlüssen ca. 500.000 m3 Grundwasser gefördert worden, was insgesamt zu einem Austrag von ca. 300 kg LCKW führte. Dafür sind Kosten von rund 3,5 Mio. € entstanden. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist schlecht, weil sich die Sanierungsstellen nicht oder nicht nahe genug bei den nicht bekannten Schadensherden befinden. Wegen Überschreitung der maßgeblichen Prüfwerte kommt eine Einstellung jedoch nicht in Frage. Leichtflüchtige chlorierte Kohlenwasserstoffe in den Mineral- und Heilquellen
Das nieder- und hochmineralisierte Bad Cannstatter und Berger Mineralwasser ist derzeit in unterschiedlicher Höhe durch leichtflüchtige chlorierte Kohlenwasserstoffe betroffen. Lediglich in den Brunnen im Maurischen Garten, in den beiden Wilhelmsbrunnen, in der Gottlieb Daimler Quelle, in der Insel- und Leuzequelle sowie im Berger Urquell sind bisher keine Schadstoffe nachgewiesen worden. Bereits seit 1984 sind in den niedermineralisierten Quellen LCKW bekannt, zunächst mit Werten zwischen 15 und 25 µg/l (Summe Tri- und Tetrachlorethen) in der Mombach- und Auquelle bzw. 5 bis 10 µg/l in den beiden Kellerbrunnen. Ab 1986 spielen sich die Werte beständig auf unter 10 µg/l ein. Derzeit beträgt die Summe der LCKW in den betroffenen Quellen konstant 3 bis 5 µg/l. Seit 1991 wurden auch in hochmineralisierten Quellen erstmals LCKW in Spuren festgestellt. In der Veielquelle pendelt sich die Schadstoffkonzentration auf 1 bis 1,5 µg/l Trichlorethen ein. Im Mineralwasser der Berger Quellen, ausgenommen im Berger Urquell (Südquelle), sind Gehalte von 1 bis 3 µg/l Trichlorethen festzustellen. Heilquellenschutzgebiet
Seit den 1950er Jahren wurden Anstrengungen unternommen, ein Schutzgebiet für die Bad Cannstatter und Berger Quellen auszuweisen. Von den entwickelten Entwürfen der Jahre 1954, 1969 und 1990 erlangte jedoch keiner Rechtskraft. 1989 hat die Stadt umfangreiche hydrogeologische Untersuchungen zur Erkundung des Mineralwassersystems begonnen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse gaben neue und wichtige Impulse für die Fortsetzung der Bemühungen zur Ausweisung eines Schutzgebiets. Die fachlichen Arbeiten hierzu wurden ab 1994 von dem eigens hierfür eingerichteten Arbeitskreis “Heil- und Mineralquellenschutz (HMQS)” unter Vorsitz des Regierungspräsidiums Stuttgart aufgenommen. Der Arbeitskreis lieferte für das Schutzgebiet eine Abgrenzung sowie die fachlichen Grundlagen für den Entwurf einer Rechtsverordnung inklusive Begründung, welcher der Gemeinderat im Juli 2002 zugestimmt hat (GRDrs 630/2001). Seit dem 11.06.2002 ist das Quellenschutzgebiet samt den dazu formulierten Verboten und Regelungen rechtskräftig. Damit ist der Auftrag des Gemeinderats aus dem Jahr 1985 erfüllt. Informationssysteme
In zunehmendem Maße werden die Anstrengungen zur Beseitigung von Boden- und Grundwasserschäden durch Informationssysteme unterstützt. Das Informationssystem Altlasten Stuttgart “ISAS" ermöglicht einen schnellen Zugriff auf Fachdaten zu mittlerweile 4.800 Verdachts- und Schadensflächen. Aufgrund der komplexen geologischen und hydrogeologischen Verhältnisse im Stadtgebiet werden verfügbare geologische Informationen aus Bohrungen sowie wasserwirtschaftliche Daten in den Informationssystemen “GEWISS” und “BOISS” vorgehalten. Letzteres verwaltet mittlerweile ca. 14.700 Bohrungen und 6.300 Grundwasseraufschlüsse.
Ausblick
Die im Umweltbericht 1985 und in dessen Fortschreibungen enthaltenen Maßnahmen wurden und werden auch künftig konzentriert fortgeführt. Die bei der Altlastenbearbeitung erzielten Erfolge dürfen jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass die Grundwasserreinigung nur sehr langsam vonstatten geht, da sich die Folgen einer Jahrzehnte andauernden Gefährdung und anhaltenden Beeinträchtigung des Bodens nicht in wenigen Jahren beseitigen lassen. Daher dürfen die Bemühungen der Wasserbehörde zum Schutz der Grundwasser-Ressource, deren Bedeutung mit der Wasserrahmen-Richtlinie des Bundes auf der Basis europäischen Rechts noch zugenommen hat, nicht nachlassen. Hierzu sind weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Situation vorgesehen. Sie werden im Einzelnen im vorliegenden Bericht begründet. Neue Strategien bei der Untersuchung und Sanierung von Altlasten
Die Entfernung der Schadstoffe aus Boden und Grundwasser ist aufwändig und teuer. Zur Bewältigung der Boden- und Grundwasserkontaminationen werden daher moderne Strategien im Altlastenmanagement zunehmend wichtiger. Zu deren Entwicklung ist die Stadt an mehreren Projekten beteiligt. Der Ansatz der “Integralen Erkundung” sowie von “Natural Attenuation”, d.h. die ganzheitliche Betrachtung und die Berücksichtigung natürlicher Abbauprozesse von Schadstoffen im Grundwasser wird zunehmend Berücksichtigung finden (müssen). Weiteres Vorgehen zur Frage nach der Herkunft leichtflüchtiger chlorierter Kohlenwasserstoffe im Mineralwasser
Bisher standen bei den hydrogeologischen Untersuchungsprogrammen zum Schutz der Heilquellen vor allem Aspekte der Schüttungsmenge im Vordergrund (Abgrenzung des Quelleinzugsgebiets, Schüttungsschwankungen, Beeinträchtigung der Schüttung durch Baumaßnahmen und Wasserhaltungen). Künftig müssen in weiteren Untersuchungen auch der Zustand und die Entwicklung der Güte des Grund- und Mineralwassers - d.h. Ursache und Herkunft der Verunreinigungen - eingehender bewertet werden. Für das Verständnis der im Grundwasserleiter ablaufenden Vorgänge ist die übergeordnete Betrachtung im regionalen Maßstab zwingend und daher auf den gesamten Stuttgarter Talkessel auszuweiten. Brunnensanierungen
Bei der baulichen Sanierung von defekt bzw. stockwerksübergreifend ausgebauten Brunnen ist ein guter Stand erreicht worden. Zukünftig wird der Schwerpunkt der Sanierungsarbeiten noch auf einigen Notbrunnen liegen, die sowohl sehr tief sind als auch in vielen Fällen den Oberen Muschelkalk erschließen, sowie auf den beiden Wilhelmsbrunnen. Der Umbau der im Stuttgarter Talkessel oberstromig der Bad Cannstatter und Berger Quellen gelegenen Notbrunnen ist weitgehend abgeschlossen. Abschließend muss auf der Grundlage des neuen Quellenschutzgebiets eine aktuelle Priorisierung der weiterhin stockwerksübergreifend ausgebauten Notbrunnen erfolgen.
Grundwassermessnetze
Zur Kontrolle langfristiger Auswirkungen von Eingriffen in das Grundwasser, die im städtischen Raum alltäglich stattfinden, sind kontinuierliche Messungen zur Güte und Menge des Grundwassers notwendig. Dazu wird der Aufbau von Messnetzen unter Einbeziehung bestehender Grundwasseraufschlüsse erforderlich.
Neue Methoden zur Messung der Schüttung an den Mineral- und Heilquellen sind weitgehend abgeschlossen. Umbaumaßnahmen sind noch an den beiden Wilhelmsbrunnen und Kellerbrunnen vorgesehen.
Stuttgart 21
Beim Städtebau- und Bahnprojekt Stuttgart 21 kommt dem Schutz der Heilquellen größte Bedeutung zu, da das Projekt z.T. erhebliche wasserwirtschaftliche Eingriffe mit sich bringt. Trassenabschnitte durchfahren die Kern-, Innen- und Außenzone des Heilquellenschutzgebiets. Die Trassen- bzw. Planfeststellungsabschnitte werden wasserwirtschaftlich intensiv begleitet. Auf den Städtebauflächen A bis C wird zur Zeit die Erkundung von Altlasten vorangetrieben. Nach Abschluss der Erkundungsarbeiten gilt es, ein Sanierungskonzept für das Städtebauareal zu entwickeln. Trinkwasserschutzgebiet Münster-Mühlhausen-Hofen
Der Gemeinderat hat 1985 die Verwaltung beauftragt, zum Schutz der (damaligen) Trinkwasserfassungen (Reservefassungen) des Wasserwerks Münster ein Trinkwasserschutzgebiet auszuweisen. Das (damalige) Geologische Landesamt Baden-Württemberg hat das Schutzgebiet mit seinem Gutachten vom April 1998 hydrogeologisch abgegrenzt. Zur Klärung noch offener Fragen hat das Amt für Umweltschutz im Jahre 2001 weitere Untersuchungen beauftragt, deren Ergebnisse die Ausweisung eines Schutzgebiets nicht mehr rechtfertigen, zumal das Wasserwerk aktuell nur noch zur Notwasserversorgung vorgesehen ist.
Kosten
Die im Einzelnen begründeten Maßnahmen, die zur weiteren Verbesserung der Güte des Grundwassers und zum Schutz der Mineral- und Heilquellen erforderlich werden, sind im Bericht in Kapitel 9 sowie in Anhang 2 der Vorlage zusammengefasst. Dort wird der Finanzierungsbedarf, der Zeitrahmen zur Umsetzung der Maßnahmen sowie das für die Umsetzung zuständige Fachamt aufgeführt. Ein Teil der entstehenden Kosten wird aus den laufenden Haushaltsmitteln gedeckt. Für den größeren Teil ist die Zuweisung von Sondermitteln (zeitlich beschränkte Maßnahmen) erforderlich. Die einzelnen Maßnahmen sollen zeitlich verschoben begonnen werden, aber bis spätestens 2012 ausgeführt sein. Dadurch verteilen sich die im Anhang 2 genannten Kosten auf mehrere Haushaltsjahre. Über die Finanzierung der ab 2006 anstehenden Maßnahmen ist jeweils im Zusammenhang mit der aktuellen Finanzlage im Rahmen der Haushaltsplanaufstellungen der kommenden Jahre zu entscheiden. (*): Erhöhung des Haushaltsansatzes “Maßnahmen zum Grundwasserschutz”
(**): Sondermittel