Rockenbauch Hannes (SÖS), SÖS im Stuttgarter Gemeinderat
Betreff
Mitgliedschaft in beschließenden Ausschüssen
- Änderung der Hauptsatzung
Zur Stärkung des Minderheitenrechts fraktionsloser Gemeinderäte stelle ich folgenden Antrag:
1. § 5 der Hauptsatzung wird durch Einfügung eines Absatzes 5 neu mit folgendem Wortlaut geändert:
“(5) Mitglieder des Gemeinderats, die keiner Fraktion angehören, werden auf Antrag zu Mitgliedern ohne Stimmrecht bestellt. Ein Antrag nach Satz 1 kann jeweils nur für einen der beschließenden Ausschüsse gestellt werden.”
2. Für den amtierenden Gemeinderat sind Anträge auf Bestellung zum Mitglied ohne Stimmrecht gem. Nr. 1 dieses Beschlusses innerhalb von 3 Wochen nach Beschlussfassung zu stellen.
Begründung
Als fraktionsloses Mitglied des Gemeinderats bin ich von der Arbeit insbesondere der beschließenden Ausschüsse ausgeschlossen. Denn ich habe als solcher keine Chance, gem. § 40 Abs. 2 Satz 1 GemO gewählt zu werden. Damit bleibt mir die Möglichkeit verschlossen, der Verantwortung gegenüber den Bürgern gerecht zu werden, die ich mit meiner Wahl in den Gemeinderat übernommen habe.
Wie alle Mitglieder des Gemeinderats habe ich mit der Wahl gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG ein freies Mandat erhalten. Jedem Mitglied steht daher aufgrund von Art. 3 Abs. 1 GG ein Recht auf freie und gleiche Mandatsausübung zu. Alle Mitglieder eines Gemeinderats müssen danach gleiche Rechte und Pflichten haben. Denn die Repräsentation der Bürger stellt sich im Gemeinderat als Ganzes und nicht von Einzelnen oder einer Gruppe von Räten, auch nicht von der Mehrheit dar. Der Gemeinderat vertritt die Bürger in der Gesamtheit seiner Mitglieder.
Dies setzt die gleichen Mitwirkungsbefugnisse aller Mitglieder des Gemeinderats voraus. Jeder Einzelne muss am Willensbildungsprozess möglichst umfassend beteiligt sein.
Ein wesentlicher Teil der Arbeit des Gemeinderats wird in den beschließenden Ausschüssen geleistet. Soweit diese Ausschüsse nicht selbst entscheiden, bereiten sie Beschlüsse des Gesamtgremiums vor. Diese Ausschüsse arbeiten daher stets auf die endgültige Beschlussfassung hin und nehmen damit zugleich einen Teil des Entscheidungsprozesses vorweg. Dazuhin wird ein wesentlicher Teil der Informations- und Kontrollaufgaben durch die Ausschüsse wahrgenommen.
Schwerdtner, Der Minderheitenschutz – auch ein elementarer Grundsatz
im Kommunalrecht?, VBlBW 1993, 328/329
Aufgrund dieser Funktion müssen die Ausschüsse grundsätzlich ein verkleinertes Abbild des Gesamtgremiums sein und in ihrer Zusammensetzung das Gesamtgremium widerspiegeln. Die prinzipielle Möglichkeit, in einem Ausschuss mitzuwirken, hat für das einzelne Mitglied des Gemeinderats angesichts des Umstandes, dass ein Großteil der Sacharbeit von den Ausschüssen bewältigt wird, eine der Mitwirkung im Gesamtgremium vergleichbare Bedeutung. Hier eröffnet sich die Chance für den Einzelnen, seine eigenen politischen Vorstellungen in die politische Willensbildung einzubringen. Aus diesem Grunde dürfen Mitglieder des Gemeinderats nicht ohne gewichtige, an der Funktionstüchtigkeit des Gremiums orientierte Gründe von jeder Mitarbeit in den Ausschüssen ausgeschlossen werden.
Schwerdtner, a.a.O., S. 329
Damit aufgrund der begrenzten Größe der Ausschüsse keine Ausschlusswirkung für kleine Faktionen oder fraktionslose Mitglieder des Gemeinderats entsteht, ist in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und im Saarland das sogenannte Grundmandat eingeführt worden.
Dieses Grundmandat berechtigt kleinere Fraktionen oder Gruppierungen, auf die kein Sitz im Ausschuss entfällt, zumindest einen Vertreter mit beratender Stimme in den jeweiligen Ausschuss entsenden zu dürfen. Diese Ausschussmitglieder unterscheiden sich – mit Ausnahme ihres fehlenden Stimmrechts – nicht von den übrigen Mitgliedern; insbesondere sind sie befugt, Sach- und Geschäftsordnungsanträge zu stellen.
s. Schwerdtner, a.a.O., S. 329
Auf diese Weise wird man auch in kommunalen Gremien dem Minderheitenschutz gerecht. Zur verfassungsmäßigen Ordnung der freiheitlichen Demokratie gehört auch im kommunalen Bereich das Recht der Minderheit, Opposition gegen die Mehrheit auszuüben, und die Freiheit der einzelnen Mandatsträger, entsprechend ihrer persönlichen Überzeugung und entsprechend ihrem Gewissen an der Arbeit des Gemeinderats teilnehmen zu können.
Um dies zu gewährleisten ist ein rechtlicher Rahmen zu schaffen, mit dessen Hilfe auch der einzelne Gemeinderat in der Lage ist, eigene politische Vorstellungen rechtzeitig und wirksam in die Arbeit der Vertretungskörperschaft und seiner Ausschüsse einzubringen und zu vertreten.
Hierzu dient die beantragte Änderung von Hauptsatzung und Geschäftsordnung. Durch den § 5 Abs. 5 neu der Hauptsatzung wird auch für einzelne Mitglieder des Gemeinderats die Möglichkeit geschaffen, sich wenigstens in einem der beschließenden Ausschüsse beratend und mit Anträgen einzubringen. Dann sind Anträge wie mein Antrag zum Verkehrsentwicklungskonzept vom 15.07.2005 – 229/2005 – im Ausschuss für Umwelt und Technik (UTA) zu behandeln und ich muss mich nicht mehr darauf verweisen lassen, dass ich im UTA keine Anträge stellen kann, da ich nicht Mitglied bin.
s. Schreiben (mail) von BM Hahn vom 08.08.2005 an mich
Durch den Verzicht auf das Stimmrecht bleibt gewährleistet, dass das Grundprinzip der Ausschussbildung, dem Gemeinderat effizient zuarbeitende bzw. diesen effizient entlastende Gremien zu schaffen, gewahrt bleibt.
Diese Änderung wird § 40 Abs. 1 Satz 2 GemO gerecht. Denn danach ist es Sache des Gemeinderats, die Mitglieder aus seiner Mitte zu bestellen. Insofern liegt auch eine Einigung im Sinne des § 40 Abs. 2 Satz 1 GemO vor. Hieraus ergibt sich, dass die beantragte Änderung gemeinderechtlich zulässig ist. Ob man – wie der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg – der Auffassung ist, ein Mitglied des Gemeinderats habe keinen Anspruch auf Zuteilung eines Sitzes in einem Ausschuss,
s. VGH BW, Urteil vom 21.12.1992 – 1 S 1834/92 – VBlBW 1993, 296
oder nicht, ist daher ohne Belang. Denn die hier beantragte Änderung der Hauptsatzung ist rechtlich zulässig.
Schwerdtner weist zu Recht darauf hin, dass auf diese Weise ein angemessener Ausgleich zwischen Minderheits- und Mehrheitsinteressen hergestellt werden kann. Damit wird dem Gebot politischer Chancengleichheit in demokratischen Verfahren weitergehend Rechnung getragen und es werden die funktionellen Voraussetzungen für das auch im Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart notwendige Mindestmaß an Minderheiteneffektivität geschaffen.