Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales/Jugend und Gesundheit
Gz: SJG
GRDrs 1024/2000
Stuttgart,
11/29/2000


Zweiter Zwischenbericht zum Umbau der Erziehungshilfen in Stuttgart



Mitteilungsvorlage


Vorlage anzurSitzungsartSitzungstermin
Jugendhilfeausschuß
Verwaltungsausschuß
Kenntnisnahme
Kenntnisnahme
öffentlich
öffentlich
11.12.2000
31.01.2001

Bericht:


Vom zweiten Zwischenbericht wird Kenntnis genommen.

1. Was war bisher?

Über das Projekt wurde mit den Vorlagen 239/1998 und 585/1999 bereits berichtet. Anlaß für das Projekt war in erster Linie die Fachdiskussion um die notwendige Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung, die auch in anderen Regionen der Bundesrepublik entsprechende Reformbemühungen ausgelöst hat. Letztlich geht es dabei um eine nachhaltige Wirksamkeitssteigerung der Erziehungshilfen. Der zweite Auslöser für das Reformprojekt war die fehlende Planungssicherheit für die Träger, was die Auslastung ihrer Kapazitäten betraf, und für die Stadt, was die Kalkulation des Finanzmittelbedarfs für die Erziehungshilfen betraf (Anlage 1, S. 2).


2. Bausteine der Veränderung

Auf der Grundlage der fachlichen Ziele wurde in bisher zwei Steuerungsbereichen des Jugendamtes (Bereich 2: Zuffenhausen, Stammheim, Mühlhausen und Bereich 1: Weilimdorf, Feuerbach) prototypisch ein System für die zielorientierte Fach- und Ressourcensteuerung entwickelt (Anlage 1, S.2/3).

Dieses System enthält bisher folgende Bausteine:

a) HzE-Stadtteilteams


b) Standards und Verfahren für die Hilfeplanung und Fallbearbeitung
c) Qualifizierung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
d) Raumbezogenes Trägerbudget für Erziehungshilfen
e) Finanz- und Fachcontrolling/ Benchmarking
f) Leistungsbonussystem
g) Praxisbegleitende Evaluation
Die Erfahrung zeigt, daß zielorientiertes Steuern dieses ganze Ensemble von Steuerungsinstrumenten braucht, um tatsächlich wirksam zu werden. Ihre Einführung hat Auswirkungen auf Organisationsstrukturen und erfordert teilweise neue Kompetenzen (Anlage 1, S.7, 1.2.8).

An folgenden Umbauzielen wird noch gearbeitet (Anlage 1, S.8, 1.3): Ein handhabbares Controllingsystem für den ASD geht 2001 in den Probelauf. Im Rahmen der fachlichen Konzepte sind noch nicht alle Fragen gelöst (Integrative Erziehungshilfe in Tageseinrichtungen für Kinder und in Schulen, Vollzeitpflege). Ob bestimmte Hilfebausteine (z.B. Hilfen bei Tag und Nacht, Vollzeitpflege, Notübernachtungen) gemeinsame Lösungen im Trägerverbund erfordern, ist noch zu erarbeiten.


3. Bewertung des Umbauprojektes

Mit dem Umbauprojekt liegen erstmals Erfahrungen bezogen auf eine konsequent entwickelte zielorientierte Fach- und Ressourcensteuerung vor. Die Erfahrungen damit sind sehr ermutigend, wenngleich die Controllinginstrumente noch weiterzuentwickeln und zu komplettieren sind.

Die Ergebnisse bezogen auf die fachlichen Ziele zeigen durchweg, daß der Weg stimmt (Anlage 1, Kap.2, S. 9-11). Individuell gestaltete Hilfen gewinnen an Bedeutung, die Beteiligung von Familien und Kindern wird gestärkt, die Dauer der Hilfen verkürzt sich, die Zahl der wohnortnahen Hilfen nimmt zu, die Hilfen öffnen sich in den Sozialraum, in der Kooperation mit Regeleinrichtungen werden neue Wege beschritten. Der Leistungsbonus wurde zwar noch nicht voll erreicht (was im ersten Jahr auch noch nicht zu erwarten war), zeigt aber doch, daß sich die fachliche Arbeit in der gewünschten Richtung neu orientiert. Daß Familien zufriedener sind mit der neuen Art und Weise der Zusammenarbeit mit ihnen, darauf weisen die Ergebnisse einer Diplomarbeit hin. Im nächsten Jahr soll im Rahmen der Evaluation eine “Kundenbefragung” durchgeführt werden, die dazu weitere Erkenntnisse bringen wird.

Ermutigend ist darüberhinaus, daß sich die fachlich neuen Ansätze auch in einer positiven Finanzentwicklung niederschlagen (Anlage 1, Kap.3, S. 12-13). Die Ausgaben in den traditionell arbeitenden Bereichen sind von 1997 bis 1999 um 9,5 % gestiegen (von 66,06 Mio. auf 72,5 Mio.), im Experimentbereich 1 dagegen um 2,2 % gesunken (von 12,3 Mio. auf 12,06 Mio.). Wäre das Experiment nicht durchgeführt worden, hätten sich die Kosten in diesem Bereich vermutlich analog der Gesamtstadt entwickelt, das heißt, sie wären im selben Zeitraum ebenfalls um 10 %, von 12,3 Mio. auf 13,5 Mio. gestiegen.

Es zeigte sich aber auch, daß der fachliche und finanzielle Gewinn nicht umsonst zu haben ist. Um den Umbau zu leisten, wurden im Experimentbereich 1 zusätzliche Personalressourcen und Finanzmittel in Höhe von rund 1,3 Mio. DM in drei Jahren eingesetzt.1)

Nicht in DM ausweisbar, aber dennoch für das Gelingen des Umbaus tragend, ist der hohe und engagierte Einsatz der zahlreichen am Umbau beteiligten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.




Gabriele Müller-Trimbusch
Bürgermeisterin

1) Neben diesen ausweisbaren Projektkosten sind aus dem Bestand des Jugendamtes Ressourcen in das Projekt geflossen. Zum Beispiel eine Stelle der Jugendhilfeplanung, die das Projekt mit entwickelt hat (siehe auch Anlage 3, S.11 ff).

Beteiligte Stellen












Anlage 1 zur GRDrs 1024/2000

Zweiter Zwischenbericht
zum Projekt “Umbau der Erziehungshilfen” in Stuttgart
Stand: Herbst 2000


      1 Stand des Projektes
      1.1 Der Umbauprozess
      1.2 Bausteine der zielorientierten Steuerung
      1.2.1 Multidisziplinäre Teams als Ideenwerkstätten
      1.2.2 Verfahrensklarheit für die Hilfeplanung und Fallbearbeitung
      1.2.3 Qualifizierung der Mitarbeiter
      1.2.4 Raumbezogenes Trägerbudget für Erziehungshilfen
      1.2.5 Finanz- und Fachcontrolling/ Benchmarking
      1.2.6 Das Leistungsbonussystem
      1.2.7 Praxisbegleitende Evaluation
      1.2.8 Voraussetzungen der Steuerungsinstrumente
      1.3 An welchen Umbauzielen wird noch gearbeitet?

      2 Ergebnisse des Projektes im Hinblick auf die fachlichen Ziele
      2.1 Individuell gestaltete Hilfen gewinnen an Bedeutung
      2.2 Die Beteiligung von Familien und Kinder wird gestärkt
      2.3 Hilfen öffnen sich in den Sozialraum
      2.4 Verstärkte Kooperation mit Regeleinrichtungen
      2.5 Weiterentwicklung der Hilfen über Tag und Nacht
      2.6 Positiver Leistungsbonus

      3 Ergebnisse des Projektes im Hinblick auf die Finanzziele

      4 Bericht über den HzE-Kongreß im April 2000
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1 Stand des Projektes In dem Projekt ”Umbau der Hilfen zur Erziehung” geht es in erster Linie um fachliche Weiterentwicklungen und gleichzeitig um den systematischen Umbau eines gesamten Teilsystems der Jugendhilfe. Dabei wurde eine in vielfältiger Hinsicht neue Fach- und Ressourcensteuerung entwickelt, ohne die dieser grundlegende Wandel nicht zu realisieren wäre.

Das Projekt wurde bezogen auf seine fachlichen Inhalte – was ist Erziehungshilfe, in welchem Umfang wird sie in Stuttgart von wem erbracht, was soll durch den Umbau anders werden usw. – in den beiden Vorlagen 239/1998 (Projektbeschluß) und 585/1999 (erster Zwischenbericht) ausführlich beschrieben.

Im zweiten Sachstandsbericht wird das Projekt eher unter der Perspektive Umbau zur zielorientierten Fach- und Ressourcensteuerung dargestellt. Die Erfahrungen aus dem bisherigen Prozeß sind durchaus für andere Innovationsprozesse der Verwaltung zu nutzen.
1.1 Der Umbauprozess

Das besondere an dem Umbauprozess ist die Gleichzeitigkeit von Entwicklungs- und Umbauarbeit. Somit stellen die entwickelten Verfahren keine ”Vision von etwas Besserem” dar, sondern sind in ihren Wirkungen bereits nachweisbar. Dieses Vorgehen stellt auch für die Verwaltung eine neue Erfahrung bei der Entwicklung und Implementierung eines neuen Systems dar. Dabei geht es nicht nur um ”kosmetische Veränderungen” am System, sondern um einen Paradigmenwechsel.

Der Paradigmenwechsel beruht auf fachlichen Zielen für die Erziehungshilfen, die an verschiedenen Orten der Bundesrepublik Reformüberlegungen ausgelöst haben. In Stichworten aufgeführt sind dies folgende Ziele:

- Adressaten- bzw. Nachfrageorientierung (statt an Angeboten),
- Flexibilisierung der Hilfen (statt Versäulung),
- Orientierung an Ressourcen und Stärken (statt an Defiziten und Problemen),
- Lebensweltorientierung (statt hochspezialisierter Angebote),
- Integration (statt Ausgrenzung),
- Wohnortnähe (statt Unterbringung in entfernteren Einrichtungen).

Die Stuttgarter Fachwelt, im Projekt repräsentiert durch die Sozialen Dienste und die Erziehungshilfeträger, stehen uneingeschränkt hinter diesen Zielen. Letztlich geht es um eine nachhaltige Wirksamkeitssteigerung der Sozialen Arbeit.

Der zweite Auslöser für das Projekt war die fehlende Planungssicherheit seitens der Träger, was die nachgefragten Kapazitäten ihrer Angebote betraf und seitens der Stadt, was die Gesamtkosten der Erziehungshilfen betraf. Einige Jahre hintereinander mußten z.B. im Nachtragshaushalt zusätzliche Mittel bereit gestellt werden, ohne daß die Gründe dafür transparent zu machen waren oder gar im vorhinein zu erkennen gewesen wären.

Bei dem Versuch den fachlichen Zielen näher zu kommen wurde schnell deutlich, daß diese ohne eine grundlegende Veränderung des Finanzierungssystem nicht umsetzbar waren. Auch die Neuregelungen der Entgeltfinanzierung in der Kinder- und Jugendhilfe zum 1.1.1999 geht von einem vorgehaltenen Angebot aus. Für bestimmte standardisierte Hilfeformen (wie z.B. Betreutes Wohnen, Tagesgruppe oder Heimerziehung) werden Entgelte verhandelt und ein vom Standard abweichender individueller, auf die Lebenssituation abgestimmter und auch Stärken des sozialen Umfeldes einbeziehender Hilfeplan findet keinen Platz in diesem System.

Derartige, über lange Zeit gültige Rahmenbedingungen und eingeschränkte Möglichkeitsspielräume prägen entsprechend auch Denkmuster. Somit galt es nicht nur die Rahmenbedingungen zu verändern, sondern auch Routinen zu hinterfragen und Räume für neue Lösungsideen anzubieten.

Was dieses Vorhaben im Einzelnen alles bedeutete, war zu Beginn des Projektes nicht überschaubar. Das ganze Unterfangen war zu komplex, um ein neues System zunächst konzeptionell komplett zu entwickeln und dann in die Praxis umzusetzen. Daher wurde der Umbau modellhaft mit einem freien Träger im Stadtbezirk Zuffenhausen begonnen. Mit den dort gesammelten Erfahrungen wurden im zweiten Jahr in einem weiteren Experimentbezirk (Weilimdorf) die entwickelten Bausteine und Strukturen mit einem städtischen Träger erprobt.

Für die Arbeit in den Modellbezirken wurde eine Projektstruktur entwickelt, die besonderen Wert auf die Kooperation zwischen Träger und Sozialem Dienst legt. Außerdem wurden Beobachtungsmechanismen eingebaut, die auf Defizite und ungeklärte Fragen aufmerksam machten. Somit konnten permanent Konzeptideen angepaßt und neue Instrumente erarbeitet werden. Auf diese Weise entwickelte sich die, zunächst nur mit zentralen Grundbausteinen neu eingeführte Praxis eigendynamisch weiter und das neue System vervollständigte sich praktisch allmählich im Tun. Dies bedeutet aber auch für die Mitarbeiter einen erhöhten Aufwand. Denn neben der eigentlichen Arbeit gestalten sie mit an den konzeptionellen Verbesserungen und transportieren erkannte Probleme in die entsprechenden Gremien. Dies macht die zentrale Bedeutung der Mitarbeiterunterstützung deutlich, ohne deren Engagement und Sachverstand der anvisierte Umbau und das bisher Erreichte nie möglich gewesen wäre.

Da Systeme und über Jahrzehnte eingeschliffene Haltungen naturgemäß ein großes Beharrungsvermögen zeigen, waren die außerhalb des Systems stehenden ”Anwälte der fachlichen Ziele” in diesem Umbauprozess sehr bedeutsam. Hier sind der externe Projektbegleiter (Prof. Hinte), die Jugendhilfeplanung, der Evaluator und die Mitarbeitertrainings durch externe, den Projektzielen verpflichtete Trainerinnen, unverzichtbar.


1.2 Bausteine der zielorientierten Steuerung

Mit der Erkenntnis, daß sich die vereinbarten Ziele nur dann im Handeln niederschlagen, wenn entsprechende Steuerungsinstrumente die Zielverfolgung unterstützen, wurden verschieden Projektbausteine entwickelt. Die wichtigsten Instrumente der fachlichen Steuerung und der Finanzsteuerung werden im folgenden erläutert und ihre Wirkungsweisen dargestellt.


1.2.1 Multidisziplinäre Teams als Ideenwerkstätten

In den Modellbezirken wurden sogenannte HzE-Stadtteilteams gebildet. In diese Teams wirken Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes, der Wirtschaftlichen Jugendhilfe und die Fachkräfte des Erziehungshilfeträgers zusammen. Die HzE Stadteilteams versuchen einzelne Erziehungshifefälle auf dem Hintergrund der Lebensbedingungen im Sozialen Raum zu verstehen. Sie erarbeiten Hilfeoptionen, die vorhandene Ressourcen der Einzelnen, der Familien und des Umfeldes nutzen. Ein HzE- Stadtteilteam ist zuständig für ein bestimmtes Stadtgebiet.

Die Teams haben sich als Fachkreise bewährt, die die Qualität der Hilfeplanung insgesamt und dauerhaft anheben können, indem sie die anfallenden Fälle möglichst frühzeitig und multidisziplinär aufwerfen. Dadurch kann sich der individuell fachliche Blick öffnen und ein kollegialer bis kritischer Austausch gepflegt werden.

Einschätzungen von Fachkollegen können durch Formen des brain-storming inspiriert und Formen der Rollenübernahmen korrigiert werden, ohne dass dabei die individuelle Fachautorität leidet. Der Sozialraumbezug wird durch die Zusammenführung der Zuständigkeiten im Team unterstützt. In einer ersten explorativen Untersuchung zur Arbeit der Stadtteilteams 2) zeigten sich die anfänglich skeptischen Fachkräfte zufrieden mit dem intensiven und vertrauensvollen fachlichen Austausch.


1.2.2 Verfahrensklarheit für die Hilfeplanung und Fallbearbeitung

Für den Ablauf der Hilfeplanung und der Fallbearbeitung wurden neue Standards und Verfahren entwickelt die in einer Rahmenvereinbarung verabschiedet wurden. Diese umreißt die Aufgaben und Rollen der Beteiligten zu den verschiedenen Zeitpunkten des Hilfeverfahrens. In der Vereinbarung sind auch die neuen Standards formuliert und somit für jeden Mitarbeiter wie in einem Handbuch nachzulesen. Die Rahmenvereinbarung ist verbindlich für die Projektmitarbeiter 3)



2) Vgl. Anita Nuß: Die Umstrukturierung der Erziehungshilfen in ihrer Wirkung auf die Kooperation der Mitarbeiter – Empirische Untersuchung an einem Jugendamt einer deutschen Großstadt, Diplomarbeit an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Fachbereich Sozialwesen, März 2000
3) Möglichst personell kleine Kontraktgespräche, Kontraktgespräche sollen an den Wunschorten der Familien stattfinden, alle drei Monate eine Überprüfung der Hilfe, Standard der Ressourcenabfrage innerhalb des Stadtteilteams, fallunspezifische Arbeit als Standardaufgabe des Stadtteilteams....


Durch eine neue Vorgehensweise in der Hilfeplanung ist es gelungen, für die Maßgabe der fachlichen Qualitätssicherung (HzE-Stadtteilteams) einerseits und die Partizipation der Familien (sog. Kontraktgespräche) andererseits, den passenden Rahmen zu finden. Die zeitnahen Kontraktgespräche erlauben eine häufigere Überprüfung und Evaluation der Erziehungshilfe.


1.2.3 Qualifizierung der Mitarbeiter

Damit sich die neuen Rollen und Aufgaben der Mitarbeiter etablieren, werden im Rahmen von Trainings neben der Vermittlung von Theoriewissen auch praxisnahe Rollenspiele und Simulationsübungen durchgeführt. Die Trainings sind organisationsübergreifend und verpflichtend. Es müssen die kompletten HzE-Stadtteilteams teilnehmen. Auf diese Art wird der Zusammenhalt gefördert und die fachlichen Standards der Fachkräfte angenähert.

Die Fortbildungen vermitteln eine neue Herangehensweise in der Fallrecherche und der Fallvermittlung, in der Kooperation mit Vereinen und Volunteers oder bei der Moderation von Kontraktgesprächen. Die Trainingsziele werden zwischen Jugendhilfeplanung, Q&Q, dem mittleren Management, wie der Praxisebene diskutiert und weiterentwickelt. Es besteht so die Chance, praktische Probleme oder Defizite in die Fortbildungskonzeption aufzunehmen und so für eine Qualitätsentwicklung zu sorgen. Im Hinblick auf die stadtweite Umsetzung wird ein Baustein für Leitungskräfte hinzukommen.


1.2.4 Raumbezogenes Trägerbudget für Erziehungshilfen

Im Experimentbereich wurde ein neues Finanzierungssystem entwickelt. Mit dem für ein festgelegtes Stadtgebiet zuständigen Schwerpunktträger wird ein Budgetvertrag geschlossen. Dieser verpflichtet den Träger, alle im Stadtteil auftauchenden Erziehungshilfen den fachlichen Zielen entsprechend abzudecken. Um der Gesamtversorgungsverantwortung gerecht werden zu können, erhält der Schwerpunktträger ein Jahresbudget. Teile des Geldes sind nur zweckgebunden abrufbar, z.B. für die Arbeit mit Volunteers. Falls das Geld am Jahresende nicht ausgereicht hat, wurden klare Nachverhandlungsmechanismen festgeschrieben, die sich auch an vereinbarten Entwicklungszielen orientieren.

Das Jahresbudget schafft eine wichtige Finanzierungsgrundlage für die individuellen und sich immer wieder dem aktuellen Bedarf anpassenden Hilfen. Flexibilität auf der Fachebene erfordert auch eine Flexibiltät auf der Finanzierungsebene. Für den Träger sind Aufwände bei der Beratung und Unterstützung von Regeleinrichtungen finanzierbar geworden. Neben dem fachlichen Gewinn des Einbezugs der Regelsysteme in das Hilfesetting rechnen sich diese Investitionen auch, da sich so teure Spezialbetreuungen verhindern lassen. Die Aussonderung in spezialisierte Einrichtungen führt oft zu langfristigen Hilfen die Rückführungsoptionen erschweren.


1.2.5 Finanz- und Fachcontrolling/ Benchmarking

In der Experimentphase sind Instrumente für das Controlling der fachlichen und finanziellen Ziele entstanden. Für den HzE-Träger wurden Zeiterfassungsbögen entwickelt und suksessive, vor dem Hintergrund von Auswertungserfahrungen, vereinfacht. Es werden Dauer, Teilnehmer, Orte etc. eingetragen und diese Eintragungen den Fällen oder der fallunspezifischen Arbeit zugeordnet. Für das Finanzcontrolling wurde eine eigene Datenbank entwickelt, die der wirtschaftlichen Jugendhilfe einen permanenten Überblick über die laufenden Hilfen und vereinbarten Leistungen bietet. In den nächsten Wochen werden Controllingbögen für den ASD im Experimentbereich getestet und im kommenden Jahr eingeführt. Die Controllingdaten werden jährlich für einen gemeinsamen Controllingworkshop ausgewertet.

Auf diese Weise ergeben sich wichtige Hinweise auf Stärken und Schwächen in der Praxis. Aus der Vielzahl von Controllingergebnissen 1999 seien hier nur einige beispielhaft erwähnt: In einzelnen Stadtteilteams spielte die fallunspezifische Arbeit bzw. die Ressourcenmobilisierung (bei Vereinen, Kirchen, Selbsthilfegruppen etc.) im Stadtteil noch eine sehr untergeordnete Rolle. Auch konnte gezeigt werden, wie der Hilfeumfang mit der Nähe zwischen Sozialarbeiter und Familie stetig zunahm. Bei der Auswertung der Beteiligten an Kontraktgesprächen zeigte sich die Erfordernis, über erweiterte Beteiligungsformen für Kinder nachzudenken. Die Überprüfung des Ziels, Volunteers für einzelne Maßanzugsaspekte oder für sog. Kleine Hilfen zu gewinnen, ergab, daß dieses Vorhaben noch in den Kinderschuhen steckte. Aus den Controllingergebnissen wurden für das Folgejahr Konsequenzen gezogen und einzelne Themen verstärkt bearbeitet. So stellte der Erziehungshilfeträger eine 50 % Kraft ein, die sich konzeptionell um die Weiterentwicklung der Volunteerarbeit kümmert.

Das Finanzcontrolling des Jugendamtes war für den Budgetjahresabschluß unerläßlich und gibt Aufschluß über eventuell notwendige Nachverhandlungen. Mittlerweile werden die Finanzdaten quartalsweise zwischen Jugendamt und Erziehungshilfeträger abgeglichen.

Der Vergleich der Ergebnisse aus zwei Experimentbereichen zeigte, welche Chancen in einem stadtweiten Benchmarking liegen. So viel Transparenz gab es noch nie. Sie bietet die Grundlage für eine dauerhafte Qualtitätsentwicklung in der Stuttgarter Erziehungshilfe.


1.2.6 Das Leistungsbonussystem

Ein Teil des Budgetvertrages ist der Leistungsbonus. Dieser bewertet über verschiedene Indikatoren Qualitätsaspekte der Sozialen Arbeit. Je nach erreichter Punktzahl am Jahresende wird ein vereinbarter Geldbetrag zusätzlich zum Trägerbudget ausbezahlt.

Mit dem Instrument des Leistungsbonus können über das Fachcontrolling entdeckte Schwachpunkte aufgegriffen und in Erfolgsindikatoren für die Weiterentwicklung gegossen werden. Auf diese Art wurde die Steigerung der fallunspezifischen Arbeit und eine verstärkte Anwerbung von Volunteers in den Leistungsbonuskatalog aufgenommen. Für die Fachkräfte bedeutet dies, eine symbolische Anerkennung bzw. Anreiz sich fachlich weiterzuentwickeln. Verstärkte Bemühungen können sich hier bezahlt machen, und mit dem ausgezahlten Leistungsbonus können im Bereich z. B. Projekte finanziert werden oder den Mitarbeitern eine Fortbildung oder Studienreise. Schon die Vorstellung der Leistungsbonuskriterien am Jahresanfang hat gezeigt, dass eine prägnante Zieldefinition und Bemessung lebhaft und engagiert von den Fachkräften diskutiert wird und dadurch bewußtseinsbildend wirken.


1.2.7 Praxisbegleitende Evaluation

Die erwähnten Diplomarbeiten stellen nur einen Teil der Evaluation dar. Das Gros wird in praxisbegleitenden Verfahren, mittels Beobachtungen, Interviews oder Dokumentenanalysen des Projektevaluators durchgeführt. Die auf dieser Grundlage verfaßten und in Workshops vorgestellten Evaluationsberichte leisten dabei Verschiedenes:

Im Rahmen des offenen Herangehens der Evaluation wurden standardisierte Instrumente des HzE-Controllings oder des Leistungbonus entwickelt, sowie Standards und Vorgehensweisen verbessert.


1.2.8 Voraussetzungen der Steuerungsinstrumente

Die Steuerungsinstrumente (HzE Stadtteilteams, Rahmenvereinbarung, Budgetvertrag, Trainings, Controlling, Leistungsbonus, Evaluation) sind nun in zwei Experimenten erprobt, teilweise modifiziert und so weit entwickelt, daß sie in andere Bereiche übertragbar sind. Die Erfahrung zeigt vor allem, daß zielorientiertes Steuern dieses ganze Ensemble von Steuerungsinstrumenten braucht, um tatsächlich wirksam zu werden. Viele der vorgestellten Steuerungsinstrumente setzen bestimmte Organisationsstrukturen voraus. Die räumliche Zuständigkeit der Stadtteilteams erfordert eine regionale Organisationsstruktur bei den Sozialen Diensten und den Erziehungshilfeträgern. Der Budgetvertrag, das kollegiale Zusammenarbeiten zwischen Träger und Sozialen Diensten, die Wahrnehmung der raumbezogenen Gesamtverantwortung für Erziehungshilfe und der verstärkte Sozialraumbezug der Hilfen sind Gründe für das bereichsbezogene Schwerpunktträgermodell (dazu ausführlich der 1. Zwischenbericht, S. 9/10). Der Aufbau von Controllinginstrumenten erfordert spezifische Kompetenzen und entsprechende EDV- Ausstattung bei den Erziehungshilfeträgern, den Sozialen Diensten und in der Zentrale des Jugendamtes.

1.3 An welchen Umbauzielen wird noch gearbeitet?

Die notwendigen Instrumente zur Fach- und Ressourcensteuerung sind, wie im vorigen Abschnitt dargestellt, eingeführt. Trotzdem verweist die Alltagsarbeit einen immer wieder auf Unzulänglichkeiten im Bestehenden und auf Bereiche, die konzeptionell noch zu bearbeiten sind. Für die Sozialen Dienste steht z.B. noch ein handhabbares Controllingsystem aus. Es gibt erste Ansätze, die im Laufe des nächsten Jahres ausprobiert und ausgefeilt werden. Das Steuerungsinstrument des bereichsbezogenen Budgets ist in Bezug auf seine Fortschreibungssystematik noch zu bearbeiten.

Auch im Rahmen der flexiblen Erziehungshilfen sind noch nicht alle Fragen gelöst. Im Falle einer Übertragung auf die Gesamtstadt müssen verschiedene trägerübergreifende Vereinbarungen getroffen werden. So muß die Vollzeitpflege im Falle der Regionalisierung auf gemeinsame Standards gehoben werden. Ein Konzept mit den beteiligten Akteuren ist erstellt und muß in den Projektgremien noch diskutiert werden. Auch bezogen auf die Hilfen bei Tag und Nacht und die Notübernachtung ist noch an trägerübergreifenden Verbundlösungen und/oder Kooperationsvereinbarungen zu arbeiten. Ebenso stehen Konzepte zur integrativen Erziehungshilfe in Kindertageseinrichtungen und Schulen aus.


2 Ergebnisse des Projektes im Hinblick auf die fachlichen Ziele

Mit dem Projekt werden in erster Linie fachliche Verbesserungen verfolgt. Ein erster Erfolg des Projektes ist die gewonnene Transparenz des gesamten Hilfeprozesses. Durch die verschiedenen Dokumentationen und Zeiterfassungen sind nun erstmals detaillierte Auswertungen über die Orte der Hilfen, die Kooperationspartner, die Dauer etc. möglich. Dadurch sind Qualitätsdiskurse in die Alltagsarbeit eingebunden. Anhand einiger Beispiele sollen die bisherigen Erfahrungen mit dem Umbau skizziert werden.


2.1 Individuell gestaltete Hilfen gewinnen an Bedeutung

Die Lebenssituationen von Familien sind sehr unterschiedlich. Die jeweils benötigten Unterstützungen für die Familien müssen demnach ebenfalls sehr verschieden sein, um in idealer Weise wirken zu können. Eine breite Palette von Hilfsoptionen ist die Voraussetzung für individuell angepaßte und damit qualitativ gute Erziehungshilfe. Hinweise auf die Ausdifferenzierung von Hilfsangeboten ergeben sich z.B. aus den Controllingdaten. Die im Bereich 2 in einem Jahr 4) dokumentierten knapp über 1000 Stunden Hilfeleistung 5) wurden zu 68 % im Lebensfeld der Betroffenen geleistet. Die restlichen Stunden wurde in Räumen des Erziehungshilfeträgers gearbeitet. Bei den Stunden in der Lebenswelt sind zum einen Arbeiten direkt in den



4) von 31.6.1999 bis 31.6.2000
5) nicht enthalten sind dokumentierte Stunden in den EzH Stadtteilteams und Zeiten am Telefon

Familien enthalten, als auch in Schulen Kindergärten oder im Stadtteil selber. Die Ausdifferenzierung der Orte der Hilfen kann allerdings nur ein Hinweis auf die Ausdifferenzierung der Hilfen und einer dahinter vermuteten Situationsangemessenheit sein. Durch die Präsenz in der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen erweitert sich auch der Kreis der Beteiligten bei der Hilfeerbringung.


2.2 Die Beteiligung von Familien und Kinder wird gestärkt

Wie die Familien und Kinder selber das Projekt erleben, darüber wurden - unter methodischer Betreuung des Projektevaluators - zwei Diplomarbeiten angefertigt. Die Grundlage bieten jeweils intensive, offene und vertrauliche Gespräche mit Betroffenen. Eine Arbeit an der Fachhochschule Esslingen 6) konzentrierte sich auf diese Weise auf das subjektive Empfinden von solchen Eltern, die Erziehungshilfe schon über viel Generationen hinweg in Anspruch nehmen. Es zeigte sich, wie das Umbauprojekt – aus der Sicht der Eltern – über Jahre hinweg festgefahrene Konfliktlinien auflöste. Erziehungshilfe wird nun offenbar stärker als ”gemeinsames Unternehmen von Helfern und Familie” wahrgenommen. Die kurzfristige Konsultationen in den Kontraktgesprächen (frühere Hilfekonferenzen) hat den Eltern neues Selbstvertrauen und auch Zutrauen zu den Helfern gegeben. Mit der engeren Beziehung zwischen Helfer und Klienten finden letztere eine eigene Rolle im Hilfegefüge, fühlen sich nicht mehr aus dem Erziehungsgeschehen ausgegrenzt und erkennen so die eigenen positiven wie negativen Anteile an der Misere. 6)

Eine Arbeit an der Berufsakademie Stuttgart 7) lieferte wichtige Einblicke in die Wahrnehmung von jugendlichen Heimbewohnern. Sie haben in zum Teil zweistündigen Interviews vorgebracht, welche Erfahrungen sie mit den Helfern, den neue Hilfeplanverfahren, mit der Hilfeform und auch den anderen Jugendlichen gesammelt haben. Interessant sind dabei die Erwartungen der Jugendlichen an ihre ASD-Mitarbeiter wie auch Sozialarbeiter, die leider oftmals auch enttäuscht wurden. Sie wollen ernst genommen werden, sich authentisch begegnen. Die Mitarbeiter sollen nicht nur den Eltern zuhören und sich als Erwachsene nicht hinter formalen Regeln verstecken sondern Zeit für Gespräche haben, und die Jugendlichen wollen auch tatsächlich mitentscheiden können. Die qualitative Befragung hat dem Projekt sehr viele Anstöße gegeben für weitere Evaluationen, wie auch für den Einstieg in regelmäßige Klientenbefragungen.

Um die Einschätzungen und Meinungen der Eltern wie der Kinder und Jugendlichen dauerhaft und systematisch zu erfassen, wird ab Januar 2001 eine ”Kundenbefragung” durchgeführt.




6) vgl. Anette Lauer-Oker/Silvia Weber, a.a.o.
7) Vgl. Nicole Hemmer, a.a.o.



Durch überschaubare und ungezwungenere Gesprächssettings, aber auch durch Vorgespräche mit den Jugendlichen und/oder Eltern sollen die Familien zur Mitgestaltung eingeladen werden. Die Kontrakte zeigen, dass die Betroffenen durchaus die Chance wahrnehmen und ihre Vorstellungen in das Kontraktgespräch einbringen.


2.3 Hilfen öffnen sich in den Sozialraum

Die Erfolge der fallunspezifischen Arbeit zeigen sich in den konkreten Wirkungen im Rahmen der Fallarbeit. Hier hat der Erziehungshilfeträger in seinem Controllingbericht einige Beispiele aufgeführt.

· Durch die Teilnahme an einem Stadtteilgremium lernte ein Mitarbeiter einen Fußballtrainer kennen, mit dem in einem konkreten Fall zusammengearbeitet wird.
· Der gute Kontakt zu einer Kindergartenleitung ermöglicht die Aufnahme einer jungen Frau als Praktikantin, die seit 2 Jahren nicht mehr zur Schule geht, deren Berufsziel jedoch im sozialen Bereich liegt.
· In einem Stadtteilgremium wird ein Trägermitarbeiter frühzeitig auf eine mögliche Eskalation in einem laufenden Fall aufmerksam gemacht.

Die Beispiele zeigen, daß sich in verschiedensten Situationen Ansätze für eine Hilfemöglichkeit in konkreten Fällen ergeben können. Die Bedeutung und Gewichtung der fallunspezifschen im Rahmen der alltäglichen Arbeit ist noch weiter ausbaubar. Die ersten Zwischenauswertungen der Controllingdaten für das Jahr 2000 ergeben einen deutlichen Anstieg der Arbeitsanteile für fallunspezifische Arbeit von 1999 bisher 5 % auf mittlerweile 14 % im Bereich 2.


2.4 Verstärkte Kooperation mit Regeleinrichtungen

An dem Vorhaben, Regeleinrichtungen wie Kindergärten oder Schulen zu unterstützen bzw. sehr frühzeitig miteinander ins Gespräch zu kommen, um Ausgrenzungen zu verhindern, wird im Projekt intensiv gearbeitet. Es gibt viele Praxisbeispiele, in denen neue Wege bestritten werden und z.B. Sozialarbeiter mit in die Schulklassen gehen, um die Lehrkräfte zu unterstützen. Für die im Bereich 2 existierenden 2 Kleinklassen stehen von Seiten des Erziehungshilfeträgers z.B. Sozialarbeiter mit jeweils 3 Wochenarbeitsstunden für gemeinsame Unterrichtseinheiten und Aktionen zur Verfügung. Mitarbeiter von Erziehungshifeträger und Erziehungsberatungsstelle konzipieren beispielsweise gemeinsame Fortbildungen an Ganztageseinrichtungen zum Thema Gewalt und Aggression. Auch die Controllingdaten dokumentieren das Näherrücken der Systeme Erziehungshilfe und Schule bzw. Erziehungshilfe und Kinderbetreuung.


2.5 Weiterentwicklung der Hilfen über Tag und Nacht

Wie sich die sogenannten ”stationären” Hilfen verändern, läßt sich am besten an einem realen Fall verdeutlichen.

        Anna (17 Jahre) wohnte in einer Wohngruppe beim Erziehungshilfeträger als sie schwanger wurde. Sie stand kurz vor dem Schulabschluß und wollte nicht in eine Mutter-Kind- Einrichtung. Die Mitarbeiter aus der Wohngruppe suchten mit Anna gemeinsam nach einer Lösung für die Wohnsituation, die Aufgabenbewältigung als zukünftige Mutter, den Schulabschluß und die Aufrechterhaltung des Kontaktes zur eigenen Mutter. Die Betreuer suchten eine Wohnung auf dem Freien Markt, halfen bei den Vorbereitungen für die Geburt (Säuglingspflegekurs, Geburtsvorbereitung, Kreissaalbesichtigung, Treffpunkt alleinerziehende Mütter im Stadtteil, Elternseminarkurse, Hebamme), und förderten eine Regelmäßigkeit in der Beziehung zwischen Anna, ihrer eigenen Mutter und ihrer Oma. Mittlerweile hat Anna einen Sohn, wohnt mit dem Vater des Kindes in einer eigenen Wohnung, besucht die Schule und wird weiterhin von ihrer ehemaligen Betreuerin aus der Wohngruppenzeit begleitet. Zusätzlich kommt für eine Übergangszeit alle zwei Tage eine Krankenschwester und Annas Oma steht ihr tatkräftig zur Seite. Als weitere Unterstützung hat Annas Oma eine Ansprechperson beim Erziehungshilfeträger für Konfliktsituationen mit Anna.
In diesem Beispiel wird deutlich, wie die ”stationären” Mitarbeiter sich mit Anna in den Stadtteil begeben und in der aktuellen Betreuungsform lediglich ambulante Hilfeformen notwendig sind. Die Übergänge zwischen Hilfen über Tag und Nacht (stationäre Hilfen) und ambulanten Unterstützungsformen sind nicht mit einem Betreuerwechsel verbunden. Durch die Lebensfeldorientierung bei der Hilfeerbringung erweitert sich automatisch auch der Adressatenkreis der Hilfen. Neben Anna ist die Mutter, die Oma, die Initiativgruppen im Stadtteil, das Gesundheitsamt, die Hebamme, der Kindesvater... in die Realisierung der jetzigen Lösung einbezogen worden. Die Hilfeintensität paßt sich je nach Situation und Erfordernissen an. In anders gelagerten Situationen wird, falls fachlich sinnvoll und von den Betroffenen gewünscht auf existierende Angebote, z. B. Mutter- Kind Einrichtungen zurückgegriffen, allerdings hat sich der Möglichkeitsraum vergrößert.


2.6 Positiver Leistungsbonus

Das Instrument des Leistungsbonusses erfaßt und bewertet verschiedene Qualitätsaspekte der Sozialen Arbeit. Insgesamt zeigt der Leistungsbonus des Jahres 1999, daß sich das Projekt in die gewünschte Richtung entwickelt. Die Projektmitarbeiter von Erziehungshilfeträger und Sozialen Diensten erreichten 41 von 53 Punkte. Die geringe Zahl an Betreuerwechsel, die zeitnahe Umsetzung der Hilfen und die klientenstärkende Ortswahl der Kontraktgespräche sind hierbei positiv zu benennen. Mängel bestanden in der Protokollführung der HzE- Stadtteilteams, der spärlichen Ressourcendokumentation. Die hohe Zahl von extern versorgten Fällen sorgte nicht nur bei der Leistungsbonusauswertung für Aufmerksamkeit, sondern

führte zu intensivierten konzeptionellen Überlegungen beim Erziehungshilfeträger und dem Ziel, schneller eigene Hilfsangebote zur Verfügung zu stellen. Es wurde ein Verfahren zur Krisenbewältigung entwickelt, das eine schnelle abgestimmte Intervention ermöglicht.


3 Ergebnisse des Projektes im Hinblick auf die Finanzziele

Dem Erziehungshilfeträger wurde, unter der Verpflichtung, alle notwendigen Bedarfe zu bedienen, mit dem Budgetvertrag die Flexibilität gegeben, seine Ressourcen eigenverantwortlich zu steuern. Mit der Kalkulation für 1998 wurde eine punktgenaue Landung vollbracht, d.h. es waren am Jahresende keine Nachverhandlungen notwendig und der Erziehungshilfeträger hatte einen geringen Gewinn ausweisen können. Dies bestätigt die Vorgehensweise bei einer ersten Budgetberechnung die Kosten des Vorjahres heranzuziehen. Durch das detaillierte Finanz- Controllingsystem ist es nun möglich, quartalsweise einen Überblick über die Entwicklung des Budgets zu erhalten. Es können bei besonderen Kostenentwicklungen die Gründe (z.B. Veränderungen im Bereich) recherchiert und den Mitarbeitern auch ein Kostenbewußtsein vermittelt werden.

Ermutigend ist es, daß sich die fachlich neuen Ansätze in einer positiven Finanzentwicklung niederschlagen. Im Jahr 1997, also vor Projektbeginn wurden im Bereich 2 (Zuffenhausen/ Stammheim/ Mühlhausen) 12,33 Mio. DM für Erziehungshilfe ausgegeben. Im ersten Projektjahr verringerten sich im Experimentbereich die Ausgaben für Erziehungshilfe auf 11,76 Mio. DM. Im zweiten Projektjahr 1999 lagen die Ausgaben für Erziehungshilfe bei 12,06 Mio. DM. Diese Zahlen dokumentieren auf eindrückliche Weise, daß sich die Projektarbeit nicht nur fachlich lohnt, sondern auch finanziell rechnet.

Die dargestellte Zeitreihe ist allerdings nicht ohne Vergleichszahlen aus dem anderen Stadtgebiet zu bewerten. Vielleicht zeigt sich in den ”Nichtprojektbereichen” eine ähnliche Entwicklung und das Ergebnis kann nicht auf die neue Arbeit und die entwickelten Steuerungsinstrumente zurückgeführt werden. Da sich aus den Haushaltsplänen keine Kosten für einzelne Stadtbereiche ablesen lassen, müssen für diesen Vergleich die gesamtstädtischen Kosten für Erziehungshilfe herangezogen werden. Von diesen werden die Kosten aus Bereich 2 abgezogen und es ergibt sich folgende Vergleichszeitreihe.

Tabelle1: Entwicklung der Ausgaben für Hilfen zur Erziehung in den traditionell
arbeitenden Bereichen

    Ausgaben für HzE in DM
1997
1998
1999
2000
Planansatz
    Gesamtstadt
78.394.637
82.670.868
84.403.053
87.766.100
    Reformbereich
12.332.980
11.764.833
12.065.198
11.578.462
    Traditionell arbeitende Bereiche
66.061.657
70.906.035
72.337.855
76.187.638
    Kostenentwicklung
    In traditionell arbeitenden Bereichen
Plus
7,33 %
Plus
2,02 %
Plus
5,32 %

Die hochgerechnete Ersparnis innerhalb des Projektbereiches läßt sich nun folgendermaßen darstellen. Wäre im Bereich 2 kein Projekt durchgeführt worden, besteht die Annahme, daß sich die Kosten analog zur Entwicklung in den Nichtprojektbereichen dargestellt hätten. Diese hochgerechnteten Ausgaben für Bereich 2 werden den innerhalb des Projektes realisierten Ausgaben gegenüber gestellt. Daraus ergibt sich in den zwei zurückliegenden Projektjahren ein jährliche Ersparnis von ca. 1,4 Mio. DM. Die nachstehende Grafik veranschaulicht die Ergebnisse. Die Ersparnis des Projektes besteht zum Teil aus tatsächlich weniger ausgegebenem Geld aber besonders aus einem verhinderten Kostenanstieg im Bereich der Hilfen zur Erziehung. Weiterhin ist zu vermuten, daß sich diese Ersparnis im Zeitverlauf noch erhöhen wird, weil das Innovationspotential der neuen fachlichen Arbeit noch nicht voll ausgeschöpft ist.






Die Zahlen für das Jahr 2000 sind reine Planansätze und nur unter Vorbehalt zu verwenden.

4 Bericht über den HzE-Kongreß im April 2000

Der bundesweite Kongreß fand eine große Resonanz. Teilgenommen haben ungefähr 450 Personen. Etwa 200 Absagen mußten erteilt werden, weil die Raumkapazitäten ausgeschöpft waren.

Die Rückmeldungen waren überwiegend sehr positiv. Besonders gefreut hat uns die positive Bewertung unseres Reformvorhabens im Schlußvortrag von Prof. Thiersch, der mit seiner wissenschaftlichen Arbeit die Entwicklung der Jugendhilfe in Deutschland wesentlich beeinflußt hat. Insbesondere die von den eingeladenen Fachleuten geäußerte Kritikpunkte waren uns wichtig, um hierüber das Projekt zu optimieren. Warnungen vor einer ”Hegemonie” der Erziehungshilfe, vor dem ”gläsernen” Mitarbeiter oder der stillgelegten Trägerkonkurrenz sind ernstzunehmen, haben allerdings von Anfang an das Projekt mit geprägt.