Stellungnahme zum Antrag
356/2000
Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart,
03/09/2001
Der Oberbürgermeister
GZ:
OB 1207-00
Stellungnahme zum Antrag
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
Bündnis 90/DIE GRÜNEN-Gemeinderatsfraktion
Datum
04/05/2000
Betreff
Behinderung des nicht-motorisierten Verkehrs in Stuttgart
Anlagen
Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:
Eine neue Unfalluntersuchung der Zeitschrift ”Auto/Straßenverkehr” (Heft 24 vom 22.11.2000) belegt, dass Stuttgart nach Essen und München die niedrigste Unfallrate aller deutschen Großstädte hat und damit weit unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Schon daraus ergibt sich, dass der Behauptung, durch die jetzige Gestaltung des Straßenraums seien Fußgänger und Radfahrer besonders gefährdet, jede Grundlage fehlt. Vielmehr zeigt eine Analyse der Unfallbilanz in Stuttgart, dass Unfälle fast ausschließlich auf das Fehlverhalten einzelner Verkehrsteilnehmer und nicht auf angebliche Fehlplanungen oder mangelhafte Verkehrsregelung bzw. Beschilderung zurückzuführen sind. Wo Verbesserungen möglich sind, werden sie von der Straßenverkehrsbehörde der Landeshauptstadt in engem Einvernehmen mit der Landespolizeidirektion Stuttgart II umgesetzt. Diese Verbesserungen betreffen sämtliche Verkehrsarten.
Radfahrer und Fußgänger haben in den über 200 Tempo-30-Zonen im Stadtgebiet Vorrang, also auf 900 km des insgesamt 1.400 km umfassenden Straßennetzes. Das vom Gemeinderat beschlossene Vorbehaltsnetz ist in einem so bedeutenden Wirtschaftsraum wie es die Region Stuttgart ist, zur Abwicklung des Verkehrs und insbesondere unter besonderer Berücksichtigung des Wirtschafts- und Güterverkehrs sowie des Öffentlichen Personennahverkehrs unverzichtbar. Auf diesem Vorbehaltsnetz ist in erster Linie die Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Behinderungen des Verkehrs sind auf dem Vorbehaltsnetz auf das unvermeidbare Maß zu beschränken. Das ist auch zur Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen durch Verkehrslärm und Verkehrsabgase geboten. Auf diesen Hauptstraßen können Interessen anderer Verkehrsteilnehmer - etwa der Radfahrer - nur dann besonders berücksichtigt werden, wenn ausreichende Verkehrsflächen verfügbar sind und die Sicherheit der Radfahrer und der anderen Verkehrsteilnehmer gewährleistet ist.
Bei der Frage, ob verkehrsbehördliche Maßnahmen getroffen werden müssen, ist davon auszugehen, dass sich die Verkehrsteilnehmer verkehrsgerecht verhalten. Andernfalls verliert jegliche Art von Verkehrsregelung ihren Sinn. Nur dann, wenn trotz verkehrsgerechtem Verhalten außergewöhnliche Verkehrsgefahren bestehen, kommen verkehrsbehördliche Maßnahmen (wie z.B. die Einrichtung von Zebrastreifenüberwegen, Geschwindigkeitsbeschränkungen) in Betracht. Die im Straßenverkehr allgemein bestehenden Verkehrsgefahren rechtfertigen nach der Straßenverkehrsordnung zusätzliche Maßnahmen nicht. Es liegt in der Natur der Sache, dass Eingriffe in das Verkehrsgeschehen (oder der Verzicht darauf) meistens zulasten einzelner Verkehrsarten gehen. Dies zeigt sich beispielhaft bei der Grünzeitzuteilung an einer signalgeregelten Kreuzung, an der neben dem ÖPNV (Busse und Schienenverkehr) der motorisierte und nicht motorisierte Fahrzeugverkehr sowie der Fußgängerquerverkehr zu berücksichtigen sind. Eine vollständige Berücksichtigung der Interessen sämtlicher Verkehrsarten ist in diesen Fällen nicht möglich, d.h. es erfolgt eine Abwägung dieser Interessen. Ebenso gilt dies z.B. bei der Frage, ob auf einem Fußweg Radfahrverkehr oder das Gehwegparken zugelassen oder auf der Fahrbahn ein Radfahrstreifen eingerichtet werden soll. Mit einer gezielten Behinderung bestimmter Verkehrsarten hat dies nichts zu tun.
Zu den einzelnen ca. 80 (angeblichen) Beispielen der Behinderung des nicht-motorisierten Verkehrs, die im Übrigen z.T. schon früher aus Anlass von Anfragen der Bezirksbeiräte bzw. von Verkehrsteilnehmern geprüft wurden, ist folgendes grundsätzlich bzw. beispielhaft zu bemerken:
Was das Reinigen von Radwegen angeht, so handelt es sich in den angesprochenen Fällen um kombinierte Geh- und Radwege, zu deren Reinigung die Anlieger verpflichtet sind. Das Amt für öffentliche Ordnung wird die betreffenden Anlieger auffordern, ihrer Pflicht nachzukommen.
Über die Radwege entlang des Neckars (Neckardammweg) wurde in einer gesonderten Vorlage berichtet. Durch ein Paket von Einzelmaßnahmen erfolgen derzeit und in den folgenden Jahren erhebliche Verbesserungen. Die hinsichtlich des Neckardammwegs bemängelten Unebenheiten sind teilweise auf Baumwurzeln zurückzuführen, über denen die Asphaltflächen ständig aufbrechen. Verschiedentlich erfolgte durch Betonpflaster ein Ausgleich. Eine ideale ebene Fläche wird sich bei Radwegen, die durch Baumreihen begleitet werden, nicht herstellen lassen.
Die Zulassung des Radfahrens in Einbahnstraßen entgegen der Einbahnrichtung ist vom Verordnungsgeber nicht als Regelfall vorgesehen, sondern kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, in denen es sinnvoll und möglich ist. Zuvor sind in jedem Einzelfall die gesetzlich vorgeschriebenen umfangreichen Erhebungen durchzuführen (u.a. Verkehrszählungen, Darstellung der Unfallsituation). Diese Prüfung erfolgt durch die beteiligten städtischen Ämter unter Beteiligung der Polizei ohne Verzögerung. Die große Zahl von Vorschlägen lässt jedoch eine kurzfristige bzw. gleichzeitige Prüfung und ggf. Umsetzung der Maßnahmen nicht zu. Vollzogen wurde die Regelung zwischenzeitlich in verschiedenen Stadtteilen, u.a. in der Markt-/Münzstraße und Kronenstraße (Mitte), Cottastraße (Süd), im Veielbrunnenweg, in der Sulzerrainstraße (Bad Cannstatt).
Eine Verbesserung der Radwegführung in Plieningen wird im Rahmen der Messeplanung berücksichtigt. Ebenso ist der Radverkehr in die Neuplanung Kleiner Schloßplatz/Kronprinzstraße mit einzubeziehen. Die Planung der Umgestaltung des Marienplatzes unter Berücksichtigung des Radverkehrs ist im Gange. In der Reinsburgstraße wurde mit der Entfernung des Radwegs mit Benutzungspflicht bereits begonnen. In Stuttgart-Ost bestehen zwar nur wenige Radwege, dafür sind jedoch flächenhaft Tempo-30-Zonen eingerichtet und in der Neckarstraße gilt abschnittsweise eine Beschränkung auf 30 km/h.
Bei einem Straßennetz von insgesamt ca. 1.400 km Länge in Stuttgart können Überquerungshilfen nicht überall dort eingerichtet werden, wo Fußgänger die Fahrbahn queren. Zebrastreifenüberwege und Lichtzeichenanlagen müssen auf die Stellen im Vorbehaltsnetz beschränkt werden, an denen eine besondere Gefahrensituation besteht oder wo eine besonders große Zahl von Fußgängern regelmäßig die Fahrbahn quert und gebündelt werden kann. An den meisten der im Antrag genannten Stellen sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. In Tempo-30-Zonen scheiden zusätzliche Sicherungseinrichtungen (auch Gefahrzeichen) ohnehin grundsätzlich aus. Die Annahme, mehr Schilder bedeuten grundsätzlich mehr Verkehrssicherheit, lässt sich nicht durch Fakten belegen. Das Gegenteil ist eher richtig. Die Stadt führt in Zusammenarbeit mit dem ADAC daher regelmäßig Aktionen durch, um den sogenannten Schilderwald zu reduzieren und damit sicher auch Verkehrsteilnehmer nicht unnötig zu reglementieren bzw. durchaus Verantwortung zurückzugeben. Letztlich sind nicht immer mehr Eingriffe in den Straßenverkehr notwendig, sondern die Beachtung bestehender (gesetzlicher) Regeln.
Das Tiefbauamt wird - soweit nicht bereits geschehen - in den nächsten Monaten nach und nach in jedem Einzelfall prüfen, ob Veränderungen der Schaltung von Lichtzeichenanlagen im vorgeschlagenen Sinne unter Berücksichtigung von Randbedingungen wie z.B. ÖPNV-Bevorrechtigung, Grüne Welle, Staubildung möglich sind und ggf. Änderungen vornehmen. Bei den Lichtsignalanlagen Vaihinger Straße/Holdermannstraße und Vaihinger/Maier-/Balinger Straße wurden die Wartezeiten inzwischen durch Einrichtung eines zweiten "Grünfensters" im Umlauf fast halbiert. Eine separate Regelung von Fußgängerfurten über Straßen mit Mittelstreifen führt in der Summe meist zu kürzeren Wartezeiten als bei einem Angebot zur Überquerung in einem Zug, da in diesem Fall die Wartezeit am Fahrbahnrand länger wird. Bei der Haltestelle Schreiberstraße in Stuttgart-Süd geht aufgrund der engen Verhältnisse die Fußgängerfurt nicht nur über die Fahrbahn sondern in einem Zug auch über die Stadtbahngleise. Es ist deshalb nicht möglich, den Fußgängern unmittelbar vor Einfahrt der Stadtbahn "Grün" zu geben. Zu vermeintlich nicht ausreichenden Grünzeiten an Fußgängerfurten ist generell zu sagen, dass sich überall an die Grünzeit noch die Räumzeit - in der der Fahrzeugverkehr noch nicht freigegeben ist - (in der Bebelstraße z. B. 14 sec.) anschließt.
An der Kreuzung Hack-/Ostendstraße in Stuttgart-Ost wird in diesem Jahr mit der Erweiterung der Signalanlage begonnen, dass die Fußgänger signalgeschützt alle 4 Kreuzungsarme überqueren können. Für die Kreuzung Waldburg-/Robert-Koch-Straße in Stuttgart-Vaihingen ist im Rahmen des Aufbaus des Verkehrsrechners eine Vollsignalisierung vorgesehen. Durch veränderte Randbedingungen (Platzbedarf für Gelenkbusse) musste die Planung für die neue Überquerungsstelle am Vogelsang in Stuttgart-West geändert werden. Die Ausführung ist für 2001 vorgesehen.
Soweit zu schmale Gehwege im Straßennetz beklagt werden (Unterländer Straße, Knappenweg, Solitudestraße), ist dies zumeist eine Folge der Nutzung der Fahrbahn durch verschiedene Verkehrsarten wie Kraftfahrzeugverkehr allgemein, Busse, Straßenbahn sowie durch die Abwicklung der Ver- und Entsorgung. Ob in bestimmten Bereichen noch Verbesserungen möglich sind, wird geprüft.
Der Umbau der Garbekreuzung in Plieningen soll 2001 begonnen werden. In der Rötestraße in Stuttgart-West wurden inzwischen Poller aufgestellt. Zur Verbesserung der Beleuchtungsverhältnisse in der Johannesstraße und der Rotebühlstraße wurde die Nachtrückschaltung aufgehoben. Die Einrichtung einer separaten Gehwegbeleuchtung wäre sehr aufwendig und kann erst mit anderen Leitungsverlegungen zusammen ausgeführt werden. Es ist vorgesehen, vorab in einem noch festzulegenden Teilstück eine Probebeleuchtung anzubringen.
Im Antrag wird zurecht die mangelhafte Verkehrsmoral einzelner Autofahrer beklagt, die rücksichtslos an haltenden Straßenbahnen und Bussen vorbeifahren, mit unangemessener Geschwindigkeit fahren, das Rotlicht an Lichtzeichenanlagen missachten oder verkehrswidrig auf Geh- und Radwegen sowie an Einmündungen und Kreuzungen parken. Diesem Fehlverhalten kann angesichts der Personalsituation bei der LPD Stuttgart II und beim städtischen Überwachungsdienst leider nur in begrenztem Umfang durch Überwachung entgegengewirkt werden. Zusätzliche Verkehrszeichen versprechen in diesen Fällen erfahrungsgemäß keine Verbesserung der Situation.
Dr. Wolfgang Schuster