Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart, 04/30/2003
Der Oberbürgermeister
GZ: OB 9069
Beantwortung zur Anfrage
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
Dr. Löffler Reinhard (CDU), Schmid Roland (CDU)
Datum
02/25/2003
Betreff
Auswirkungen der Verschärfung des Haftungsrecht auf die Kommunen
Anlagen
Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:
I. Kommunale Relevanz der Rechtsänderung
Das 2. Schadenersatzrechtsänderungsgesetz (2. SchERÄG) hat ab 01.08.2002 im wesentlichen folgende für die Landeshauptstadt relevanten Veränderungen gebracht:
- Erhöhung und Harmonisierung von Haftungshöchstgrenzen, z.B. im Straßenverkehrs-, Produkthaftpflicht-, Umwelthaftpflicht- und Arzneimittelrecht;
- Gewährung von Schmerzensgeld auch bei schlichten Vertragsverletzungen und bei Gefährdungshaftung, ohne dass gleichzeitig auch eine Verschuldenshaftung nach §§ 823 ff. BGB (schuldhafte Verletzung von Körper, Gesundheit, Eigentum, Ehre usw.) vorliegen muss;
- Verschärfung der Arzneimittelhaftung, insbesondere durch Einführung einer Ursächlichkeitsvermutung.
II. Auswirkungen auf Eigenversicherung und Fremdversicherungen der Stadt
1. Die Landeshauptstadt mit ihren Eigenbetrieben ist im Gegensatz zu den anderen baden-württembergischen Kommunen nicht umfassend, sondern nur in einigen Bereichen haftpflichtversichert. Als Hauptbeispiele sind die Kraftfahrzeughaftpflicht für alle städtischen Fahrzeuge, die Arzneimittelhaftpflicht der Krankenhäuser und die einzelfallbezogene Bauwesen- und Haftpflichtversicherung bei großen Bauprojekten zu nennen. Einen kommunalen Schadensausgleich wie etwa in Bayern gibt es in Baden-Württemberg nicht.
Die Landeshauptstadt reguliert in den nicht haftpflichtversicherten Bereichen Schadensersatzansprüche Dritter im Wege der sog. Eigenversicherung. Dies ist keine Versicherung im landläufigen Sinn mit Prämien, Haftungsbedingungen und –ausschlüssen, Haftungshöchstgrenzen und der Absicht der Gewinnerzielung, sondern eine verwaltungsinterne Verfahrensweise, nach der die Juristinnen und Juristen des Rechtsamts Schäden Dritter bearbeiten und ggf. aus Haushaltsmitteln regulieren.
Die Aufwendungen der Eigenversicherung haben sich seit dem Inkrafttreten des 2. SchERÄG nicht signifikant verändert. Der Beobachtungszeitraum ist im Hinblick auf die in manchen Fällen jahrelange Bearbeitungsdauer dafür aber noch zu kurz. Das Rechtsamt kann jedoch auch keine Anzeichen dafür ausmachen, dass es wegen der Rechtsänderung zu einer beträchtlichen Erhöhung des Haftungsrisikos im Bereich der Eigenversicherung kommt. Dies liegt hauptsächlich daran, dass die Stadt in dem finanziell besonders aufwendigen Bereich der Krankenhaushaftung (Behandlungsfehler) auch bisher schon nicht nur für materielle Schäden wie Heilungskosten, Verdienstausfall usw. einzustehen hatte, sondern auch für Schmerzensgeldforderungen. Solche Forderungen konnte der geschädigte Patient zwar nach altem Recht ohne weiteres nur gegen den eigentlichen Schädiger (z.B. den behandelnden Arzt) erheben; dieser konnte und kann aber weiter von der Stadt in aller Regel aus arbeitsrechtlichen Gründen Freistellung verlangen. Aus der Sicht der Eigenversicherung hat also die neue Gesetzeslage beim Schmerzensgeld so gut wie nichts geändert. Die Fälle, in denen anders als früher künftig bei schlichter Vertragsverletzung – also ohne gleichzeitige schuldhafte Verletzung von persönlichen Rechtsgütern wie Körper, Gesundheit, Eigentum usf. – ein Schmerzensgeld zu zahlen ist, dürften selten sein und Ausnahme bleiben.
Die Verwaltung beurteilt deshalb die Risikoerhöhung durch das 2. SchERÄG im Bereich der Eigenversicherung als eher theoretisch. Wenn sich die Schadensaufwendungen in der Eigenversicherung allerdings auf Grund der Rechtsänderungen erhöhen sollten, wird die Verwaltung ebenso reagieren wie bei einer Veränderung sonstiger schadenersatzrelevanter Faktoren (z.B. verstärkter “Forderungsmentalität”, weil zunehmend ein Rechtsschutzversicherer im Hintergrund steht). Solche Entwicklungen können zu einem verbesserten Schadensverhütungsmanagement führen oder auch zu der Prüfung, ob die Eigenversicherung noch wirtschaftlich ist. Bei letzterem ist allerdings zu berücksichtigen, dass nach aller Erfahrung eine schadensrelevante Rechtsänderung auch eine entsprechende Änderung der Versicherungsprämien nach sich zieht und dass die bewährte Eigenversicherung bisher deutlich billiger, sachnäher, häufig schneller und grundsätzlich bürgerfreundlicher ist als eine Fremdhaftpflichtversicherung.
2. Von den haftpflichtversicherten Bereichen der Landeshauptstadt sind im Hinblick auf die Zielrichtung der Anfrage die Kraftfahrzeughaftpflicht, die Arzneimittelhaftpflicht und die Bauwesen- und Haftpflichtversicherung bei Großprojekten erwähnenswert.
2.1 Die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung der Stadt ist bisher nicht wegen einer Prämienerhöhung an die Verwaltung herangetreten. Da dies bei einer nennenswerten Risikoerhöhung zu erwarten wäre, lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass jedenfalls derzeit kein untragbares Missverhältnis zwischen Risiko und Prämie besteht. Ein bei jeder Prämienerhöhung möglicher Wechsel des Versicherers wird zu gegebener Zeit zu prüfen sein.
2.2 Die Prämien für die Arzneimittelhaftpflichtversicherung der Stadt sind zum 01.01.2003 um ca. 9,2% angehoben worden. Das Versicherungsunternehmen begründet dies ausdrücklich mit den Änderungen im Arzneimittelgesetz, die den Verbraucherschutz wesentlich ausweiten und damit risikorelevant sind. Die prozentual beträchtliche Prämienerhöhung bedeutet allerdings real lediglich eine Erhöhung der Prämien um ca. 2.300 Euro. Ein Wechsel der Versicherungsgesellschaft stand für das Klinikum unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten deshalb nicht zur Debatte.
2.3 Bei größeren Baumaßnahmen wie z.B. Stadtbahn- und Tunnelbauten schließt die Stadt in der Regel eine Bauwesen- und Haftpflichtversicherung ab, die aus dem Projekt finanziert wird. Relevante Prämienänderungen durch das 2. SchERÄG sind bisher nicht zu beobachten; Vorsorge könnte dagegen nicht getroffen werden.
III. Haftpflicht der Verkehrsbetriebe
1. Die Stuttgarter Straßenbahnen AG ist für die im Rahmen ihres Betriebs entsehenden Haftpflichtschäden über einen Haftungsdeckungsausgleich abgesichert. Der Deckungsaufwand wird aus einer Umlage aller Mitglieder des Haftpflichtverbandes Öffentlicher Verkehrsbetriebe getragen. Es kann deshalb nicht zu Prämienerhöhungen wie bei privaten Versicherungen kommen; die Umlage richtet sich vielmehr nach den konkreten Schadensfällen.
Erfahrungen mit der neuen Rechtslage liegen bei der SSB noch nicht vor. Seit der Rechtsänderung konnte sie noch keine Erhöhung der Haftpflichtaufwendungen feststellen. Die SSB nimmt an, dass sich dies erst ab 2003 und vermutlich nur im Rahmen schwerer Unfälle signifikant ändern wird.
2. Die Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart GmbH tritt nicht mit eigenen Fahrzeugen und Fahrpersonal als Verkehrsunternehmen auf dem Markt auf. Diese von den Verschärfungen des Haftpflichtrechts eher betroffenen Tätigkeiten obliegen nach dem Gesellschaftsvertrag den Verbundunternehmen. Die VVS GmbH nimmt größtenteils Koordinierungsaufgaben für die Verkehrsunternehmen wahr und ist Managementebene für bestimmte Lenkungs- und Regieaufgaben wie z.B. die Erstellung von Fahrplänen, die Fahrgastinformation, die konzeptionelle Planung, die Tarifgestaltung oder die Einnahmeaufteilung. Für die sie dabei treffenden Risiken hat die VVS GmbH die branchenüblichen Haftpflichtversicherungen abgeschlossen. Erhöhte Risiken aus der Änderung des Schadensersatzrechts sieht die VVS GmbH für ihre Geschäftsfelder nicht.