Beantwortung zur Anfrage
92/2007

Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart, 05/11/2007
Der Oberbürgermeister
GZ: Ref. StU 6566 - 00



Beantwortung zur Anfrage
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
    Bündnis 90/DIE GRÜNEN-Gemeinderatsfraktion
Datum
    02/26/2007
Betreff
    Frischluft am Bau
Anlagen
    Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:

Der Wunsch nach Wohnungen mit Balkonen ist unverkennbar, da die Wohnqualität durch die Balkone entscheidend verbessert wird. Sie erhöhen den Wohnkomfort und stellen häufig bei Wohnungswechseln oder Kaufentscheidungen ein wichtiges Kriterium dar. Das Baurechtsamt unterstützt daher sowohl die Errichtung der Balkone im Neubau als auch den nachträglichen Anbau im Bestand.

Grenzen setzt jedoch oftmals das geltende Recht, das nachbarliche Abwehransprüche sichert und für die Baurechtsbehörde nicht disponibel ist.

Zu den gestellten Fragen im Einzelnen:


Wird der nachträgliche Anbau von Balkonen in Stuttgart nachgefragt?

Sowohl die nachträgliche Errichtung von Balkonen vor Außenwänden als auch von Dachbalkonen wird in Stuttgart häufig nachgefragt. Es handelt sich dabei in der Regel jedoch nicht um eigenständige Baumaßnahmen sondern um Bestandteile größerer Modernisierungsprojekte oder Dachgeschoßausbauten.

Ebenfalls häufiger Gegenstand von Bauanträgen sind Abbruch und Neuerrichtung von Balkonen bei Gebäuden aus der Gründerzeit. Die damals üblichen Stahlkonstruktionen bei vorgebauten Balkonen erreichen jetzt statisch das Ende ihrer Lebensdauer und müssen aus technischen Gründen entfernt bzw. ersetzt werden. Bei der Neuerrichtung werden dann in aller Regel gegenüber dem ursprünglichen Zustand deutlich größere Abmessungen beantragt.



Wie viele Anträge zum Anbau von Balkonen wurden 2005/2006 abgelehnt und aus welchen Gründen?

Statistiken bezüglich detaillierter Antragsinhalte, wie z.B. ob Balkonanbauten Teil eines Antrags sind, werden bei der Landeshauptstadt Stuttgart nicht geführt. Die Personalbemessung des Baurechtsamts orientiert sich am Volumen der gesetzlichen Pflichtaufgaben, beschränkt sich hinsichtlich statistischer Aufgaben daher auf die bundesgesetzlich vorgeschriebene Hochbaustatistik. Darüber hinausgehende Statistiken werden im Sinne einer schlanken Verwaltung seit 1996 nicht mehr geführt.

Unabhängig von fehlenden statistischen Angaben ergeben sich jedoch insbesondere 3 Schwerpunkte für baurechtliche Probleme beim nachträglichen Anbau von Balkonen.

1. Bauordnungsrechtliche Abstandsflächen

Balkone, die mehr als 1,5m vortreten, breiter als 5m sind oder nicht mindestens 2m von den Nachbargrenzen entfernt bleiben, sind bei der Bemessung der Abstandsflächen zu berücksichtigen und führen dann in bereits bebauten Gebieten häufig zu Verstößen gegen die Abstandsvorschriften der Landesbauordnung. Da den Abstandsflächenvorschriften auch nachbarschützende Wirkung zukommt ist bei nachbarlichen Einwendungen die Baurechtsbehörde dann rechtlich an einer Genehmigung gehindert, ohne dass ein Ermessensspielraum bestünde.

2. Beschränkungen für Balkone durch die Ortsbausatzung in Baustaffelgebieten

In Gebieten mit altem Planrecht (Baustaffelgebieten) fordert die Ortsbausatzung zudem grundsätzlich einen Grenzabstand von mindestens 4m, in den Balkone nur hineinragen dürfen, wenn sie nicht mehr als 1,5m hervortreten, nicht mehr als den dritten Teil der Außenwand des Gebäudes einnehmen und mindestens 2,5m von der Grenze entfernt bleiben.

Hinsichtlich von Dachbalkonen untersagt die Ortsbausatzung generell Austritte vor Dachaufbauten (also Dachbalkone vor Gauben) und hinter die Dachhaut zurückgesetzte Außenwände (also eingeschnittene Dachbalkone).


3. Anrechnung auf das Maß der baulichen Nutzung

In der Regel sind Balkone zumindest teilweise auf das Maß der baulichen Nutzung anzurechnen. Gerade ältere Bestandsgebäude im Innenstadtbereich überschreiten bereits vorher häufig das zulässige Nutzungsmaß wesentlich. Noch weitergehende Befreiungen berühren dann oft die Grundzüge der Planung.
Die bei Nutzungsüberschreitungen erforderlichen Befreiungen sind jeweils im Einzelfall zu treffen unter Berücksichtigung des Bestands, vergleichbarer Bebauungsdichte in der Umgebung und möglicher Berufungsfälle. Da Maßfestsetzungen regelmäßig keine nachbarschützende Wirkung zukommt kann diese Befreiungsentscheidung im Zweifelsfall zugunsten der Balkonprojekte getroffen werden.

Als eher untergeordnetes Problem stellen sich zumeist gestalterische Anforderungen dar. In Einzelfällen können sich jedoch vor allem bei Balkonen im Dachbereich ästhetisch unbefriedigende Konstellationen ergeben.


Was könnte aus Sicht der Verwaltung getan werden, um den nachträglichen Anbau von Balkonen zu erleichtern?

Eine ausschließliche Fokussierung auf Erleichterungen beim nachträglichen Anbau von Balkonen würde der Problemstellung „Bauen im verdichteten Innenbereich“ nicht gerecht. Gerade bei vor die Außenwand vortretenden Balkonen steht der Wohnwertgewinn durch den neuen Balkon oft in keinem Verhältnis zu den Nachteilen, die durch die Reduzierung der Abstandsflächen hinsichtlich Belichtung und Belüftung gerade der Wohnungen in den unteren Geschossen entstehen.

Die Abstandsvorschriften der Landesbauordnung und die Anrechnungsregeln auf das Maß der baulichen Nutzung entziehen sich als landes- bzw. bundesrechtliche Regelungen ohnehin einer abweichenden kommunalen Regelung.

Der Einbau von Dachbalkonen und auch Dachgauben, die zu keinen Abstandsverstößen führen, für die verstärkte Nutzung von Dachräumen aber oft entscheidende Bedeutung haben, könnte durch die ersatzlose Streichung von § 54 Abs. 3 Sätze 1 bis 5 der Ortsbausatzung erleichtert werden. Für die Baurechtsbehörde entfielen dann jedoch auch die Möglichkeiten zur Steuerung solcher Bauteile unter ästhetischen und stadtgestalterischen Gesichtspunkten.











Dr. Wolfgang Schuster