Beantwortung und Stellungnahme zu Anfrage und Antrag
337/2008

Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart, 10/10/2008
Der Oberbürgermeister
GZ: OB 8100



Beantwortung und Stellungnahme zu Anfrage und Antrag
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
    Dr. Löffler Reinhard (CDU), Wahl Dieter (CDU), Hill Philipp (CDU), Schmid Roland (CDU)
Datum
    08/28/2008
Betreff
    Bürokratische Geothermie in Stuttgart?
Anlagen
    Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:


Stuttgart zählt bereits seit Jahren als Hochburg der Geothermie. Zur Unterstützung dieser Energiegewinnung hat die Stadt im März 2006 eine Broschüre „Nutzung der Geothermie in Stuttgart“ herausgebracht. Diese ist eine Art Leitfaden, in dem allgemeine technische Standards sowie genehmigungsrechtliche Hilfestellungen zusammengefasst sind. Die Broschüre wurde am 26.04.2006 an die Fraktionen verschickt und im Rahmen verschiedener Veranstaltungen, u.a. der VDI-Fachtagung „Geothermie im Stuttgarter Raum“ in der Öffentlichkeit präsentiert. Die Resonanz war so groß, dass die Broschüre bereits 6 Monate nach Erscheinen vergriffen war. Seither wird sie über das Internet zur Verfügung gestellt.

Zur aktuellen Entwicklung der Geothermie und dem Umfang der behördlichen Unterstützung erhielt der Ausschuss für Umwelt und Technik am 23.05.2006 einen ausführlichen Bericht. Zudem hat Herr EBM Föll mit Schreiben vom 19.07.2007 dem Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen gegenüber zur Stuttgarter Genehmigungspraxis bei geothermischen Vorhaben konkret Stellung bezogen.

Insofern betreibt die Verwaltung im Bereich Geothermie seit je her eine offensive und umfangreiche Aufklärung. Erklärtes Ziel ist es, frühzeitig Hilfestellungen zur Planung und Genehmigung zu geben und technische Schwierigkeiten auszuräumen.






Im Einzelnen zu:

Ziff. 1 Anzahl wasserrechtlicher Erlaubnisse

Bislang gibt es in Stuttgart 192 Anlagen mit über 1200 Wärmetauschern im Untergrund. Die Gesamtbohrstrecke beläuft sich aktuell auf etwas mehr als 97 km. Für alle Anlagen wurde eine wasserrechtliche Erlaubnis erteilt;

Ziff. 2 Verfahrensdauer

Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer für die Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis zur Errichtung einer Erdwärmesondenanlage betrug in den Jahren 2007 und 2008 in Stuttgart jeweils 21 Arbeitstage (4 Wochen). Eine Anfrage bei den umliegenden Landkreisen ergab eine durchschnittliche Verfahrensdauer von bis zu 6 Wochen.

Dort wird in ca. 80 % der Fälle das sog. vereinfachte Verfahren nach § 108 Abs. 4 Wassergesetz Baden-Württemberg angewandt, bei dem u. a. auf die öffentliche Bekanntmachung des Antrags verzichtet wird und die Erlaubnis als erteilt gilt, wenn die Wasserbehörde nicht innerhalb eines Monats ein Erlaubnisverfahren einleitet. In Stuttgart kommt dieses Verfahren aufgrund der besonderen geologischen und hydrogeologischen Verhältnisse und dem ausgewiesenen Heil- und Mineralquellenschutzgebiet nicht in Frage;

Ziff. 3 Ringraumweite bzw. Bohrdurchmesser

Zur Ringraumweite hat Herr EBM Föll dem Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen mit dem erwähnten Schreiben Folgendes mitgeteilt:

„In der wasserrechtlichen Erlaubnis zur Herstellung der Sonden gibt es in Stuttgart keine konkrete Vorgabe von einem Bohrlochdurchmesser von 20 cm. Vielmehr errechnet sich der Bohrlochdurchmesser aus den vorhabensspezifischen Herstellerangaben zur Sondendicke und allgemeinen wasserwirtschaftlichen Anforderungen zum dichten Ausbau von Bohrungen.

In wasserwirtschaftlich günstigen Bereichen (z.B. Filderhochfläche) entsprechen die Auflagen den Mindestanforderungen des Leitfadens „Nutzung von Erdwärme mit Erdwärmesonden“ des Umweltministeriums (Querschnittsfläche der Ringraumverfüllung > 65% der Bohrquerschnittsfläche). Hier gibt es - entgegen den Behauptungen - keinen Unterschied zur Praxis außerhalb Stuttgarts.

In wasserwirtschaftlich ungünstigen Bereichen, bei denen die Herstellung von Erdwärmesonden in Stuttgart ein erhöhtes hydrogeologisches Risiko bedeutet (z.B. Kern- und Innenzone des Heilquellenschutzgebiets, sonstige Bereiche mit intensiver Stockwerksgliederung oder Verkarstung) wird eine lichte Ringraumweite (Abstand Sonde-Bohrlochwand) von mindestens 5 cm verlangt. Sofern diese zu klein ausfällt, kann das Bohrloch i.d.R. nicht zuverlässig abgedichtet werden. Die Folge hiervon sind hydraulische Kurzschlüsse von Grundwasserstockwerken und mangelnde Sicherheit im Fall von Leckagen. Insofern entsprechen Erdwärmesonden mit kleinerem und somit unzureichendem Ringraum dort nicht dem Stand der Technik. Aus diesem Grund ist es unzulässig, die allgemeinen Bestimmungen, die für günstige Vorraussetzungen inner- wie außerhalb Stuttgarts gelten, auch für kritische Stuttgarter Bereiche, die es anderswo in dieser Form nicht gibt (z.B. Stuttgarter Heilquellenschutzgebiet, Grundwasserstockwerke), zu reklamieren.“

Daran hat sich bis heute nichts geändert;

Ziff. 4 Nachteile und Mehrkosten, geminderte Wärmeentzugsleistungen

Die höheren Anforderungen gelten nur für die wasserwirtschaftlich ungünstigen Bereiche. Die in Ziffer 3 genannten Risiken werden mit dem dort beschriebenen technischen Vorgehen vermieden. Die Risikovermeidung ist Voraussetzung für die wasserrechtliche Zulassung.

Bei der Sondenverpressung werden gewöhnlich besonders leitfähige Thermozemente eingesetzt. Die Ergebnisse spezieller Thermal-Response-Tests, die in solchermaßen zementierten Sonden zur Bestimmung der möglichen Wärmeausbeute durchgeführt wurden, geben keine Hinweise auf negative Entzugsleistungen. Tatsächliche Probleme gibt es in diesem Zusammenhang - sachkundige Planung und Bauausführung vorausgesetzt – daher keine. Entsprechend begründete Beschwerden aus einem laufenden Anlagenbetrieb sind nicht bekannt;

Ziff. 5 Überwachungsforderungen

Auch dazu hat sich Herr EBM Föll mit seinem Schreiben vom 19.07.2008 geäußert:

„Bei geothermischen Erschließungen wird üblicherweise verlangt, dass die Bohr- und Ausbauarbeiten durch einen unabhängigen Sachverständigen - in diesem Fall einem Geologen - überwacht werden. Zu dessen Aufgaben zählt auch die Früherkennung von Risikosituationen, aus der eine Gefährdung des örtlichen Grundwassers resultiert. Dies setzt eine zutreffende stratigraphische Einordnung der erschlossenen Gebirgsabschnitte und Grundwasserstockwerke voraus.“

Das gilt nach wie vor. Die Zertifizierung nach DVGW W 120 - die von den Personen aus Bohrunternehmen in wenigen Wochen erworben werden kann - bezieht sich ausschließlich auf die Befähigung zur sachgerechten Herstellung von Erdwärmesonden. Sie soll und kann keine mehrjährige Hochschulausbildung ersetzen, die neben fachspezifischer Erfahrung kennzeichnende Qualifikation der o.g. Sachverständigen ist;

Ziff. 6 Stillstandszeiten

In etwa 10% der vergleichsweise tiefen Sondenbohrungen entspricht die erschlossene Schichtenabfolge nicht den im Antrag geschilderten Verhältnissen. Sofern derartige Diskrepanzen auftreten, hat sich u.U. die fachliche Grundlage der wasserrechtlichen Erlaubnis und deren Nebenbestimmungen geändert.

Aus diesem Grund wird zur Vereinfachung der behördlichen Überwachung im Rahmen der allgemeinen Gewässeraufsicht gem. § 82 Wassergesetz eine Mitteilung über die angetroffenen geologischen Schichtenfolge durch einen Sachverständigen verlangt. Diese Meldung dient der Feststellung, ob Gefahren für das Grundwasser und für Dritte (z. B. Verwerfungen, unterirdische Hohlräume, quellfähiges Anhydrit) vorliegen und ob ggf. Maßnahmen zu deren Abwehr (z.B. Kürzung der Sondenlänge, Untergrundstabilisation, Spezialabdichtung) erforderlich sind. Meldezeitpunkt ist die Fertigstellung der ersten Sondenbohrung (Pilotbohrung).

Die Wasserbehörde prüft anhand der durchgegebenen Kenndaten, ob planmäßige Verhältnisse vorliegen und eine konfliktfreie Fortsetzung der Arbeiten möglich ist. Ist dies der Fall, werden die weiteren Ausbauarbeiten und die übrigen Bohrungen schnellstmöglich freigegeben. Diese Prüfung dauert – je nach vorhandener Datenlage im Umfeld der Umgebung des Vorhabens - ein bis drei Stunden. Die obligatorische Meldepflicht ist in den Nebenbestimmungen der wasserrechtlichen Erlaubnis festgelegt. Die Meldepflicht und der Zeitbedarf für die Rückkoppelung muss insofern in die Planung und konsequenterweise auch in die Kalkulation einbezogen werden. Unvorhergesehene Stillstandszeiten, die in diesem Zusammenhang gesondert in Rechnung gestellt werden können, gibt es bei seriöser Angebotsabgabe nicht.

Ungeachtet dessen obliegt die bauseitige Überwachung samt geologischer Profilaufnahme dem Sachverständigen. Sofern dieser wie verlangt vor Ort ist, stellt die kurzfristige Aufnahme und Mitteilung (z.B. per Fax) im Anschluss an die Fertigstellung der ersten Bohrung sowie die rasche Freigabe i.d.R. kein Problem dar. Falls es allerdings zu bauseitigen Koordinationsschwierigkeiten kommt, welche die umgehende Schichtenaufnahme und deren Meldung verzögern, hat dies weder der Bauherr noch die Wasserbehörde zu verantworten;

Ziff. 7 Einleitung des Bohrwassers in die Kanalisation

Die von Herr EBM Föll mit Schreiben vom 19.07.2008 abgegebene Stellungnahme ist nach wie vor aktuell:

„In Verbindung mit besonders kostengünstigen Bohrverfahren fällt bei der geothermischen Erschließung bestimmter Gebirgsabschnitte Spülwasser mit extrem hohen Feststoffgehalten an. Da hier die Grenzwerte der Abwassersatzung um ein 40-faches überschritten sind, kann dieses nicht ohne weiteres in den öffentlichen Kanal eingeleitet werden. Dieser Umstand ist bekannt und somit vorhersehbar. Ihm kann im Zuge einer sachkundigen Planung begegnet werden, die entweder eine bauseitige Aufbereitung des überschüssigen Spülwassers oder ein anderes Bohrverfahren, bei dem weniger befrachtetes Abwasser auftritt, vorsieht.

Eine ungenehmigte Einleitung von unbehandeltem Spülwasser mit derartig hohen Feststoffgehalten in das öffentliche Kanalnetz stellt eine illegale Abwasser- und Abfallbeseitigung dar.“

Das bedeutet, die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Entsorgung von Bohrwasser in den Kanal müssen im Zuge der Planung, d.h. im Vorfeld der Bohrarbeiten, geklärt werden. Ansprechpartner bei der Stadt ist der Eigenbetrieb SES. Festes Bohrgut nimmt jeder herkömmliche Containerdienst an, der auf die Entsorgung von Bodenaushub spezialisiert ist;





Ziff. 9 Gebühren

Die Verwaltungsgebühr für die wasserrechtliche Erlaubnis beläuft sich in Stuttgart i.d.R. auf 350,- Euro (Bearbeitungszeit ca. 6 Stunden). In schwierigen Fällen mit höherem Bearbeitungsaufwand wird die Gebühr anhand des aktuell gültigen Stundensatzes berechnet. Die Anhebung des Stundensatzes führt bei künftigen Vorhaben zu einer Gebührensteigerung um ca. 1 Drittel.

In den umliegenden Landkreisen sind die Verwaltungsgebühren "gestaffelt". Im "vereinfachten Verfahren" werden Gebühren von durchschnittlich 100,- bis 160,- Euro erhoben. Bei wasserrechtlichen Verfahren beträgt die Grundgebühr in der Regel 200,- bis 250,- Euro. Hinzu kommen für jede Bohrung weitere rund 50,- Euro. Daraus resultieren Gebühren, welche bei etwa 3-4 Bohrungen mit den städtischen Gebühren vergleichbar sind, die aber auch deutlich höher sein können;

Ziff. 10 Befristung

Die Befristung einer wasserrechtlichen Erlaubnis ergibt sich aus § 7 Abs. 1 WHG. Die Wasser- und Bodenrechtsreferenten der Regierungspräsidien empfehlen für Erdwärmesonden eine Zeitspanne von 25-30 Jahren. Mit der derzeitigen Praxis in Stuttgart (Befristung 30 Jahre) wird dieser Rahmen ausgeschöpft. Die wasserrechtliche Erlaubnis wird problemlos verlängert, wenn dafür die Voraussetzungen (z. B. Dichtigkeitsprüfung, Leckanzeige und Trägermedium auf jeweiligem Stand der Technik) vorliegen.

Die umliegenden Landkreise befristen wasserrechtliche Erlaubnisse auf 25 bis 30 Jahre.





Dr. Wolfgang Schuster
Oberbürgermeister