1. Anlass/Allgemeines Verfahren
Das am 1. Februar 2023 in Kraft getretene Bundesgesetz zur Festlegung von Flächenbedarfen für Windenergieanlagen an Land (Windenergieflächenbedarfsgesetz – WindBG) legt für jedes Bundesland ein umzusetzendes Flächenziel fest. Für Baden-Württemberg beträgt das Ziel für die Ausweisung von Flächen für die Windenergie an Land zum Endzeitpunkt am 31. Dezember 2032 1,8 % der Landesfläche. Bei Nicht-Erreichen dieses Zieles bis zum angegebenen Stichtag würde eine (bisher ausgesetzte) Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB für Windkraftanlagen in Kraft treten, ohne dass ihnen Ziele der Raumordnung entgegengehalten werden könnten. Für die Region Stuttgart würde dies den Verlust der planerischen Koordination über das Instrument des Regionalen Grünzugs zur Folge haben – und dies gerade im Hinblick auf besonders große und damit außerordentlich raumbedeutsame Windenergieanlagen. Auch die Darstellung des Flächennutzungsplanes würde einer Windkraftanlage nicht entgegengehalten werden können. In dem am 7. Februar 2023 im Landtag von Baden-Württemberg verabschiedeten „Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetz Baden-Württemberg“ (KlimaG BW) wird das Bundesziel des WindBG aufgegriffen. In § 20 KlimaG BW wird die Mindestzielvorgabe von 1,8 % auch jeder Planungsregion und damit auch der Region Stuttgart zugewiesen. Aufgrund des Nachholbedarfes in Baden-Württemberg bezüglich des Ausbaus erneuerbarer Energieträger und hinsichtlich der Klimaschutzambitionen der Landesregierung, wird darüber hinaus ein zeitliches Vorziehen der Zielerreichung durch einen Satzungsbeschluss für fortgeschriebene Regionalpläne bis 30. September 2025 festgelegt. Der Verband Region Stuttgart hat dazu 2022 das Verfahren zur Teilfortschreibung des Regionalplanes eingeleitet, mit dem Ziel, Vorranggebiete für die Nutzung der Windenergie im Umfang von mindestens 1,8 % der Regionsfläche in einem transparenten und beteiligungsorientierten Verfahren zu sichern.
2. Erläuterungen zum Planentwurf
Die Ausweisung von Vorranggebieten zur Nutzung der Windenergie ist an klare Standorteigenschaften gebunden. Das grundlegende Kriterium für die Auswahl geeigneter Flächen ist ein ausreichendes Winddargebot. Maßstab ist dabei der Windatlas Baden-Württemberg 2019. Als relevanter Schwellenwert wird eine „Mittlere gekappte Windleistungsdichte“ von 215 Watt pro Quadratmeter (W/m²) in einer Höhe von 160 Metern über Grund angesetzt. Des Weiteren ist erforderlich, dass keine rechtlichen sowie planerischen Vorgaben dem Bau von Windkraftanlagen (WKA) entgegenstehen. Die vom Verband Region Stuttgart zur Bestimmung der Vorranggebiete angewendete Kriterienliste unterscheidet dabei zwischen rechtlichen Ausschlusskriterien und planerischen Abwägungskriterien. · Unter rechtlichen Ausschlusskriterien werden raumbezogene Sachverhalte verstanden, die einer Errichtung bzw. dem Betrieb von WKA entgegenstehen und daher nicht als Vorranggebiet ausgewiesen werden können. Dies betrifft z. B. bereits mit anderen Nutzungen belegte Flächen wie Wohngebiete oder durch Fachgesetze verbindlich geschützte Bereiche wie Naturschutzgebiete, FFH-Gebiete sowie die entsprechend erforderlichen Mindestabstände. Diese Ausschlusskriterien definieren Tabuflächen und sind unabhängig von regionalplanerischen Vorgaben und Festlegungen zwingend zu berücksichtigen. · Bei den planerischen Abwägungskriterien handelt es sich um räumliche Gegebenheiten, die die Errichtung von WKA nicht zwingend verhindern, aber auf denen aus planerischen Gründen keine Ausweisung von Vorranggebieten erfolgen soll. Hierzu zählen u. a. Vorsorgeabstände um Wohngebiete oder der Schutz vor visueller Überlastung einzelner Gemeinden, bzw. von Gemeindeteilen. So beträgt beispielsweise der Vorsorgeabstand der Suchraumkulisse zur Wohnbebauung gemäß dem Beratungsergebnis des Planungsausschusses am 13. September 2023 800 m. Mit Blick auf das Stuttgarter Stadtgebiet ist anzumerken, dass die gewählten Vorsorgeabstände auf Grund der besonderen Lärmbelastung im Stadtgebiet als Mindestabstände anzusehen sind, die im Einzelfall größer ausfallen können (die Immissionsrichtwerte der TA Lärm werden oftmals bereits heute ausgeschöpft).
Die Teilfortschreibung des Regionalplans erfordert die Durchführung einer Strategischen Umweltprüfung (SUP). Sie beschreibt und bewertet den derzeitigen Zustand von Natur und Landschaft und zeigt auf, wo von den Vorranggebieten für Windenergie erhebliche Beeinträchtigungen der Umwelt ausgehen können. Dabei wird von einer vollständigen baulichen Umsetzung der durch die Vorranggebiete geschaffenen Baupotenziale ausgegangen. Der Umweltbericht kommt zu dem Ergebnis, dass es in mehreren Bereichen der Region zu möglichen Konflikten zwischen den potentiellen Festsetzungen des Regionalplans und einzelnen Schutzgütern kommen kann. Eine erhebliche Beeinträchtigung durch die Gesamtheit der VRG Wind wird bei den Schutzgütern Flora/Fauna/Biodiversität sowie Landschaftsbild und Erholung festgestellt. Insbesondere beim Thema Artenschutz stehen zum derzeitigen Zeitpunkt noch weitere Untersuchungen zur besseren Einschätzung des Beeinträchtigungspotenzials (FFH-Vorprüfung) aus. Das Landschaftsbild wird durch die hohe Anzahl der Windenergieanlagen, die sich zudem meist in erhöhter Position befinden, wesentlich baulich überprägt, so dass in Zukunft von den meisten Punkten in der Region ein oder mehrere Windkraftanlagen sichtbar sein könnten. Dies wird oft als erhebliche Beeinträchtigung wahrgenommen. Da mehrere Vorranggebiete in den Naturparken und Landschaftsschutzgebieten liegen, die naturgemäß Schwerpunkte der naturbezogenen Erholung sind, ist auch das Schutzgut Erholung durch die Planung beeinträchtigt. Die Bewertung spezifischer Beeinträchtigungen durch einzelne Vorranggebiete ist in den Steckbriefen der Standorte im Umweltbericht dargestellt (Anlage 4 mit einem Auszug der Steckbriefe). Die Einzelsteckbriefe stellen für alle geplanten Vorranggebiete zunächst dar, welche Vorbelastungen von Natur und Umwelt der betreffende Raum und sein weiterer Umgriff aufweisen, welche mit Eingriffen verbundenen Planungen der Regionalplan dort zusätzlich enthält, und welche verkehrlichen Maßnahmen der Regionalverkehrsplan als Fachgutachten im Raum vorsieht (keine unmittelbare Umsetzung ohne weitere formale Planungen). Die Gesamtbeurteilung führt stichpunktartig Schutzgüter auf, bei denen überwiegend erhebliche Beeinträchtigungen zu erwarten sind, oder bei denen gesetzliche Vorgaben erhebliche Beeinträchtigungen verhindern (z. B. bei Wasserschutzgebieten). Hinsichtlich der möglichen Konflikte zwischen den potenziellen Festlegungen des Regionalplans und einzelnen Schutzgütern sind weitergehende Prüfungen auf den nachgelagerten Planungs- und Genehmigungsebenen erforderlich. Insgesamt besteht auf Ebene der Regionalplanung ohne Kenntnis der genauen Anlagenstandorte und -ausführung eine recht große Prognoseunsicherheit im Hinblick auf die Beeinträchtigungsintensität. Es ist aber grundsätzlich - v. a. auf Grund der gewählten Vorgehensweise bei der Erstellung der Vorranggebietskulisse - davon auszugehen, dass der Umsetzung der Vorranggebiete in Planungsrecht auf Genehmigungsebene keine grundsätzlichen rechtlichen Hürden entgegenstehen. Der Umweltbericht wird im weiteren Verfahren parallel zum Planentwurf fortgeschrieben.
4. Rechtliche Wirkung von Vorranggebieten für Standorte regionalbedeutsamer Windkraftanlagen
Die im Regionalplan festgelegten Vorranggebiete stellen „regionalplanerische Letztentscheidungen“ dar und sind als solche für Genehmigungsbehörden und Träger der Bauleitplanung im Rahmen der bestehenden Vorgaben zu berücksichtigen. Damit werden in erster Linie der Windkraftnutzung entgegenstehende Planungen und Maßnahmen innerhalb der Vorranggebiete unzulässig. Im Zusammenwirken mit den übrigen Zielaussagen des Regionalplans ergibt sich eine den Rahmenbedingungen der Region Stuttgart angemessene Koordination zwischen der Nutzung der Windenergie und weiteren Freiraumfunktionen. Die Festlegung von Vorranggebieten ersetzt nicht das Genehmigungsverfahren und die Einhaltung weiterer Rechtsvorschriften, wie zum Beispiel die des Artenschutzes oder des Immissionsschutzes. Nach Erreichen des 1,8 %-Zieles durch einen entsprechenden Beschluss der Regionalversammlung wird gemäß der novellierten Systematik des Baugesetzbuches die Privilegierung für Windenergieanlagen nach § 35 BauGB außerhalb regionalplanerischer Vorranggebiete eingeschränkt. Eine Schaffung von Baurecht für Windkraftanlagen durch einen Bebauungsplan wäre zwar grundsätzlich weiterhin möglich, dürfte aber dann meist ein Konflikt mit entgegenstehenden Zielen des Regionalplanes aufwerfen, sodass zumindest ein Zielabweichungsverfahren erforderlich wäre.
5. Einbindung der Kommunen, Fachplanungsträger, Naturschutzverbände im Vorfeld der Auslegung
Im Juli 2022 wurden die Städte und Gemeinden über die Verfahrenseröffnung zur Teilfortschreibung des Regionalplans für die Region Stuttgart in den Funktionsbereichen Freiflächen-Photovoltaik und Vorranggebiete für regionalbedeutsame Windkraftanlagen gemäß § 9 Abs. 1 ROG unterrichtet und über Methodik, Vorgehensweise und rechtliche Grundlagen der Regionalplanteilfortschreibung informiert. Dabei wurden die bei den Gemeinden vorliegenden Planungsvorstellungen zur Entwicklung der Windenergienutzung und Freiflächen-Photovoltaik abgefragt. Die Landeshauptstadt Stuttgart hat in diesem Rahmen mit Schreiben vom 29. November 2022 und 3. August 2023 grundsätzliche Anregungen vorgebracht und zusätzliche Standorte für Windkraftanlagen zur weiteren Prüfung vorgeschlagen. Die vorgebrachten Anregungen und Standortsvorschläge für Windkraftanlagen wurden im Fortschreibungsentwurf nur zum Teil berücksichtigt. Dies geschah aus überwiegend nachvollziehbaren Gründen. So wurde das Kriterium „notwendiger Siedlungsabstand“ von 700 auf 800 m im letzten Verfahrensschritt erhöht und das Kriterium „Lage im FFH-Gebiet“ neu aufgenommen, so dass jeweils ein Standortvorschlag im Norden der Wangener Höhe und im Umfeld des Birkenkopfs ausscheiden musste. Im Rahmen der o. g. informellen Verfahrensschritte wurden auch die relevanten Fachbehörden sowie die anerkannten Naturschutzverbände über das planerische Vorgehen unterrichtet und somit eine Vor-Abstimmung des Planentwurfs in der Region Stuttgart erreicht.
6. Inhalt der aktuellen Stellungnahme der Landeshauptstadt Stuttgart
Nach Prüfung und Durchsicht des nun vorliegenden Teilfortschreibungsentwurfs wird vorgeschlagen, dem Verband Region Stuttgart die Stellungnahme der Landeshauptstadt Stuttgart entsprechend Anlage 2 der Vorlage zu übermitteln. Darin wird festgestellt, dass die Festsetzung von Vorranggebieten zur Nutzung der Windenergie ausdrücklich begrüßt wird, auch wenn die vorliegende Planung nicht alle von Stuttgart in die Diskussion eingebrachten Gebiete berücksichtigt. Bis auf den abgelehnten südöstlichen Teil des Vorranggebietes S-03 „Spitalwald/Bernhartshöhe“ und die abgelehnten nördlichen Teilbereiche des Vorranggebietes BB-21 im Nahbereich zum geplanten Eiermann-Campus (Konflikt zur vorgesehenen Wohnnutzung) bestehen bei allen anderen Vorranggebieten keine Bedenken bzw. werden in der Gesamtabwägung als vertretbar angesehen (Standort S-02 „Sandkopf“ unter Hinweis auf mögliche Beeinträchtigungen der Sichtachsen zum Schloss Solitude bzw. der Achse zum Schloss und der kritischen Bewertung aus naturschutzfachlichen Gründen). Es wird zudem um eine Erweiterung des Vorranggebietes S-02 „Sandkopf“ zur Berücksichtigung des Standortes „Tauschwald“ sowie um erneute Prüfung zur Erweiterung des Vorranggebietes S-03 „Spitalwald/Bernhartshöhe“ hinsichtlich des bereits eingereichten Standortvorschlages gebeten.
7. Weiteres Verfahren der Teilfortschreibung
Der Planentwurf (Plansätze mit Begründung, Raumnutzungskarte mit den Vorranggebieten für Standorte regionalbedeutsamer Windkraftanlagen sowie der Umweltbericht) lag bis 15. Dezember 2023 öffentlich aus. Die Öffentlichkeit hatte bis zum 2. Februar 2024 Gelegenheit, sich zum Planentwurf und zum Umweltbericht zu äußern. Zudem ist der Planentwurf mit ergänzenden Informationen im Internet abrufbar. Darüber hinaus wurden in einzelnen Teilräumen der Region der Planentwurf sowie die zugrundeliegende Auswahlmethodik im Rahmen von Informationsveranstaltungen vorgestellt. Die abschließende Entscheidung über die Teiländerung des Regionalplans erfolgt durch Beschluss der Regionalversammlung nach Vorberatung im Planungsausschuss. Sollten sich im Laufe dieser Beratungen wesentliche Änderungen des Planentwurfs ergeben, kann ein (ggf. inhaltlich und räumlich begrenztes) erneutes Beteiligungsverfahren erforderlich werden. Der als Satzung beschlossene Teilregionalplan ist durch das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen zu genehmigen. zum Seitenanfang