Antrag vom 04/13/2011
Nr. 152/2011

Antrag
Stadträtinnen / Stadträte - Fraktionen

Bündnis 90/DIE GRÜNEN-Gemeinderatsfraktion
Betreff

Gesundheitschancen für alle verbessern – Gesundheit in alle Politikfelder integrieren

Befürworterinnen und Befürworter der Prävention gibt es genug. Dennoch ist sie ein Stiefkind der Gesundheitspolitik. Eine zentrale Herausforderung einer nachhaltigen Präventionspolitik besteht darin, sozial bedingte gesundheitliche Ungleichheit von Gesundheitschancen zu reduzieren. Sozial benachteiligte Menschen haben ein deutlich höheres Risiko, vorzeitig zu erkranken, zu versterben oder einem Unfall zu erliegen. Fehlende Bewegung, mangelhafte Ernährung sowie ein zunehmender Verlust von Sicherheit und sozialer Einbindung, aber auch Umwelteinflüsse, wie Lärm- und Schadstoffemissionen, gelten als wesentliche Faktoren von chronischen Erkrankungen. So hat eine Schweizer Studie (Sapaldia-Kohortenstudie 2009) festgestellt, dass durch Verkehr bedingter Feinstaub mit dem Auftreten von Asthma korreliert. Ebenso wissen wir zum Beispiel, dass Lärm krank macht. Das hat das Umweltbundesamt 2004 in einer Meta-Analyse von 61 internationalen epidemiologischen Studien für Straßenverkehrslärm und Herzinfarkt festgestellt. Danach steigt das Herzinfarkt-Risiko oberhalb von einer Belastung von 60 dB(A) am Tag an. Das Umweltbundesamt schätzt, dass dies jedes Jahr rund 4.000 Erkrankte betrifft.

Bei der Prävention genügt der gute Wille alleine nicht. Doch es gibt ein Instrument, das so genannte Health Impact Assessment (HIA), oft Gesundheitsfolgenabschätzung oder Gesundheitsverträglichkeitsprüfung genannt, dessen Ziel es ist, für Entscheidungsträger über die gesundheitsbezogenen Folgen unterschiedlicher Handlungsalternativen Informationen bereit zu stellen (z.B. bei Bauvorhaben). Die Methode soll dazu dienen, Gesundheit in möglichst vielen Handlungs- und Politikfeldern zu verankern. In der Agenda 21 der UNCED, den WHO-Programmen „Gesundheit für alle“ sowie weiteren Programmen wird die politische Umsetzung gefordert. Die WHO selbst fördert die Entwicklung von HIA.

HIAs müssen im frühesten Stadium politischer Entscheidungen durchgeführt und in Übereinstimmung mit den politischen Zeitplänen gebracht werden. Beispiel Bewegungsmangel: Die WHO empfiehlt für jeden Menschen eine physische Aktivität von mindestens 30 Minuten pro Tag. Dr. Rainer Fehr vom Landesinstitut für den öffentlichen Gesundheitsdienst Nordrhein-Westfalen bspw. verweist darauf, dass die Umsetzung dessen nicht nur eine Frage der persönlichen Entscheidung, sondern vor allem der Herausbildung von Strukturen (z.B. Sportunterricht; innerstädtische Bewegungsräume) ist. Präventionsansätze, die nur an die Einzelperson appellieren, greifen zu kurz.

Wir Grünen sind der Überzeugung, dass Politik an sich gesundheitsförderlich denken und entscheiden muss. Deshalb haben wir schon vor über 10 Jahren Anträge zur Gesundheitsverträglichkeitsprüfung als Teil der Umweltverträglichkeitsprüfung gestellt (231/1998 und 28/2001). Health Impact Assessement ist allerdings ein Ansatz der Gesundheit in allen Entscheidungen betrachtet und deshalb darüber hinausgeht. Es Bedarf also einer breiten gesundheitlichen Perspektive, die ökonomische, soziale und umweltbezogene Aspekte bedenkt. Themen sind beispielsweise Verkehr, Städtebau, Raumplanung, Landwirtschaft, Energieversorgung, Beschäftigung, Gesundheit und Wohlfahrt. Gerade die kommunale Ebene, deren Entscheidungen sich direkt auf das unmittelbare Lebensumfeld der Menschen auswirken, ist hier in der Verantwortung.


Daher beantragen wir:

1. Die Stadtverwaltung stellt dar, wie die Prüfung möglicher Gesundheitsrisiken momentan bei Planungen und Bauvorhaben der Stadt und ihrer Töchter berücksichtigt wird.

2. Anhand der Erfahrung aus anderen Städten (z.B. Nürnberg, Wiesbaden) wird aufgezeigt, inwieweit mit der Einführung des HIAs gesundheitliche Risiken von Bauvorhaben und anderen Prozessen im Vorfeld noch stärker Berücksichtigung finden können.

3. Das Gesundheitsamt führt eine Fachkonferenz zum Thema „Gesundheitsverträgliches Handeln in allen Politikfeldern - Health Impact Assessment“ mit Experten wie beispielsweise Professorin Dr. Ilona Kickbusch (Kickbusch Health Consult Brienz), Dr. Rainer Fehr (Landesinstitut für den öffentlichen Gesundheitsdienst Nordrhein-Westfalen), Dr. John Kemm (West Midlands Public Health Observatory Birmingham) oder Dr. Matthias Wismar (Europäisches Zentrum der WHO für Gesundheitspolitik Brüssel) durch. Die Ergebnisse der Fachkonferenz werden den zuständigen Ausschüssen berichtet.

4. Die Landeshauptstadt Stuttgart bereitet die Einführung des HIAs vor, dabei sollen unter anderem die Ergebnisse der Fachkonferenz einfließen. Die ebenfalls betroffenen Referate sollen im Sinne eines multisektoralen Ansatzes mit eingebunden werden.

5. Im Sozial- und Gesundheitsausschuss wird regelmäßig über die Entwicklungen und die Umsetzung des HIA berichtet.


Niombo Lomba Muhterem Aras


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