Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Städtebau und Umwelt
Gz: StU
GRDrs 564/2018
Stuttgart,
06/13/2018


Bericht zum Vollzug der Zweckentfremdungssatzung in 2017 und 2018 und Evaluation des Landes zum Zweckentfremdungsverbotsgesetz



Mitteilungsvorlage


Vorlage anzurSitzungsartSitzungstermin
Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen
Ausschuss für Umwelt und Technik
Kenntnisnahme
Kenntnisnahme
öffentlich
öffentlich
22.06.2018
26.06.2018

Bericht:


Vom Bericht zum Vollzug der Zweckentfremdungssatzung in 2017, der weiteren Entwicklung in 2018 und der Evaluation des Landes zum Zweckentfremdungsverbotsgesetz wird Kenntnis genommen.


1. Regelungsrahmen

Der Gemeinderat hat am 03.12.2015 die Satzung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum beschlossen, die am 01.01.2016 in Kraft getreten ist. Die Geltungsdauer einer Zweckentfremdungsverbotssatzung ist gesetzlich auf maximal fünf Jahre beschränkt, in Stuttgart also derzeit bis 31.12.2020. Das Verbot gilt für das gesamte Stadtgebiet.

Eine Zweckentfremdung von Wohnraum liegt nach § 2 ZwEWG insbesondere vor, wenn dieser:


2. Entwicklung von Beratungsbedarf und -praxis

Der Beratungsbedarf bei den Wohnungseigentümern ist auch im Jahr 2017 unverändert hoch geblieben. Weiterhin überwiegen quantitativ die telefonischen Anfragen und Beratungsgespräche, die durch die Anrufer sehr oft anonym und ohne Nennung eines konkreten Objekts geführt werden.

Daneben ist der Bedarf an persönlichen Beratungsgesprächen ebenfalls unverändert hoch, hier werden aber in der Regel konkrete Objekte und Fallkonstellationen besprochen.

In laufenden Verfahren erfolgt die Kommunikation mit den Verfahrensbeteiligten überwiegend per Mail.


3. Zahl der Verfahren und Entscheidungen

eingeleitete Verfahren bis eingeleitete Verfahren gesamt
Ende 2016291291
Ende 2017317608
bis 5_2018115723

Noch nicht abgeschlossen sind rund 300 Verfahren. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Leerstandsmeldungen, die typischerweise eine längere Verfahrensdauer aufweisen und zudem ein grundsätzliches Problem aufwerfen, das nachstehend näher beleuchtet werden wird.

Über diese Zahl von förmlichen Verfahren hinaus wurden alle eingegangenen Hinweisen auf vermeintlich zweckentfremdet genutzte Objekte überprüft. Nur bei Vorliegen eines konkreten Anfangsverdachts auf Zweckentfremdung wird dann ein förmliches Verfahren eingeleitet.

Gerade auch im Hinblick auf geltende Datenschutzvorschriften werden an Unbeteiligte am Verfahren, auch wenn sie als Hinweisgeber involviert sind, keine Auskünfte gegeben. Ebenso wenig werden Daten über Hinweisgeber an andere Stellen oder die Verfahrensadressaten übermittelt.

Ergebnis der abgeschlossenen Verfahren
201620172018 (bis 5_2018)
Zweckentfremdung genehmigt für~ 14.500 m² Wohnraum~ 18.000 m² Wohnraum~ 22.000 m² Wohnraum
Dafür gesicherter Ersatz~ 24.900 m² Wohnraum~ 50.000 m² Wohnraum~ 38.000 m² Wohnraum
Dafür eingenommene Ausgleichszahlungen~ 17.000 €~ 206.000 €~ 78.000 €
Nachweislich nach Zweckentfremdungsverfahren wieder der Wohnnutzung zugeführte Wohnungen13 WE29 WE10 WE
Nach Übergangsvorschrift angezeigte Ferienwohnungen (Bestandschutz)90 WE----

Genehmigungen von Zweckentfremdungen
(Anzahl der Verfahren, tlw. mehrere Objekte betroffen)

Anzahl erteilter GenehmigungenGenehmigungsgrund
201620172018
547941Gegen Ersatzwohnraum
121Gegen Ausgleichszahlung
792Wegen öffentlichem Interesse

Genehmigungen aus öffentlichem Interesse wurden bspw. erteilt für vom Jugendamt befürwortete Kinder- und Jugendeinrichtungen, Obdachloseneinrichtungen oder andere im öffentlichen Interesse liegende Einrichtungen für soziale oder kulturelle Zwecke.

In den ohne Genehmigung abgeschlossenen Verfahren wurde entweder der Nachweis geführt, dass keine Zweckentfremdung vorliegt (z. B. überwiegende Wohnnutzung mit nur untergeordneter anderer Nutzung), die Zweckentfremdung beendet (Wohnungen wieder dem Wohnungsmarkt zugeführt) oder es lag kein geschützter Wohnraum vor.

Es wurden in 2017 mehrere Bußgeldverfahren angestrengt, da die Adressaten aber umgehend reagierten, konnte auf die Festsetzung eines Bußgelds in der Regel verzichtet werden. Nur in 2 Fällen wurden bislang Bußgeldbescheide erlassen.
Es war und ist aber auch nicht das Ziel der Verwaltung, hohe Bußgeldeinnahmen zu generieren, sondern den betroffenen Wohnraum wieder der Wohnnutzung zuzuführen oder für die Schaffung von gleichwertigem Wohnraum in mindestens dem gleichen Umfang zu sorgen.


4. Problemfeld „alte“ Leerstände (Beginn Leerstand vor 2016)

Grundsätzlich ist ein mehr als 6 Monate andauernder Leerstand von geschützten Wohnraum eine Zweckentfremdung, § 3 Abs. 1 Nr. 4 ZwEVS.
Kein geschützter Wohnraum - und damit auch keine Zweckentfremdung - liegt vor, wenn der Raum bereits vor Inkrafttreten der Satzung und seitdem ohne Unterbrechung in formell und materiell baurechtlich zulässiger Weise zu anderen als Wohnzwecken diente, § 2 Abs. 3 Nr. 2 ZwEVS.

Der Begriff des geschützten Wohnraums ist im Gesetz selbst nicht definiert, das zuständige Ministerium (damals Finanz- und Wirtschaftsministerium) hat den Begriff aber in einer „Arbeitshilfe für die Kommunen zum Zweckentfremdungsverbotsgesetz“ erläutert. Darin wird zum Leerstand ausgeführt: „Bei leer stehendem Wohnraum bleibt jedoch die Wohnraumeigenschaft erhalten, es sei denn, der Verfügungsberechtigte hat schon vor Inkrafttreten des Verbots eine andere subjektive Bestimmung getroffen“.

Verwaltungsgerichtlich aufgearbeitet wurde die Frage, ob ein bereits bei Inkrafttreten eines Zweckentfremdungsverbots bestehender Wohnungsleerstand ahndbar ist, in einem Freiburger Fall; die Problematik ist aber ohne Einschränkung auf Stuttgart übertragbar. Es handelt sich um die Entscheidungen des VG Freiburg, Beschluss vom 11.07.2016, 4 K 1586.16, und des VGH Ba.-Wü., Beschluss vom 08.09.2016, 3 S 1456.16.

In den Gerichtsentscheidungen wurden die Fragen des Rückwirkungsverbots und der Definition von geschütztem Wohnraum aufgeworfen:

a. Rückwirkungsverbot

Im Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht gilt ein allgemeines Rückwirkungsverbot, d. h. eine bestimmte Handlung kann nur bestraft oder geahndet werden, wenn sie zum Zeitpunkt der Begehung bereits unter Strafe bzw. Bußgeldandrohung gestanden hatte. Die Landeshauptstadt Stuttgart hat dieses Problem dadurch gelöst, dass wir nur Leerstände angegangen sind, die unter Geltung der Satzung 6 Monate bestanden hatten, also praktisch erst ab Juli 2016, damit der gesamte 6-Monatszeitraum bei bestehendem Leerstandsverbot verstrichen ist. Ob bereits vorher ein - damals ja nicht verbotener - Leerstand vorgelegen hatte, blieb entsprechend der Maßgaben in der Arbeitshilfe des Ministeriums unberücksichtigt.

b. Leerstand als „Nutzung“

VG Freiburg und VGH haben nunmehr argumentiert, dass die Regelungen aus § 2 und § 3 der Satzung im Zusammenhang zu sehen seien. Eine andere als eine Wohnnutzung sei daher jede Nutzung, die eine Zweckentfremdung im Sinne des Zweckentfremdungsverbots darstelle, also bspw. auch der Leerstand. Auch beim Leerstand handele es sich
- entgegen der Ausführungen in der Arbeitshilfe des Landes - gerade nicht um eine „Nicht-Nutzung“ sondern der Leerstand sei eine andere Nutzungsart.


Wenn aber der lang andauernde Leerstand einer Wohnung vor Inkrafttreten der Satzung eine andere Nutzung darstellt, und es keine Rechtsnorm gab, gegen die ein solcher Leerstand verstoßen hat, dann liege eben kein geschützter Wohnraum vor, da die Räume bereits vor Inkrafttreten der Satzung in formell und materiell baurechtlich zulässiger Weise zu anderen als Wohnzwecken, hier speziell zum Zweck „Leerstand“, dienten. Im Ergebnis bedeutet das, dass alle bereits bei Inkrafttreten der Satzung am 01.01.2016 bestehenden Leerstände vom Zweckentfremdungsverbot nicht erfasst werden.

Eine Änderung der Stuttgarter Satzung würde an der Problematik nichts ändern.
Erforderlich wäre ein novelliertes Zweckentfremdungsverbotsgesetz des Landes, das verbindlich klarstellt, dass Leerstand keine eigenständige Nutzungsart ist, sondern lediglich die Nichtausübung der unverändert fortbestehenden Nutzungsart Wohnraum. Die Kommunen könnten dann ihre Satzungen auf diese neue Rechtsgrundlage abstützen.
Anders als die Ausführungen in einer „Arbeitshilfe“ wäre eine solche gesetzliche Regelung dann auch für die Verwaltungsgerichte bindend.


5. Evaluation des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes

Entsprechend der Vorgabe im Gesetz selbst hat das inzwischen zuständige Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau zur Evaluierung des Gesetzes an die betroffenen Gemeinden einen Fragebogen verschickt. Abgefragt wurde, neben statistischen Daten, ob auf der Arbeitsebene Verbesserungsmöglichkeiten oder -erforderlichkeiten gesehen werden, die eine Anwendung des Gesetzes erleichtern oder effizienter machen würden.

Dazu hat das Baurechtsamt der Landeshauptstadt Stuttgart am 26.02.2018 wie folgt Stellung genommen:

- Zu den gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zweckentfremdungsverbotssatzung:

Die zweistufigen Prozesse sollten entfallen um Verwaltungsaufwand bei der Einführung oder Beibehaltung des Zweckentfremdungsverbots zu reduzieren.

Entweder könnte die Rechtsfolge der Zweckentfremdungsgenehmigungspflicht unmittelbar an die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 1 ZwEWG geknüpft werden. Dies hätte auch den Vorteil, dass dann die materiellen Regelungen direkt im Landesrecht getroffen werden können und so eine Vereinheitlichung zumindest in Baden-Württemberg erreicht würde.

Oder die Satzungsermächtigung für die Kommunen wird ohne die Einschränkung geschaffen, dass erst durch das Land das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 ZwEWG festgestellt werden muss. Es würde so die Eigenverantwortung der Kommunen gestärkt.


- zu den Regelungen des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes:

zu § 2: es sollte im Gesetz klargestellt werden, dass ein mehr als 6-monatiger Leerstand während der Geltungsdauer eines Zweckentfremdungsverbots eine unzulässige Zweckentfremdung darstellt, auch wenn der Leerstand bereits beim Inkrafttreten des Zweckentfremdungsverbots bestanden hatte.

zu § 4: Betreiber von Onlineplattformen sollten ebenfalls zur Auskunft gegenüber den Gemeinden verpflichtet sein. Sie sollten Auskünfte erteilen müssen über:

- genaue Anschrift und Zuordnung des angebotenen Objekts (z. B. Wohnung im 3. OG
links),


- Umfang der Vermietung (z. B. ganze Wohnung oder einzelnes Zimmer),

- Name und Anschrift des Anbieters sowie

- Häufigkeit und Dauer der Vermietungen.

Nur so könnten auch über anonyme Plattformen angebotene Einheiten daraufhin überprüft werden, ob eine zulässige untergeordnete Nutzung oder eine unzulässige Zweckentfremdung vorliegt.

zu § 5: die Verweigerung von Auskünften nach § 4 oder die Erteilung falscher oder unvollständiger Auskünfte sollte ebenfalls bußgeldbewehrt sein.


- Generell zu den Rechtsfolgen einer Zweckentfremdung:

Es wäre zu prüfen, ob neben der indirekten Einflussnahme auf Zweckentfremdung durch die Bußgeldbewehrung im Landesrecht auch direkt wirkende Einflussmöglichkeiten geschaffen werden können.
So wäre ein geeignetes Mittel, den Kommunen ein Zugriffsrecht auf zweckentfremdete Wohnungen einzuräumen, die dann zur Mietspiegelmiete an die Kommune zu vermieten wären. Das Zugriffsrecht könnte dadurch abgewendet werden, dass der Verfügungsberechtigte nach Androhung des Zugriffs die Wohnung selbst wieder dem Wohnungsmarkt zuführt.


Beteiligte Stellen

keine


Vorliegende Anträge/Anfragen

keine
keine




Peter Pätzold
Bürgermeister





keine

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