Protokoll: Sozial- und Gesundheitsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 13.02.2023
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BMin Dr. Sußmann
Berichterstattung:Herr Tsirikiotis und Herr Dr. Priwitzer (beide GesundhA)
Protokollführung: Herr Krasovskij th
Betreff: Zwischenbericht zur Lage der Prostituierten in Stuttgart
- mündlicher Bericht -

Die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigte Präsentation ist dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt. Aus Datenschutzgründen wird sie nicht im Internet veröffentlicht. Dem Originalprotokoll ist sie in Papierform angehängt.

Einleitend macht BMin Dr. Sußmann darauf aufmerksam, dass den Ratsmitgliedern heute lediglich ein mündlicher Zwischenbericht zur Lage der Prostituierten in der Landeshauptstadt Stuttgart vorgestellt werde. Im zweiten Quartal dieses Jahres sei im Sozial- und Gesundheitsausschuss (SGA) ein ausführlicher Bericht zum Thema Prostitutionsschutzgesetz geplant. Zudem werde den Ratsmitgliedern in der zweiten Jahreshälfte eine Übersicht zum Thema Planung und Weiterentwicklung des Gesamthilfesystems präsentiert.

Anschließend berichtet Herr Tsirikiotis (GesundhA) analog der Präsentation über Rückmeldungen der freien Träger zur gegenwärtigen Lage der Prostituierten in der Landeshauptstadt Stuttgart. Laut Schätzungen der Polizei würden in Stuttgart täglich ca. 400 Personen der Prostitution nachgehen. Das Prostitutionsgewerbe unterliege vor allem seit der Corona-Pandemie einem dynamischen Veränderungsprozess. Es könne vermehrt eine zunehmende Verlagerung der Prostitution in über das Stadtgebiet verteilte Privatwohnungen oder Pensionen beobachtet werden, wobei die Anbahnung der Treffen häufig über das Internet stattfinde. Innerhalb der Zielgruppe, der im Prostitutionsgewerbe tätigen Frauen, Männer und Trans-Personen, lasse sich eine höhere Dynamik und Fluktuation beobachten, was sich auch auf die Unterstützungsangebote und -bedarfe auswirke.

Laut Auskunft der in der Praxis tätigen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter lassen sich komplexer werdende Begleitungs- und Hilfebedarfe sowie oftmals erschwerte Zugangswege feststellen. Das Gesundheitsamt wolle auf diesen veränderten und gestiegenen Unterstützungsbedarf mit einer Bedarfsanalyse und einer detaillierteren Beschreibung der Unterstützungsmaßnahmen reagieren. Derzeit werde statistisch erhoben, ob der gestiegene Unterstützungsbedarf hauptsächlich mit der Fluktuation in der Zielgruppe zusammenhänge (weil bspw. neue Personen die verschiedenen Unterstützungssysteme noch nicht kennen würden) oder, ob der Unterstützungsbedarf zuletzt insgesamt gestiegen ist. Herr Tsirikiotis kündigt zu dieser Frage konkretere Zahlen zur Jahresmitte an.

Analog der Präsentation geht Herr Tsirikiotis dann auf die einzelnen Hilfs- und Beratungsangebote für die Zielgruppe vonseiten des Gesundheitsamtes und der freien Träger ein. Er stellt fest, dass sich in vielen Fällen die Zahl derer, die Hilfe oder Beratung suchen, langsam wieder auf das Vor-Corona-Niveau einpendelt.

Als ein wesentliches Zukunftsziel formuliert Herr Tsirikiotis die Verbesserung der Erreichbarkeit der Zielgruppe bspw. durch hybrides Streetwork sowie eine fortlaufende Anpassung der Angebote auf Grundlage der aktuellen Erkenntnisse. Es gehe vor allem auch darum, den Zielpersonen, wenn notwendig mit Hilfe von Sprachmittlern, den Nutzen der Angebote deutlich zu machen.

In diesem Zusammenhang stehe auch die Notwendigkeit der Entwicklung einer gemeinsamen Strategie im Umgang mit der Digitalisierung. Ferner müsse die Kooperation und die Vernetzung (Weitervermittlung) mit angrenzenden Versorgungssystemen intensiviert werden, um gemeinsame Lösungen für Schnittstellenthemen zu erarbeiten, z. B. bei EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern.

Zum Thema Erreichbarkeit der Zielgruppe gibt Herr Dr. Priwitzer (GesundhA) ergänzend zu bedenken, dass für Prostituierte ab 21 Jahren eine Anmeldung alle 2 Jahre genüge und sich die Personen bei einem Wechsel des Tätigkeitsortes in der neuen Kommune nicht erneut anmelden müssten. Dadurch bestehe die Gefahr, dass viele keine Kenntnis über die Hilfs- und Beratungsangebote vor Ort erhalten. Hier bestehe ein Handlungsbedarf.

In ihrer Wortmeldung macht auch StRin Rühle (90/GRÜNE) deutlich, dass die Corona-Pandemie die im Prostitutionsgewerbe bereits vorhandenen Problematiken und Veränderungsentwicklungen noch einmal verstärkt und beschleunigt habe. Angesichts der höheren Dynamik und Fluktuation innerhalb der Zielgruppe sei es zwingend notwendig, allen im Prostitutionsgewebe tätigen Personen einen niedrigschwelligen Zugang zu Hilfs- und Beratungsangeboten zu ermöglichen. Hierzu sei eine gute verwaltungsinterne Zusammenarbeit und Vernetzung mit freien Trägern und anderen Schnittstellen wie bspw. dem Bereich der Wohnungsnotfallhilfe erforderlich. Um in der Prostitution tätigen Personen einen Ausstieg zu ermöglichen, bedarf es neben einem Wohnungsangebot auch der Möglichkeit nach einer angemessenen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung.

In diesem Zusammenhang, so die Stadträtin, stehe insgesamt auch die Verbesserung der Erreichbarkeit der Zielgruppe, bspw. durch einen Ausbau der Streetworkarbeit und der niedrigschwelligen Angebote im medizinischen Bereich.

Im Kontext der medizinischen Angebote regt StRin Rühle an, über weitere Anlaufstellen oder eine Ausweitung des mobilen Angebots, evtl. einen Ausbau des MedMobils, nachzudenken. Mit Blick auf die in diesem Jahr anstehenden Haushaltsplanberatungen bittet die Stadträtin darum, den Gemeinderat rechtzeitig über die aus Sicht der Verwaltung oder der Träger ggf. notwendigen Bedarfe an Mitteln und Personal zu informieren.

Zugleich macht die Stadträtin darauf aufmerksam, dass auch psychologische Beratung und Traumatherapie im Umgang mit der Zielgruppe eine wichtige Bedeutung zukomme. Darauf eingehend, verweist Herr Tsirikiotis darauf, dass es beim Gesundheitsamt im Rahmen des Unterstützungssystems zwei Stellen für einen Psychologen bzw. eine Psychologin gebe. Eine Stelle sei bereits besetzt und werde beim Angebot "Plan P" gut angenommen; die zweite Stelle solle zeitnah besetzt werden, evtl. auch unter Berücksichtigung des Aspektes Traumatherapie.

Im weiteren Verlauf der Aussprache erkundigen sich die StRinnen Bulle-Schmid (CDU) und Meergans (SPD) nach der angenommenen Dunkelziffer der im Stuttgarter Prostitutionsgewerbe Beschäftigten. StRin Bulle-Schmid fragt zudem nach dem Verhältnis der im Leonhardsviertel tätigen Prostituierten zur Gesamtstadt. Herr Tsirikiotis antwortet, dass hierzu bislang keine Zahlen vorliegen würden. In der neuen Statistik werde nun zwischen den inneren und den äußeren Stadtbezirken differenziert und man werde die Ratsmitglieder nach der ersten Auswertung bezüglich der Verlagerung informieren.

In ihrer Wortmeldung macht StRin Bulle-Schmid zudem darauf aufmerksam, dass Männer, die im Prostitutionsgewerbe tätig seien, überwiegend einen Migrationshintergrund hätten und von der Altersgruppe her, zum Teil deutlich jünger als die Frauen seien. Herr Dr. Priwitzer kündigt in diesem Kontext einen ausführlichen Bericht des Gesundheitsamtes zum Thema männliche Prostitution im SGA an.

StRin Meergans thematisiert im Folgenden die Frage der Erreichbarkeit von dezentral tätigen Prostituierten und betont, dass hier planerische Anstrengungen notwendig seien, um die Erreichbarkeit zu verbessern.

Zudem plädiert die Stadträtin dafür, das der SGA auch im Zuge der Diskussion um den Bebauungsplan Vergnügungsstätten und andere Einrichtungen im Leonhardsviertel beteiligt werden sollte.

In diesem Kontext spricht sich StR Dr. Mayer (AfD) dagegen aus, das Prostitutionsgewerbe mittels neuem Bebauungsplan vollständig aus dem Leonhardsviertel zu verdrängen. Die Konsequenzen dieser Entscheidung müssten gründlich bedacht werden. Außerdem verweist der Stadtrat darauf, dass sich im Leonhardsviertel etablierte und gut angenommene Hilfs- und Beratungseinrichtungen für die Prostituierten befinden würden.

Im weiteren Verlauf der Aussprache erklärt Herr Tsirikiotis nach einer Nachfrage durch StRin Meergans zur Akzeptanz der 4er WG beim Angebot "WILMA", dass die geringe Auslastung vor allem auch mit einem gestiegenen Wunsch der Frauen nach einer Rückzugsmöglichkeit als Folge der zunehmenden psychischen Belastung zu erklären sei. Zudem gebe es einen Mangel an passendem Anschlusswohnraum, was ebenfalls die Motivation der Frauen nicht erhöhe, einen Ausstiegsprozess zu beginnen. Herr Tsirikiotis betont, dass es ein großes Ziel sei, den Zugang zu Wohnraum für die Zielgruppe zu erleichtern.

Zum Thema Ausstieg aus der Prostitution, ergänzt Herr Dr. Priwitzer, wenn ein ernsthafter Wunsch bestehe, werde immer gemeinsam mit den Frauen und in Kooperation mit den freien Trägern nach Möglichkeiten und Perspektiven in Deutschland oder in den Heimatländern gesucht. Dies gestalte sich aber häufig (insbesondere bei Frauen aus Bulgarien und Rumänien, die im Familienverbund nach Deutschland kommen) aufgrund fehlender formaler Bildungsabschlüsse und beruflichen Qualifikationen der Frauen als nicht ganz einfach. Nicht selten müssten die Frauen die Bereitschaft aufbringen, mit der Familie zu brechen, um endgültig aus dem Prostitutionsgewerbe auszusteigen.

Durch StRin Halding-Hoppenheit (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) wird die Arbeit der Hilfs- und Beratungsstellen für Prostituierte sehr begrüßt. Die Stadträtin betont in diesem Kontext die Wichtigkeit einer guten Streetworkarbeit und regt an, hier evtl. über eine personelle Aufstockung nachzudenken. Zudem hebt StRin Halding-Hoppenheit die Wichtigkeit eines niedrigschwelligen medizinischen Angebotes hervor und verweist hierbei auf die gut angenommene Möglichkeit, sich im Café "La Strada" auf HIV oder andere Geschlechtskrankheiten testen zu lassen.

StRin Schumann (PULS) richtet den Blick auf illegal tätige Prostituierte und erklärt, dass auch die Gruppe in einem besonderen Fokus stehen müsse. Es sei schwierig, aber dennoch unbedingt notwendig, diese Frauen und Männer zu erreichen, um auch ihnen einen Zugang zu den Hilfs- und Beratungsangeboten zu ermöglichen.

Abschließend werden weitere wenige Verständnisfragen der Ratsmitglieder zum Thema durch die Herren Tsirikiotis und Dr. Priwitzer beantwortet.


Danach stellt BMin Dr. Sußmann fest:

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss hat von dem Bericht Kenntnis genommen.

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