Protokoll: Sozial- und Gesundheitsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
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VerhandlungDrucksache:
247/2017
GZ:
SI
Sitzungstermin: 26.06.2017
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BM Wölfle
Berichterstattung:Frau Faust-Mackensen (GesundhA)
Protokollführung: Herr Häbe
Betreff: Jahresbericht 2016 der ambulanten Suchthilfe für die Bereiche Suchtprävention, Beratung, Betreuung und Behandlung

Beratungsunterlage ist die Mitteilungsvorlage des Referats Soziales und gesellschaftliche Integration vom 13.06.2017, GRDrs 247/2017. Sie ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


BM Wölfle bedankt sich bei den Trägern für deren Engagement und Arbeitsqualität. Diesem Dank schließen sich StRin Bulle-Schmid (CDU), StRin Rühle (90/GRÜNE), StR Ehrlich (SPD) und StRin Bodenhöfer-Frey (FW) an.

Die Bedeutung der Prävention heben StRin Bulle-Schmid, StRin Rühle und StRin
Halding-Hoppenheit (SÖS-LINKE-PluS) hervor. Nach Einschätzung von StRin Rühle findet eine gute Zusammenarbeit der Träger untereinander und mit den Ämtern statt. Der Zusammenschluss zum Suchthilfeverbund vor zehn Jahren habe sich als hilfreich erwiesen. Der enge Zusammenhang zwischen Suchterkrankungen und Arbeitslosigkeit zeige die Notwendigkeit einer guten Zusammenarbeit. Interessant sei, dass mehr Mädchen als Jungen mit Medienkonsum Probleme haben. Darauf müsse geachtet werden. Lobend zu der guten Zusammenarbeit im Verbund äußert sich zudem StR Ehrlich. Die Vorlageninhalte können seines Erachtens wie folgt zusammengefasst werden: Gesund aufwachsen, gesund leben und gesund älter werden als gesellschaftliche Querschnittsaufgabe. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe werde gut angegangen. In den Blick gehörten die Anbieter von Suchtstoffen. Manches wie Alkohol werde aggressiv beworben. Diesbezüglich wird seitens des Vorsitzenden angemerkt, bei Sportsendungen im Fernsehen dränge sich der Eindruck auf, dass Sport ohne Bier nicht möglich sei. Dies sei natürlich für Suchthilfebemühungen kontraproduktiv. Beim Thema Werbeverbote für Suchtmittel gebe es nur geringe Fortschritte (Ausnahme Nikotin). Prävention bezeichnet StR Dr. Fiechtner (AfD) gerade bei Fragen der Gesundheitserhaltung/Krankheits-vermeidung als schwieriges Feld. Insbesondere sei bisher nicht die Frage beantwortet, ob Interventionen seitens staatlicher Institutionen die gesetzten Ziele erreichten. Seines Erachtens sollten Maßnahmen wie Wissensvermittlung an Schulen eher mit Bedacht betrachtet werden. Um Maßnahmen beurteilen zu können, sollten Daten generiert werden. Nur dann könnten darüber Schlussfolgerungen angestellt werden, ob Maßnahmen Ziele erreichten. Natürlich müssten Ziele vorab klar definiert werden.

Von StRin Rühle wird die geringe Anzahl von Präventionsangeboten für Erwachsene thematisiert. StR Ehrlich bittet um Erläuterung des Satzes "häufig fehlen Kriterien für die Unterscheidung von gefährdeten und nicht gefährdeten Personen", Anlage 1, Seite 9, letzter Absatz.

Zur Frage von StRin Bulle-Schmid, weshalb in Grundschulen nur eine geringe Anzahl von Maßnahmen zur Stärkung der Lebenskompetenz erfolgt, teilt Frau Faust-Mackensen mit, dies sei der Tatsache geschuldet, dass in Grundschulen im Schwerpunkt Maßnahmen der Gesundheitsförderung, die universell angesiedelt seien, umgesetzt würden. Diese Maßnahmen, die im Rahmen der Gesundheitsförderung durchgeführt werden, fließen nicht in die suchtpräventive Dokumentation von Maßnahmen ein. Im Rahmen der Gesundheitsförderung an Grundschulen würden allerdings allgemeine Grundlagen der Suchtprävention initiiert.

Die Betreuungsergebnisse im Jahresbericht über die ambulante Suchthilfe, Anlage 2, Seite 16, sind für StRin Bulle-Schmid und StRin Rühle erfreulich. Wie die Kriterien (z. B. "erfolgreich" und "gebessert") definiert werden und deren Korrelation, fragt StR Dr. Fiechtner nach. Möglicherweise gebe es ja Interessen, Präventivmaßnahmen fortzufahren, die nicht unmittelbar mit den betreuten Menschen zu tun haben. Laut Frau Faust-Mackensen wird versucht, gefährdete junge Menschen über Multiplikatorenarbeit, z. B. von Lehrern, zu erreichen. Mit dem Release-Projekt "TAKE" würden erstmals auch junge Erwachsene als Zielgruppe erfasst.

Im Rahmen betrieblicher Gesundheitsförderung werde zunehmend versucht, das Thema Suchtprävention in Betrieben zu platzieren. In großen Betrieben, die eine große, gut ausgebaute Gesundheitsförderung aufweisen, gelinge dies gut. Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen werde daran, auch im Projekt "TrotzAlter", gearbeitet. In Betrieben, in denen noch keine Gesundheitsvorsorge implementiert sei, sei es natürlich schwierig, Suchtprävention anzudocken.

Eine Frage von StRin Rühle beantwortend fährt Frau Faust-Mackensen fort, auch über universelle Maßnahmen werde versucht, mehr Berufsschulen zu erreichen (z. B. durch Jugendfilmtage). Des Weiteren werde wie gesagt mit Multiplikatoren/Lehrern zusammengearbeitet.

Fragen von StRin Rühle und StR Ehrlich aufgreifend führt Frau Faust-Mackensen an, man sei dafür dankbar, dass die Träger viele Mittel über Projekte einwerben bzw. viele Eigenmittel einsetzen. Gerade bei neuen Bedarfen/Zielgruppen sei es gut, zunächst Drittmittel einsetzen zu können, um dann im Nachhinein zu entscheiden, was weitergeführt werde soll und was nicht.

StRin Bulle-Schmid zeigt sich durch folgende Anmerkung der "Wilden Bühne e. V." aufgeschreckt (Anlage 1, Seite 25, drittletzter Absatz): Viele Besucher sprechen davon, dass das Vertrauen in die Verordnungspraxis ihrer Ärzte nicht besonders groß ist. Sie schaffen Abhilfe, indem sie selbst dosieren. Die Stadträtin fordert, dem müsse entgegengetreten werden. Den älteren Menschen müsse deutlich gemacht werden, dass die Eigendosierung sehr gefährlich sei.

StR Ehrlich spricht die Wechselwirkungen unterschiedlicher Medikationen, verordnet durch unterschiedliche Fachärzte, an und fragt, wie es gelingt, eine Gesamtverantwortung für die Medikation zu erreichen. Ärzte, so StR Dr. Fiechtner, gingen davon aus, dass Medikamente zu einem Drittel so eingenommen würden, wie verordnet, zu einem Drittel in etwa so wie verordnet, und der verbleibende Rest verzichte auf die verordneten Medikamente ganz. Trotz guter Beratung werde sich daran nichts ändern.

Von Frau Faust-Mackensen wird in diesem Zusammenhang ausgeführt, Polypharmakotherapie (regelmäßige tägliche Einnahme von 5 oder mehr Medikamenten) im Alter sei ein großes Thema. Ihre Stelle nehme sich auch diesem Thema im Zusammenhang mit dem großen Projekt "TrotzAlter" an. Zum einen zeige sich, dass eine Sensibilisierung über die Menge einzunehmender Medikamente und wie die Einnahme zu erfolgen hat, bei älteren Menschen fehle. Eine Zusammenarbeit mit Ärzten und Apothekern im Stadtgebiet sei hier erforderlich, um versuchen zu können, sich dieses Themas anzunehmen. Auf Stadtebene gebe es seit dem letzten Jahr einen Runden Tisch "Medikamente". Der Beirat der Gesundheitskonferenz habe beschlossen, dass man das Hauptaugenmerk im Zusammenhang mit Polypharmazie im Alter mehr darauf richten soll, die Menschen ein Stück weit zu befähigen, mit ihren Medikamenten besser umzugehen. Es gebe bekanntlich Patienten, die Ärzte-Hopping betrieben. Diese müssten befähigt werden, Informationen eines Arztes weiteren Ärzten zu übermitteln. Dies bedinge die Stärkung des Hausarztes als die Stelle, bei der die verordneten Medikamente zusammengeführt würden. Wenn man direkt von Problemen höre, würden natürlich Empfehlungen ausgesprochen; die erste Empfehlung laute, mit dem verordnenden Arzt zu sprechen. Beim Projekt "Mein Plan" gehe es im Wesentlichen darum, den Patienten darüber in Kenntnis zu setzen, welches Medikament er wann und aus welchem Grund einzunehmen hat. Wenn es gelinge, dies gut in Stuttgart einzuführen, werde von einer Entlastung aller Beteiligten ausgegangen.

Von StR Dr. Fiechtner wird betont, die Verordnung von Medikamenten sei Aufgabe der Ärzte.

An die Einführung eines Patienten-Medikamentenplans durch die Bundesregierung erinnert Herr Dr. Dr. Tropp (GesundhA). Das Heidelberger Projekt "Mein Plan" entspreche diesem Ansinnen. Mit diesem vorgeschriebenen Plan soll der Patient ein Instrument zur Hand haben, aus dem sich der aktuelle Verordnungsstand ablesen lasse.

Erfreulich ist für StRin Rühle der Rückgang beim Alkoholmissbrauch durch Jugendliche. Sie bezieht sich dabei auf die Anlage 1, Seite 12, letzter Absatz. Frau Faust-Mackensen räumt ein, dass die entsprechende Textpassage etwas widersprüchlich formuliert ist. Im Vergleich mit den Landkreisen der Region Stuttgart gebe es in der Landeshauptstadt die wenigsten alkoholbedingten Krankenhauseinweisungen. Trotz dieser positiven Entwicklung müssten die Anstrengungen bei der Alkoholprävention unvermindert weitergeführt werden.

Im Verlauf der Aussprache werden von StRin Rühle auch die Themen Cannabis und Legal Highs angesprochen.

Nachdem die StRinnen Bulle-Schmid und Rühle die gestiegene Anzahl von Drogentoten angesprochen und bedauert haben, verweist BM Wölfle auf die entsprechende Grafik (Anlage 2, Seite 23) und teilt mit, sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene gebe es bei den Drogentoten bereits seit Jahren gravierende Steigerungen. Nun realisiere sich dieser Trend wohl auch in Stuttgart.

Laut Vorlage, so StRin Bulle-Schmid, werde die Evaluation von Maßnahmen und Programmen als unverzichtbar bezeichnet. Umso mehr sei ihre Fraktion darüber verwundert, dass 78 % der Maßnahmen und Programme offenbar nicht evaluiert werden könnten. Für sie kann sich daraus im Sinne einer zielgerichteten Vorgehensweise die Frage ergeben, ob man sich in Zukunft auf evaluierte Maßnahmen beschränken sollte. StRin Rühle geht davon aus, dass die Entwicklung von Qualitätsstandards Evaluierungen erleichtert. BM Wölfle betont, es sei sehr schwierig, allgemeingültige Aussagen zu treffen. Er hebt dabei auf die Komplexität jedes einzelnen Menschen ab und darauf, dass Einflüsse sich auf jeden Menschen unterschiedlich auswirken. Zynisch wäre es, nichts zu unternehmen und Resultate in zehn Jahren zu betrachten.

Weiter geht er davon aus, und dabei bezieht er sich auf weitere heute zur Beratung stehende Tagesordnungspunkte, dass Projekte erforderlich sind, um Ansätze auszuprobieren. Nach der Projektphase müssten der Gemeinderat und die Verwaltung entscheiden, ob deren Fortführung Sinn mache oder nicht.

Frau Faust-Mackensen vertritt die Überzeugung, dass die Stuttgarter Träger über ein sehr ausgereiftes Qualitätsmanagement und eine hohe Expertise verfügen. Bevor Maßnahmen gestartet würden, gebe es Bedarfserhebungen, und daraus leite man in bestimmten Teilschritten Ziele ab. Im internen Projektmanagement werde sehr genau verfolgt, ob Ziele erreicht würden oder nicht. Wenn gesehen werde, dass nicht das Erhoffte erreicht werde, würden Projekte nicht weitergeführt. Die Aussage, dass 78 % der Maßnahmen nicht evaluiert seien, bedeute lediglich, dass 78 % der Maßnahmen über keine externe Evaluation verfügen. Intern stelle sich dies völlig anders dar. Viele bewährte Teile von Maßnahmen seien von auf Landesebene evaluierten Projekten "teilentnommen". So würden viele Elemente aus dem evaluierten Projekt "Halt", evaluiert durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), entnommen.

Dies, so StRin Bulle-Schmid, stimme nicht mit den Vorlageninhalten überein. Beispielhaft zitiert sie aus der Vorlage "Dokumentation und Evaluation sind wesentliche Bestandteile suchtpräventiven Qualitätsmanagements und unverzichtbar bei der erfolgreichen Steuerung von Maßnahmen, Projekten und Programmen. Auch in der Stuttgarter Präventionsarbeit bilden sie wichtige Komponenten, die allerdings aufgrund eingeschränkter Mittel … nur bedingt durchgeführt werden könnten." In der Vorlage stehe auch nichts von externer Evaluation. Hinterfragt werden müsse, ob die 78 % aufgrund fehlender Mittel nicht evaluierten Maßnahmen weitergeführt werden sollten bzw. überhaupt sinnhaft weitergeführt werden könnten.

In der Folge betont Frau Faust-Mackensen, die von ihrer Stelle verwendeten Dinge würden als nicht evaluiert bezeichnet, aber es werde mit Ansätzen gearbeitet, die als wirksam evaluiert worden seien. Alle Anwendungen extern zu evaluieren übersteige die finanziellen Ressourcen der Träger. Ergänzend erklärt Herr Binder, bei den erwähnten 78 % der Angebote seien Angebote wie "KATER" oder "FreD" dabei, also Angebote, die bereits woanders sehr sorgfältig evaluiert und deren Wirksamkeit nachgewiesen worden seien. Solche Bausteine müssten, wenn diese übernommen würden, nicht mehr selbst evaluiert werden. Im Verbund habe man sich zur Regel gesetzt, alle neuen und alle größeren Projekte grundsätzlich extern evaluieren zu lassen. Man wolle sich nicht dem Vorwurf aussetzen, es würden eigene Evaluationen erstellt. Zudem, und dies könne eventuell in einer der nächsten Sitzungen vorgestellt werden, sei dieses Jahr eine Auflistung der von den Trägern durchgeführten internen Evaluationen erstellt worden. Es handle sich um eine beeindruckende, fünf- bis sechsseitige Liste. Insofern sei die Darstellung in der Vorlage etwas missverständlich.

Eine externe Evaluation wird laut Frau Ohnmeß von den Trägern immer als erstrebenswert angesehen. Diese müsse jedoch finanziert werden. Dazu sei aber nicht jeder Geldgeber bereit. Manche wünschten sich interne Evaluationen. In diesem Handlungsfeld gebe es mindestens drei Ebenen (von anderen evaluierte Programme, extern evaluierte Programme, intern evaluierte Programme).

Für StR Dr. Fiechtner ist der Nachweis, dass Projekte ihre Ziele erreichen, unabdingbar. Dafür müssten Mittel bereitgestellt werden.

Für die Rückmeldungen über unklare Darstellungen im Bericht bedankt sich Herr Dr. Dr. Tropp. Neben der Klärung von Begrifflichkeiten sagt er zu, die Kritik mitzunehmen.

Weiter macht Herr Dr. Obert deutlich, Projekte würden aufgelegt, um Bedarfen gerecht zu werden. Natürlich würden Ziele festgelegt, und diese Ziele würden auch evaluiert, wenn möglich extern. Evaluationen seien mit Kosten verbunden. Menschen seien ganzheitliche Wesen. Zumindest in der Suchtmedizin werde nicht nur quantitative Sozialforschung, sondern auch qualitative Sozialforschung betrieben. Dabei sei es zwar nicht immer einfach, etwas operativ Messbares festzustellen, aber festgestellt werden könnte doch, wie bestimmte Maßnahmen im Hinblick auf die formulierten Ziele wirkten. Dies werde von den Trägern gemacht, und somit evaluierten die Träger ihre Projekte.

Mit dem Hinweis, dies bei der Behandlung des Jahresberichts 2017 differenzierter zu beschreiben, schließt BM Wölfle diesen Tagesordnungspunkt ab und stellt fest:

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss hat von der GRDrs 247/2017 Kenntnis genommen.
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