Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales und gesellschaftliche Integration
Gz: SI
GRDrs 790/2018
Stuttgart,
09/25/2018


Gemeindepsychiatrischer Verbund Stuttgart (GPV):
Gerontopsychiatrische Dienste (GerBera) - Sachstand 2017




Mitteilungsvorlage


Vorlage anzurSitzungsartSitzungstermin
Sozial- und GesundheitsausschussKenntnisnahmeöffentlich22.10.2018

Kurzfassung des Berichts:
Ausführlicher Bericht siehe Anlage 1

Mit der GRDrs 728/2017 „Gemeindepsychiatrischer Verbund Stuttgart (GPV): Situation der Gerontopsychiatrischen Dienste (GerBera) - Sachstand 2016“ wurde zuletzt über die Situation in den Gerontopsychiatrischen Diensten berichtet.

Die Versorgungssituation älterer Menschen mit gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern ist in den letzten Jahren aufgrund der demografischen Entwicklung verstärkt in den Vordergrund getreten. Insbesondere im höheren Lebensalter wächst die Gruppe von Menschen mit einer erhöhten Vulnerabilität für psychische und körperliche Komorbidität. Da die Fähigkeit zu selbstbestimmtem Leben krankheitsbedingt bei vielen Betroffenen eingeschränkt ist, müssen in diesen Fällen Angehörige und/oder gesetzliche Vertreterinnen oder Vertreter in den Betreuungs- und Behandlungsprozess angemessen mit einbezogen werden (vgl. Landespsychiatrieplan Baden-Württemberg, 2017).

Die Gerontopsychiatrischen Dienste (GerBera) in der Landeshauptstadt Stuttgart wurden 2005 eingerichtet und sind an die Gemeindepsychiatrischen Zentren (GPZ) angegliedert (GRDrs 959/2004 „Gerontopsychiatrischer Dienst“). Sie sind Teil des Gemeindepsychia-trischen Verbundes Stuttgart (GPV) nach § 7 Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) Baden-Württemberg. Ziel des GPV ist die Bereitstellung eines umfassenden und koordinierten Leistungsangebotes für chronisch psychisch kranke Menschen in der Landeshauptstadt Stuttgart, um die ambulante psychiatrische Grundversorgung sicherzustellen. Die personenzentrierte Hilfe erfolgt wohnortnah durch multiprofessionelle Zusammenarbeit niederschwellig, alltags- und lebensweltorientiert.

Ziel der GerBera ist der Erhalt und die Förderung der Alltagskompetenzen gerontopsychiatrisch erkrankter älterer Menschen ab 63 Jahren für ein möglichst selbstbestimmtes

Leben sowie die Begleitung, Beratung und Entlastung der Angehörigen. Zielgruppe der GerBera sind in erster Linie Menschen, die an demenziellen Erkrankungen, Veränderungen der Stimmungslage wie Depressionen, Verkennungen der Realität, wahnhaften Störungen im Alter oder unter Ängsten und anderen psychosozialen Beeinträchtigungen leiden.

Die Anbindung an die Gemeindepsychiatrischen Zentren (GPZ) und die sozialräumliche Verortung der GerBera in einem definierten Einzugsbereich sind gerade für gerontopsychiatrisch erkrankte Menschen, die Hilfe benötigen und auf Unterstützung pflegerischer und sozialer Hilfesysteme angewiesen sind, von besonderer Bedeutung.

Um die Entwicklungen in den verschiedenen Funktionsbereichen der GPZ transparent zu beschreiben, zu analysieren und das Versorgungssystem neuen Entwicklungen anzupassen, werden die Daten der GerBera jährlich evaluiert.

Situation in den GerBera - Auswertung der Daten 2017 und Schlussfolgerungen

· Fallzahlen 2017:
1.873 Klientinnen und Klienten (Steigerung zum Vorjahr 11 %) entspricht 134 Betreuungen insgesamt pro Fachkraft, davon 86 längerfristig (über 4 Kontakte) betreute Klientinnen und Klienten (Steigerung zum Vorjahr 10 %). Die durchschnittliche Zahl der Hausbesuche betrug 288 pro Fachkraft (Steigerung zum Vorjahr 3 %).
Die GerBera liegen damit am oberen Rand der Belastbarkeit. Sollte sich der o. g. Trend fortsetzen, kann der Bedarf an Anfragen und Betreuungen mit den vorhandenen Ressourcen nicht gedeckt werden.

· Pflegeversicherungsleistungen (SGB XI):
Das neue Einstufungsverfahren auf Grundlage des Pflegebedürftigkeitsbegriffs seit 2017 zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass Pflegebedürftigkeit nicht nur als körperlicher Pflegebedarf verstanden wird, sondern Aspekte wie z. B. die selbständige Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte mit einbezogen sind. Gerade gerontopsychiatrisch erkrankte Menschen sollen von diesem erweiterten Pflegeverständnis profitieren. Es wird von daher erwartet, dass mehr Menschen der Einstieg in die Pflegeversicherung mit Pflegegrad 1 ermöglicht wird. Dadurch würden auch Menschen mit depressiver Symptomatik vermehrt den Pflegegrad 1 erhalten.
Ab 2018 können hierzu weitere Aussagen getroffen werden, weil dann weitere statistische Daten vorliegen.

· Pflegedienste:
Bei den Pflegediensten kommt es zunehmend zu Wartezeiten hinsichtlich pflegerischer und hauswirtschaftlicher Hilfen. Ursache dafür ist u. a. das Problem der Dienste, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden.

· Pflegeheimplätze:
Kurzzeitpflegeplätze und wohnortnahe Heimplätze sind nur mit hohem zeitlichen Aufwand zu finden.

· Tagesstrukturierende Angebote für gerontopsychiatrisch erkrankte Menschen, die verwirrt sind, aber keinen Pflegebedarf haben, sind schwer zu finden und oft nicht finanzierbar. Das Modul "Inklusion von gerontopsychiatrisch Erkrankten in Begegnungsstätten" ist eine sinnvolle und wohnortnahe Lösung für die betroffenen Menschen. Ebenso sind die ersten realisierten Pflege-Wohngemeinschaften ein Schritt in die richtige Richtung.

· Behandlung:
In Bezug auf den Bedarf von Hausbesuchen durch Nervenärzte mit gerontopsychiatrischer Kompetenz gibt es noch immer Kapazitätsprobleme. Ebenso ist die Behandlung und Betreuung gerontopsychiatrisch erkrankter Menschen in Akutkrankenhäusern trotz vieler Bemühungen aller Beteiligten nach wie vor ein Problem. Inwieweit das am 1. Januar 2017 in Kraft getretene „Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG)“ mit dem Teil der sogenannten stationsäquivalenten Behandlung (StaeB) hier eine Entlastung in akuten Krankheitsphasen bringen kann, bleibt abzuwarten. Mit der Einführung einer stationsäquivalenten Behandlung soll eine neue, weitere Brücke zwischen dem stationären und dem ambulanten Sektor im Sinne der Weiterentwicklung der sektorenübergreifenden Versorgung angestrebt werden, welche eine psychiatrische Behandlung während akuter Krankheitsphasen im häuslichen Umfeld durch mobile ärztlich geleitete multiprofessionelle Behandlungsteams vorsieht.

· Insgesamt sind die GerBera in der Landeshauptstadt Stuttgart gut aufgestellt und werden ihrem Arbeitsauftrag gerecht. Die Kooperation mit beteiligten Einrichtungen und Diensten, insbesondere die enge regionale Kooperation mit den Diensten und Einrichtungen der Altenhilfe, verläuft weiterhin positiv. Auch die enge Vernetzung der verschiedenen Funktionsbereiche in einem Gemeindepsychiatrischen Zentrum trägt zum Erfolg der GerBera bei. Die Regionalisierung der Dienste und die Erschließung bzw. Kooperation mit vorhandenen Hilfeangeboten im Sozialraum sind dabei gute Voraussetzungen.


Beteiligte Stellen

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Vorliegende Anträge/Anfragen

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Werner Wölfle
Bürgermeister





1. Ausführlicher Bericht

Ausführlicher Bericht

Gemeindepsychiatrischer Verbund (GPV):
Gerontopsychiatrische Dienste - Sachstand 2017


1. Entwicklung der Fallzahlen und Inanspruchnahme der
Gerontopsychiatrischen Dienste (GerBera)


Zielgruppe der GerBera sind Menschen ab 63 Jahren, die an

· dementiellen Erkrankungen,
· Veränderungen der Stimmungslage, wie z. B. Depressionen,
· Verkennungen der Realität, z. B. wahnhafte Störungen im Alter oder
· unter Ängsten und anderen psychosozialen Beeinträchtigungen

leiden.

Außerdem gehören zur Zielgruppe der GerBera Angehörige, nahestehende Bezugspersonen und andere Menschen im sozialen Umfeld der/des gerontopsychiatrisch Erkrankten.


Im Jahr 2017 haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GerBera 1.873 Klientinnen und Klienten betreut. Dabei ist die Auslastung der Dienste bezüglich der längerfristigen Betreuung (über 4 Kontakte) im Vergleich zum Vorjahr um 10 % auf 1.203 Klientinnen und Klienten gestiegen. Die Zahl der Hausbesuche ist im Vergleich zum Vorjahr um 3 % auf 1.873 angestiegen.

In 193 Fällen insgesamt, also nach wie vor bei etwa einem Sechstel der Klientinnen und Klienten, endete die Unterstützung im Verlauf des Jahres. Von diesen Klientinnen und Klienten zogen etwa 50 % ins Pflegeheim und 17 % verstarben.

2015
2016
2017
Längerfristige Betreuungen
Unter „Betreuung“ wird in Zusammenhang mit der Dokumentation und Statistik die Beratung, fachliche Begleitung und Hilfekoordination für die Klienten verstanden
(über 4 Kontakte)
1.040
1.094
1.203
Direkte Kurzbetreuungen (1 - 4 Kontakte)
298
190
255
Indirekte Kurzbetreuungen (1 - 4 Kontakte ausschließlich im Umfeld der älteren Klientinnen und Klienten, z. B. Angehörige, andere Dienste usw.)
416
406
415
Gesamtzahl Klientinnen/Klienten
1.754
1.690
1.873
Hausbesuche
3.857
3906
4.038
Erstbetreuungen (unter längerfristigen)
472
511
550

2. Soziodemografische Daten

Die soziodemografischen Daten wie Lebensalter, Geschlecht, Familienstand, Herkunft und finanzieller Hintergrund in 2017 zeigen keine signifikanten Veränderungen.
Der Anteil der hochaltrigen Klientinnen und Klienten von über 80 Jahren lag bei 39 %, 6 % waren über 90 Jahre alt. 2/3 der Klientinnen und Klienten waren Frauen, 62 % sind alleinlebend. Einen Migrationshintergrund haben 24 % der Klientinnen und Klienten.
Hinsichtlich der finanziellen Situation sind 20 % auf Grundsicherung oder Sozialhilfe angewiesen.

3. Psychiatrische Erkrankungen/Komorbidität

Im Bereich der Diagnosen, der Komorbidität und der entsprechenden Inanspruchnahme verschiedener Hilfen sind nur geringe Schwankungen zu verzeichnen (Demenz 48 %, Depressionen 31 %, Schizophrenien 10 %). Zusätzlich leiden an einer körperlichen Erkrankung 66 % der betreuten Klientinnen und Klienten.

4. Zuweisungswege

Im Bereich der Zuweisungswege sind kaum Veränderungen aufgetreten. Im Wesentlichen erfolgt der Zugang über Angehörige und Nachbarn (33 %), eine leichte Steigerung ist bei den Kontaktaufnahmen durch die Klientinnen und Klienten selbst zu verzeichnen. Die Entwicklung in der finanziellen Situation der Klientinnen und Klienten und der Personen mit Migrationshintergrund muss weiter beobachtet werden, um die Ausrichtung der
GerBera hinsichtlich des Umgangs mit Altersarmut und der besonderen Situation von älteren Migrantinnen und Migranten Rechnung zu tragen.


5. Pflegeeinstufung

Auf der Grundlage des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und der Umstellung von Pflegestufen in Pflegegrade wurde ab 01.01.2017 eine Umstellung in der Begutachtung vorgenommen. In der Regel wurden bereits 2016 eingestufte Klientinnen und Klienten automatisch um zwei Stufen höher eingestuft, um mehr Pflegegeld und einen höheren Anspruch auf Tagespflege zu erhalten. Der Zweistufensprung scheint allerdings eine relativ kulante Übergangsregelung gewesen zu sein, die bei einer Neueinstufung nach dem neuen Begutachtungs-Assessment im Rahmen des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs nicht analog erreicht wird. Dies zeigen erste Erfahrungen in 2017. Insofern scheint langfristig gesehen etwa nur die Hälfte der Pflegebedürftigen von höheren Leistungen in der Pflegeversicherung zu profitieren.

Im Jahr 2017 hatten im Bereich der Pflegeeinstufung 31 % der Klientinnen und Klienten keine Pflegeeinstufung, 7 % waren in den höchsten Pflegegraden 4 und 5 eingestuft. Es zeigt sich nach wie vor deutlich, dass der Hilfebedarf der Klientinnen und Klienten in vielen Fällen nicht mit einem hohen somatischen pflegerischen Hilfebedarf verbunden ist. GerBera berät und vermittelt Betreuungsangebote, die auch ohne körperlichen Pflegebedarf genutzt werden können. Für gerontopsychiatrisch erkrankte Menschen ist Betreuung oftmals wichtiger als Pflege und bleibt auch bei zunehmendem Pflegebedarf ein wichtiger Unterstützungsaspekt.

6. Kooperation und Öffentlichkeitsarbeit

Die Pflege von Kooperationskontakten und Öffentlichkeitsarbeit sind dauerhafte Aufgaben der GerBera, da Menschen oft erst dadurch Unterstützungsangebote wahrnehmen und auf sie aufmerksam werden. Die Dienste wurden sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei anderen Institutionen nach wie vor gut angenommen.


Aktivitäten zur Öffentlichkeitsarbeit

· Initiierung von Artikeln in der Presse,
· Aufbau von Informationsständen bei Veranstaltungen,
· Vorträge und Durchführung von Informations- und/oder Fortbildungsveranstaltungen,
· gemeinsame Planung von öffentlichen Veranstaltungen oder Veranstaltungsreihen mit anderen Diensten.

Kooperationen

· Kooperationsgespräche im Einzugsgebiet (z. B. Bürgerservice Leben im Alter, Pflegestützpunkt, Begegnungsstätten, Pflegedienste, Kirchengemeinden, AK Psychotherapie in der zweiten Lebenshälfte),
· Mitwirkung in Gremien (regionale Arbeitskreise der Altenhilfe, wie z. B. AG Ambulante Hilfen für Ältere, Netzwerk Demenz, Informationskreis für Angehörige am Bürgerhospital, Stadtteilrunden).

Entsprechend den Zuwendungsvereinbarungen fanden überdies Kooperationskontakte mit dem Besuchsdienst Vierte Lebensphase statt. Ebenso nutzten die Mitarbeiter/-innen die Angebote der Fachberatung Demenz (Helferkreis, Betreuungsgruppen, Fortbildung, fachliche Beratung, schriftliches Informationsmaterial).

7. Aktivitäten im Sozialraum

· Durchführung und Beteiligung an Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Demenz und mit verschiedenen Diensten und Institutionen.
· Mitwirkung bei Arbeitsgruppen des Netzwerks Demenz (AG Stadtteilarbeit, AG Leben-Wohnen-Pflegen, Beirat Netzwerk Demenz).
· Mitarbeit in stadtteilbezogenen Arbeitskreisen, wie z. B. der AG Ambulante Hilfen.
· Durchführung von Schulungen und Vorträgen bei verschiedenen Veranstaltungen und Institutionen.
· Initiierung und Durchführung von regelmäßigen Veranstaltungen einer Lokalen Allianz für Menschen mit Demenz und ihre Angehörige in den Stadtbezirken Vaihingen und Möhringen.
· Mitarbeit bei der Entwicklung der generationenübergreifenden Quartierskonzepte „Heslach im Blick“ und „AG Espan“ in Stuttgart-Bad Cannstatt.
· Mitwirkung in regionalen Demenzinitiativen (Projekt Demenzfreundliches Bad Cannstatt, Demenzinitiative Stuttgart-West und Netzwerk Demenz Stuttgart-Ost).
· Mitarbeit in der Arbeitsgruppe AUGEM (Arbeitsgruppe zur Unterstützung gerontopsychiatrisch erkrankter Migranten in Stuttgart).

8. Fortbildung

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GerBera nutzen kontinuierlich Möglichkeiten für Fortbildungen und Erweiterung ihrer Kenntnisse und Erfahrungen.


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