Die Versorgungssituation älterer Menschen mit gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern ist in den letzten Jahren aufgrund der demografischen Entwicklung verstärkt in den Vordergrund getreten. Insbesondere im höheren Lebensalter wächst die Gruppe von Menschen mit einer erhöhten Vulnerabilität für psychische und körperliche Komorbidität. Da die Fähigkeit zu selbstbestimmtem Leben krankheitsbedingt bei vielen Betroffenen eingeschränkt ist, müssen in diesen Fällen Angehörige und/oder gesetzliche Vertreterinnen oder Vertreter in den Betreuungs- und Behandlungsprozess angemessen mit einbezogen werden (vgl. Landespsychiatrieplan Baden-Württemberg, 2017).
Die Gerontopsychiatrischen Dienste (GerBera) in der Landeshauptstadt Stuttgart wurden 2005 eingerichtet und sind an die Gemeindepsychiatrischen Zentren (GPZ) angegliedert (GRDrs 959/2004 „Gerontopsychiatrischer Dienst“). Sie sind Teil des Gemeindepsychia-trischen Verbundes Stuttgart (GPV) nach § 7 Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) Baden-Württemberg. Ziel des GPV ist die Bereitstellung eines umfassenden und koordinierten Leistungsangebotes für chronisch psychisch kranke Menschen in der Landeshauptstadt Stuttgart, um die ambulante psychiatrische Grundversorgung sicherzustellen. Die personenzentrierte Hilfe erfolgt wohnortnah durch multiprofessionelle Zusammenarbeit niederschwellig, alltags- und lebensweltorientiert.
Ziel der GerBera ist der Erhalt und die Förderung der Alltagskompetenzen gerontopsychiatrisch erkrankter älterer Menschen ab 63 Jahren für ein möglichst selbstbestimmtes
Leben sowie die Begleitung, Beratung und Entlastung der Angehörigen. Zielgruppe der GerBera sind in erster Linie Menschen, die an demenziellen Erkrankungen, Veränderungen der Stimmungslage wie Depressionen, Verkennungen der Realität, wahnhaften Störungen im Alter oder unter Ängsten und anderen psychosozialen Beeinträchtigungen leiden.
Die Anbindung an die Gemeindepsychiatrischen Zentren (GPZ) und die sozialräumliche Verortung der GerBera in einem definierten Einzugsbereich sind gerade für gerontopsychiatrisch erkrankte Menschen, die Hilfe benötigen und auf Unterstützung pflegerischer und sozialer Hilfesysteme angewiesen sind, von besonderer Bedeutung.
Um die Entwicklungen in den verschiedenen Funktionsbereichen der GPZ transparent zu beschreiben, zu analysieren und das Versorgungssystem neuen Entwicklungen anzupassen, werden die Daten der GerBera jährlich evaluiert.
Situation in den GerBera - Auswertung der Daten 2017 und Schlussfolgerungen
· Fallzahlen 2017: 1.873 Klientinnen und Klienten (Steigerung zum Vorjahr 11 %) entspricht 134 Betreuungen insgesamt pro Fachkraft, davon 86 längerfristig (über 4 Kontakte) betreute Klientinnen und Klienten (Steigerung zum Vorjahr 10 %). Die durchschnittliche Zahl der Hausbesuche betrug 288 pro Fachkraft (Steigerung zum Vorjahr 3 %). Die GerBera liegen damit am oberen Rand der Belastbarkeit. Sollte sich der o. g. Trend fortsetzen, kann der Bedarf an Anfragen und Betreuungen mit den vorhandenen Ressourcen nicht gedeckt werden.
· Pflegeversicherungsleistungen (SGB XI): Das neue Einstufungsverfahren auf Grundlage des Pflegebedürftigkeitsbegriffs seit 2017 zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass Pflegebedürftigkeit nicht nur als körperlicher Pflegebedarf verstanden wird, sondern Aspekte wie z. B. die selbständige Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte mit einbezogen sind. Gerade gerontopsychiatrisch erkrankte Menschen sollen von diesem erweiterten Pflegeverständnis profitieren. Es wird von daher erwartet, dass mehr Menschen der Einstieg in die Pflegeversicherung mit Pflegegrad 1 ermöglicht wird. Dadurch würden auch Menschen mit depressiver Symptomatik vermehrt den Pflegegrad 1 erhalten. Ab 2018 können hierzu weitere Aussagen getroffen werden, weil dann weitere statistische Daten vorliegen.
· Pflegedienste: Bei den Pflegediensten kommt es zunehmend zu Wartezeiten hinsichtlich pflegerischer und hauswirtschaftlicher Hilfen. Ursache dafür ist u. a. das Problem der Dienste, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden.
· Pflegeheimplätze: Kurzzeitpflegeplätze und wohnortnahe Heimplätze sind nur mit hohem zeitlichen Aufwand zu finden.
· Tagesstrukturierende Angebote für gerontopsychiatrisch erkrankte Menschen, die verwirrt sind, aber keinen Pflegebedarf haben, sind schwer zu finden und oft nicht finanzierbar. Das Modul "Inklusion von gerontopsychiatrisch Erkrankten in Begegnungsstätten" ist eine sinnvolle und wohnortnahe Lösung für die betroffenen Menschen. Ebenso sind die ersten realisierten Pflege-Wohngemeinschaften ein Schritt in die richtige Richtung.
· Behandlung: In Bezug auf den Bedarf von Hausbesuchen durch Nervenärzte mit gerontopsychiatrischer Kompetenz gibt es noch immer Kapazitätsprobleme. Ebenso ist die Behandlung und Betreuung gerontopsychiatrisch erkrankter Menschen in Akutkrankenhäusern trotz vieler Bemühungen aller Beteiligten nach wie vor ein Problem. Inwieweit das am 1. Januar 2017 in Kraft getretene „Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG)“ mit dem Teil der sogenannten stationsäquivalenten Behandlung (StaeB) hier eine Entlastung in akuten Krankheitsphasen bringen kann, bleibt abzuwarten. Mit der Einführung einer stationsäquivalenten Behandlung soll eine neue, weitere Brücke zwischen dem stationären und dem ambulanten Sektor im Sinne der Weiterentwicklung der sektorenübergreifenden Versorgung angestrebt werden, welche eine psychiatrische Behandlung während akuter Krankheitsphasen im häuslichen Umfeld durch mobile ärztlich geleitete multiprofessionelle Behandlungsteams vorsieht.
· Insgesamt sind die GerBera in der Landeshauptstadt Stuttgart gut aufgestellt und werden ihrem Arbeitsauftrag gerecht. Die Kooperation mit beteiligten Einrichtungen und Diensten, insbesondere die enge regionale Kooperation mit den Diensten und Einrichtungen der Altenhilfe, verläuft weiterhin positiv. Auch die enge Vernetzung der verschiedenen Funktionsbereiche in einem Gemeindepsychiatrischen Zentrum trägt zum Erfolg der GerBera bei. Die Regionalisierung der Dienste und die Erschließung bzw. Kooperation mit vorhandenen Hilfeangeboten im Sozialraum sind dabei gute Voraussetzungen.
Beteiligte Stellen --- Vorliegende Anträge/Anfragen --- --- Werner Wölfle Bürgermeister 1. Ausführlicher Bericht Ausführlicher Bericht Gemeindepsychiatrischer Verbund (GPV): Gerontopsychiatrische Dienste - Sachstand 2017 1. Entwicklung der Fallzahlen und Inanspruchnahme der Gerontopsychiatrischen Dienste (GerBera) Zielgruppe der GerBera sind Menschen ab 63 Jahren, die an · dementiellen Erkrankungen, · Veränderungen der Stimmungslage, wie z. B. Depressionen, · Verkennungen der Realität, z. B. wahnhafte Störungen im Alter oder · unter Ängsten und anderen psychosozialen Beeinträchtigungen
In 193 Fällen insgesamt, also nach wie vor bei etwa einem Sechstel der Klientinnen und Klienten, endete die Unterstützung im Verlauf des Jahres. Von diesen Klientinnen und Klienten zogen etwa 50 % ins Pflegeheim und 17 % verstarben.
3. Psychiatrische Erkrankungen/Komorbidität Im Bereich der Diagnosen, der Komorbidität und der entsprechenden Inanspruchnahme verschiedener Hilfen sind nur geringe Schwankungen zu verzeichnen (Demenz 48 %, Depressionen 31 %, Schizophrenien 10 %). Zusätzlich leiden an einer körperlichen Erkrankung 66 % der betreuten Klientinnen und Klienten. 4. Zuweisungswege Im Bereich der Zuweisungswege sind kaum Veränderungen aufgetreten. Im Wesentlichen erfolgt der Zugang über Angehörige und Nachbarn (33 %), eine leichte Steigerung ist bei den Kontaktaufnahmen durch die Klientinnen und Klienten selbst zu verzeichnen. Die Entwicklung in der finanziellen Situation der Klientinnen und Klienten und der Personen mit Migrationshintergrund muss weiter beobachtet werden, um die Ausrichtung der GerBera hinsichtlich des Umgangs mit Altersarmut und der besonderen Situation von älteren Migrantinnen und Migranten Rechnung zu tragen. 5. Pflegeeinstufung Auf der Grundlage des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und der Umstellung von Pflegestufen in Pflegegrade wurde ab 01.01.2017 eine Umstellung in der Begutachtung vorgenommen. In der Regel wurden bereits 2016 eingestufte Klientinnen und Klienten automatisch um zwei Stufen höher eingestuft, um mehr Pflegegeld und einen höheren Anspruch auf Tagespflege zu erhalten. Der Zweistufensprung scheint allerdings eine relativ kulante Übergangsregelung gewesen zu sein, die bei einer Neueinstufung nach dem neuen Begutachtungs-Assessment im Rahmen des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs nicht analog erreicht wird. Dies zeigen erste Erfahrungen in 2017. Insofern scheint langfristig gesehen etwa nur die Hälfte der Pflegebedürftigen von höheren Leistungen in der Pflegeversicherung zu profitieren. Im Jahr 2017 hatten im Bereich der Pflegeeinstufung 31 % der Klientinnen und Klienten keine Pflegeeinstufung, 7 % waren in den höchsten Pflegegraden 4 und 5 eingestuft. Es zeigt sich nach wie vor deutlich, dass der Hilfebedarf der Klientinnen und Klienten in vielen Fällen nicht mit einem hohen somatischen pflegerischen Hilfebedarf verbunden ist. GerBera berät und vermittelt Betreuungsangebote, die auch ohne körperlichen Pflegebedarf genutzt werden können. Für gerontopsychiatrisch erkrankte Menschen ist Betreuung oftmals wichtiger als Pflege und bleibt auch bei zunehmendem Pflegebedarf ein wichtiger Unterstützungsaspekt. 6. Kooperation und Öffentlichkeitsarbeit
8. Fortbildung Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GerBera nutzen kontinuierlich Möglichkeiten für Fortbildungen und Erweiterung ihrer Kenntnisse und Erfahrungen. zum Seitenanfang