Protokoll: Ausschuss für Umwelt und Technik des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 06.03.2018
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Üchtritz (Kanzlei Gleiss/Lutz)
Protokollführung: Frau Faßnacht
Betreff: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig vom 27.02.2018 - mündlicher Bericht -


Der Vorsitzende begrüßt Herrn Prof. Dr. Üchtritz, Verwaltungsjurist bei der Kanzlei Gleiss/Lutz, der die Landeshauptstadt Stuttgart vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig vertreten hat. Dort habe sie als Beigeladene an dem Verfahren zwischen Deutscher Umwelthilfe und dem Land Baden-Württemberg teilgenommen. Die Stellungnahme der Landeshauptstadt Stuttgart sei dem Ausschuss wie vereinbart zugegangen. Obwohl nur beigeladen, habe die Landeshauptstadt Stuttgart in das Verfahren mit der zentralen Argumentation der Verhältnismäßigkeit einen wichtigen Punkt eingebracht. Das Gericht habe im Grundsatz Herrn Richter Kern, OVG Stuttgart, bestätigt, aber darauf hingewiesen, man müsse darüber hinaus Verhältnismäßigkeit obwalten lassen. Insofern sei er mit dem Agieren in Leipzig sehr zufrieden.

Herr Prof. Dr. Üchtritz sieht sich in einer schwierigen Situation, da er den Inhalt des Urteils erläutern und aufzeigen soll, welche Konsequenzen sich hieraus im Hinblick auf mögliche Diesel-Fahrverbote ergeben. Die Basis für seine Ausführung sei jedoch noch dünn und lückenhaft, weil das schriftliche Urteil bisher noch nicht vorliegt. Man habe nur das Ergebnis, was das Bundesverwaltungsgericht am 27.02.2018 in Leipzig verkündet hat und eine relativ knappe mündliche Urteilsbegründung sowie eine noch knappere Pressemitteilung. Seine heutige Einschätzung zum Inhalt und zu den Konsequenzen des Urteils sei daher zwingend eine vorläufige, die mit gewissem Vorbehalt zu sehen sei. Gerade die sicherlich für die Stadt spannende Frage, was ergibt sich im Einzelnen aus den Anforderungen des Gerichts hinsichtlich einer möglicherweise gestaffelten Einführung von Fahrverboten für differenzierte Klassen, könnte sehr davon abhängen, was im Detail in den Urteilsgründen dazu steht. Das Gericht habe angekündigt, dass es versuchen wird, bis Ostern das Urteil abzusetzen, spätestens aber sollen die Urteilsgründe zwischen Ostern und Pfingsten zugehen.

Um das Urteil von seinen Grundzügen her richtig einzuordnen, ruft er die Kernaussagen des Urteils vom OVG Stuttgart, Herrn Richter Kern, in Erinnerung, wonach das Land Baden-Württemberg verpflichtet ist, den Luftreinhalteplan so zu ergänzen, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung der Grenzwerte für NO2 in der Umweltzone Stuttgart enthält. Das Verwaltungsgericht habe den Entwurf des Luftreinhalteplans behandelt und alle Maßnahmen, die er beinhaltet, kurz geprüft und als wirkungslos bewertet, da damit nicht gewährleistet sei, kurzfristig die Grenzwerte - speziell den Jahresmittelwert - zu erreichen. Die einzige Maßnahme, die etwas bringt, seien Verkehrsverbote für Dieselfahrzeuge Euro 5 und schlechter. Herr Kern habe außerdem die Vorbehalte des Landes "abgebügelt". Das Land hatte erklärt, frühestens 2020 und erst dann, wenn der Durchdringungsgrad der Flotte bei 80 % moderner Fahrzeuge, die nicht betroffen sind, liegt, Fahrverbote zu erlassen.

Zusammengefasst könne man das Urteil des VG Stuttgart so verstehen: "Ihr müsst praktisch umgehend Fahrverbote einführen. Umgehend heißt jetzt nicht, sofort die Schilder hinhängen, sondern den Luftreinhalteplan so aufzustellen und ihn dann umzusetzen."

Das Bundesverwaltungsgericht habe der Revision im Tenor teilweise stattgegeben, es habe das Urteil teilweise aufgehoben und das beklagte Land verpflichtet, über die Fortschreibung des Luftreinhalteplans erneut zu entscheiden unter Berücksichtigung der rechtlichen Einschätzung und Bewertung des Bundesverwaltungsgerichts. Im Übrigen habe es die Sprungrevision zurückgewiesen.

"Was hat das Bundesverwaltungsgericht nun im Kern gesagt? Im Vordergrund stand natürlich wieder einmal - wie beim Verwaltungsgericht bereits - die Frage: Ist es nach dem vorhandenen rechtlichen Instrumentarium des Bundesemissionsschutzgesetzes und der Straßenverkehrsordnung überhaupt zulässig, Fahrverbote für Diesel-Kfz
streckenbezogen oder Umweltzonen zu verhängen? Ist es zulässig, hier Fahrverbote differenziert zu verhängen, differenziert nach den unterschiedlichen Emissionsverhalten, und zwar auch abweichend von dem, was wir mit der Plaketten-Regelung rot-gelb-grün, Sie kennen sie alle, haben? Das war die erste Kernfrage, mit der sich das Bundesverwaltungsgericht zu befassen hatte. Die Kernposition des Landes war, das geht nicht, solange wir hier nicht ein neues rechtliches Instrumentarium auf Bundesebene haben - die berühmte Blaue Plakette -, können solche Fahrverbote nicht länderweise - Stichwort: Flickenteppich - eingeführt werden.


Das Bundesverwaltungsgericht hat im Grundsatz der Position des Landes Rechnung getragen. Die Stadt hatte die gleiche Position vertreten, hat gesagt, eigentlich geht dies nicht nach unserer deutschen Rechtssystematik der Straßenverkehrsordnung, hat aber unter Rückgriff auf den Vorrang des Europarechts gesagt, dann müssen die entsprechenden nationalen Regelungen, speziell die Regelungen der Straßenverkehrsordnung, die einer solchen Verhängung von Verkehrsverboten entgegenstehen, die müssten zurücktreten bzw. dürften nicht angewandt werden, wenn anders die Vorgaben des europäischen Rechts, also sprich die Grenzwerte für NO2, nicht erreichbar seien.

Also, Fahrverbote für Dieselfahrzeuge sind rechtlich möglich, wenn sie, und das ist ein wesentlicher Zusatz, das einzige Mittel sind, schnellstmöglich die Einhaltung der Grenzwerte zu gewährleisten. Diese Einschränkung, 'wenn sie das einzige Mittel sind', hat für die Landeshauptstadt Stuttgart allerdings nur eine beschränkte Wirkung. Von dieser Aussage mögen viele Städte profitieren, die noch im Augenblick sich in einer Phase befinden, in der untersucht wird, welche Maßnahmen gibt es, welche Wirkungen werden diese Maßnahmen haben?

Wir können in Stuttgart die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass wir ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart haben mit tatsächlichen Feststellungen, die das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht nicht korrigiert hat, nämlich, dass die Fahrverbote für Dieselfahrzeuge das einzige wirksame Mittel sind, um schnellstmöglich die Einhaltung der Grenzwerte zu erreichen. Also bezogen auf die Situation in Stuttgart müssen wir sagen, unter diesem Vorbehalt, Fahrverbote gehen nur dann, wenn sie das einzige Mittel sind, ist diese Voraussetzung erfüllt. Darüber kann man sich streiten, aber es ist müßig, sich darüber zu streiten. Es ist schlichtweg rechtskräftig festgestellt durch das Verwaltungsgericht und insoweit vom Bundesverwaltungsgericht nicht korrigiert worden. Das ist der erste Punkt des Urteils. Da, das müssen wir eben im Ergebnis realistischerweise sagen, hat das Bundesverwaltungsgericht die Position des VG Stuttgart bestätigt.

Der zweite Punkt, der Oberbürgermeister hat es schon kurz angesprochen, war der, an dem wir einen Teilerfolg erzielt haben in Leipzig. Das BVG hat betont, das war auch in unserer Kernargumentation, wenn denn so etwas gehen sollte, bedarf es in jedem Fall einer gestuften Einführung, bedarf es Übergangsregelungen, schon um die Auswirkungen solcher Fahrverbote für die betroffenen Fahrer von Diesel-Kfz zu mildern, dass sie sich darauf einstellen können. Es darf nicht der Fall eintreten, dass Kfz-Halter sich erst vor wenigen Jahren, vor gut zwei Jahren, modernste Fahrzeuge gekauft haben, die vollumfänglich den damals geltenden Normen entsprochen haben, und diese Dieselfahrzeuge weitgehend nicht mehr nutzen können.

Dem hat das BVG im Grundsatz Rechnung getragen, hat gesagt, jawohl, derartige Übergangsregeln sind zwingend erforderlich. Es darf nicht sozusagen ohne jede Differenzierung umgehend ein Dieselfahrverbot eingeführt werden, es sei möglich oder auch geboten ein stufenweises Vorgehen, dass man ggfs. nur die Fahrzeuge mit Fahrverboten belege - ausdrücklich benannt hat das BVG Euro 4 -, die einen stärkeren Anteil an der Emissionsverursachung haben, und erst danach die moderneren Dieselfahrzeuge. Konkret hat das BVG gesagt, jedenfalls Euro 5 nicht vor dem 01.09.2019. Wenn Sie jetzt fragen, woher kommt dieses Datum, können wir eigentlich nur mutmaßen, das hat das Gericht nicht begründet: 01.09.2015 war das Datum für Umstellung auf Euro 6-Norm, dahinter steht wohl der Gedanke, mindestens vier Jahre müsste doch ein Eigentümer/Halter ein Neufahrzeug uneingeschränkt nutzen können.

Das BVG hat dann noch eine weitere, wie ich meine, wichtige Aussage gemacht: Es hat gesagt, gegebenenfalls können auch für die Euro 5-Fahrzeuge Fahrverbote nicht oder später als ab 01.09.2019 verhängt werden, wenn die Grenzwerte weiterhin, wenn die Schadstoffbelastung sich weiterhin reduziert. Konkretere Aussagen können wir bisher der mündlichen Urteilsbegründung nicht entnehmen. Es wird darauf Bezug genommen, dass wir schon ausdrücklich darauf hingewiesen hatten, wie stark die Belastung zurückgegangen sei. Und das Gericht hat offenkundig die Situation vor Augen, dass wenn im September 2019 erkennbar sei, dass die Grenzwerte demnächst eingehalten sind, dass dann Fahrverbote für Diesel-5-Fahrzeuge unzulässig sind. Gerade an dem Punkt könnte es sehr darauf ankommen, was im Einzelnen in den Urteilsgründen drinsteht. Also die Frage, wie stark ein weiterer Rückgang der Schadstoffbelastung bei den Stickoxiden eintreten muss, damit man über den 01.09.2019 hinaus von Fahrverboten für Euro 5, das sind ja die Masse der Dieselfahrzeuge, absehen kann.

Da das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich gesagt hat, Fahrverbote vor dem 01.09.2019 nicht für Euro-5-Fahrzeuge, muss man im Gegenschluss, das scheint mir rechtlich zwingend zu sein, sagen, dass für ältere Dieselfahrzeuge, also Euro 4 und älter, dieser Vorbehalt nicht gilt, sodass also sehr viel dafür spricht, dass dem BVG die Vorstellung zugrunde liegt, dass in der nächsten Fortschreibung des Luftreinhalteplans in sechs Monaten, in sieben Monaten, acht Monaten, wann immer das sein mag, Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge, also Euro 4 und schlechter, aufgenommen werden müssen, um das Ziel, die schnellstmögliche Erreichung der Grenzwerte, zu gewährleisten.

Das BVG hat dann noch gesagt, selbstverständlich müsse auch berücksichtigt werden, inwieweit Ausnahmeregelungen, etwa für Handwerker, auch für bestimmte Anwohnergruppen, so heißt es in der Pressemitteilung, vorzusehen seien. Auch da muss man, glaube ich, die Urteilsgründe im Einzelnen abwarten, um zu sehen, wie groß der Spielraum für Ausnahmegenehmigungen ist.

Nicht eingegangen ist das BVG auf die Frage, ob etwa eine Nachrüstung im Bereich der Hardware zu einer Korrektur dieses Ergebnisses führen kann. Das wird man meines Erachtens bejahen müssen, aber natürlich nur unter der Prämisse, dass dann zu dem Zeitpunkt, zu dem der neue Luftreinhalteplan zu verabschieden ist, eine verlässliche und klare Grundlage besteht, ob eben eine entsprechende Hardware-Nachrüstung stattfinden wird und ob sie entsprechende Ergebnisse kurzfristig zeitigen wird. Wenn das nicht der Fall sein wird, dann muss man wohl davon ausgehen, dass ein Verweis auf eine mögliche Hardware-Nachrüstung nach Auffassung des BVG keine Rechtfertigung dafür darstellt, auf Fahrverbote für Diesel-Kfz zu verzichten.

Ein letzter Satz noch: Das Argument, das glaube ich in der Öffentlichkeit eine wesentliche Rolle spielt, derartige Fahrverbote seien doch ohne Blaue Plakette überhaupt nicht kontrollierbar, hat das BVG relativ stiefmütterlich behandelt. Es hat gesagt, das mag sein, dass das eine gewisse Schwierigkeit verursacht, es stünde aber der Verhängung von Fahrverboten nicht entgegen.

Das ist zusammengefasst meine Einschätzung des Urteils. Ich betone noch mal, auf Basis einer knappen Presseerklärung und der mündlichen Erläuterung des Vorsitzenden. Diese Einschätzung bedarf der Nachjustierung, des Feinschliffs, wenn wir die Urteilsgründe schriftlich vorliegen haben. Vielen Dank!"

Zur Lage führt OB Kuhn aus, das Urteil betreffe allein Stickoxide. Beim Feinstaub sei die Entwicklung so, dass die Werte 2018 bei durchschnittlichen Wetterlagen deutlich besser werden als 2017 - Wetterlagen im Herbst nicht mit eingerechnet. Ob dann von 45 Überschreitungstagen die geforderten 35 erreicht werden, wisse man noch nicht.

Bei den Stickoxiden liegen die Werte im Jahr 2017 am Neckartor im Jahresdurchschnitt bei 73 Mikrogramm/m³, der zulässige Grenzwert ist 40 Mikrogramm/m³ - die Stundenwerte werden überall in der Stadt eingehalten. In der Hohenheimer Straße ist der Jahresdurchschnittswert 69 Mikrogramm/m³, am Arnulf-Klett-Platz 56 Mikrogramm/m³. Wenn man sich nur auf das Neckartor konzentrieren würde, so habe man im letzten Jahr eine Verbesserung von 9 Mikrogramm/m³ gegenüber 2016 erreicht. Dies sei mehr als in den Jahren zuvor. Daraus lasse sich schließen:

1. Stickoxide sind in Stuttgart nicht nur ein Problem am Neckartor, sondern an mehreren Messstellen und

2. wenn weiterhin 9er-Schritte nach unten erreicht werden durch Maßnahmen, die ergriffen werden, z. B. ÖPNV-Ausbau, Verbesserung der Motorentechnik usw., so läge man in drei Jahren - und damit Ende 2020 - mit einem Jahresdurchschnittswert von 46 Mikrogramm/m³ nur noch knapp über dem Grenzwert. Jedoch wisse keiner, ob von 9er-Schritten ausgegangen werden kann, oder ob die Schritte zurückgehen auf eine geringere Zahl bzw. größer werden, wenn z. B. der Ausbau der Elektromobilität und der Austausch der alten Fahrzeugflotte stärker greifen.

Der Vorsitzende begrüßt, die Argumentation Verhältnismäßigkeit auf der Basis des Beschlusses des Gemeinderats zum letzten Entwurf des Luftreinhalteplans vorangetrieben zu haben, weil dies Spielräume eröffnet. Das Land müsse nun einen neuen Luftreinhalteplan-Entwurf ausarbeiten und vorlegen. Nach Aussagen des Verkehrsministeriums werde das Land bis zum Inkrafttreten des Plans ein halbes Jahr Zeit brauchen. Er gehe davon aus, dass das Land ebenfalls die schriftliche Urteilsbegründung abwarten wird, bevor es den neuen Entwurf finalisieren kann. Die Landeshauptstadt Stuttgart werde dann wieder dazu gehört werden.

Zu bedenken blieben dennoch bereits jetzt einige Problemstellungen: Was passiert, wenn es Euro 4-Diesel gibt, die bessere Werte haben als Euro 5-Diesel? Was passiert, wenn es Euro 5-Diesel gibt, die bessere Werte haben als der ein oder andere Euro 6-Diesel? Es gebe laut einem Interview mit der Präsidentin des Umweltbundesamtes bereits Überlegungen, Blaue Plaketten in verschieden Schattierungen auszugeben.

Im Hinblick auf das Datum 01.09.2019 bzw. bei deutlichen Verbesserungen der Stickoxid-Lage auch später, wäre es für die Landeshauptstadt Stuttgart das Beste, jetzt alles zu tun, um in dem Zeitraum bis dahin die Stickoxidwerte signifikant zu reduzieren, z. B. durch stärkere Umrüstung der Flotten, Appelle an die Bürger, sich Elektrofahrzeuge zu kaufen usw. Derzeit arbeite man an zusätzlichen Vorschlägen. Das BVG Leipzig habe das Urteil des VG Stuttgart zwar bestätigt, aber in zeitlicher Hinsicht den ein oder anderen Spielraum eröffnet. Es wäre fatal, wenn man diesen nicht nutzen würde. Gleichzeitig sei die Wahrscheinlichkeit von Verboten nicht gesunken, sondern eher gestiegen.

Dem Dank von StR Kotz (CDU) an die Berichterstatter schließen sich die auf ihn folgenden Rednerinnen und Redner seitens des Ausschusses an. StR Kotz kann die Vorbehalte nachvollziehen, zunächst die schriftliche Urteilsbegründung abzuwarten. Man freue sich, beim Thema Feinstaub deutlich voranzukommen und in diesem Jahr vielleicht eine realistische Chance zu haben, die Grenzwerte einzuhalten oder nur marginal zu überschreiten. Mit einem gewissen Stolz sollte man daher auf das schauen, was gemeinsam zu diesem Thema bewegt wurde und noch bewegt wird, wie die Förderung von ÖPNV, Fahrrad, E-Mobilität oder auch Nassstraßenreinigung. Es liege nicht nur am Wetter, wenn bei gleicher Anzahl von Feinstaubalarm-Tagen die Überschreitungstage von 32 Tagen im Jahr 2017 auf 13 in diesem Jahr reduziert werden konnten.

OB Kuhn teilt die Einschätzung, wonach die Überschreitungstage gegenwärtig im Vergleich zum letzten Jahr wesentlich geringer ausfallen, jedoch wisse keiner, wie das Wetter im Herbst wird. StR Kotz merkt an, die Wetterbedingungen scheinen in den ersten zwei Monaten 2018 nicht auffallend freundlicher gewesen zu sein als vor einem Jahr, denn sonst wäre nicht beinahe gleich oft Feinstaubalarm ausgelöst worden. Folglich scheinen die ergriffenen Maßnahmen intensiv Wirkung zu zeigen beim Feinstaub.

Beim Stickoxid sieht er die Schwierigkeit, dass in der Diskussion sehr viel über vage zeitliche Begriffe, wie z. B. die "schnellstmögliche" Einhaltung der Grenzwerte gesprochen wird, die nicht richtig definiert sind. Auch unter Werte können "demnächst" eingehalten werden, könne jeder etwas Anderes verstehen.

Tatsache sei, dass heute in Stuttgart eine gesündere Luft eingeatmet wird als in 80 Jahren zuvor, obwohl man aufgrund der Diskussionen meinen könnte, die Luft in Stuttgart werde jährlich schlechter. Jedoch sei man auf einem guten Weg, der kontinuierlich in die richtige Richtung weist, und zwar nicht nur beim Feinstaub, sondern auch bei NO2. In den letzten zwei, drei Jahren wurde diesbezüglich eine kräftige Dynamik entwickelt. Weitere Maßnahmen kämen noch hinzu, beispielsweise was Heizungsanlagen mit Festbrennstoffen und Öl betrifft, sodass er davon ausgehe, weiterhin mindestens 9er-Schritte - wenn nicht sogar größere - zu machen.

Insofern stelle sich auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit zwischen dem, "was wir einhalten wollen und mit welchem Tempo wir auf dem Weg sind, dieses zu erreichen, und den Maßnahmen und weitestgehend negativen Auswirkungen, wenn wir über das Thema von Fahrverboten sprechen in der gesamten Bandbreite - von der Frage Image einer Stadt über Probleme in Wirtschaft und Handel bis hin zu dem, was in Familien passiert, wenn wir über das Thema, ich sag mal Enteignung solcher Dieselfahrzeuge sprechen". Es sei eine Abwägung, wie sie die Kommunalpolitik und die Politik allgemein vornehmen müsse, nämlich festzustellen, was sind die Maßnahmen und was sind die Vorteile davon. Selbstverständlich habe der Gesundheitsschutz eine hohe Stellung dabei. Doch gelte es, sich vor Augen zu halten, dass auch NO2 selbst dann gesundheitsschädlich ist, wenn der Grenzwert eingehalten wird.

Auf dem Weg dorthin, größere Schritte zu machen, ist aus seiner Sicht der Austausch der Flotte entscheidend. Die Problematik - auch aus Sicht eines Unternehmers - sieht er darin, wenn Firmenflotten in einem Kraftakt innerhalb von zwei oder drei Jahren erneuert werden, dass es keine Gewähr dafür gibt, dass Euro 6-Motoren in dieser Frage zulässig sind. Der Vertreter der Deutschen Umwelthilfe habe ohne zu differenzieren in Leipzig geäußert: "Dieselfahrzeuge haben in deutschen Großstädten nichts zu suchen!" Wir brauchen eine Zusage, "wer sich heute einen Euro 6 kauft, darf den 10 Jahre in Stuttgart fahren!" Eine solche Zusage des Oberbürgermeisters und des Landesverkehrsministers wünsche er sich und garantiere, dass dann größere als 9er-Schritte pro Jahr gemacht werden, weil dann in die Flotte investiert wird.

Ein weiteres Problem sei die völlige Ungewissheit, auf welcher Fläche Fahrverbote denn gelten sollen und welche Ausnahmeregelungen es geben wird. Zweijährige Ausnahmeregelungen hält der Stadtrat für völlig absurd angesichts einer zehnjährigen Laufzeit solcher Fahrzeuge. Die Frage stelle sich, was ist, wenn die Grenzwerte 2019 eingehalten werden. "Werden die Fahrverbote für Euro 5 dann gar nicht verhängt und die für Euro 4 wieder aufgehoben?" Es könne nicht erwartet werden, dass in der Bevölkerung und in der Wirtschaft eine Dynamik entsteht für dieses Thema, solange wie Politik, Land und Bund hierzu keine entsprechenden Aussagen treffen. Ganz klar sei für die CDU jedoch, momentan seien 45 % aller Dieselfahrzeuge in Stuttgart Euro 1 bis 4. Diese Ende 2018 stillzulegen, wäre nicht verhältnismäßig. Das Gleiche gelte dafür, 82 % aller Stuttgarter privaten Dieselfahrzeuge im Herbst 2019 stillzulegen. Aus diesem Grund sehe man diesen Weg für nicht umsetzbar, sondern müsse bei den anderen Maßnahmen eine stärkere Beschleunigung erreichen und als Politik Klarheit schaffen, damit die Menschen umsteigen.

StR Winter (90/GRÜNE) unterstreicht, das Urteil des BVG sei aus Sicht seiner Fraktion wenig überraschend, genauso wenig wie das Urteil des OVG Stuttgart. Jahrelang habe die Politik im Bund weggeschaut. Bereits 2009 haben die GRÜNEN in einem Antrag gefordert "Luftreinhaltung ernst nehmen!" Das Urteil habe durchaus die von StR Kotz angemahnte Klarheit geschaffen, nämlich in der Abwägung "Gesundheitsschutz geht vor etwaigen anderen Überlegungen". Die Frage, wer kann Sicherheit über zehn Jahre geben, hätte schon längst an die Automobilindustrie gerichtet werden müssen. Diese habe konsequent die Grenzwerte nicht eingehalten, weshalb man nun in einer desaströsen Situation sei. Die Automobilindustrie habe insofern ihren eigenen Kunden gegenüber zu verantworten, wenn diese aufgrund solcher Fahrverbote nicht mehr in Städte einfahren können.

Er erinnert weiter an die strittigen Punkte in der Diskussion zum Luftreinhalteplan sowie daran, dass immer die Blaue Plakette angemahnt wurde, welche auch eine Einfahrtsbeschränkung sei für Fahrzeuge, die die Werte nicht erfüllen. Man müsse jetzt erst recht alle Maßnahmen umsetzen, wie z. B. auch die Busspur an der Wagenburgstraße, damit diejenigen, die auf den ÖPNV umsteigen, nicht im Stau stehen. Neben dem Ausbau des ÖPNV brauche es eine Entzerrung der Hauptverkehrszeiten.

Was das weitere Vorgehen anbelangt, so werde man die schriftliche Urteilsbegründung natürlich später nachlesen. Es stehe dennoch bereits fest, dass das Urteil die Prioritäten klar gesetzt hat, in der Kernaussage Richter Kern bestätigt hat und außerdem die Verhältnismäßigkeit aufgegriffen hat. Die Pressemitteilung des Landes, was Ausnahmeregelungen und Übergänge anbelangt, liege vor. Er sieht die Automobilindustrie mehr denn je in der Pflicht, mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten dafür zu sorgen, ihre Kunden nicht im Regen stehen zu lassen. Der ADAC habe vorgegeben, wohin die Richtung führt. Wenn Einfahrbeschränkungen bestehen und es die Möglichkeit gibt, Hardware-Nachrüstungen zu tun, so seien diejenigen in der Pflicht, die jene Produkte geliefert haben. Weiterhin müssten alle Mittel - ÖPNV-Ausbau, verkehrsberuhigende Maßnahmen - ergriffen werden. Gerade bei Letzterem gebe es häufig einen Disput zwischen CDU und GRÜNEN. "Mal ein Sonntagsfahrverbot ist nicht die Lösung, die wir brauchen, sondern wir müssen wirklich über Ausbau und das Ganze nachdenken."

Grundsätzlich wissen alle, so StR Körner (SPD), dass die Luft in Stuttgart und auch die Lebensqualität nur besser wird, wenn die Autos sauberer werden und wenn in der City weniger Autos unterwegs sind. Daher müsse man Alternativen zum Auto attraktiver machen, wozu mehr Busse und mehr Bahnen gehören, aber auch preiswerterer ÖPNV. Hierzu gehöre auch das Bekenntnis zum Ausbau der Infrastruktur für den Nahverkehr, z. B. die Neuaufstellung des Bahnknotens Stuttgart. Damit einhergehen müsse eine Stadtentwicklung, die klarmacht, dass das Auto weniger Platz bekommt, weswegen man die Kulturmeile umgestalten möchte. Im Jahr 2025 werde die Kulturmeile umgestaltet sein - mit der Hälfte der heutigen Fahrspuren -, und gleichzeitig werde es das bessere ÖPNV-Angebot geben. Dies seien Dinge, die Gemeinderat und Stadt tun müssen. Darüber hinaus sei die Industrie gefordert, die bei diesem Thema massiv betrogen habe.

Er verstehe die Aufregung seitens der CDU über das Leipziger Urteil nicht so ganz, weil Fahrverbote nichts Neues sind - Stichwort: Rote Plakette, Gelbe Plakette, Grüne Plakette - die vor 10 Jahren von der damaligen CDU-Umweltministerin Tanja Gönner eingeführt wurden und vor allem für Besitzer von älteren Fahrzeugen zu zusätzlichen Belastungen geführt haben und wo ebenfalls eine Abwägung zugunsten des Gesundheitsschutzes getroffen wurde. Natürlich wäre eine Blaue Plakette besser, doch die Verhängung von Fahrverboten sei nach diesem Urteil auch im geltenden Recht möglich.

Noch immer nicht klar sei dagegen, wo die Fahrverbote gelten sollen. Nach seinem Verständnis müssen diese gelten in der Umweltzone insgesamt. Zum wiederholten Mal bittet er darum, den Gemeinderat darüber zu informieren, wie man das Land zum Thema streckenbezogene Fahrverbote angesprochen hat. Die Landesregierung Baden-Württemberg habe dagegen ihre Hausaufgaben nicht gemacht, denn Fahrverbote nach dem St. Florians-Prinzip machten wenig Sinn. In Hamburg werden ab April Fahrverbote in zwei Schritten verhängt. Dort seien Strecken haushaltsscharf definiert worden.

In Zukunft müsse man eine zeitliche Staffelung vorsehen. Wenn z. B. ab 01.09.2019 Fahrverbote für bestimmte Fahrzeuge gelten, so sollte zu diesem Zeitpunkt gleichzeitig die große Tarifreform des VVS eingeführt werden, damit tatsächlich im gleichen Moment Alternativen geboten werden. Er wirbt dafür, eine solche Tarifreform zu machen, die kurzfristig wirkt und von der alle profitieren, die in die Stuttgarter Innenstadt fahren, weil alle eine Zone weniger bezahlen. Für Abonnenten bedeute dies eine Preissenkung von bis zu 25 %, beim 9 Uhr-Umweltticket in der Jobticketvariante erreiche man so den Preis von 365 €/Jahr. Eine solche Reform koste 40 Mio. €, die Stadt sei bereit, 10 Mio. € davon zu tragen, und nun sei es am Land, ebenfalls 10 Mio. € zu übernehmen. "Wo ist der Beitrag des Landes zu dieser großen Tarifreform? Und was auch fehlt vom Land, und das verstehe ich noch viel weniger, ist, dass im Gegensatz zum Freistaat Bayern das Land Baden-Württemberg mit dem GRÜNEN-Verkehrsminister nicht in der Lage ist, neue Straßenbahnen zu fördern!"

Das Land werde den Luftreinhalteplan, den es selber zurückgezogen hat, überarbeiten. Er fühle sich getäuscht vom Land in Bezug auf die Aussage dem Ausschuss gegenüber im letzten Jahr in der Frage, wo Fahrverbote rechtlich möglich sind. Natürlich wäre es besser, wenn der Bund die Blaue Plakette vorschreiben würde. Persönlich fände er es sinnvoller, "wenn wir Plaketten bekommen, die dann auch die Wahrheit über das Auto sagen, auf dem sie kleben - siehe Euro 4. Weil, die Blaue Plakette, wie sie bisher konzipiert war, ist ja auch an den Labormesswerten orientiert." Was Fördermittel angeht, so liefere der Bund 1 Mrd. € zusätzlich im Bundesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz.

An OB Kuhn gerichtet sei seine Erwartung, dass dieser die Interessen der Stadt vor allem vertritt und die Parteipolitik dem Gemeinderat überlässt. Sowohl der Bund als auch das Land seien nicht so aufgestellt, dass man als Stadt damit glücklich sein könnte. Das Land müsse mehr finanzielle Unterstützung leisten. Helfen würde vom Bund mehr Druck auf die Industrie und auch bei der Plakette. Als Stadt müsse man die Hausaufgaben beim Nahverkehr und bei der Stadtentwicklung machen.

StR Ozasek (SÖS-LINKE-PluS) begrüßt das BVG-Urteil ausdrücklich. Die Fraktionsgemeinschaft sehe darin die Blockade durchbrochen, "die Menschen vor hochschädlichen Stoffen zu schützen, die die Folge sind der kriminellen Machenschaften unserer Automobilindustrie". Man sehe zusätzlich die eigene Rechtsposition bestätigt, welche man in verschiedenen Gremien gegenüber unterschiedlichen Vertretern immer wieder referiert habe. Erschreckend finde er, wenn die CDU heute erklärt, die Fahrverbote sollten nicht zur Umsetzung kommen, denn dies zeuge von einem erschreckenden Verhältnis zum Rechtsstaat und zu obersten Gerichten sowie von einer Gleichgültigkeit gegenüber der Bevölkerung und ihrem Leidensdruck. Es werde mit dem Finger in Richtung Berlin und Richtung Automobilindustrie gezeigt, man sehe sich selber aber überhaupt nicht in der Verantwortung.

Die GRÜNEN führen die Landesregierung und stellen Verkehrsminister und Regierungspräsidenten; die Fortschreibung des Luftreinhalteplans obliege somit der GRÜNEN-Partei - sie bringe jedoch wenig bis keinen Beitrag zur Verbesserung der Luftschadstoffsituation in Stuttgart. Was die SPD anbelangt, so stehe diese genauso in der Verantwortung, da sie Teil der Landesregierung in der letzten Amtsperiode war und in der Bundesregierung ebenfalls Verantwortung trage. Dort tendiere der Beitrag der SPD ebenfalls gegen Null, insbesondere wenn man die Subventionen gegenüber der Automobilindustrie und der Dieseltechnologie gegenüberstellt.

Er teile nicht die Einschätzung von OB Kuhn, wonach man sich linear den Grenzwerten annähert. Zudem sollte man sich nicht an den geltenden Grenzwerten aufhängen, da das Bundesumweltamt dieser Tage erneut deutlich darauf hingewiesen habe, dass bereits deutlich niedrigere Konzentrationen an Stickoxiden hochgradig schädlich sind. Es habe angemahnt, sofort zu handeln. Die EU-Kommission starte noch 2018 eine Evaluierung zur Luftqualitätsrichtlinie, in deren Folge die Grenzwerte möglicherweise deutlich abgesenkt werden. Man müsse also über die Problematik des Autos in urbanen Räumen und über eine völlig andere Verkehrspolitik in den Städten sprechen.

Die Rechtsposition des Landes und die der Landeshauptstadt Stuttgart sei vom Gericht verworfen worden. "Und dass wir beigeladen auch noch rechtliche Expertise einkaufen für viele, viele Tausend Euro - ich will nicht wissen, was die Beauftragung gekostet
hat -, um hier noch mal eine Rechtsposition einzuholen! Das war alles völlig unnütz." Aus seiner Sicht war der Entwurf des Luftreinhalteplans offensichtlich rechtswidrig, alle Maßnahmen waren keine Maßnahmen im Sinne des Gesetzes - ausgenommen die Frage der Fahrverbote, die aber offensichtlich rechtswidrig formuliert war. Verkehrsverbote seien rechtlich zulässig und seien umgehend einzuführen. Entsprechend müsse der Luftreinhalteplan neu formuliert werden. Er frage sich jedoch, weshalb es erneut sechs Monate oder noch länger dauern sollte, bis dieser in Kraft tritt. Aus seiner Sicht müsste ein Plan B in der Schublade liegen. Dass dies offenbar nicht der Fall ist, sei ebenfalls erschreckend.


Das Land sei jetzt gefordert und müsse die Polizei befähigen, Kontrollen umzusetzen und Strafen zu verhängen, es sei jetzt gefordert, Geschwindigkeitsreduzierungen anzuordnen und Rechtsgrundlagen für eine Nahverkehrsabgabe zu schaffen, und es sei aufgefordert, alle Projekte des Straßenbaus in der Region Stuttgart umgehend auf Eis zu legen, weil dies erheblich mehr Verkehr auf die Straßen ziehen und damit eine Mehrbelastung an Schadstoffen bedeuten würde. Das Land sei zudem aufgerufen, endlich ein Investitionsprogramm in den Umweltverbund anzuschieben, anstatt immer mehr Projekte im Straßenbau aufzulegen. Er fordert die Ratskollegen auf, mit ihren Abgeordneten zu sprechen, um jetzt die Diesel-Privilegien abzuschaffen und alle Subventionen, die das Autofahren attraktiv machen, ersatzlos zu streichen. Diese Gelder sollen in den Ausbau des ÖPNV und des Schienenpersonennahverkehrs investiert werden. Wichtig sei es auch, die Automobilindustrie in die Pflicht zu nehmen, die Hardware-Umrüstung zu fordern, "und nicht nur Modelle zu erdenken, wie der Steuerzahler für die kriminellen Machenschaften bezahlen soll".

Vermisst habe er eine Aussage von OB Kuhn, wie im kommunalen Wirkungskreis Konsequenzen bezogen auf dieses Urteil aussehen. Die Fraktionsgemeinschaft habe bei der Fortschreibung des Nahverkehrsplans und bei den Haushaltsplanberatungen zig Vorschläge und Anträge unterbreitet. Der Antrag der Fraktionsgemeinschaft vom März 2016, wonach die Stadt nach Absprache mit dem Regierungspräsidium ein Modell entwickeln möge für rechtsgültige Fahrverbote, sei bis heute noch nicht in die Gremien gebracht worden. So habe man u. a. vorgeschlagen, die Verkehrsmenge zu dosieren über eine intelligente Schaltung der IVLZ. OB Kuhn habe gesagt, er wolle sich mit den Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern, den Landrätinnen und Landräten in der Region Stuttgart nicht anlegen, weshalb dieses Modell der Verkehrsmengendosierung für ihn nicht in Betracht komme. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit sei jedoch nicht abwägbar. "Wir wollen, dass insbesondere die Stadt Stuttgart nun dringt auf die Nahverkehrsabgabe. Dafür muss das Land Rechtsgrundlagen schaffen, und das erwarten wir jetzt, und da hätte ich gerne von Ihnen auch noch mal etwas gehört, was Sie denn nun gegenüber dem Land fordern wollen in Bezug auf die Luftreinhalteplan-Fortschreibung."

StR Zeeb (FW) richtet den Blick auf die Grenzwerte und möchte wissen, wer diese aus welchem Grund so festgesetzt hat und wer diese immer weiter verschärft. Er geht davon aus, "dass politisch gesetzte Interessensgruppen, die wissenschaftlich ein bisschen bemäntelt werden", dafür sorgen. Der Stadtrat zieht einen Vergleich zu manchen Themen der Gesundheit, wo beispielsweise die Werte, ab wann Cholesterin schädlich ist, nach Belieben der Pharmaindustrie rauf- und runtergesetzt werden.

Das Fazit der Freien Wähler laute, man muss seitens der Kommunalpolitik alles für die Luftreinhaltung tun, mit einem vertretbaren Aufwand und Verhältnismäßigkeit wahrend, damit Stuttgart gleichzeitig auch am Leben bleibt. Dieses Ziel zu erreichen, versuche man jede Woche, u. a. mit der Arbeit im UTA. Natürlich müsse man dazu auch die Automobilindustrie - der Stuttgart viel zu verdanken habe - in die Pflicht nehmen, damit sie Teile ihrer Gewinne auch für diese Anstrengungen verwendet. Weiter sollte man seines Erachtens die Grenzwerte in toto infrage stellen. Wichtig sei außerdem, dass Klarheit geschaffen wird, was zu tun ist - für wen, wo, wie lange -, wenn es zu Fahrverboten kommen sollte. Damit könne jeder Bürger in Stuttgart entscheiden, wie er sich dazu verhalten will, und er könne sich für die nächste Kommunalwahl entsprechend ausrichten.

Bevor OB Kuhn StR Klingler das Wort erteilt, informiert er, StR Brett sei - Stand heute - aus der AfD ausgetreten. Somit existiere die AfD-Fraktion nicht mehr, sondern nur noch eine Gruppe. Die Auswirkungen auf die Ausschüsse können erst per Gemeinderatsbeschluss in Kraft treten und gelten ab dem Datum, wo der Gemeinderat die entsprechende Verwaltungsvorlage beschlossen hat. Solange bleiben die Verhältnisse in den Ausschüssen wie bisher.

StR Klingler (AfD) vertritt die Auffassung, man müsse an anderer Stelle über die Grenzwerte diskutieren. Höre man die Meinung von Ärzten, so kämen diese zu anderen Ergebnissen als die Politik. Als Kommune müsse man mit den Gegebenheiten umgehen und alles daransetzen, um die Stickoxide zu reduzieren. Er könne sich aufgrund von Erfahrungen mit anderen Dingen nicht vorstellen, weiter in 9er-Schritten voranzukommen. Diese werden vielmehr kleiner. Vielmehr müsse man schauen, damit die Fahrverbote möglichst gering ausfallen. Bei den Fahrzeugen müsste die Gesamtenergiebilanz einfließen, sodass Halter von alten Fahrzeugen, die sehr wenig damit fahren, nicht dafür bestraft werden, weil solches Verhalten für die Umwelt das Beste sei. Gleiches gelte für neue Fahrzeuge, die sehr wenig gefahren werden.

Die Landeshauptstadt Stuttgart leide am eigenen Erfolg, weshalb man beispielsweise in der Regionalversammlung dafür sorgen müsse, P+R-Plätze außerhalb der Stuttgarter Gemarkung zu stärken und die Menschen zu motivieren, umzusteigen. Fest stehe auch, dass man die Tarifreform beim VVS umsetzt. Neben dem Preis sieht er die Qualität des ÖPNV problematisch, weil die Stadtbahnen bereits in den Außenstadtbezirken voll sind. Insofern müssten die Taktzeiten erhöht werden, wofür wiederum die Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, Stichwort: Betriebshöfe, aber auch eine bessere Förderung von Fahrzeugen und Infrastruktur durch das Land und den Bund. Kritisch anzumerken sei auch, dass der Verkehr sich immer mehr staut durch den stärkeren Ausbau des ÖPNV, welcher Vorrang an Kreuzungen und Ampeln genieße. Diesbezüglich fordert er zu schauen, wie man an neuralgischen Punkten die Kreuzungen umbaut, und Ideologien, wie Auto contra ÖPNV sowie andere umweltfreundliche Verkehrsarten, abzulegen. Erst wenn der Mix stimmt, bekomme man bessere Luftwerte, so der Stadtrat.

Für StR Conz (FDP) spielt die Diskussion, ob Grenzwerte willkürlich festgelegt wurden oder nicht, keine Rolle, da man sich an Gesetze halten muss. Herrn Prof. Dr. Üchtritz fragt er, ob das Finanzministerium die Abschreibungsdauer von Kfz in Kürze ändern wird, nachdem das Gericht eine Nutzungsdauer von Fahrzeugen von 4 Jahren für gerechtfertigt halte. Er erinnert daran, dass er seit Jahren dazu auffordere, sich mehr auf die Stickoxide anstatt auf den Feinstaub zu fokussieren. Aus seiner Warte ist beim Thema Fahrverbote die Verhältnismäßigkeit der entscheidende Punkt. Aus dem Redebeitrag von StR Ozasek sei klar hervorgegangen, dass SÖS-LINKE-PluS "alle Autos weghaben will", ohne zu differenzieren nach Antriebsart. Dies sei das Gegenteil von Verhältnismäßigkeit und Vernunft und habe nichts mit der Gesundheit der Bevölkerung zu tun, sondern ausschließlich mit Ideologie. Er hofft, dass die Maßnahmen, die vom Land vorgeschlagen werden, die Verhältnismäßigkeit berücksichtigen und dass die technische Entwicklung ihren Teil dazu beiträgt, damit das Thema Fahrverbote vermieden werden kann.

StR Dr. Schertlen (STd) merkt an, "mit der ganzen Wirkkette Grenzwertfestsetzung, Verbrauchs- und Abgasangaben, Vermutung zur Wirkung singulärer Maßnahmen, zweifelhafte Möglichkeit der Sperrung einzelner Hauptstraßen, Gerichte übernehmen die Hausaufgaben der Politik, Wertverfall vier Jahre alter Autos, mangelnde Überwachbarkeit von Fahrverboten, halbherziger ÖPNV mit einem vernachlässigbaren Anteil P+R-Plätze im Umland brauchen sich die Kollegen der im Bundestag vertretenen Parteien nicht zu wundern, wenn mehr und mehr Personen sich frustriert von der Politik abwenden und in der Folge der Wahlurne fernbleiben".

OB Kuhn geht zunächst auf die politischen Fragen ein und bestätigt, die Grenzwerte zu hinterfragen, nutze in der jetzigen Situation nichts. Die Richter des BVG in Leipzig haben gesagt, "wenn der Rechtsrahmen des Bundes nicht eindeutig klar ist für Verbote, so greift das EU-Recht". Somit habe man sich an das geltende Recht zu halten.

Die Diskussion habe gezeigt, dass für die jetzige Situation Fehlentscheidungen auf allen Ebenen verantwortlich sind. Abhilfe könne nur geschaffen werden, wenn auf allen Ebenen das Nötige getan wird. Es würde viel helfen, wenn der Bund einen klaren gesetzlichen Rahmen geben würde und wenn das Land neben einer zweifelsfreien Aufstellung des Luftreinhalteplans auch die Städte mehr fördern würde beim ÖPNV. Was die große Tarifreform des VVS betrifft, so sei man in intensiven Gesprächen mit dem Land, und er sei guter Hoffnung, vom Land eine finanzielle Unterstützung zu bekommen.

Erneut verweist er auf die Verantwortung der Automobilindustrie. Auch für die Investitionsentscheidung von Firmen und Betrieben sei es wichtig, ob in den Zeiträumen, die sich auftun, entweder Elektro-Fahrzeuge oder Kleinlaster mit neuen Euro 6-Diesel-Motoren zu bekommen sind. "Wir sollten in Stuttgart alles tun, damit wir schnell, was Busse angeht, stadteigene Fahrzeuge, Ausbau ÖPNV, das tun, was wir tun können. Die Förderkulisse dazu ist nicht so schlecht. Daran werden wir uns machen, und wir werden Ihnen in Bälde vorstellen, welche neuen Maßnahmen schnell denkbar sind."

Die pauschale Beschimpfung der Stadt durch StR Ozasek weist er zurück. Dessen Vorschlag lautete, an allen Stadteinfahrten massiv so zu pförtnern, damit die Luft in Stuttgart sauber ist. Dies wäre nichts anderes als ein Fahrverbot mit anderen Mitteln und ohne rechtliche Grundlagen und hätte mit den Partnern in der Region zu wüsten Auseinandersetzungen geführt, weil damit Staus bis nach Heilbronn und Tübingen und Ulm provoziert worden wären. Er fordert den Stadtrat dazu auf, in der Öffentlichkeit klar zu sagen, wie die Position von SÖS-LINKEN-PluS dazu ist.

Weiter stellt er klar, die Stadt habe in Leipzig mitnichten ein Waterloo erlebt. Die Landeshauptstadt Stuttgart war dort nur Beigeladene, und er sei froh, dort so qualifiziert vertreten gewesen zu sein. Als Unverschämtheit weist er zurück, man hätte dort Geld verschwendet. Vielmehr habe man das Interesse der Stadt berücksichtigt und deshalb einen qualifizierten Juristen beauftragt, die städtischen Interessen zu vertreten. Die politische Zielsetzung war dabei bemessen an der Mehrheitsentscheidung des Gemeinderats. Insofern bitte er darum, nicht zu ignorieren, dass der Gemeinderat ein demokratisches Gremium ist, das nach der Mehrheitsregel entscheidet.

An StR Kotz gewandt macht er deutlich, eine Erklärung des Oberbürgermeisters und des Verkehrsministers des Landes, dass alle Euro 6-Dieselfahrzeuge noch in 10 Jahren fahren dürfen, wäre eine "Nebelkerze". Denn zu dieser Entscheidung gehöre der Bundesrechtsrahmen und die Frage, was macht die Automobilindustrie im realen Fahrbetrieb auf der Straße. Vor allem aber könnte die Investitionsentscheidung, die der Unternehmer treffen muss, nicht auf diese Frage geschoben werden. Sondern die Unternehmer müssten jetzt bereits schauen, ihre Flotten nach Stand der Technik schrittweise zu erneuern.

Man könne nicht so tun, als wäre das Ermessen eine politische Entscheidung, die man ausdiskutieren kann. Rechtlich sei es so, dass das Bundesverwaltungsgericht Maßstäbe gesetzt hat für die Frage, was ist verhältnismäßig und was ist nicht verhältnismäßig? Eine Revision sei nicht zugelassen, weswegen man sich an dieses Urteil halten müsse.

Herr Prof. Dr. Üchtritz nimmt u. a. zu den Begriffen "verhältnismäßig", "schnellstmöglich" und "unverzüglich" Stellung. Seine Ausführungen sind wiedergegeben im leicht überarbeiteten Wortlaut:

"Wenn Sie einverstanden sind, noch ein paar auch ganz allgemeine Klarstellungen. Ich will mich selbstverständlich zurückhalten. Es steht mir nicht an, irgendwelche politischen Bewertungen abzugeben. Aber da, wo es um die rechtlichen Eckdaten geht, die einfach für die Entscheidung des Landes und letztendlich auch für die Position der Stadt von Bedeutung sind, gestatten Sie mir vielleicht einige Klarstellungen.

Das Thema Grenzwerte: Im Anschluss an das, was der Herr Oberbürgermeister eben jeweils gesagt hat, die Grenzwerte sind nichts Heiliges, sie sind nicht wissenschaftlich richtig oder falsch, sie sind das Ergebnis - in der Tat - eines politischen Deals, von vielen Lobby-Einflüssen gesteuert und eingewirkt. Da ist die Industrie beteiligt, da sind aber auch die Umweltverbände beteiligt. Man kann jetzt darüber diskutieren, ob die Grenzwerte zu streng sind oder ob sie zu lasch sind. Es steht Ihnen allen selbstverständlich politisch frei, Sie sind ja alle politisch aktiv, insofern für eine Änderung im Sinne einer Verschärfung oder einer Heraufsetzung einzutreten. Nur, die Grenzwerte sind verbindlich, sie sind von der EU vorgegeben. Und deswegen muss sich das Land im Rahmen dieser rechtlichen Eckdaten bewegen. Die kann man mit guten Gründen diskutieren, in welcher Richtung auch immer, aber wir müssen, wenn wir uns im rechtlichen Rahmen bewegen wollen, den das BVG konkretisiert hat, von deren Verbindlichkeit ausgehen, ob es uns gefällt oder nicht. Ich glaube, das ist einfach ein Punkt, den wir nicht ignorieren können.

Das Thema Abwägung und Verhältnismäßigkeit. Es geht sicherlich bei der Luftreinhaltung, bei den Grenzwerten um ein sehr hohes Rechtsgut, es geht um den Gesundheitsschutz. Ich versuche jetzt rein rechtlich wiederzugeben, wie das Bundesverwaltungsgericht es auch gemacht hat. Es ist nicht richtig, zu sagen, hier könne man überhaupt keine Abwägung vornehmen, weil auf der einen Seite der Gesundheitsschutz stehe und auf der anderen Seite die ökonomischen Interessen der einzelnen Kfz-Halter. Das BVG hat explizit eine Abwägung vorgenommen. In Anerkenntnis des Gesundheitsschutzes, den es hoch gewertet hat, hat es aber gesagt, es gibt auch die Belange der betroffenen Eigentümer, die im Vertrauen auf das, was ihnen die Politik und die Autoindustrie gesagt haben, sich neue Fahrzeuge gekauft haben im Vertrauen darauf, dass sie sie nutzen können.

Und deswegen hat das BVG selbst eine Abwägung vorgenommen in seinem Urteil und hat eben gesagt, für die neueren Dieselfahrzeuge wäre ein umgehendes Fahrverbot unzulässig. Also für sämtliche Dieselfahrzeuge umgehend ein Fahrverbot zu fordern, mag als politische Forderung sinnvoll sein, im bestehenden Rechtsrahmen ist es schlichtweg nicht möglich. Das ist die Konkretisierung des BVG.

Die Frage der Verhältnismäßigkeit, die eine große Rolle gespielt hat in Ihren Beiträgen, Herr Kotz, Sie sind darauf ausführlich eingegangen: Ich glaube, wenn man sich die Beiträge anhört, die Frage was jetzt hier verhältnismäßig ist in Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter, würde, wenn Sie jetzt zehn Beteiligte und die einzelnen Fraktionen fragen, höchst unterschiedlich beantwortet. Es ist ja ein extrem großes Spektrum hier zum Ausdruck gekommen. Ich muss noch darauf hinweisen, es geht jetzt nicht darum, wer von Ihnen recht hat, sondern, auch das hat der OB schon gesagt, das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung jetzt nicht pauschal und allgemein gesagt, Verkehrsverbote ja, aber nur nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Wenn das BVG das gesagt hätte, dann könnten wir uns wunderbar darüber streiten, was Herr Conz, Herr Zeeb, Herr Ozasek sich darunter vorstellen. Das BVG hat eben selbst Konkretisierungen vorgenommen, was das bedeutet in diesem konkreten Fall.

Und, davon müssen wir ausgehen, das werden wir noch mal einzeln sehen, wenn wir Urteilsgründe haben, dass das Gericht gesagt hat, jedenfalls für die sozusagen ganz neuen, die noch nicht einmal vier Jahre alt sind, geht es nicht. Für die älteren Fahrzeuge, auch wenn davon, Herr Klingler, Sie haben es gesagt, evtl. sozial schwache Personen betroffen sind, die Oma mit ihrem zehn Jahre alten Dieselfahrzeug, ist das sozial sicherlich hoch problematisch, aber auch das wiederum - man kann das mit guten Gründen kritisieren - aber nach der Wertung des BVG muss man sagen, es ist verhältnismäßig nach der Bewertung des Bundesverwaltungsgerichts. Möglicherweise kann man bei solchen einzelnen Härtefällen mit Ausnahmeregeln etwas machen. Doch da müssen wir sehen, ob im Urteil etwas Genaueres drinsteht.

Jetzt vielleicht noch zu einigen konkreten Fragen, die gestellt wurden: "So schnell wie möglich" oder "schnellstmöglich", was das heißt. Herr Kotz, Sie haben die Frage gestellt. In der Tat, das ist eine sehr berechtigte Frage. Die Formulierung stammt aus der entsprechenden Richtlinie der EU. Wenn die Grenzwerte nicht eingehalten sind, dann müssen Maßnahmen ergriffen werden, die die Einhaltung der Grenzwerte so schnell wie möglich gewährleisten. Was heißt das jetzt? Auch darüber wird man sich in der Tat sehr gut streiten können. Das BVG hat offenkundig darüber nachgedacht, ob es nicht gerade wegen der Frage, was bedeutet das, die Sache noch einmal dem Europäischen Gerichtshof vorlegt. Es hat dann aber davon Abstand genommen. Auch da müssen wir noch einmal genau schauen, was im Urteil drinsteht. Weil "so schnell wie möglich" heißt in der Tat wohl, es muss eine Maßnahme sein, die technisch geeignet ist, in dem sozusagen schnellstmöglichen Zeitpunkt unter Berücksichtigung - jetzt komm ich wieder zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz - unter Wahrung entgegenstehender, auch verfassungsrechtlich geschützter Belange diese Werte zu erreichen.

Das ist unbefriedigend in dieser Vagheit und in dieser Allgemeinheit, aber so muss man das Bundesverwaltungsgericht eben verstehen. Und dazu gehört in der Tat wohl auch, noch mal vorbehaltlich der Bewertung des Urteils nach Vorliegen der Urteilsgründe, dass eben jedenfalls für Fahrzeuge, die älter als Euro 5 sind, in den Luftreinhalteplan, wenn er denn nach der angemessenen Zeit aufgestellt wird, sechs Monate sicher ein realistischer Zeitpunkt, müssten die Fahrverbote aufgenommen werden, weil sie nach Auffassung des BVG eine verhältnismäßige Maßnahme darstellen und grundsätzlich geeignet sind, einen substanziellen Beitrag zur Erreichung der Grenzwerte zu leisten. Immer, wie gesagt, vorbehaltlich der Tatsachenbasis, der Erkenntnisbasis, die wir heute haben.

Es ist hier viel in der Runde heute von der Verantwortlichkeit auch der Automobilindustrie gesprochen worden. Das ist sicherlich politisch sehr verständlich, nur weder das Land noch die Stadt kann sich darauf verlassen, so berechtigt die Kritik sein mag. Nur und erst dann, wenn feststehen sollte, etwa durch gesetzliche Vorgaben oder durch vertragliche Absprachen, die die Industrie binden, dass es zu Nachrüstungen in einem bestimmten konkreten Zeitraum kommt, nur wenn das feststeht, darf man darauf bauen. Wenn nicht ist es eine andere politische Option, die Sie mit aller Kraft politisch verfolgen können, aber Sie dürfen sie nicht Ihrer Entscheidungsfindung, welche Maßnahmen in den Luftreinhalteplan kommen, zugrunde legen. Das wäre nicht zulässig und würde von den Gerichten wieder beanstandet werden. Also, jeder hat seine eigene politische Wertung, jeder hat seine eigene Vorstellung von der Verhältnismäßigkeit.

Ich komme da auch zu der Frage von Herrn Conz: "Wieso vier Jahre?" In der Tat, das war ein Argument des Landes, das wir auch vorgetragen haben, wäre es, wenn man hier schon irgendwelche Zeiträume nimmt, nicht sinnvoller, an einem Abschreibungszeitraum zu orientieren? Da kann ich nur sagen, die Souveränität eines Obergerichtes ist es, wo immer der blaue Himmel ist, hier einfach Werte zu setzen und Klarheit zu schaffen. Ich halte es auch für problematisch, ob der Zeitraum nicht vielleicht sehr kurz bemessen ist, wenig Spielraum den Städten und den einzelnen betroffenen Fahrern belässt, aber es ist die Entscheidung, die das Bundesverwaltungsgericht getroffen hat. Rechtspolitisch mag man sie kritisieren, wir müssen mit dieser Entscheidung leben. Das sind einfach die Eckdaten, die uns das Gericht mitgegeben hat.

Und noch mal zum Thema, Sie haben gesagt 'Waterloo erlebt in Leipzig'. Ja, es war kein voller Erfolg, es war ein Teilerfolg. Die Fahrverbote sind zulässig, aber gerade weil das Bundesverwaltungsgericht, das werden Sie der Urteilsbegründung entnehmen können, das Verwaltungsgericht klar korrigiert hat an dem zentralen Punkt, nämlich ob umgehend für alle Diesel Fahrverbote eingeführt werden müssen oder nicht. Und es hat, gerade was eben den Diesel 5 angeht, also die Masse der Fahrzeuge, auch noch Spielraum gelassen, wenn die Werte eben weiter absinken und das im September 2019 erkennbar ist, dass dann auch ein Absehen von Fahrverboten für Diesel Euro 5 gerechtfertigt sein kann. Wo, unter welchen Voraussetzungen das dann der Fall ist, darüber wird man dann möglicherweise wieder in der Tat trefflich streiten können: Reicht es, hier sind einmal die 9er-Schritte erwähnt worden, wenn die Werte von 73 um weitere 9 Schritte zurückgehen, wenn ich dann also vielleicht bei 64 oder 65 bin? Oder muss ich sogar auf der Zielgeraden sein bei 45 oder bei 47? Das sind Fragen, die vielleicht die schriftlichen Urteilsgründe beantworten werden, vielleicht aber auch nicht, weil das Gericht sie offenlässt. Und dann gehört nicht viel juristische Phantasie dazu, dass dann weiterer Streit darüber entstehen wird, ob es gerechtfertigt ist, aufgrund der Situation, Stichwort Luftbelastung, im September 2019 von Fahrverboten für Diesel 5 abzusehen oder nicht.

Dass es weitere mögliche juristische Untiefen und Baustellen gibt, darauf will ich nur hinweisen, es ist auch hier schon in einigen Beiträgen erwähnt worden, Herr Oberbürgermeister hatte auch darauf hingewiesen. Wir haben ja das Dilemma, das ist im Verfahren von der Umwelthilfe vorgetragen worden, die Vertreterin des Umweltbundesamtes hat es erklärt, wenn Sie letzthin den Spiegel-Artikel gelesen haben, stand es drin: Wir haben die Konstellation, dass es wohl in der Tat Euro 4- und Euro 5-Fahrzeuge gibt, die unter real driving conditions einen geringeren Schadstoffausstoß, geringere Stickoxide haben, als manche modernen Euro 6-Fahrzeuge. Wie man das in den Griff bekommt, vor allem dann, wenn Sie als Euro 4-Fahrer von einem Fahrverbot betroffen sind und auf die Idee kämen, zu klagen im Sinne, es sei eine sachwidrige Ungleichbehandlung, ich weiß es nicht, aber es könnte ja - die Deutschen sind relativ klagefreudig, und die Schwaben besonders, davon leben wir auch. Also, ich will nicht ausschließen, dass es zu solchen Klagen kommen wird. Und dann ist für mich völlig offen, wie das Gericht entscheiden wird, ob man dann nicht doch die Forderung haben muss, dass man irgendwelche Maßstäbe hat jenseits der Testnorm, dass man wirklich - das Thema ist, es geistert hellblaue und dunkelblaue Plakette herum - differenziert nach dem Schadstoffverhalten … All das sind Baustellen und Untiefen, die auch mit der Verhängung eventueller Fahrverbote verbunden sein werden.
Ich kann eigentlich nur noch mal sagen, ich betrachte meine Aufgabe als Jurist. Darum, zum einen, um politischen Handlungsspielraum für die Gemeinde, für die Stadt zu verteidigen, das habe ich als meine Aufgabe angesehen auch im Verfahren, und zum anderen eben, um klarzumachen, was sind die rechtlichen Rahmenbedingungen, wo sind Festlegungen, wo stehen Freiheiten völlig unabhängig davon, ob man das jetzt politisch für wünschenswert oder für falsch hält. Sondern wir müssen, glaube ich, darüber besteht ja wohl allgemein Konsens, in einem rechtsstaatlichen Rahmen uns an das halten, was das oberste Verwaltungsgericht hier uns mit auf den Weg gegeben hat. In dem Rahmen müssen wir uns bewegen, so sehr das an einzelnen Punkten rechtspolitisch kritikwürdig sein mag oder nicht. Vielen Dank!"

Da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, schließt OB Kuhn die Diskussion und den heutigen Tagesordnungspunkt, dankt Herrn Prof. Dr. Üchtritz und stellt Kenntnisnahme zum Bericht fest.
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