Protokoll: Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 28.01.2022
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BM Fuhrmann
Berichterstattung:Herr Pfeiffer (OB/82 Wirtschaftsförderung),
Herr Kraft (Raupe Immersatt e. V.)
Protokollführung: Herr Haupt fr
Betreff: Raupe Immersatt e. V. - Betrieb und Weiterentwicklung eines Foodsharingkonzepts in den Jahren 2020/2021
- mündlicher Bericht -

Die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigte Präsentation ist dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt. Aus Datenschutzgründen wird sie nicht im Internet veröffentlicht. Dem Originalprotokoll ist sie in Papierform angehängt.


Es sei der Wunsch der Mitglieder*innen in der letztjährigen Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Wohnen geäußert worden, so Herr Pfeiffer (OB/82 Wirtschaftsförderung), über das Projekt Raupe Immersatt e. V. zu berichten. Das Projekt werde seit dem Jahr 2020 von der Landeshauptstadt Stuttgart (LHS) gefördert und sei im Rahmen der Haushaltsplanberatungen 2020/2021 in eine institutionelle Förderung aufgenommen worden. Der Zweck der Zuwendung sei der Betrieb und die Weiterentwicklung eines Foodsharing-Konzepts. Im Jahr 2020 seien von den bewilligten 90.000 Euro knapp 70.000 Euro, und im Jahr 2021 sei die komplette Fördersumme ausgezahlt worden. Für das Jahr 2022 werde derzeit der Zuwendungsbescheid vorbereitet. Ein erneuter Beschluss des Ausschusses sei nicht notwendig, da die Wertgrenzen eingehalten würden.

Herr Kraft (Raupe Immersatt e. V.) berichtet im Sinne der als Dateianhang angehängten Präsentation. Er ergänzt, das Projekt stelle das erste Foodsharing-Konzept Deutschlands dar und habe im Sommer 2019 am Hölderlinplatz in der LHS eröffnet. Die Gruppe bestehe bereits ab dem Jahr 2016, habe allerdings lange Zeit keinen Raum gefunden. Es habe ein großes Problem dargestellt, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Das Konzept beruhe auf zwei Standbeinen: Der Verein sei als gemeinnütziger Verein organisiert, verfüge zum einen über einen Zweckbetrieb und zum anderen über einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Im Zweckbetrieb seien die Bereiche Foodsharing, Bildung und Kultur verankert. Foodsharing bedeute, überschüssige Lebensmittel, die überwiegend von Privatpersonen bezogen oder selber von Lebensmittelbetrieben abgeholt würden, vor dem Verderb zu retten und kostenlos an Personen zu verteilen. Zudem spende die ehrenamtliche Initiative "Foodsharing" die Lebensmittel. Außerdem sehe sich die Initiative als Ort für Bildung und Kultur: Hierbei wolle das Projekt Inspiration bieten und einen Ort des Austausches und der Begegnung darstellen. Beim wirtschaftlichen Zweckbetrieb handle es sich um einen Finanzierungsbetrieb für das Café. In diesem Bereich würden Getränke verkauft, bei dem die Besucher*innen selber entschieden, welchen Betrag sie für das jeweilige Getränk bezahlen wollten. Das Projekt wolle allen Menschen einen Besuch des Cafés, unabhängig ihres Einkommens, ermöglichen. Im Café sei eine Verteilerwand, bestehend aus Kühlschränken und normaler Auslage für die Lebensmittel, eingebaut, von denen sich die Gäste des Cafés kostenfrei bedienen könnten. Für alle Besucher*innen bestünden keine Vorgaben hinsichtlich des Konsums von Lebensmitteln oder Getränken. Aufgrund einer wirksamen Öffentlichkeitsarbeit gebe es große Spenderbetriebe, die beispielsweise 6 bis 8 Euro-Paletten Chips vor dem Café parkten. Bedauerlicherweise sei erst Ende letzten Jahres damit begonnen worden, den Umfang der so geretteten Lebensmittel zu messen. Herr Kraft geht davon aus, dass monatlich rund 1,5 bis 2 Tonnen vor dem Verderb gerettet und verteilt werden. Zudem werde eine Beratung zur Vermeidung der Lebensmittelverschwendung bei privaten Haushalten angeboten. Aufgrund der Corona-Pandemie seien Aktivitäten im Bereich Bildung und Kultur in dem kleinen Raum des Cafés schwierig umzusetzen gewesen. Daher sei rasch auf einen Kioskbetrieb umgestellt worden und hierbei Getränke "to go" verkauft worden. Die Lebensmittel seien auf die entsprechende Nachfrage hin verteilt worden. Die aufgrund des Kioskbetriebs frei gewordenen personellen Kapazitäten seien kreativ genutzt worden. Eine der erfolgreichen Aktionen habe im April 2020 die Verteilung eines warmen Mittagstisches für obdachlose Menschen an verschiedenen Hotspots mit einem Lastenfahrrad dargestellt. Da diese Aktion mit dem Lastenrad nicht mehr durchführbar gewesen sei, sei das Projekt an die Gruppe "Supp_optimal" (gesponsert von der Bürgerstiftung Stuttgart) abgeben worden. Die großen Schaufensterflächen seien Künstlern*innen zur Verfügung gestellt worden, die dort getanzt und kleinere Konzerte durchgeführt hätten. In den Sommern 2020 sowie 2021 seien aufgrund der Kontaktbeschränkungen außerhalb des Cafés kleinere mehrtägige Festivals veranstaltet worden. Ende 2021 sei es wieder möglich gewesen, im Innenraum kleinere Veranstaltungen durchführen zu können. So sei die kleine Bühne des Cafés für Musik, Literaturlesungen sowie Workshops genutzt worden. Aufgrund des Vorhandenseins eines Beamers seien im Café ebenso gesellschaftspolitische Filme gezeigt worden. Zwei geförderte Personalstellen betrieben Öffentlichkeitsarbeit, und es lägen zahlreiche Anfragen von diversen Medien zur Arbeit des Projekts vor. Aufgrund der guten Öffentlichkeitsarbeit könne das Café über die Stadtgrenzen hinauswirken. Gleichzeitig solle bewirkt werden, dass weitere Besuchergruppen auf das Projekt aufmerksam würden. Hierzu würden ebenso soziale Medienkanäle wie Facebook und Instagram genutzt. Die größte Aufgabe im laufenden Jahr stelle für den Verein der Aufbau eines bundesweiten Netzwerks von Foodsharing-Cafés dar, um über ein politisch wirkungsvolles Instrument gegen Lebensmittelverschwendung zu verfügen. In diesem Zusammenhang bestünden bereits zahlreiche Kontakte zu Gruppen in mehreren Städten. Zudem sollten weitere Kooperationspartner in der LHS gewonnen werden. Die Lebensmittelverschwendung sei immens: Pro Sekunde würden 313 kg Lebensmittel in Deutschland verschwendet. Laut Herrn Kraft wäre es wünschenswert, wenn Veranstaltungen, die pandemiebedingt im Café nicht stattfinden konnten, wieder durchgeführt werden könnten.

StR Winter (90/GRÜNE) betont, kürzlich habe eine Generaldebatte über das Thema Klimaschutz stattgefunden. Das Projekt Raupe Immersatt e. V. zeige, wie niederschwellig sehr viel für den Klimaschutz erreicht werden könne. Es müsse ein Bewusstsein für den Aspekt der Lebensmittelverschwendung entwickelt werden. Dieses Thema müsse in dem in den Haushaltplanberatungen beschlossenen Ernährungsrat ausführlich diskutiert werden. Besonders die Konzeptmischung zwischen dem gemeinwohlorientierten Verein und dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb sei zu begrüßen. Die Entwicklung des Projekts sei insgesamt sehr erfreulich.

Die Leistungen des Vereins seien beeindruckend, so StRin Porsch (CDU). Auf ihre Frage, wie viele Besucher*innen das Café aufsuchten und wie hoch davon der Prozentsatz bei den Besucherinnen und Besuchern liege, die regelmäßig Lebensmittel abholten, betont Herr Kraft, es finde keine Zählung der Gäste statt. Nach seiner Kenntnis lägen pro Tag rund 100 bis 200 Rechnung allein im Café vor. Daraus ergäben sich in etwa 200 bis 300 Gäste pro Tag, wovon sich etwa 50 Prozent am Lebensmittelverteilen beteiligten. Laut Homepage des Vereins finanziere sich das Projekt komplett über die Erlöse des Cafés, so StRin Porsch. Hier wäre es laut der Stadträtin begrüßenswert, ebenso einen Hinweis auf die finanzielle Unterstützung der LHS aufzuführen. Herr Kraft vermutet, dass der Verweis auf die städtische Förderung mittlerweile im Internet an anderer Stelle aufgeführt sei. Es bestehe vielerorts die Auffassung, der gastronomische Bereich könne lediglich aufgrund der Personalkostenförderung der LHS bewältigt werden. Einerseits sei die Förderung zweier Personalstellen durch die Stadt begrüßenswert, da sich hieraus sehr viel Gestaltungsfreiraum ergebe. Andererseits sollen mit dem Gastronomiebetrieb, und vorrangig mit dem Preissystem, auskömmliche Richtpreise erzielt werden. Herr Pfeiffer ergänzt, es sei Bestandteil der Förderung, die Tätigkeit in einem wirtschaftlichen Café-Betrieb auszuschließen. In den Haushaltsplanberatungen 2020/2021 sei die Schwierigkeit kommuniziert worden, einen Café-Betrieb zu fördern. Daraufhin sei eine entsprechende Abgrenzung erfolgt und es werde bezüglich eines Hinweises auf eine Förderung zurückhaltend verfahren.

Auf die Frage von StR Dr. Jantzer (SPD), ob aus Sicht von Herrn Kraft die Erwartungen angesichts der erwähnten 1,5 Tonnen monatlich vor dem Verderb geretteten Lebensmittel erfüllt worden seien, betont dieser, dass die angegebene Menge durchaus ausweitbar sei. Dieses Ziel verfolge er, da er in der Vergangenheit die Stuttgarter Foodsharing-Gruppe im Aufbau mitbegleitet habe und daher über Kenntnisse verfüge, welche Unmengen an Lebensmitteln vernichtet würden. Die Angaben über die angelieferten Lebensmittelmengen im Café seien derzeit noch freiwillig. Zukünftig sei ein entsprechendes Dokumentationssystem hierüber geplant. Hinsichtlich des dargestellten bundesweiten Netzwerks und der angeführten Partner erkundigt sich StR Dr. Jantzer, ob ebenso Kooperationspartner in der Stadt vorhanden seien, und um welche Lebensmittellieferanten es sich handle. Herr Kraft informiert, überwiegend Privatpersonen würden das Café mit Lebensmitteln beliefern. Zudem kooperierten andere Cafés, Bäckereien und Gastronomiebetriebe mit dem Verein. Dort würden diejenigen Lebensmittel am Ende des Tages abgeholt, die übriggeblieben seien. Das Foodsharing-Netzwerk in der LHS umfasse mittlerweile rund 100 Kooperationsbetriebe. Ziel sei es zwar, in jedem Stadtviertel ein eigenes Café aufzubauen, allerdings stoße der Verein dabei an seine personellen Grenzen.

Die Arbeit des Raupe Immersatt-Teams sei vorbildlich, so StR Rockenbauch (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei), da gegen ein Problem in der Zivilgesellschaft aktiv gehandelt werde. Dies schaffe ein Bewusstsein für das Thema der Lebensmittelverschwendung und leiste gleichzeitig einen Beitrag für den Klimaschutz. Ebenso beinhalte die Verteilung der Lebensmittel eine soziale Komponente. Seine Fraktion setze sich für eine zukünftige Förderung des Projekts sein.

StR Neumann (FDP) betont, die Präsentation habe eine deutliche Medienkompetenz des Projekts beim Thema Öffentlichkeitsarbeit aufgezeigt. Er habe von vergleichbaren anderen Projekten erfahren, dass eine Konkurrenz zu den Tafeln bestehe. Auf seine Frage, ob diese Konkurrenzsituation ebenso auf das vorliegende Projekt zutreffe, betont Herr Kraft, es bestehe ein Kooperationsvertrag mit den Tafeln in der LHS. Dieser verhindere eine Konkurrenzsituation und sehe vor, dass die Tafeln bei den Lebensmitteln abgebenden Betrieben stets Vorrang haben. Die Schwäbische Tafel in der Stadt spende dem Verein Lebensmittel, da sie selber bei der Lebensmittelverteilung nicht nachkomme. Aufgrund der großen Menge stelle dies seinen Verein vor Kapazitätsgrenzen.

Die Leistungen des Vereins stießen bei seiner Fraktion auf sehr große Zustimmung, so StR Puttenat (PULS). Aufgrund der zurückliegenden langen Suche des Vereins nach geeigneten Räumlichkeiten habe er befürchtet, das Projekt müsse beendet werden, was erfreulicherweise aufgrund des Durchhaltevermögens der Akteure*innen nicht der Fall gewesen sei. Derzeit liege eine Stellenausschreibung der Stabsstelle Klimaschutz der LHS zum Thema "Klimafreundliche Ernährung" vor. Der Stadtrat schlägt vor, dass sich Personen aus dem Netzwerk des Vereins auf diese Stelle bewerben könnten.


Da keine weiteren Wortmeldungen bestehen, stellt BM Fuhrmann fest:

Der Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen hat vom Bericht Kenntnis genommen.

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