Protokoll:
Sozial- und Gesundheitsausschuss
des Gemeinderats der Landeshauptstadt Stuttgart
Niederschrift Nr.
TOP:
83
4
Verhandlung
Drucksache:
521/2018
GZ:
SI
Sitzungstermin:
09.07.2018
Sitzungsart:
öffentlich
Vorsitz:
BM Wölfle
Berichterstattung:
Frau Dongus (SozA), Frau Faust-Mackensen (GesundhA)
Protokollführung:
Herr Krasovskij
pö
Betreff:
Jahresbericht 2017 der ambulanten Suchthilfe für die Bereiche Suchtprävention, Beratung, Betreuung und Behandlung
Beratungsunterlage ist die Mitteilungsvorlage des Referats Soziales und gesellschaftliche Integration vom 19.06.2018, GRDrs 521/2018. Sie ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.
Bezug nehmend auf den Jahresbericht merkt StRin
Bulle-Schmid
(CDU) an, dass die Zahl der durchgeführten Maßnahmen sich gegenüber dem Vorjahr um 41,5 % erhöht habe. Zugleich sei aber auch die Zahl der Betreuungen angestiegen. Diese Entwicklungen müsse man in Zukunft im Blick behalten. Der Jahresbericht würde deutlich machen, dass es in Stuttgart durch die vielen verschiedenen Maßnahmen ein sehr breites und ausdifferenziertes Versorgungssystem im Bereich der Suchthilfe für die Bereiche Suchtprävention, Beratung, Betreuung und Behandlung gebe und dass die Hilfe-strukturen auch immer weiter ausgebaut würden. Diese Meinung teilt auch StR
Ehrlich
(SPD).
Es zeige sich zudem, dass der Alkoholmissbrauch vor allem bei Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem darstelle, so StRin
Bulle-Schmid
weiter. Dies werde auch durch den deutlichen Anstieg der alkoholbedingten Behandlungsfälle deutlich. Ähnlich äußert sich auch StRin
Seitz
(90/GRÜNE). Sie betont, dass sich die alkoholbedingten Krankenhauseinweisungen von 73 Fällen im Jahr 2015 auf 124 Fälle im Jahr 2016 fast verdoppelt hätten, und möchte wissen, ob es sich hierbei um einen Ausreißer handle. Falls die Zahl der Einweisungen auch in Zukunft weiter auf diesem hohen Niveau bliebe, müsste man darüber nachdenken, solche Präventionsprojekte wie FreD oder KATER weiter auszubauen.
Gegenüber StRin Bulle-Schmid erläutert Frau
Faust-Mackensen
(GesundhA), eine genauere Ausdifferenzierung der Altersstufen bei den alkoholbedingten Behandlungsfällen von Kindern und Jugendlichen sei derzeit leider nicht möglich. Das Gesundheitsamt würde sich dies auch wünschen, sei hier aber auf Daten aus der Krankenhausstatistik angewiesen. Ebenfalls könne nicht unterschieden werden, für wie lange die Kinder und Jugendlichen im Krankenhaus behandelt worden sind. Grundsätzlich lägen dem Gesundheitsamt nur wenige Daten zum Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlichen in Stuttgart vor. Man erhoffe sich künftig bessere Aussagen zu diesem Thema durch die aktuelle Teilnahme an der HBSC-Studie der Weltgesundheitsorganisation zur Kinder- und Jugendgesundheit. Im Weiteren berichtet Frau Faust-Mackensen, dass sich das Rauschtrinken bei Jugendlichen sowie das Alkoholtrinken an öffentlichen Plätzen im Vergleich zur Vergangenheit erfreulicherweise reduziert habe. Präventionsveranstaltungen zum Thema Alkohol an Schulen würden zudem ein großes Interesse der jungen Leute am Thema Erste-Hilfe-Maßnahmen bei alkoholbedingten Notfällen zeigen. Damit könnte auch der Anstieg der alkoholbedingten Krankenhauseinweisungen zusammenhängen. Denn eine naheliegende Vermutung sei nämlich, so die Verwaltungsmitarbeiterin, dass die Jugendlichen heutzutage aufgrund der stärkeren Sensibilisierung für die Gefahren des Alkohols und von Suchtmitteln im Allgemeinen in Zweifelsfällen öfters den Rettungsdienst wählen würden. Diese Entwicklung werde man weiter beobachten.
Im Folgenden erwähnt StRin
Bulle-Schmid
das Projekt zur Gesundheitsförderung und gesundheitlichen Prävention für ältere Menschen in Vaihingen "TrotzAlter" und das Angebot von "Pro Kids", das Prävention und Hilfen für sucht- und psychisch belastete Familien mit Kindern bietet, als besonders beispielhafte und erfolgreiche Projekte im Rahmen der ambulanten Suchthilfe. Ähnlich äußert sich auch StRin
Seitz.
In diesem Zusammenhang erklärt Frau
Faust-Mackensen,
dass man zur nächsten Schwerpunktsitzung Sucht, die voraussichtlich im November dieses Jahres stattfinden werde, Vertreter von Pro Kids einladen wolle, um über ihre Arbeit und den vollzogenen Umzug zu berichten.
Zu einer Frage von StRin
Bulle-Schmid
führt Frau
Dongus
(SozA) aus, es handle sich immer um eine schwierige Abwägungsfrage, festzustellen, wann das Wohl von Kindern suchtabhängiger Eltern so stark gefährdet sei, dass sie aus der Familie genommen und fremduntergebracht werden müssten. Die Suchthilfe habe zur Ermittlung der Kindeswohlgefährdung in Abstimmung mit dem Jugendamt ein eigenes Instrumentarium entwickelt - den Gefährdungsbogen. In jeder Beratungsstelle gebe es eine erfahrene Fachkraft für den Kinderschutz. Zudem würden Kinderschutzfälle bei Verdachtsmomenten vom gesamten Team intensiv betrachtet. Wenn eine Kindeswohlgefährdung festgestellt oder angenommen werden müsse, werde umgehend das Jugendamt eingeschaltet. Ferner berichtet Frau Dongus, dass das Jugendamt in Zusammenarbeit mit dem Suchthilfeverbund und der Suchthilfeplanung erst vor Kurzem eine große Fachtagung zum Thema Kinderschutz und Sucht organisiert habe. Das Kindeswohl stehe zudem im Mittelpunkt des regelmäßigen Austausches zwischen Jugendamt, Jugendhilfe und Suchthilfe.
Im weiteren Verlauf der Aussprache erklärt Frau Dongus, der Jahresbericht sei diesmal kürzer als sonst ausgefallen. Dies liege nicht zuletzt an der sehr aufwendigen Umstellung auf den neuen Deutschen Kerndatensatz (KDS 3.0), was auch Auswirkungen auf die Datenlage für das Jahr 2017 gehabt habe. Gegenüber StRin Bulle-Schmid erklärt sie, man werde nachliefern, wie viele Personen im vergangenen Jahr eine Betreuung beendet hätten, falls diese Zahl vorliege.
Anschließend macht StRin
Bulle-Schmid
darauf aufmerksam, dass die Zahl der Drogentoten seit dem Jahr 2012 stetig angestiegen sei. Nur im Jahr 2017 sei die Zahl gegenüber dem Jahr 2016 konstant geblieben. Laut der Stadträtin müssten hier die Präventionsbemühungen noch einmal verstärkt werden. Ferner begrüßen StRin Bulle-Schmid und StR
Ehrlich
die Bemühungen der Caritas, um eine Lösung für das Problem des Drogenmülls rund um die Jakobschule zu finden. StRin
Bulle-Schmid
regt im Weiteren an, neue Wege zu gehen, um diejenigen, die im Umfeld der Schule Drogen konsumieren und dort auch ihre benutzten Spritzen wegwerfen, besser ansprechen zu können. Denkbar wäre laut StRin Bulle-Schmid beispielsweise auch der Einsatz von Streetworkern, die versuchen sollten, die Personen über die Angebote des Suchthilfesystems zu informieren und sie hierfür zu gewinnen.
In diesem Zusammenhang merkt StRin
Seitz
an, dass laut den Plänen der Caritas ehemalige Drogenabhängige den Spritzenmüll im Umfeld der Jakobschule aufsammeln sollen. Sie äußert die Befürchtung, dass die Ehemaligen durch den Kontakt mit den Spritzen wieder in die Versuchung kommen könnten, Drogen zu nehmen, und fragt nach den Einschätzungen der Verwaltung und der Sachkundigen hierzu. Falls dies tatsächlich so wäre, hielte sie es für sinnvoller, meint StRin Seitz weiter, wenn mit der Müllbeseitigung professionelle Entsorgungsfirmen beauftragt würden.
Zum Thema Beseitigung des Drogenmülls im Umfeld der Jakobschule und auf den Staffeln berichtet BM
Wölfle
über die Ergebnisse der Beratungen aus der Bürgermeisterrunde und der Verhandlungen mit dem Caritasverband. Es sei vereinbart worden, dass die dem Caritasverband angegliederte Firma Carisma Gebäudemanagement & Service GmbH künftig wie bisher auch jeden Morgen zwischen sechs und sieben Uhr einen Rundgang machen werde, um die weggeworfenen Spritzen etc. zu beseitigen. Zudem würden zwei Mitarbeiter der Caritas tagsüber einen weiteren Kontrollgang machen. Hierfür müssten natürlich geeignete Persönlichkeiten ausgewählt werden, die durch das Aufsammeln der Spritzen nicht Gefahr laufen, selber wieder Drogen zu konsumieren. Diese Vorgehensweise werde nun bis Jahresende so erprobt, um danach die gewonnenen Erfahrungen auszuwerten.
StRin
Seitz
erklärt, mittlerweile gebe es auch Spritzenautomaten mit einer Rücknahmefunktion. Sie möchte wissen, ob geplant sei, diese auch in Stuttgart aufzustellen.
In seiner Wortmeldung hebt StR
Ehrlich
die gute Präventionsarbeit im Rahmen der ambulanten Suchthilfe hervor. Dazu gehöre nicht nur der direkte Kontakt zu den Betroffenen, sondern auch die Schulung der zahlreichen Multiplikatoren, die mögliche Zielgruppen, wie Kinder und Jugendliche, ansprechen. Er erklärt, dass Suchtprävention eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, bei der alle Beteiligten mitwirken müssten.
Ferner begrüßt StR Ehrlich, dass Suchtverhalten, die durch stoffungebundene Suchtmittel ausgelöst werden, wie zum Beispiel das Glücksspiel, mittlerweile auch als eine Form der Erkrankung anerkannt seien. Bezug nehmend auf den Bericht für die Bereiche Beratung, Betreuung und Behandlung möchte der Stadtrat in diesem Zusammenhang wissen, ob es einen aktuellen Trend hin zum pathologischen Spielen gebe. Zudem fragt er, ob es Erfahrungen dazu gebe, wie sich eine sorglose Verschreibung von Beruhigungsmitteln wie zum Beispiel Tavor bei einer Suchtabhängigkeit auswirken könnte.
Auf Nachfrage von StR Ehrlich berichtet Frau
Faust-Mackensen
zum aktuellen Stand rund um das Präventionsprojekt "MeinPlan Stuttgart", bei dem es darum gehe, stärker für die Themen Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten sowie Medikamentenabhängigkeit zu sensibilisieren. Vorrangig wolle man durch das Projekt die Zielgruppe der älteren Menschen ansprechen. Gerade würden im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit in den Stuttgarter Stadtbezirken in fast allen Begegnungsstätten Informationsveranstaltungen zu dem Thema angeboten. In der vergangenen Woche habe in Vaihingen eine gemeinsame Veranstaltung in Kooperation mit dem Projekt "TrotzAlter" stattgefunden. Langfristig wolle man durch "MeinPlan Stuttgart" nicht nur die Seniorinnen und Senioren, sondern auch andere Altersgruppen ansprechen.
Zu einer weiteren Frage von StR
Ehrlich
erklärt Frau
Faust-Mackensen,
die im Rahmen der vergangenen Haushaltsplanberatungen für die Suchtprävention bewilligten zusätzlichen 3,75 Stellen seien mittlerweile besetzt.
In der Folge äußert StRin
Yüksel
(FDP) den Eindruck, dass vermehrt junge Männer mit Migrationshintergrund von der Spielsucht betroffen seien, und erkundigt sich, ob es für diesen Personenkreis spezielle Hilfsangebote gebe. In diesem Kontext erklärt Frau
Faust-Mackensen,
dieses Problem könne zunehmend auch bei Frauen mittleren Alters beobachtet werden, die oftmals aus China kämen. Man versuche, diese unterschiedlichen Zielgruppen zu erreichen, indem Mitarbeiter von Spielcasinos zu Multiplikatoren geschult würden, mit dem Ziel, die Betroffenen an das Hilfesystem heranzuführen. Zudem gebe es immer wieder auch Informations- und Präventionsveranstaltungen zum Thema Spielsucht an Haupt- und Berufsschulen, denn es habe sich gezeigt, so Frau Faust-Mackensen, dass von den Jugendlichen vor allem auch Haupt- und Berufsschüler von der Spielsucht gefährdet seien.
StR
Dr. Fiechtner
(BZS23) meint, bei der Suchthilfe handle es sich seiner Meinung nach um ein Feld, in dem "sehr viel Unklarheit herrsche und wo keine klaren Daten vorhanden seien". Für ihn sei beispielsweise nicht wirklich nachvollziehbar, ob die angestrebten Präventionsziele und die Ziele der Maßnahmen im Allgemeinen erreicht würden und wie viele Menschen die ausgegebenen Zielvorgaben dauerhaft erreicht hätten. Der Anstieg der Anzahl alkoholbedingter Krankenhauseinweisungen sei für ihn die Bestätigung, dass die bisher in Stuttgart durchgeführten präventiven Maßnahmen gescheitert seien, so der Stadtrat. Falls dies der Fall wäre, sollte man in der Konsequenz für die Zukunft einen anderen konzeptionellen Ansatz wählen und nicht die bestehenden Maßnahmen ausbauen. Grundsätzlich müssten in einem Jahresbericht die angestrebten Ziele und das Erreichte deutlich dargestellt sein. Dies vermisse er in diesem Fall.
Darauf antwortet Frau
Dongus,
bezogen auf die Alkoholabhängigen würden in Stuttgart rund 18% der Betroffenen durch die Angebote der Suchthilfe erreicht. Durch die Umstellung auf den neuen Deutschen Kerndatensatz hätte man künftig die Möglichkeit, den Erfolg der Maßnahmen noch besser evaluieren zu können. Das System erlaube es, noch differenziertere Fragen (beispielsweise ob jemand nach der Maßnahme eine Arbeit gefunden habe) zu stellen und zu erfassen. Frau Dongus erinnert in diesem Kontext auch daran, dass im Jahresbericht für 2014 ein ganzes Kapitel dem Erreichungsgrad der Suchthilfe gewidmet worden ist.
Abschließend erklärt Frau Dongus, eine Zunahme der Betreuungsfälle (gerade im Bereich der Alkoholsucht) könne sie grundsätzlich nur begrüßen. Denn nur so könnten ein flächendeckenderes Angebot geschaffen und noch mehr Betroffene angesprochen werden. Dabei dürfe man aber nicht außer Acht lassen, dass nicht alle, die ein Problem hätten, auch wirklich Hilfe in Anspruch nehmen möchten.
BM
Wölfle
stellt fest:
Der Sozial- und Gesundheitsausschuss hat von der GRDrs 521/2018
Kenntnis genommen.
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