1. Einleitung In der Versorgung der Frauen mit Hebammenhilfe bestehen bundesweit - und so auch in der Landeshauptstadt Stuttgart - seit vielen Jahren zunehmende Engpässe. Dies betrifft neben der Versorgung in der Klinik insbesondere die häusliche Begleitung der Frauen im Wochenbett. Aufgrund der alarmierenden Situation wurde auf Initiative des Hebammenkreisverbandes Stuttgart 2018 der Arbeitskreis Hebammenversorgung (siehe 3.3.1.) der Stadt Stuttgart ins Leben gerufen, dessen Handlungsempfehlungen in der GRDrs 359/2019 vorgelegt wurden. Auf Basis der Handlungsempfehlungen hat der Gemeinderat die befristete Einrichtung einer Hebammenkoordinierungsstelle am Gesundheitsamt beschlossen, um nach kommunalen Möglichkeiten der besseren Versorgung von Schwangeren und jungen Müttern zu suchen. Die Arbeitsstellen sind mit 2 Hebammen in Teilzeit mit insgesamt 100% bis 31.12.2023 befristet besetzt. Die Hebammen nehmen in dem gesundheitlichen Versorgungssystem rund um die Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit bis zum vollendeten 1. Lebensjahr bzw. Ende der Stillzeit eine zentrale Rolle ein. Der frühe Kontakt zu Frauen und jungen Familien in der intensiven Begleitung im Übergang zur Elternschaft, weist den Hebammen eine höchstwirksame, präventive Aufgabe für die Gesundheit von Mutter und Kind zu. Der Anspruch der Frauen auf Hebammenhilfe laut SGB V § 24d kann derzeit aufgrund fehlender Hebammen nicht sichergestellt werden. Gesetzliche Grundlagen Laut § 11 Hebammenberufsverordnung (HebBO) üben Hebammen und Entbindungspfleger ihren Beruf unter der Aufsicht des jeweils zuständigen Gesundheitsamtes aus. Nach § 6 Gesundheitsdienstgesetz (ÖGDG) obliegt den Gesundheitsämtern die Gesundheitsplanung. Zu den Planungsaufgaben gehört auch das Aufzeigen von Problemfeldern der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung sowie die Definition von Schnittstellen einschließlich des Koordinierungs- und Vernetzungsbedarfs zwischen den verschiedenen Handlungsträgern und Planungsbereichen. Ziele für nachhaltige Entwicklung – SDG 3: Gesundheit und Wohlergehen Die Hebammenberatungsstelle trägt mit ihrer Arbeit zur Einhaltung der SDG-Ziele 3.1 Müttersterblichkeit senken und 3.2 Neugeborensterblichkeit senken bei. 2. Aktuelle Situation in Stuttgart 2.1 Situation in der häuslichen Hebammenversorgung Wie hoch der Gesamtbedarf an Hebammen im freiberuflichen Bereich in Stuttgart tatsächlich ist, kann aufgrund der verschiedenen Arbeitsbereiche (Schwangerenvorsorge, Wochenbettbegleitung, Geburten, Kurse, Stillberatung) mit individuellen, flexiblen Schwerpunkten nicht exakt beziffert werden. Dass freiberufliche Hebammen noch immer fehlen, zeigt unter anderem die folgende Angabe: So hatten im Jahr 2021 in Stuttgart von 6777 KomunIS Frauen mit lebendgeborenen Kindern 949 Sachstandsbericht Frühe Hilfen 2022 nach der Geburt noch keine Hebamme. Ausgehend hiervon, lässt sich der Mindestbedarf an zusätzlichen Hebammen abschätzen wie folgt: Im Gesundheitsamt Stuttgart sind auf Grundlage der Hebammenberufsverordnung (HebBO) Baden-Württemberg derzeit 120 freiberufliche Hebammen gemeldet. Diese 120 Hebammen versorgten im Jahr 2021 insgesamt 5828 Familien mit häuslicher Hebammenhilfe. Konkret ist somit in Stuttgart von einer durchschnittlichen Hebammenkapazität von 49 Familien pro Jahr auszugehen (wenige freiberufliche Hebammen begleiten bis zu 84 Familien im Jahr). Um die Versorgung der oben genannten 949 Frauen, die keine Hebamme finden, zu gewährleisten, werden somit rechnerisch rund 20 weitere benötigt Eigene Berechnung und Dokumentation der Hebammenkoordinierungsstelle am Gesundheitsamt. Hierbei noch nicht berücksichtigt ist der zusätzliche Mehrbedarf durch Krankheit, Berufsaufgabe, Umzüge, Renteneintritte. Da in den kommenden Jahren voraussichtlich fünf Hebammen in Rente gehen werden, gehen wir in Stuttgart von einem Mehrbedarf allein im freiberuflichen Bereich von mindestens 25 Hebammen aus. 2.2 Situation in der klinischen Geburtshilfe In der klinischen Geburtshilfe wird aus dem Klinikum berichtet, dass die Hebammenstellen alle besetzt werden konnten. Hier hat sich die Strategie des Klinikums, die Ausbildungsplätze zu erhöhen, bewährt. Seit 2021 erfolgt die Hebammenausbildung als Studium. Das Klinikum Stuttgart hat in 2021 mit 12 Hebammenstudierenden begonnen und erhöht diese Zahl bis 2024 auf voraussichtlich 75 Hebammenstudierende. Damit ist jedoch die maximale Kapazität der Praxisanleitung erreicht. Der erste primärqualifizierende Hebammenstudiengang befindet sich aktuell im zweiten von sieben Semestern. Das Klinikum berichtet, dass die Nachfrage nach praktischen Ausbildungsplätzen für das Hebammenstudium hoch sei. Die Befürchtung, dass durch die Akademisierung der Ausbildung hier eine Lücke im Übergang zwischen den unterschiedlichen Ausbildungswegen entstehen würde, ist nicht eingetreten. Die Situation in der stationären Geburtshilfe ist gleichwohl sehr angespannt. Der Kreißsaal ist gebunden an die neonatologische Intensivversorgung und die Wochenstation. Für den Bereich der Neonatologie wurden Pflegepersonaluntergrenzen durch Gesetzgeber eingeführt, die in Kombination mit dem Fachkräftemangel die Leistungsfähigkeit begrenzt, so dass die Versorgungskapazität eingeschränkt ist. Um der akuten Versorgung gerecht zu werden, führen die knappen Ressourcen in der stationären Versorgung dazu, dass Frauen nach der Entbindung, sobald es medizinisch möglich ist, entlassen werden müssen. Dies führt in der Konsequenz dazu, dass der ambulanten Betreuung durch Hebammen wiederum eine große Bedeutung zukommt.
3. Aufgaben der Hebammenkoordinierungsstelle
3.1.1 Hebammen-Notsucheverteiler – Hebammenvermittlung Im Jahr 2021 erreichten die Hebammenkoordinierungsstelle 1.360 Anfragen von Frauen, die auf eigene Initiative vor der Geburt keine Hebamme finden konnten. Diese wurden an den Hebammen-Notsucheverteiler Freiberufliche Hebammen, die Wochenbettbegleitung anbieten vermittelt. Hierdurch können suchende Frauen gezielt Hebammen über die Hebammenkoordinierungsstelle erreichen. Hebammen mit freien Kapazitäten können dann direkt Kontakt mit den Frauen aufnehmen. Dies führt zu einer deutlichen Entlastung von Schwangeren und Hebammen, da die zahlreichen direkten Mehrfachanfragen an die Hebammen und damit auch die belastenden Absagen durch die Hebammen für die Frauen wegfallen. Laut der Erhebung der Frühen Hilfen in den Stuttgarter Geburtskliniken hatten 949 Sachstandsbericht Frühe Hilfen 2022 Frauen nach der Geburt keine Hebamme für die Begleitung im Wochenbett gefunden. Somit konnten von den 1.360 suchenden Frauen 2021 ca. 30% über den Verteiler noch an eine Hebamme vermittelt werden. Anfragen von Frauen mit erhöhtem Hilfebedarf (Vulnerabilität) wie z. B. Frauen mit Wochenbettdepressionen, alleinerziehende Mütter, Frauen in speziellen Mutter-Kind-Ein-richtungen und geflüchtete Frauen werden ausführlich von der Hebammenkoordinierungsstelle beantwortet und nach Möglichkeit direkt an eine Hebamme oder an Angebote der Frühen Hilfen weitergeleitet.
3.1.2 Hebammenakutversorgung in den Ferien Über die Anfragen der Frauen an den Hebammen-Notsucheverteiler fällt auf, dass in den Ferienzeiten der ohnehin vorhandene Hebammenmangel mit den Urlaubszeiten der Hebammen korreliert und sich so in diesen Zeiten der Hebammenmangel verstärkt. Deshalb hat die Hebammenkoordinierungsstelle in den besonders betroffenen Ferienzeiten (Sommer/Weihnachten) die Hebammenakutversorgung organisiert. Mit dem Projekt der Hebammenakutversorgung konnten direkt und niederschwellig Stuttgarter Frauen mit Hebammenhilfe im Wochenbett versorgt werden. Hebammenakutversorgung durch freiberufliche Hebammen: • Art eines Bereitschaftsdienstmodells (tageweisen Einsatzplan der freiberuflichen Hebammen) • Kurzfristige Notversorgung • Niederschwelliger Zugang • kurze Besuche für akute Bedarfe der Frauen und Neugeborenen • Montag bis Samstag, aufsuchend • sonntags Telefon-/Videosprechstunde Frauen, die nach der Geburt noch keine Hebammen für die Begleitung im Wochenbett gefunden haben, werden von den Kooperationspartner*innen (freiberufliche Hebammen, Frühe Hilfen, Geburtskliniken, Hebammenkoordinierungsstelle, KifaZe, Kinderärzt*innen, Malteser Migrantenmedizin, niedergelassene Gynäkolog*innen, Schwangerenberatungsstellen) über die Hebammenakutversorgung informiert und erhalten alle notwendigen Informationen. Die Hebammenkoordinierungsstelle Stuttgart organisiert den Einsatzplan der freiberuflichen Hebammen, die tageweise die Versorgung der Frauen im Rahmen der Hebammenakutversorgung übernehmen und macht Kooperationspartner*innen und Betroffene auf das Angebot aufmerksam. Vorteile der Hebammenakutversorgung: Frauen • Kurzfristige Verfügbarkeit von Hebammenhilfe zur gesundheitlichen Prävention von Mutter und Kind • Niederschwelliger Zugang Hebammen • Planbare Arbeitszeiten, tageweise
3.2 Beratung Die Hebammenkoordinierungsstelle führt Beratungen zu Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett in Bezug auf Hebammenversorgung durch. Diese Beratung kann die reguläre Hebammenbetreuung nicht ersetzen, sondern unterstützend dazu dienen, drängende Fragen in Bezug auf das Wochenbett zu beantworten und ggfs. an freie Hebammen oder andere Institutionen weiter zu vermitteln und somit sowohl die Hebammen als auch die betroffenen Familien entlasten. Das Angebot eines direkten Kontakts mit der Hebammenkoordinierungsstelle ist für die schwangeren Frauen, Hebammen und Institutionen sehr wichtig und wird sehr gut angenommen. Die Sorge der Frauen, keine Hebamme für die Wochenbettbegleitung, Geburtsvorbereitung oder Schwangerenvorsorge zu finden, die Unsicherheiten, ob die Geburt in der gewünschten Klinik stattfinden kann, und auch die Sorgen rund um die Suche nach einem/r wohnortnahen Kinderärzt*in führten zu annähernd 4000 Dokumentation der Anfragen durch die Hebammenkoordinierungsstelle E-Mail-Kontakten und etwa 400 Telefonaten jährlich.
3.3 Koordination
3.3.1 AK Hebammenversorgung Der Arbeitskreis (AK) Hebammenversorgung beschäftigt sich interprofessionell mit der Versorgungslage im Bereich Hebammenhilfe, erarbeitet Handlungsempfehlungen und entwickelt Projekte und Maßnahmen, um dem Hebammenmangel kurzfristig entgegen zu wirken. Der AK Hebammenversorgung setzt sich aus Vertretungen folgender Institutionen (alphabetische Reihenfolge) zusammen: · Gesamtkoordination Frühe Hilfen Jugendamt · Gesundheitsamt Abteilung Gesundheitsförderung und -planung · Hebammenverband BW Kreisgruppe Stuttgart · Jugendhilfeplanung Jugendamt · Klinikum Stuttgart · niedergelassene Gynäkologin · Schwangerschaftsberatung Pro Familia · Schwangerenberatungsstelle Sozialdienst Katholischer Frauen e. V. · Städtische Schwangerenberatungsstelle
3.3.2 Fortbildungen für Hebammen Die gesetzlich festgelegte Fortbildungspflicht HebBO BW §7 und die Anforderungen an das Qualitätsmanagement SGB V §134a, Anhang 3a Qualitätsmanagement stellen zunehmende Anforderungen im organisatorischen Bereich an die freiberuflich arbeitenden Hebammen. Dies führt häufig dazu, dass die Hebammen ihre freiberufliche Tätigkeit beenden. Das ohnehin geringe Einkommen einer Hebamme lässt den Einkommensverlust während einer Fortbildung nur schwer ausgleichen. Die Hebammenkoordinierungsstelle organisiert ortsnahe, kostengünstige Fortbildungen für (freiberufliche) Hebammen, um die Umsetzung der Fortbildungspflicht zu erleichtern. Hierfür werden Fortbildungen entsprechend der Bedarfe der Hebammen geplant: · Notfallfortbildung in Kooperation mit dem Klinikum Stuttgart (STUPS) · Qualitätsmanagement in Kooperation mit dem Hebammenverband · Etablierung eines Qualitätszirkels im Gesundheitsamt unter Leitung der Hebammen der Hebammenkoordinierungsstelle. Der Besuch eines Qualitätszirkels kann für die Fortbildungsstunden angerechnet werden. · Fachvortrag FASD Alkohol in der Schwangerschaft, Kooperation mit Landesmuseum, Caritas und Suchtprävention (Vernetzung von Hebammen, Gynäkolog*innen und Pädiater*innen) · Hebammenfortbildung FGM/C (weibliche Genitalverstümmelung) mit der Abteilung für individuelle Chancengleichheit von Frauen und Männern
3.5 Projekt: Weltstillwoche 2021/2022; Stillfreundliche/Kinderfreundliche Kommune Im Rahmen der Maßnahme 1.6 des Aktionsplans „Kinderfreundliche Kommune – Lokale Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention 2020 bis 2022“ unterstützt die Hebammenkoordinierungsstelle mit Fachexpertise die Umsetzung des Aktionsplans zur Thematik „Stillen“: · Konzept zur Verbesserung der öffentlich zugänglichen Still- und Wickelmöglichkeiten · Mitarbeit im Organisationsteam zur Weltstillwoche 2021/2022 · Die Verzahnung zwischen dem Fachdienst Frühe Hilfen des Jugendamtes, die die Maßnahme federführend umsetzt, dem Kinderbüro und dem Gesundheitsamt funktioniert hier sehr gut und bietet zahlreiche Kooperationsmöglichkeiten und einen gewinnbringenden Austausch der jeweiligen Perspektiven und Zielgruppen (Babys und Kleinkinder, Familien, werdende Eltern und Mütter).
4. Fazit und Ausblick Die Versorgungssituation mit Hebammen ist nach wie vor in ganz Deutschland, so auch in Stuttgart, ein drängendes Problem und hängt mit grundlegenden Strukturen zusammen, z. B. mit der Finanzierung der Hebammen. Die Hebammenkoordinierungsstelle hat sich in den zwei Jahren seit der Stellenschaffung zu einer anerkannten Anlaufstelle für Frauen, Institutionen und freiberuflichen Hebammen in Bezug auf Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett etabliert und so die Versorgung der Frauen mit Hebammenhilfe verbessert. · So haben hebammensuchende Frauen einen Ansprechpartner für die Suche nach Hebammen, die immer wieder auch erfolgreich ist. · Die Hebammen werden entlastet, weil sie nicht ständig hilfesuchenden Frauen absagen müssen, sondern gezielt von der Koordinierungsstelle angeschrieben werden. · Die Vernetzung von Hebammen zu anderen Institutionen durch den Runden Tisch und damit auch das Wissen voneinander und die Zusammenarbeit insgesamt hat sich deutlich verbessert. · Es konnten neue Projekte entwickelt und umgesetzt werden, um die Versorgungslage mit Hebammen in Stuttgart zu verbessern (Hebammenakutversorgung in den Ferien). Dafür konnten in der Pilotphase neue Finanzmittel eingeworben werden. · Die Hebammenkoordinierungsstelle konnte in Notsituationen helfen (Ukraine-Flüchtlingskrise mit schwangeren Flüchtlingen). · Unterstützung der Hebammen durch Fortbildungen (Qualitätssicherung und -steigerung) · Weitere Maßnahmen und Ideen können und sollen entwickelt werden, um die Versorgungssituation mit freiberuflichen Hebammen weiter zu verbessern. Die berufliche Ausbildung der Hebammen befindet sich durch die Akademisierung derzeit im Wandel. Die Erhöhung der Kapazitäten in der Hebammenausbildung bzw. Studium kann nur wirksam werden, wenn auch die Arbeitsbedingungen zum Verbleib im Beruf führen. Stuttgart kann sich durch die Hebammenkoordinierungsstelle zu einem attraktiven Arbeitsstandort entwickeln und so einen Anreiz für Hebammen bieten, sich nach dem Studium in Stuttgart niederzulassen. Die Umsetzung der Handlungsempfehlungen (GRDrs 359/2019) konnte durch die Hebammenkoordinierungsstelle maßgeblich gefördert werden. Die erbrachten Dienstleistungen sind Daueraufgaben, die zu einer Entlastung der Notlage in der Versorgung mit Hebammen führen. Durch die entstandenen Projekte und Maßnahmen konnte die Versorgungslage mit Hebammen verbessert werden, insbesondere auch für Frauen aus sozial benachteiligtem Milieu, auch wenn insgesamt immer noch freiberuflich tätige Hebammen in Stuttgart fehlen. Der Arbeitskreis Hebammenversorgung hat sich einstimmig für die Fortsetzung der Arbeit der Hebammenkoordinierungsstelle ausgesprochen. Dr. Alexandra Sußmann Bürgermeisterin --- <Anlagen> zum Seitenanfang