Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
194
1 und 2
VerhandlungDrucksache:
842/2011
GZ:
WFB
Sitzungstermin: 06.10.2011
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Schuster
Berichterstattung:der Vorsitzende, EBM Föll
Protokollführung: Frau Huber-Erdtmann fr
Betreff: 1. Einbringung des Doppelhaushaltsplan-Entwurfs
2012/2013
2. Bürgerhaushalt
Verfahren zur Beteiligung der Bürger an der Auf-
stellung des Doppelhaushalts 2012/2013

Den Mitgliedern des Gemeinderats liegen zu den Haushaltsplanberatungen 2012/2013 folgende Unterlagen vor:

1. Entwurf des Doppelhaushaltsplans 2012/2013

2. Stellenplan zum Entwurf des Haushaltsplans

3. Wirtschaftspläne 2012 der Gesellschaften, an denen die Stadt mit mehr als 50 % beteiligt ist

4. Unterlagen zur Finanzplanung 2011 bis 2016
(Finanzplan, Investitionsprogramm, rote und grüne Liste)

5. Arbeitsplan für die Beratungen des Haushaltsplans 2012/2013 und der Wirtschaftspläne 2012/2013 der Eigenbetriebe

6. Erläuterungsbericht zum Entwurf des Haushaltsplans und der Finanzplanung

7. Übersicht über die haushaltsrelevanten Mitteilungsvorlagen

8. Bürgerhaushalt Stuttgart (GRDrs 842/2011)


Von den oben genannten Unterlagen befindet sich je eine Mehrfertigung bei den Akten der Hauptaktei.


OB Dr. Schuster ruft die Tagesordnungspunkte 1 und 2 gemeinsam auf. Die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 2 (Bürgerhaushalt) ist unter der Niederschrift Nr. 195 wiedergegeben. Dort ist auch die GRDrs 842/2011 angeheftet.


Die Ausführungen von OB Dr. Schuster und EBM Föll zur Einbringung des Doppelhaushalts und zum Bürgerhaushalt sind nachstehend im Wortlaut wiedergegeben.

OB Dr. Schuster:

"Nachhaltigkeit ist inzwischen ein gängiger Begriff im politischen Diskurs. Nachhaltigkeit zu erreichen gelingt allerdings nur, wenn alle wesentlichen Politikfelder langfristig betrachtet werden und dementsprechend auch gehandelt wird.

Ein zentrales Politikfeld, in dem Nachhaltigkeit nicht beachtet wurde, sei es in weiten Teilen Europas, der USA, Japans, ist die Finanzpolitik. Aus der Bankenkrise heraus hat sich eine Wirtschaftskrise entwickelt, die zu einer Krise der öffentlichen Haushalte in weiten Teilen Europas geführt hat. Die alte Volksweisheit hat sich damit einmal mehr bestätigt: 'Spare in der Zeit, dann hast du in der Not'. Deshalb hatten wir in Stuttgart in den vergangenen fünfzehn Jahren eine andere, eine solidere und nachhaltige Finanzpolitik gestaltet.

Vor zwei Jahren, als wir mitten in der Wirtschaftskrise steckten, haben wir uns für ein antizyklisches Verhalten entschieden, um durch Investitionen des Konzerns Stadt Stuttgart in einer Größenordnung von rund 800 Mio. € pro Jahr entgegenzusteuern. Gott sei Dank ist unsere Stadt mit unserer exportorientierten Wirtschaft sehr viel schneller und besser aus der Wirtschaftskrise herausgekommen als gedacht, und deshalb blieben uns hohe Arbeitslosigkeit und Neuverschuldung erspart.

Da in diesen volatilen Zeiten die Entwicklung in den nächsten zwei Jahren nur bedingt vorhersehbar ist, sollte die Finanzpolitik nach dem Prinzip Vorsicht und nicht nach dem Prinzip Hoffnung gestaltet werden. Das ist nicht populär, auch weil sich die politisch Verantwortlichen und auch die Bürgerschaft längst mit der Unkultur angefreundet haben, mehr Geld auszugeben, als die öffentliche Hand einnimmt, und Steuererhöhungen in der Regel alles andere als populär sind.

Dieses Verhalten ist ein Vertrag zulasten der nächsten Generation, von der wir erwarten, dass sie nicht nur unsere Schulden bezahlt, sondern auch unsere Krankheits- und Pflegekosten, Renten und Pensionen und selbstverständlich sich um uns im Alter sowie um die eigene berufliche Absicherung und ihre eigenen Kinder kümmert. Doch spätestens die Debatte um die dramatische Finanzkrise in Griechenland sollte dazu führen, dass ein neues Verantwortungsbewusstsein sich entwickelt, indem man sich so verhält, wie wir uns alle im privaten Leben verhalten, nämlich dass man nicht dauerhaft mehr Geld ausgibt, als man einnimmt.

Die Bemühungen der vergangenen fünfzehn Jahre um eine andere und damit solidere Finanzpolitik waren bei manchen Bürgerinnen und Bürgern, aber auch bei manchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sicher nicht sehr beliebt. Von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben wir strukturelle Reformen verlangt, um mehr Leistungen für die Bürger mit weniger Personal erbringen zu können. Das war ein ganz wesentlicher Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. Dafür möchte ich mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr herzlich bedanken.

Der jetzige Haushaltsentwurf sieht keine Schuldenaufnahmen vor. Vielmehr sollen die anstehenden Tilgungen geleistet werden. Dies führt allerdings zu einem sehr bescheidenen Spielraum zur Finanzierung neuer Ausgaben und Investitionen. Dabei sollte man allerdings nicht vergessen, dass im Haushaltsentwurf bereits Investitionen von 420 Mio. € enthalten sind, und hierzu kommt dann noch ein Finanzspielraum von
35 Mio. €.

Ergänzend schlagen wir ein Sonderpaket Bildung für 150 Mio. € vor. Diesem Sonderpaket stehen aber erhöhte Einnahmen aus diesem Jahr gegenüber. Diese sind vom Gemeinderat für den Kauf der LBBW-Immobilien GmbH reserviert. Doch damit steht dieser Investition ein Vermögenswert gegenüber, der sich wirtschaftlich rechnet. Deshalb scheint uns diese zusätzliche Neuverschuldung vertretbar zu sein, denn seit Jahren haben wir uns vorgenommen, eine kinderfreundlichere Stadt zu werden. Dementsprechend investieren wir intensiv in Krippenplätze, Kindertagesplätze und Schulen.

Für Schulen sind im Doppelhaushalt bereits 203 Mio. € eingesetzt. Allerdings haben wir bei unseren Schulen mit 465 Schulgebäuden einen erheblichen Sanierungsstau, da ein Großteil der Schulgebäude in den 50er und 60er Jahren gebaut wurde und jetzt baulich wie energetisch saniert werden muss. Die Anstrengungen für Sanierung, Umbau und Ausbau der städtischen Kitas sowie der Kitas in freier Trägerschaft erfordern ebenfalls erhebliche Finanzmittel in einer Größenordnung bis zu 100 Mio. €. Auch hierbei ist es sinnvoll, die Priorität auf die Schaffung neuer Plätze zu legen und ein mittelfristiges Investitionsprogramm von vier Jahren zu beschließen. Für den Doppelhaushalt sollten aus dem 150-Millionen-Paket hierfür ca. 40 bis 45 Millionen eingesetzt werden, die dann auch tatsächlich verbaut werden können. Damit können wir den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Ein- bis Dreijährige hoffentlich erfüllen.

Insgesamt erfreulich ist es, dass uns in Stuttgart die demografische Wende in Stuttgart gelungen ist und dass wir über 25 % mehr Kleinkinder haben, als dies in der städtischen Prognose 2001 vorhergesagt wurde. Dementsprechend allerdings steigt permanent der Bedarf an Krippen- und Kitaplätzen, aber auch an qualifiziertem Personal. Es wird in den nächsten Jahren schwieriger, die geplanten Personalstellen für Erzieherinnen und Erzieher überhaupt zu besetzen.

Die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Erziehung und Bildung von unseren Kindern liegt auch in der Mitverantwortung des Landes. Die vom Land verabschiedeten Gesetze, z. B. die Mindestpersonalausstattung und der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz, müssen vom Land auch mitbezahlt werden. Das sogenannte Konnexitätsprinzip, vereinfacht gesagt, 'wer bestellt, bezahlt', verpflichtet das Land, sich an diesen erheblichen finanziellen Leistungen der Kommunen rechtlich verbindlich zu beteiligen. Insoweit erwarten wir eine klare Verpflichtung des Landes.

Nachhaltigkeit gilt selbstverständlich auch für andere Politikfelder, von denen sich einige nur bedingt im städtischen Haushalt finanziell abbilden, da sie durch unsere Eigenbetriebe oder Tochterunternehmen wahrgenommen werden, sei es die nachhaltige Krankenversorgung durch das Klinikum Stuttgart, bei dem wir über 800 Mio. € investieren, um langfristig die Maximalversorgung für unsere Bürgerinnen und Bürger sicherstellen zu können, sei es die Unterstützung der SSB, um umweltfreundliche, sozialverträgliche Mobilitätsangebote machen zu können, sei es die SWSG, die sich um einen sozialen Ausgleich im Wohnungsmarkt bemüht, seien es die neugegründeten Stadtwerke, die zur Energiewende hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung beitragen sollen. Insgesamt trägt der Konzern Stadt Stuttgart mit über 23.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einer jährlichen Investition zwischen 700 und 800 Mio. € maßgeblich zu den qualifizierten Dienstleistungen für unsere Bürger und die Unternehmen, aber auch zur Sicherung von Arbeitsplätzen in Stuttgart bei.

In den nächsten zwei Monaten werden wir - d. h. Gemeinderat und Stadtverwaltung - eine Flut von Briefen, Mails, Anrufen und Gesprächswünschen bekommen. Dieses Engagement von Bürgerinnen und Bürgern und Gruppierungen ergänzt den Bürgerhaushalt, bei dem sich erfreulicherweise rund 9.000 Stuttgarterinnen und Stuttgarter mit über 1.700 Vorschlägen beteiligt haben. Jedem von uns fällt es leichter, ja zu sagen, als eine Bitte abzuschlagen. Allerdings sollten wir bei dem Abwägungsprozess für eine sozial gerechte Finanzpolitik nie vergessen, dass sie auf jeden Fall sozial ungerecht ist, wenn sie zulasten der nächsten Generation geht. Ich hoffe und wünsche, dass wir in diesem Spannungsbogen von Solidarität und Solidität eine gute Balance im Sinne einer nachhaltigen Finanzpolitik finden. In diesem Sinne wünsche ich uns erfolgreiche Haushaltsberatungen. Vielen Dank."


EBM Föll:

"Herr Oberbürgermeister, meine sehr geehrten Damen und Herren, das Geheimnis - der Entwurf des Stadthaushalts für die kommenden beiden Jahre und der Finanzplanung bis 2016 - liegt Ihnen vor. Die städtische Finanzlage stellt sich zwar besser dar als vor zwei Jahren, aber sie bleibt - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der notwendigen und wünschenswerten Aufgaben - weiterhin unbefriedigend.

Bevor ich auf die Planungen eingehe, lassen Sie mich zunächst zur aktuellen Situation einige Worte sagen: Ja, wir sind besser durch die Wirtschafts- und Finanzkrise gekommen, als wir 2009 realistischerweise erwarten konnten. Wir konnten im Abschluss 2010 und im Nachtragshaushalt 2011 die ursprünglich geplante Kreditermächtigung von 407,8 Mio. € auf 213 Mio. € nahezu halbieren. Das ist erfreulich. Und wir konnten im Nachtrag den Erwerb der LBBW Wohnimmobilien GmbH mit einem Bestand von 21.500 Wohnungen, den Sie ja mit großer Mehrheit beschlossen haben, unterbringen, genau gesagt den Erwerb eines städtischen Anteils von 25,1 % mit einem Kaufpreis von bis zu 150 Mio. €. Die Entscheidung, ob wir erfolgreich sind, wird nach dem derzeit von der LBBW vorgesehenen Zeitplan noch im Dezember 2011 getroffen. Und wenn wir erfolgreich sind, dann kann ich Ihnen heute bereits mitteilen, dass wir noch in diesem Jahr am Kreditmarkt tätig werden müssen. Wir wollen dieses Unternehmen dauerhaft fortführen, nicht zuletzt, weil die rund 3.800 Wohnungen in Stuttgart nicht irgendwelchen
Finanzinvestoren überlassen werden sollen, die erst Kasse machen, indem sie die Bestände herunterwirtschaften, und sich anschließend aus dem Staub machen.

Natürlich stellt der Erwerb eines solchen Unternehmens einen Vermögenswert dar, aber er bindet städtische Finanzmittel, und wir können erst mittel- und langfristig von einer angemessenen Refinanzierung des städtischen Kaufpreises ausgehen. Im Ergebnis bedeutet dies: Die Verschuldung des Stadthaushalts wird folglich Ende 2011 wieder ansteigen, es wird keine freien Finanzierungsmittel geben, die wir im Stadthaushalt 2012/13 einsetzen können.

Nicht ohne Grund hat die Rechtsaufsicht, das Regierungspräsidium Stuttgart, im Genehmigungserlass zum Nachtragshaushalt 2011 geschrieben: 'So erfreulich der aktuelle finanzwirtschaftliche Aufwärtstrend und damit die verbundene Verminderung des Kreditbedarfs in den Jahren 2010 und 2011 auch ist, so dringend notwendig ist eine konsequente Fortsetzung des von der Landeshauptstadt Stuttgart eingeleiteten Konsolidierungs- und Sparkurses. Handlungsmaxime für den bevorstehenden Doppelhaushalt 2012/13 muss es sein, die wieder erlangten monetären Handlungs- und Gestaltungsspielräume dauerhaft zu festigen und so die stetige Aufgabenerfüllung auf einem angemessenen Niveau zu gewährleisten. Vor dem Hintergrund der nicht abschätzbaren künftigen Etatrisiken infolge der Turbulenzen an den Finanzmärkten und der möglichen Abschwächung der Konjunktur … sind dazu weiterhin strikte Ausgabendisziplin, bestmögliche Einnahmenausschöpfung, fortlaufende Aufgabenkritik, eine zielführende weitere Optimierung der Strukturen und die Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitspotenzialen notwendig und wichtig.' Auch wenn das nicht gerne gehört wird: Das ist in der Tat die Beschreibung der finanzwirtschaftlichen Wirklichkeit der Landeshauptstadt Stuttgart.

Meine Damen und Herren, wir befinden uns inmitten einer Schuldenkrise der öffentlichen Hand - Ausgang ungewiss. Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung und damit auf die Steuereinnahmen und den Arbeitsmarkt - ungewiss. Griechenland ist nicht so weit weg, wie es zunächst geographisch erscheint. Griechenland ist auch unter deutschen Kommunen zu Hause. Wenn Sie beispielsweise nach Nordrhein-Westfalen blicken - dort heißt der Rettungsschirm nur anders: Kassenkredite, über 40 Mrd. € in Summe, weil die dortigen Kommunen über Jahrzehnte Schuldenberge aufgetürmt haben, derer sie heute nicht mehr Herr werden. Ausweglos, Städte und Gemeinden ohne jedwede finanzielle Handlungsfähigkeit. Auch das ist die finanzwirtschaftliche Wirklichkeit in einigen Gegenden unseres Landes.

Wir sind in Stuttgart Gott sei Dank in einer besseren Situation. Die ist aber keineswegs vom Himmel gefallen. Auch wir leben bekanntlich nicht im gelobten Land, in dem Milch und Honig fließen. Unsere bessere Situation im Vergleich zu anderen Städten hat gute Gründe: Zum einen liegt dies in der überdurchschnittlichen Steuerkraft von Bürgerschaft und Wirtschaft, zum anderen in der Tatsache, dass seit zwei Jahrzehnten Gemeinderat und Verwaltung auf solide Stadthaushalte geachtet und, wenn immer notwendig, auch die Kraft zu unpopulären Entscheidungen aufgebracht haben, und weil damit frühzeitig und vorausschauend der Abbau von Schulden eingeleitet wurde, als von Schuldenkrise noch nicht die Rede war: von 1.146 Mio. € im Jahr 1993 auf 62 Mio. € Ende 2010. Stuttgart hat nicht getestet, wie hoch die Schuldentragfähigkeit des Stadthaushaltes ist, weil es eben besser ist, an Stelle von Zinszahlungen für Kredite das Geld für kommunale Aufgaben einzusetzen.

Das setzt aber voraus, dass wir mit dem Geld auskommen, das wir haben, und nicht das Geld ausgeben, das wir gerne hätten. Oder anders gesagt: Auch der noch so hartnäckige Versuch, aus einer Ein-Liter-Flasche zwei Liter auszuschenken, ist zum Scheitern verurteilt. Das funktioniert nicht einmal auf dem Cannstatter Volksfest.

Nun weiß ich wohl, dass es einige Mitglieder in diesem Rat gibt, die den konsequenten Schuldenabbau für einen Fehler halten. Stuttgart ist ja in vielerlei Hinsicht eine besondere Stadt, offensichtlich auch die einzige Stadt in Deutschland, in der sich der Kämmerer für den erfolgreichen Schuldenabbau entschuldigen soll. Ich sehe dazu jedoch keinen Anlass - ganz im Gegenteil. Weil wir vor 20 Jahren wirksam und nachhaltig in die Konsolidierung der Stadthaushalte eingestiegen sind, brauchen wir heute keine Schuldenbremse, wie dies auf Bundes- und Länderebene sowie in den Kommunen der Fall ist. Wir haben in Stuttgart gehandelt, als andere die Dinge haben laufen lassen.

Gleichwohl ist es richtig, dass wir in den Schulen einen Sanierungsstau haben, aber städtisches Vermögen erhält man nicht, indem man Kredite zur Finanzierung aufnimmt, sondern der Vermögenserhalt kann immer nur aus der eigenen Finanzkraft heraus gelingen. Das setzt entsprechende Prioritätensetzungen voraus. Und ich kann es Ihnen, sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte nicht ersparen, dass Sie diese Prioritätensetzungen auch in diesem Haushalt vornehmen müssen. Es ist offensichtlich, dass die von den Fachverwaltungen gemachten Vorschläge mit zusätzlichen Investitionen von
830 Mio. € und Mehrausgaben im Ergebnishaushalt von 131 Mio. € nicht nur die Grenzen einer soliden und nachhaltigen städtischen Finanzwirtschaft sprengen, sondern auch jenseits der Genehmigungsfähigkeit liegen.

Die finanzwirtschaftliche Wirklichkeit im Entwurf des Stadthaushalt 2012/13 zeigt, dass die finanziellen Handlungsspielräume auch in den kommenden beiden Jahren sehr begrenzt bleiben. Der Ergebnishaushalt mit einem Finanzvolumen von jeweils rund 2,25 Mrd. € weist - trotz deutlicher Verbesserungen gegenüber der alten Finanzplanung - nur sehr bescheidene Überschüsse von 13,3 Mio. € in 2012 und 6,3 Mio. € in 2013 aus. Das ist ein ernüchterndes Ergebnis, denn die Planzahlen basieren auf einer positiven Prognose mit einem wirtschaftlichen Wachstum von jährlich 1,5 bis 2 % und einem weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit auf 5 % im Jahresdurchschnitt. Bei der wichtigsten Kommunalsteuer, der Gewerbesteuer, geht die Finanzverwaltung von einer Erhöhung von jährlich 86 Mio. € gegenüber der bisherigen Finanzplanung aus: 520 Mio. € in 2012 und 560 Mio. € in 2013.

Das ist zwar weniger als im Nachtragshaushalt 2011 mit Bruttoeinnahmen von 620 Mio. € und auch weniger als im Durchschnitt der Jahre 2006 bis 2009, ich bitte Sie jedoch zu bedenken, dass die genannten Jahre jeweils von einmaligen Sondereffekten in dreistelliger Millionenhöhe eines großen Stuttgarter Unternehmens geprägt waren. Weitere Sondereffekte sind nicht mehr zu erwarten. Das ist aber auch gut so, denn diese Effekte hatten überwiegend nichts mit der Realwirtschaft zu tun.

Wie immer werden wir im Zuge der November-Steuerschätzung nochmals eine Überprüfung der Ansätze bei den Steuereinnahmen einschließlich der Gewerbesteuer vornehmen und Sie über das Ergebnis unterrichten. Und wie immer kann es besser oder schlechter werden - das ist angesichts der Turbulenzen an den Finanzmärkten und
eines sich abschwächenden Wirtschaftswachstums insbesondere in der Euro-Zone gegenwärtig völlig offen.

Der Haushaltsentwurf geht im Übrigen von unveränderten Realsteuerhebesätzen aus. Dies gilt auch für die Grundsteuer mit einem Hebesatz von 520 Punkten oder jährlichen Erträgen von rd. 145 Mio. €. Eine Reduzierung ist angesichts der vielfältigen kommunalen Aufgaben weder geboten noch finanziell darstellbar. Vielmehr müssen wir bei der anstehenden Grundsteuerreform durch den Bundesgesetzgeber sehr genau darauf achten, dass gerade den großen Städten die Steuerbasis nicht genommen wird. Die Grundsteuer muss auch weiterhin aus einer Besteuerungsgrundlage bestehen, die den Wert von Grundstück und Gebäude berücksichtigt.

Auf der Aufwandsseite stellen nach der Übernahme des JobCenters in die kommunale Trägerschaft die sozialen Leistungen nach dem SGB II und SGB XII sowie der Jugendhilfe mit knapp 560 Mio. € die größte Position dar. Nahezu jeder vierte Euro ist für diese gesetzlichen sozialen Leistungen veranschlagt.

Zweitgrößte Aufwandsposition stellt das Personalbudget mit 520 Mio. € in 2012 und 527 Mio. € in 2013 dar. Dies entspricht 23 % des Ergebnishaushaushalts. Das Personalbudget ist auf der Grundlage von 265 Stellenschaffungen und 80 Stellenstreichungen, im Saldo also einem Stellenzuwachs von 185 Stellen, kalkuliert - immerhin ein Zuwachs von über 2 %, bezogen auf den Bestand von 8.760 Stellen bei der Stadtverwaltung. Und: Die Verwaltung wird Ihnen eine Beschlussvorlage zuleiten, die die Aufhebung der Stellenbesetzungssperre zum 31.12.2011 vorsieht. Das heißt konkret: Ab 1. Januar 2012 können alle Stellen ohne Zeitverzug besetzt werden. Ich glaube, dies ist ein deutliches Signal der Entlastung für die Ämter und Beschäftigten. Immerhin wird damit ein Maßnahme der Haushaltskonsolidierung im Umfang von jährlich 4 Mio. € zurückgenommen.

Im Haushaltsentwurf und in der Finanzplanung sind jedoch alle übrigen Maßnahmen der Haushaltskonsolidierung fortgeschrieben. Ohne die strukturellen Verbesserungen von jährlich gut 70 Mio. € wären wir nicht einmal in der Lage, bescheidene Überschüsse im Ergebnishaushalt auszuweisen, sondern wir hätten von vornherein ein jährliches Defizit von 60 Mio. €. Dies zeigt, wie notwendig diese Maßnahmen sind. Deshalb bitte ich Sie, diese konsequente Linie in den Beratungen nicht aufzuweichen.

Ein Blick in andere, durchaus vergleichbare Städte zeigt, dass wir mit dieser Notwendigkeit nicht alleine dastehen. Die Stadt München hat am 27. Juli 2011, also wenige Tage vor der Sommerpause dieses Jahres, den Beschluss gefasst, eine weitere Haushaltskonsolidierung im Umfang von 85 Mio. € vorzunehmen - nicht durch Einnahmenerhöhungen, sondern ausschließlich durch Ausgabenreduzierungen, davon allein
40 Mio. € im Personalbereich durch Streichung von 800 Personalstellen.

Meine Damen und Herren, ich sage das nicht, um einer neuen Runde der Haushaltskonsolidierung das Wort zu reden. Wir haben in Stuttgart zunächst einmal unsere Hausaufgaben gemacht. Das gilt aber nur, wenn zwei Voraussetzungen beachtet werden: 1. Die Maßnahmen des Haushaltskonsolidierung müssen haushaltswirtschaftlich weiterhin voll wirksam bleiben, und 2. sind zusätzlichen Ausgabenwünschen ohne
finanzielle Deckung engste Grenzen zu setzen.

Lassen Sie mich zum Finanzhaushalt kommen: Nach dem Entwurf stehen in den Jahren 2012 und 2013 zur Finanzierung von neuen Maßnahmen aus der Wunschliste liquide Mittel von 46,8 Mio. € zur Verfügung. Nach Abzug der bereits vom Gemeinderat beschlossenen Vorbelastungen von 11,7 Mio. € verbleibt damit ohne Kreditaufnahme noch ein Finanzierungsspielraum von 35 Mio. €. Das ist zugegebenermaßen dürftig. Und ich bin Realist genug zu wissen, dass dieser Finanzrahmen nicht ausreichend ist, um auch nach strikten Maßstäben zumindest die dringlichsten neuen Maßnahmen zu finanzieren.

Bei allen zusätzlichen Investitionswünschen ist zunächst einmal jedoch festzuhalten, dass im Entwurf bereits 420 Mio. € an baulichen Unterhalts- und Investitionsmaßnahmen für bereits beschlossene bzw. begonnene Maßnahmen oder in den jeweiligen pauschalen Ansätzen veranschlagt sind, beispielsweise 203 Mio. € für die Schulen, 41 Mio. € für städtische Liegenschaften, insbesondere die Kindertagesstätten, 76 Mio. € beim Tiefbauamt und 21 Mio. € für Sanierungs- und Stadterneuerungsgebiete. Das allein sind schon stattliche Beträge, die erst einmal umgesetzt werden müssen, und bereits damit leistet die Stadt einen beachtlichen Beitrag für die örtliche Wirtschaft und für den Erhalt von Arbeitsplätzen.

Mit meinem Schreiben vom 29. September 2011 habe ich Sie darauf hingewiesen, dass weder im Haushaltsentwurf noch in der Finanzplanung die zusätzlich angemeldeten Finanzmittel für Investitionen und Betriebskosten zur Fortführung der Schulsanierungen, den Ausbau der Kindertageseinrichtungen und die Umwandlung der Grundschulen in Ganztagesschulen enthalten sind. Alleine diese Maßnahmen umfassen einen Finanzierungsbedarf von über 500 Mio. €. Dies so in den Haushalt aufzunehmen, würde alle Grenzen sprengen und in eine Neuverschuldung ungeheuren Ausmaßes führen, und das in einer Zeit, in der die öffentliche Hand in Bund, Land und anderen Gemeinden aus guten Gründen um ausgeglichene Haushalte ringt.

Deshalb müssen wir aus meiner Sicht zwingend zwei Dinge tun:

1. Wir müssen beim Land Baden-Württemberg die strikte Anwendung des in der Landesverfassung verankerten Konnexitätsprinzips einfordern - sprich: Wenn wie beim Ausbau der Kleinkinderbetreuung, dem Orientierungsplan und bei den Ganztagesschulen den Kommunen gesetzliche Aufgaben zugewiesen werden, dann muss das Land auch für die angemessene Finanzausstattung der Kommunen sorgen, damit diese Aufgaben auch erfüllt werden können. Das ist eine Haltung, die Sie in meiner letzten Haushaltseinbringung und auch in der vorletzten nachlesen können, weil das nichts mit der politischen Couleur einer Landesregierung, sondern ausschließlich mit dem Interesse einer Kommune zu tun hat. Umgangssprachlich heißt das - OB Dr. Schuster hat das bereits gesagt -, 'wer bestellt, muss auch bezahlen'. Es kann nicht sein, dass alleine beim Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab 2013 die Kommunen in Baden-Württemberg auf jährlichen Kosten von rd. 550 Mio. € sitzen bleiben; alleine die Stadt Stuttgart trifft das mit mindestens 50 Mio. € jährlich.

Ich kann nur hoffen, dass die Gespräche der kommunalen Spitzenverbände mit der neuen Landesregierung in Bälde zu einem guten Abschluss kommen. Sollte das nicht der Fall sein, dann müssen wir ernsthaft in Erwägung ziehen, ob Stuttgart einer möglichen Klage der Stadt Tübingen betritt. Zugegebenermaßen gehöre ich nicht zu denjenigen, die den Tübinger Oberbürgermeister häufig zitieren. Er hat diese Frage für Tübingen als existenziell bezeichnet. Das gilt auch für Stuttgart.

2. Wir müssen uns über realistische Umsetzungszeiträume der Programme unterhalten. Das ist nicht nur eine Frage der finanziellen Rahmenbedingungen, sondern auch der praktischen Umsetzungsmöglichkeiten. Niemandem ist gedient, wenn wir große Haushaltsreste - oder in der Sprache der Doppik: Ermächtigungsübertragungen - vor uns herschieben.

Was heißt dies konkret, 'realistische Umsetzungszeiträume' - das fragen Sie sich, und ich habe mich das natürlich auch gefragt. Im Bereich der Schulsanierungen haben wir ausweislich der aktuellen Zahlen ab 2012 einen Finanzbedarf von 370 Mio. €. Davon sind in 2012/13 jeweils 25 Mio. € im Haushaltsentwurf enthalten. Die restlichen 320 Mio. € sind derzeit nicht finanziert. Ich halte es für gänzlich ausgeschlossen, dieses Programm im ursprünglich geplanten Fünf-Jahres-Zeitraum bis 2016 abzuschließen. Vielmehr sollten wir die Umsetzung auf acht Jahre verlängern und jährlich zusätzlich
40 Mio. € an Sondermitteln für Schulsanierungen zur Verfügung stellen. Auch wenn es etwas länger dauert, dennoch: Der Sanierungsstau an Schulen wäre dann, beginnend ab 2008, innerhalb von zwölf Jahren mit Sondermitteln von 600 Mio. € vollständig abgebaut.

Für die Umwandlung aller Grundschulen in Ganztagesschulen sollten wir uns die Zielsetzung der neuen Landesregierung zum Vorbild nehmen, die vom Zieljahr 2020 ausgeht. Dies ist schon deshalb plausibel, weil die benötigten Lehrerstunden vorher nicht zur Verfügung stehen. Bei einem Mitteleinsatz von 18 Mio. € können pro Jahr etwa fünf Grundschulen umgewandelt werden, und ich gehe davon aus, dass das Land entsprechende Investitionszuschüsse ab 2012 in nennenswerter Höhe zur Verfügung stellt.

Beim Ausbau der Kindertagesbetreuung sind zusätzliche Investitionsmittel von netto
95 Mio. € und zusätzliche Betriebskosten von jährlich 51 Mio. € ab 2014 vom Jugendamt angemeldet. Damit könnten zusätzlich rund 1.760 Plätze im Krippenbereich und 1.785 Plätze in der Ganztagesbetreuung für 3- bis 6-jährige Kinder geschaffen werden. Dieses Programm sollte aus meiner Sicht auf zwei Doppelhaushalte, also die Jahre 2012 bis 2015, gestreckt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich ist es wünschenswert, das alles schneller, am besten sofort, zu machen. Aber die finanzielle Wirklichkeit lässt dies leider nicht zu. Politik beginnt mit dem Betrachten der Realitäten, und zur Wirklichkeit gehören auch die finanziellen Rahmenbedingungen.

Die von mir skizzierten Vorschläge entsprechen im Haushalt 2012/13 dem vom Oberbürgermeister vorgeschlagenen Sonderpaket Bildung mit einem Finanzvolumen von etwa 150 Mio. €. Es ist durchaus denkbar, diese Vorschläge auch in der Finanzplanung zu verankern, um Planungssicherheit zu bekommen. Aber klar ist auch: Für dieses Sonderpaket Bildung müssten wir bereits eine weitere Neuverschuldung in Kauf nehmen. Diese Tatsache zeigt deutlich, dass unser Ergebnishaushalt nach wie vor strukturell unterfinanziert ist - sprich: die Eigenfinanzierungskraft der Stadt ist viel zu schwach ausgeprägt. Ein gesunder Ergebnishaushalt müsste anstelle der 13,3 bzw. 6,3 Mio. € zur nachhaltigen Finanzierung des bestehenden Investitionsbedarfs einen Überschuss von etwa 200 Mio. € jährlich erwirtschaften, damit diese Beträge als Finanzierungsmittel im Finanzhaushaushalt zur Verfügung stehen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Gemeinderat hat mit breiter Mehrheit über die angemeldeten Themen hinaus den Rückkauf der Wasserversorgung bis Ende 2013 beschlossen. Darüber verhandeln wir gegenwärtig mit der EnBW. Auch hierfür werden wir in erheblichem Umfang Finanzmittel benötigen. Wir haben gegenwärtig darauf verzichtet, einen entsprechenden Betrag anzumelden, weil wir der EnBW keinen Hinweis darauf geben wollen, welchen Preis wir für angemessen erachten. Wir verfolgen dieses Ziel konsequent entsprechend Ihrem Auftrag. Deshalb bitte ich Sie, bei den Beratungen den notwendigen finanziellen Spielraum zu berücksichtigen, den wir benötigen, um ihre Zielvorgabe auch erfolgreich umzusetzen zu können.

Darüber hinaus werden wir in den Beratungen auch über unser städtisches Klinikum sprechen müssen, einerseits über die Verlängerung des vierseitigen Vertrages zur Erreichung eines ausgeglichenen Betriebsergebnisses, anderseits müssen wir gleichzeitig auch überprüfen, ob das Klinikum Stuttgart in der Lage sein wird, die im Rahmen des Strukturellen Rahmenplans vereinbarten Eigenfinanzierungsanteile nachhaltig und in Einklang mit der Zielsetzung eines ausgeglichenen Betriebsergebnisses zu erbringen. Ich erwarte offen gestanden nicht, dass dies ohne Auswirkung auf den Stadthaushalt bleiben wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Vielzahl von Themen zeigt, dass wir ganz ohne Zweifel vor schwierigen Haushaltsberatungen stehen. Das Haushaltsrecht ist das Königsrecht des Gemeinderates - so sagt es die Gemeindeordnung sinngemäß. Mit dem Recht ist aber auch die Verantwortung verbunden. Geordnete Finanzen sind keineswegs eine Garantie für die Zukunft. Die Ordnung der Finanzen muss bei jeder Haushaltsberatung wieder neu hergestellt werden. Dafür haben Sie die Verantwortung. Selbstverständlich unterstützen wir Sie dabei seitens der Finanzverwaltung ganz so, wie Sie es wünschen. Nur eines können wir nicht: Die wundersame Geldvermehrung. Die gibt es nur im Märchen - und auch dort ist der Ausgang meist nicht sehr glücklich.

Abschließend gilt mein Dank allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung, die mit der Erstellung des Haushaltsentwurfs befasst waren und die mit den Haushaltsberatungen befasst sein werden, in den Fachämtern ebenso wie in der Stadtkämmerei - dort natürlich insbesondere in der Haushaltsabteilung.

Johann Wolfgang von Goethe hat sich zur Bedeutung der öffentlichen Finanzen im Jahr 1830 wie folgt geäußert: 'Man hat behauptet, die Welt werde durch Zahlen regiert. Das aber weiß ich, dass die Zahlen uns belehren, ob sie gut oder schlecht regiert werde.'

Mögen die Beratungen bis zur 3. Lesung am 16. Dezember ein Zahlenwerk ergeben, aus dem hervorgeht, dass die Landeshauptstadt Stuttgart weiterhin gut regiert wird.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit."


Der Doppelhaushalt 2012/2013 ist damit eingebracht worden.

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