Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales und gesellschaftliche Integration
Gz:
GRDrs 8/2019
Stuttgart,
01/14/2019


Mietobergrenzen 2019/2020 - angemessene Kosten der Unterkunft in der Grundsicherung für Arbeitsuchende und in der Sozialhilfe



Mitteilungsvorlage


Vorlage anzurSitzungsartSitzungstermin
Sozial- und GesundheitsausschussKenntnisnahmeöffentlich21.01.2019

Bericht:


Das Jobcenter und das Sozialamt berücksichtigen die Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II und § 35 SGB XII in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen sind. Für die Kaltmiete gelten von der Haushaltsgröße abhängige Mietobergrenzen. Die Mietobergrenzen werden nach einem sog. „schlüssigen Konzept“ ermittelt, dessen Kriterien das Bundessozialgericht aufgestellt hat. Liegt wie in Stuttgart ein qualifizierter Mietspiegel vor, ist der Quadratmeterpreis anhand der Datensätze der Wohnungen zu ermitteln, die für die Erstellung des Mietspiegels erhoben wurden.

Um das vom Bundessozialgericht für die Festlegung der Mietobergrenzen vorausgesetzte „untere Marktsegment“ abzubilden, fließen in die Auswertung Daten von Wohnungen mit einfacher Ausstattung aller Baujahre und Lagen ein. Der zusammen mit dem Statistischen Amt ermittelte Quadratmeterpreis wird abhängig von der Haushaltsgröße mit einer Fläche multipliziert, die sich aus der Verwaltungsvorschrift zur Wohnraumförderung ergibt.

Aufgrund aktueller Daten, die im Rahmen der Erstellung des neuen Mietspiegels 2019/2020 erhoben wurden, werden die Mietobergrenzen mit Wirkung ab 01. Januar 2019 wie folgt neu festgelegt:

Haushaltsgröße
Mietobergrenze
2019/2020
Mietobergrenze
2017/2018
Veränderung
in %
1 Person
486,00
450,00
8,0 %
2 Personen
594,00
564,00
5,3 %
3 Personen
705,00
675,00
4,4 %
4 Personen
846,00
801,00
5,6 %
5 Personen
976,00
966,00
1,1 %
6 Personen
1.116,00
1.104,00
1,1 %
jede weitere Person
139,50
138,00
1,1 %






Werner Wölfle
Bürgermeister





1

Ausführlicher Bericht


I. Ermittlung der Mietobergrenzen
Die Angemessenheitsgrenzen müssen nach dem Bundessozialgericht (BSG) mittels eines sog. „schlüssigen Konzepts“ ermittelt werden. Gemeint ist ein standardisiertes Verfahren, das die wirklichen und aktuellen Verhältnisse des regionalen Wohnungsmarkts abbildet. Für Kommunen, die wie Stuttgart einen qualifizierten Mietspiegel erstellen, bedeutet dies u.a., dass für die Ermittlung der Mietobergrenzen die Datensätze der Mietverhältnisse herangezogen werden, die auch der Erstellung des qualifizierten Mietspiegels dienen. Nach dem BSG werden mit den Daten eines qualifizierten Mietspiegels die Mindestvoraussetzungen für ein schlüssiges Konzept, die es für die Erhebung und Auswertung der Daten aufgestellt hat, erfüllt. Insbesondere werden die dem qualifizierten Mietspiegel zugrundeliegenden Daten als repräsentativ und valide anerkannt.

Zur konkreten Berechnung der Mietobergrenzen hat das BSG die „Produkttheorie“ entwickelt. Danach berechnet sich die Mietobergrenze für die jeweilige Haushaltsgröße aus dem Produkt der Wohnfläche und einem Quadratmeterpreis, der aus den Datensätzen des Mietspiegels für Wohnungen des unteren Marktsegments ermittelt wird. Die Wohnflächen ergeben sich aus der Verwaltungsvorschrift zur Wohnraumförderung des Landes.
In der Auswertung wurden Wohnungen aller Baujahre und aller Lagen berücksichtigt, jedoch nur Wohnungen mit einfacher Ausstattung, um das untere Marktsegment abzubilden.

Basis der Auswertung sind die erhobenen Daten der Wohnungen, die im Rahmen der Mietspiegel- und Wohnungsmarktbefragung 2018 vom April 2018 erhoben wurden (mietspiegelrelevante Wohnungen). Dabei handelt es sich um 2.831 Mietverhältnisse im freien Wohnungsmarkt (ohne untypische Komfortwohnungen, z.B. Penthousewohnungen), die in den letzten vier Jahren abgeschlossen wurden oder bei denen in diesem Zeitraum eine Mietpreisanpassung erfolgte. Nicht zum freien Wohnungsmarkt zählen Wohnungen, die von Freunden und Verwandten vergünstigt angemietet wurden, Werkswohnungen, Wohnungen in Wohnheimen und Sozialmietwohnungen.

Um eine ausreichende Fallzahl und eine sachgerechte Abbildung zu gewährleisten, wurde um die Normwohnflächen (45 m², 60 m², usw.) jeweils ein Korridor von +/- 10 m² gelegt. Bei den größeren Wohnungen (105, 120, 135 m²) wurde aufgrund der geringeren Fallzahl ein größerer Korridor gebildet (95-159m²). Das heißt zum Beispiel, die Mietobergrenze für Wohnungen mit 45 m² (1-Personenhaushalte) errechnet sich aus allen mietspiegelrelevanten Wohnungen mit 35 bis 55 m².

Die Verteilung der Mietpreise in den einzelnen Flächenkategorien (Korridor +/-10 m²) wurde anschließend analysiert und mit Hilfe von 4/5-Spannen jeweils das teuerste 1/5 (20%) der Fälle abgeschnitten, so dass 80 Prozent der mietspiegelrelevanten Wohnungen mit einfacher Ausstattung unterhalb des Wertes liegen (Perzentil 80). Die qm-Miete wurde jeweils auf volle 10 Cent aufgerundet. Damit ergeben sich folgende Mietobergrenzen:





Haushaltsgröße
Fläche
Quadratmeterpreis
neu alt
Mietobergrenze
2019/2020
1 Person
45
10,80
10,00 €
486,00
2 Personen
60
9,90
9,40 €
594,00
3 Personen
75
9,40
9,00 €
705,00
4 Personen
90
9,40
8,90 €
846,00
5 Personen
105
9,30
9,20 €
976,00
6 Personen
120
9,30
9,20 €
1.116,00
jede weitere Person
+ 15
9,30
9,20 €
139,50

Zur tatsächlichen Verfügbarkeit in ausreichender Häufigkeit vgl. II. Belastbarkeit der Mietobergrenzen. Das Landessozialgericht hatte in seiner Entscheidung vom 05. Juli 2011 – AZ L 1 AS 2852/09 den Spannenoberwert gefordert, da damals lediglich die Haushalte der Baujahre bis 1975 – und nicht wie aktuell alle Baujahre – bei der Ermittlung der Mietobergrenzen berücksichtigt wurden.

Das Verfahren zur Ermittlung der Mietobergrenzen wird seither in den Urteilen des Sozialgerichts und des Landesozialgerichts als rechtmäßig anerkannt.


II. Belastbarkeit der Mietobergrenzen
Die Belastbarkeit der neuen Mietobergrenzen bzw. inwieweit diese für Leistungsberechtigte ausreichend sind, wurde mit Hilfe des Statistischen Amtes untersucht. Das folgende Schaubild zeigt exemplarisch an Hand der 1-Personenhaushalte zum einen alle 1-Personenhaushalte, deren Daten in die Mietspiegelerstellung eingeflossen sind (gepunktete Linie), zum anderen die Mieten der SGB II-Haushalte (durchgezogene Linie). Der senkrechte schwarze Strich markiert die aktuelle Mietobergrenze. Das untere Marktsegment bildet sich links davon ab.


Von allen 1-Personenhaushalten, deren Daten in die Mietspiegelerstellung eingeflossen sind, liegen 36 % unter der Mietobergrenze i.H.v. 486,00 €. Das BSG hatte in einer Entscheidung, in der eine andere Kommune lediglich die unteren 20 % des preislichen Segments als Grundlage für das untere Marktsegment herangezogen hatte, keine „durchgreifenden“ Bedenken.

Von den Haushalten, die SGB II – Leistungen beziehen, liegen circa 92 % der 1-Personenhaushalte mit ihrer Kaltmiete unter der neuen Mietobergrenze in Höhe von 486,00 €. Die durchschnittliche Kaltmiete von 1-Personenhaushalten im SGB II liegt bei ca. 340,57 € (Stand: August 2018). Die 8 % der Haushalte, die über der Mietobergrenze liegen, befinden sich entweder im Kostensenkungsverfahren oder die Prüfung ergab, dass eine Mietsenkung aktuell nicht zumutbar ist.

Anteil SGB II - Haushalte unterhalb der Mietobergrenze
- 2019/2020 ohne BG mit Kontext Fluchtmigration -
Mietobergrenze
2019/2020
Mietobergrenze
2018/2017
Mietobergrenze
2015/2016
1 Person92 %92 %85 %
2 Personen89 %90 %83 %
3 Personen93 %94 %89 %
4 Personen97 %98 %96 %
5 Personen97 %98 %97 %

Um beurteilen zu können, ob Leistungsberechtigten, die eine neue Wohnung suchen, mit den neuen Mietobergrenzen ein ausreichendes Wohnungsangebot zur Verfügung steht, wurde im Januar 2019 eine Marktrecherche im Internet (u.a. Immobilienmarkt der Stuttgarter Zeitung, ImmobilienScout24, Immowelt, Wohnungsbörse) mit folgendem Ergebnis durchgeführt:

Anfang Januar 2019 wurden in Stuttgart ca. 26 Wohnungen mit einer Kaltmiete bis zu 486,00 € (Mietobergrenze für 1-Personenhaushalte) angeboten, ca. 46 Wohnungen zu einer Kaltmiete bis zu 594,00 € (Mietobergrenze für 2-Personenhaushalte), ca. 26 Wohnungen zu einer Kaltmiete bis zu 705,00 € (Mietobergrenze für 3-Personenhaushalte), ca. 17 Wohnungen zu einer Kaltmiete bis zu 846,00 € (Mietobergrenze für 4-Personenhaushalte), ca. 7 Wohnungen zu einer Kaltmiete bis zu 976,00 € (Mietobergrenze für 5-Personenhaushalte) und ca. 13 Wohnungen zu einer Kaltmiete bis zu 1.116,00 € (Mietobergrenze für 6-Personenhaushalte).
Zu berücksichtigen ist, dass die meisten Wohnungen ohne Anzeige in der Zeitung oder im Internet (weiter-)vermietet werden.

Ob eine Vermittlung an SBG II-Leistungsempfänger Erfolg hätte, kann nicht gesagt werden.


Die größte Nachfrage besteht bei den 1-und 2-Personenhaushalten, in denen zusammen circa 70 % der SGB II - Leistungsberechtigten leben.

Anteil der jeweiligen Haushaltsgröße im SGB II (Stand: August 2018):

1 Person
2 Personen
3 Personen
4 Personen
> 5 Personen
51 %
19 %
13 %
9 %
8 %


III. Kostensenkung
a) zumutbare Kostensenkung
In den Fällen, in denen die Kaltmiete über der Mietobergrenze liegt, ist vom Jobcenter und Sozialamt im Einzelfall zu prüfen, ob die Senkung der Kosten auf die Mietobergrenze zumutbar ist.


Die Senkung einer Miete, die über der Mietobergrenze liegt, ist grundsätzlich zumutbar z.B. durch Ein Umzug stellt für die Betroffenen jedoch das letzte Mittel zur Senkung von unangemessenen Kosten der Unterkunft dar. Setzen die Betroffenen eine zumutbare Kostensenkung nicht um, hat dies zur Folge, dass die Kaltmiete in der Regel nach 6 Monaten nur noch in Höhe der Mietobergrenze anerkannt wird. Meistens versuchen Leistungsberechtigte bei zumutbarer Kostensenkung und soweit die Mietobergrenze nur in geringem Umfang überschritten wird, dies mit Hilfe der o.g. anderen Senkungsmöglichkeiten auszugleichen. Ein Umzug ist also i.d.R. nicht zwingend erforderlich.

b) unzumutbare Kostensenkung - Härtefälle, Wirtschaftlichkeitsprüfung-
Liegt die Kaltmiete über der Mietobergrenze und ergibt die Einzelfallprüfung, dass eine Kostensenkung aus beachtenswerten Gründen nicht zumutbar oder nicht wirtschaftlich ist, erkennen das Jobcenter und das Sozialamt bis auf Weiteres die höhere (unangemessene) Kaltmiete auch nach Ablauf der 6-Monats-Frist an.

Die Obliegenheit zur Senkung unangemessener Kosten kann im Einzelfall aus beachtenswerten Gründen, die in den persönlichen Lebensumständen der Leistungsberechtigten liegen, eingeschränkt sein. Solche Gründe können sich ergeben z.B. bei Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, Rücksichtnahme auf schulpflichtige Kinder, Alleinerziehung, nur vorübergehende Änderung der Bewohnerzahl (Trennung, Haft), Wahrnehmung eines Umgangsrechts.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bleibt die Berücksichtigung einer unangemessen hohen Miete der durch sachliche Gründe begründungspflichtige Ausnahmefall. Hierfür ist eine Einzelfallprüfung zwingend Voraussetzung. Eine pauschale Erhöhung der Mietobergrenze(n) ist nicht zulässig.

Ist eine Kostensenkung zumutbar, ist im SGB II abschließend noch eine Wirtschaftlichkeitsprüfung vorgeschrieben - § 22 Absatz 1 Satz 4 SGB II. Danach wird eine Senkung unangemessen hoher Kosten ebenfalls nicht gefordert, wenn diese im Verhältnis zu den durch einen Umzug entstehenden Kosten unwirtschaftlich wäre. Dies ist u.a. bei nur vorübergehendem Leistungsbezug der Fall, z.B. wurde ein Rentenantrag gestellt oder es bestehen Unterhaltsansprüche in ausreichender Höhe.


IV. Geförderter sozialer Wohnungsbau und geförderter Wohnungsbau für besondere Bedarfsgruppen
a) geförderter sozialer Wohnungsbau
Bei Wohnungen mit Belegungs- und Mietpreisbindung wird, auch soweit die Kaltmiete über der Mietobergrenze liegt, weiterhin die tatsächliche Miete anerkannt.

b) geförderter Wohnungsbau für besondere Bedarfsgruppen
Die tatsächliche Miete wird auch dann anerkannt, wenn im Rahmen öffentlich geförderten Wohnungsbaus (bzw. unter Einbezug investiver öffentlicher Förderung) neuer Wohnraum entsteht (im Sinne von einem Neubau oder Umbau), der ausschließlich für besondere Bedarfsgruppen (u.a. Menschen mit Behinderung, Wohnungslose, Pflegebedürftige) bestimmt ist und von diesen bezogen wird.


V. Umzüge
Die Anzahl der Umzüge liegt beim Jobcenter in den vergangenen Jahren bei mindestens circa 600 pro Jahr. In 2017 bewilligte das Jobcenter in ca. 570 Fällen (2016: ca. 630, 2015: 563) Leistungen, die für einen Umzug gewährt wurden. Hinzu kommen Umzüge, die ohne Bewilligung von Umzugskosten durchgeführt wurden, deren Anzahl jedoch statistisch nicht erfasst wird. Die Gründe für einen Umzug können sein:
In schätzungsweise nur einem Viertel der Fälle ist der Grund für einen Umzug eine unangemessen hohe Miete.


VI. Heizkosten
Auch die Heizkosten werden in tatsächlicher Höhe berücksichtigt, soweit diese angemessen sind. Die Prüfung der Angemessenheit der Heizkosten richtet sich aktuell nach dem bundesweit geltenden Heizspiegel (erstellt von co2online, gemeinnützige GmbH), da ein kommunaler Heizspiegel nicht vorliegt. Anhaltspunkt für unangemessen hohe Heizkosten ist die Überschreitung von Grenzwerten, die sich aus dem Heizspiegel ergeben. Der Grenzwert ergibt sich aus der abstrakt angemessenen Wohnfläche z.B. 45 m² für 1-Personenhaushalt und aus den entsprechenden Werten des Heizspiegels der Spalte „zu hoch“ für den jeweiligen Energieträger – Erdgas, Heizöl, Fernwärme.

Bei Überschreitung des Grenzwertes ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände zu prüfen, ob eine Senkung der Kosten zumutbar ist. Beachtenswerte Gründe, die gegen die Zumutbarkeit von Kostensenkungsmaßnahmen sprechen, können Gründe sein, die auch einem Umzug entgegenstehen würden, wie z.B. Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit – vgl. III b). Das Jobcenter und das Sozialamt ermöglichen in diesen Fällen den Leistungsberechtigten auch eine Energieberatung.


VII. weitere Entwicklung
Das Verfahren zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenzen wird zum einen regelmäßig durch die Rechtsprechung weiterentwickelt. Zum anderen hatte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2015 aufgrund der unterschiedlichen Herangehensweisen der Grundsicherungsträger, die zu deutlich divergierenden Ergebnissen führen, das Institut für Wohnen und Umwelt in Darmstadt (IWU) beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. Der Auftrag war, die Grundlagen für die Bemessung angemessener Kosten der Unterkunft und Heizung im SGB II und SGB XII zu erforschen und geeignete Verfahren für die Umsetzung vorzuschlagen. IWU hat im Januar 2017 das Ergebnis in einem Forschungsbericht vorgelegt. Die weitere Vorgehensweise wird seither in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe abgestimmt. Insoweit bleibt abzuwarten, inwieweit sich hieraus Präzisierungen für die künftige Ermittlung der Mietobergrenzen ergeben.


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