Protokoll:
Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik
des Gemeinderats der Landeshauptstadt Stuttgart
Niederschrift Nr.
TOP:
20
7
Verhandlung
Drucksache:
-
GZ:
Sitzungstermin:
24.01.2023
Sitzungsart:
öffentlich
Vorsitz:
BM Pätzold
Berichterstattung:
Herr Volkmer (ASW)
Protokollführung:
Frau Schmidt
fr
Betreff:
"Defensive Architektur", - mündlicher Bericht zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum -
Die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigte Präsentation ist dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt. Aus Datenschutzgründen wird sie nicht im Internet veröffentlicht. Dem Originalprotokoll ist sie in Papierform angehängt.
Herr
Volkmer
(ASW) berichtet im Sinne der Präsentation. Ergänzende Anmerkungen sind nachfolgend in zusammengefasster Form mit Verweis auf die jeweilige Folie wiedergegeben. Anhand Folie 2 greift er zunächst die im Zeitungsbericht genannten, zahlreichen privaten Flächen auf, an denen manche Installationen mittlerweile entfernt worden seien. Nach Definition des Begriffes "Defensive Architektur" (Folie 3) erläutert er das Ziel der Stadt, auf Basis des Beschlusses zur Lebenswerten Innenstadt mehr Sitz- und Aufenthaltsmöglichkeiten ohne Konsumzwang (Folie 4) einzurichten. Anhand der auf Folie 5 gezeigten Möglichkeiten solle getestet werden, wie vielfältige Sitzgelegenheiten angenommen würden und wie strapazierbar sie seien. Darüber hinaus solle kommunikatives Sitzen (Sitzhaltung gegenüber, Beispiel Dorotheenstraße) ermöglicht werden. Anhand mehrerer Beispiele stellt er verschiedene Situationen in der Stadt dar: Folie 6 zeigt die Situation in der Uhlandstraße, in der aufgrund von hoher Lärmbelastung durch Skater Sitzgelegenheiten als eine Art Sperre installiert worden seien. An der Paulinenbücke seien das Pflanzbeet und ein Baumschutzring mit Sitzmöglichkeiten für soziale Randgruppen ausgestattet worden (Folien 7 und 8), die stets voll belegt seien. Auf große Zustimmung stießen auch extra hohe Sitzgelegenheiten (Höhe ca. 60 cm) zum "Aushängen" der Füße (Folie 9). Wichtig sei auch der Aspekt des generationsübergreifenden Sitzens mit Rücken- und Armlehnen (Folie 10), die älteren Menschen das Aufstehen erleichterten. Einen angenehmen Sitzkomfort böten Elemente aus Holz (Folie 11). Außerdem gebe es mobile Bestuhlung, die vielfältige Nutzung ermögliche (Folien 12 und 13). Möglichkeiten zum Liegen zeigten die Beispiele der Folien 14 und 15. Nach seinen Ausführungen zu verschiedenen Sitzmöglichkeiten richtet Herr Volkmer das Augenmerk auf den Aspekt des Skaterschutzes (Folien 16 bis 18). Hochwertige Natursteine seien im Kantenbereich gefährdet und müssten entsprechend geschützt werden. Benötigt werde auch ein Graffitischutz (transparenter Lack) für Auftragsarbeiten von Street-Art-Künstlern, was bereits als Kunst im öffentlichen Raum gekennzeichnet werden könne (Folie 19). Am Ende seines Vortrages folgt ein Fazit (Folie 20).
Für den Bericht danken alle sich an der Aussprache beteiligenden Stadträtinnen und Stadträte. StR
Peterhoff
(90/GRÜNE) betont die Wichtigkeit des Themas, wobei auch bei privaten Flächen darauf geachtet werden müsse, um eine offenere Gestaltung zu erzielen. Mit dem Beschluss zur Lebenswerten Innenstadt wolle man die Stadt menschengerechter machen, was einen kontinuierlichen Stadtumbau und Korrektur erfordere. Aufgrund der demografischen Entwicklung gebe es immer mehr ältere Menschen, die die verschiedenen Sitzmöglichkeiten sehr gut annähmen. Als Beispiel nennt er die Wanderbaumallee und fordert weitere Programme zum Verweilen in den Quartieren. Ausdrücklich teilen möchte der Stadtrat das gezogene Fazit der Einrichtung einer einladenden Infrastruktur. Bezüglich des Skaterschutzes kann er die Einschätzung bei hochwertigen Natursteinen teilen, allerdings plädiere er dafür, Flächen wie am Marga-von-Etzdorf-Platz zuzulassen. Zum Graffitischutz wie an der Paulinenbrücke führt der Stadtrat aus, durch die schöne Gestaltung der Stadt werde ein gutes Angebot gemacht, das eben nicht defensiv-abwehrend sei. In dieser Richtung müsse weitergearbeitet werden.
Sitzmöglichkeiten hält StRin
Bulle-Schmid
(CDU) für unerlässlich, wenn Menschen verstärkt zu Fuß unterwegs seien. Speziell für Senioren und Familien mit kleinen Kindern müssten Angebote geschaffen werden. Herr Volkmer habe viele schöne Beispiele gezeigt. Auch die Liegebänke hätten zum Ausruhen ihre Berechtigung, allerdings besser in einem Park und nicht vor Wohngebäuden. Den Skaterschutz hält sie für den Schutz von hochwertigen Steinen für notwendig. Bei einfachem Beton, wie am Marga-von-Etzdorf-Platz, könne Skaten zugelassen werden, dennoch müsse die Lärmproblematik im Auge behalten werden. Die Örtlichkeiten müssten gut geprüft werden. Ähnlich sei es beim Graffitischutz, denn oftmals würde die Stadt nicht mit Kunst verschönt, sondern verunstaltet. Ähnlich wie ihr Vorredner regt sie an, im Haushalt ein kleines Programm für mehr Sitzmöglichkeiten vorzusehen.
StRin
Schanbacher
(SPD) vermisst im Bericht einen Überblick über noch vorhandene defensive Architektur im Stadtgebiet und den konkreten Umgang damit. Es gebe viele Menschen, die in der Stadt auf der Suche nach Orten zum Verweilen seien. Hilfreich sei hier sicherlich ein Perspektivwechsel, um auf den Bedarf aufmerksam zu werden. Sie erinnert an die Debatte um die Skatekultur am Landtag und wirbt dafür, mehr Orte zu schaffen, wo Skaten ausdrücklich erlaubt und sogar erwünscht sei. Es müsse ein gemeinsames Verständnis für die verschiedenen Sichtweisen geschaffen werden. Bezüglich des Graffitischutzes erwarte sie gerne die Reise des Gemeinderates im Herbst nach Barcelona als bekannteste Street-Art-Stadt Europas, wo sie gerne deren Umgang mit der Thematik kennenlernen wolle.
Aus der Sicht von StR
Pantisano
(Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutz-partei) sind viele vorgestellte Punkte schwierig. Es würden erneut Gruppen von jungen Menschen marginalisiert, da sie sich ohne Konsum im öffentlichen Raum aufhalten wollten. Skaten und Graffiti gehörten zur Jugendkultur und lebten vom Unerlaubten. Eine Großstadt müsse eine entsprechende Offenheit für solche Dinge bieten, die ansonsten keinen Raum hätten. Die Verwaltung habe die Möglichkeit, in der Gestaltung des öffentlichen Raumes darauf einzugehen. Er stellt die Frage in den Raum, wie defensive Architektur gegenüber Autos aussehe. Bezüglich der gezeigten Beispiele führt er aus, die Stühle und Liegebänke am Hospitalhof seien eine Reaktion auf den Abbau von Sitzbänken auf der Königstraße durch die Stadtverwaltung gewesen, da dort Menschen übernachtet hätten. Diese Situation bestehe nach wie vor, um Menschen vom Schlafen abzuhalten. Anhand der auf Folie 5 gezeigten Sitzplätze am Karlsplatz bemängelt er, diese entsprächen nicht dem Beschluss zur Lebenswerten Innenstadt, da sie nicht zum Verweilen einlüden. Die Gestaltung der Örtlichkeiten müsse aus der Sicht der Nutzerinnen und Nutzer erfolgen, um die Stadt lebenswert zu gestalten.
StR
Serwani
(FDP) begrüßt die neue Gestaltung, kann aber den Abbau von Sitzgelegenheiten im Winter auf der Königstraße nicht nachvollziehen. Er freue sich, wenn nun ein Umdenken stattfinde und Maßnahmen der defensiven Architektur nicht mehr zur Anwendung kämen. Er gibt zu bedenken, dass der Versuch, Obdachlose zu verdrängen alle Bürger treffe. Er erinnert an das Budget der Bezirksbeiräte, selbst zusätzliche Sitzgelegenheiten zu installieren. Zustimmung äußert er zu den Liegebänken, die dort eingerichtet würden, wo tatsächlich Erholung stattfinden könne, wie zum Beispiel im Höhenpark am Killesberg. Für Skater fordert er Flächen, die diese nutzen könnten, ohne die Bevölkerung in den Wohngebieten zu belästigen. Bezüglich Graffiti schlägt er eine Prüfung von Flächen für Street Art vor. Es gebe in anderen Städten viele Beispiele, wo dies an öffentlichen Gebäuden möglich sei.
Der Bericht biete einen schönen Überblick über die Möglichkeiten bei Sitzgelegenheiten, so StRin
Köngeter
(PULS). Zu den positiven Aspekten von Armlehnen und höheren Sitzbänken ergänzt sie den geringen Abstand zwischen den Sitzplätzen, der weniger aktiven Menschen Selbstbestimmung und Unabhängigkeit ermögliche. In ihren Ausführungen greift sie Treppen und Mäuerchen auf, die aufgrund verschiedener Einschränkungen nicht direkt zum Sitzen gedacht seien. Sie wolle wissen, wo es solche Orte in der Stadt gebe und wie diesem entgegengewirkt werden könne. Zum Bahnhof Bad Cannstatt führt sie aus, dort gebe es aktuell Menschen, die durch die zukünftige Möblierung auf keinen Fall verdrängt werden dürften. Ebenso dürften im Vaihinger Stadtpark nicht nur Einzelsitze vorgesehen werden.
StR
Schrade
(FW) erklärt, der öffentliche Raum gehöre allen und solle vielen Ansprüchen genügen. Dies bedeute gelegentlich einen gewissen Spagat, um mit allen Wünschen umzugehen. Die Verwaltung habe ein gutes Maß gefunden und könne in dieser Richtung weiterarbeiten. So müssten auch beim Skaten die Interessen abgewogen werden, denn Skaten bedeute Lärm, eventuell auch zuzeiten der Nachtruhe. Wie StR Serwani verweist er auf das Budget der Bezirksbeiräte, denn die Bezirksbeiräte wüssten am besten über den Bedarf Bescheid. Abschließend möchte er mit Blick auf die gescheiterten Initiativen am Ernst-Reuter-Platz sowie Löwenmarkt wissen, welche Vorgaben für eine Möblierung im öffentlichen Raum gelten.
StR
Dr. Mayer
(AfD) erklärt, es müsse stets differenziert werden. Es gebe immer Menschen, die sich danebenbenähmen. Kunstvolle Graffitimalerei wie unter der Paulinenbrücke halte er für schützenswert, allerdings stießen endlose "Tags" auf sein Missfallen. Mit dem vorgeschlagenen Weg zeigt er sich einverstanden.
Zum Projekt der blauen Stühle im Hospitalviertel erklärt BVin
Kienzle
(Mitte), dabei habe es sich um ein soziales Projekt des Forums Hospitalviertel zusammen mit Studenten der Technischen Hochschule gehandelt. Dabei sei es um die Frage von Selbstbestimmung und Upcycling gegangen; die QR-Codes hätten Hinweise zu den Spendern erhalten und es sei dazu aufgefordert worden, die Stühle entweder auf dem Platz zu belassen oder nach Hause mitzunehmen. Dieses Projekt wolle man gerne fortsetzen, wofür es allerdings eine große Zahl von Menschen brauche, die sich darum kümmerten. Sie führt weiter aus, Jugendliche müssten "anständig abgeholt" werden und verweist auf den Erfolg der Skaterskulptur des Künstlers Michel Majerus. Dies bilde ein gutes Motiv zum Umgang mit Skaten und Graffiti, denn es könnten nicht alle Flächen in der Stadt bemalt werden, um Tags zu verhindern. Sie wünsche sich einen Etat zur Reparatur von Dingen wie Fassaden und niveauvolle Angebote im Zentrum.
Den negativen Wortbeitrag von StR Pantisano kann StR
Peterhoff
nicht nachvollziehen. Die Gesamtbilanz an Bänken in der Innenstadt falle sehr positiv aus und es gebe deutlich belebtere Außenflächen. Als Beispiel nennt er die Eberhardstraße, die eine immense Verbesserung erfahren habe. Über die temporären Flächen am Karlsplatz müsse nochmals gesprochen werden.
Offensichtlich gebe es unterschiedliche gestalterische Ansprüche, entgegnet StR
Pantisano
. StR Kotz habe vor einiger Zeit auf die unbefriedigende Gestaltung der Eberhardstraße hingewiesen, wo viele verschiedene Möbel und Fahrradständer verwendet würden. Es sei nicht Sinn von Stadtgestaltung, Parkplätze abzubauen, um dann nur eine lieblose Bank aufzustellen. Darüber hinaus hätten Bündnis 90/DIE GRÜNEN den Abbau von Sitzbänken in der Innenstadt mitbeschlossen, woran sich seither nichts geändert habe. Er sehe es als seine Aufgabe an, die Entwicklung kritisch zu begleiten.
StRin
Schanbacher
erneuert ihre Frage, wie mit noch fraglichen Orten grundsätzlich weiter umgegangen werde, um eine willkommen heißende Architektur zu schaffen.
Bezüglich der von StR Pantisano thematisierten Sitzgelegenheiten in der Königstraße stellt BVin
Kienzle
klar, es habe dort damals ein massives Problem mit Obdachlosen gegeben. Aufgrund zahlreicher Beschwerden von Gewerbetreibenden und Passanten habe der damalige Ordnungsbürgermeister Dr. Schairer den Abbau eines Drittels der Sitzflächen angeordnet. Sie selbst habe sich dafür eingesetzt, diese Sitzflächen umzuverteilen. Es sei keine einzige Sitzfläche entfallen, sondern im oberen Teil der König-straße wiedererrichtet worden.
Wenn es um die Umgestaltung konkreter Plätze gehe, so BM
Pätzold
, bilde Aufenthalt im öffentlichen Raum ein wichtiges Thema. Es müsse zwischen dauerhafter und temporärer Umgestaltung unterschieden werden. Der Gemeinderat habe bewusst die Nutzung temporärer Möglichkeit beschlossen, wozu beispielsweise auch die Baumbeete mit Sitzmöglichkeiten gehörten. Da das Angebot in der Eberhardstraße gut genutzt werde, gehe er davon aus, dass die Bürgerinnen und Bürger damit zufrieden seien. An vielen Stellen in der Stadt, wie etwa am Feuerseeufer, habe man die Aufenthaltsmöglichkeiten verbessert. Selbstverständlich könne die Nutzung solcher Angebote zu Konflikten führen, die wiederum weitere Maßnahmen beinhalteten. Ziel sei, den Aufenthalt im öffentlichen Raum möglichst breit aufzustellen. Er sei froh, dass es in Stuttgart Subkultur gebe, die allerdings nicht planbar sei; junge Leute eigneten sich die Flächen an. Dazu gehörten auch die Themen Parcours oder Tischtennis, was von manchen Nachbarn abgelehnt werde. Aufenthaltsqualität müsse für alle Gruppen im öffentlichen Raum diskutiert und über verschiedene Angebote umgesetzt werden. Dies werde zum Beispiel auch in Barcelona an den "Superblocks" diskutiert. Insgesamt sei die Stadt mit ihren Planungen zur Aufenthaltsqualität gut unterwegs, allerdings könne Architektur nicht erziehen oder soziale Fragen lösen. Zur Planung am Marga-von-Etzdorf-Platz erklärt er, die Skaterbügel stammten als Wunsch aus der Begleitgruppe, in der auch die BI Veielbrunnen vertreten sei. Neben der Gestaltung bedürfe es des unterstützenden Engagements der Bürgerschaft vor Ort. Im Bereich Graffitischutz gebe es neben der Paulinenbrücke eine weitere Fläche am Marienplatz. Darüber hinaus gebe es Flächen, die sich wie die "Hall of Fame" in permanentem Wandel befänden. Es gebe insgesamt immer einen gewissen Graubereich, denn es könne nicht überall alles geregelt werden.
Gegenüber StRin Schanbacher führt Herr
Volkmer
aus, für den Bahnhofsplatz Bad Cannstatt seien großzügige Sitz- und Liegemöglichkeiten geplant. Dies solle als eine Art "Checkliste" fungieren, um zu erkennen, ob Dinge ausgeschlossen würden. Der Einzelfall werde stets abwägend geprüft, aber eine flächendeckende Prüfung halte er für schwierig. Grundsätzlich würden die Sitzmöglichkeiten deutlich verstärkt und die Bedarfe bedient. Dafür müsse im Haushalt ein entsprechendes Budget zur Verfügung stehen; die Bezirksbudgets seien nicht als "Ersatzkasse" gedacht.
Zur Frage von StRin
Köngeter
zum auf den Treppenstufen der aktuell außer Betrieb befindlichen Haltestelle Wilhelmsplatz/Badstraße aufgestellten Zaun verweist der
Vorsitzende
an die SSB und stellt fest:
Der Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik hat von dem Bericht
Kenntnis genommen
.
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