Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales und gesellschaftliche Integration
Gz:
GRDrs
326/2019
Stuttgart,
06/14/2019
Städtischer Dolmetscherdienst
Mitteilungsvorlage
Vorlage an
zur
Sitzungsart
Sitzungstermin
Internationaler Ausschuss
Sozial- und Gesundheitsausschuss
Beratung
Kenntnisnahme
öffentlich
öffentlich
03.07.2019
23.09.2019
Bericht:
Der städtische Dolmetscherdienst geht auf einen Gemeinderatsbeschluss von 1978 zurück („Grundaussagen zur Ausländerproblematik und Leitlinien für Maßnahmen der Daseinsvorsorge für ausländische Einwohner“, GR-Niederschrift Nr. 88/1978).
Die damalige Abteilung des Ausländerbeauftragten (SJG-A) baute Ende der 1980er Jahre einen qualifizierten Dolmetscherdienst mit nebenberuflichen und hauptberuflichen Dolmetscher*innen mit der entsprechenden Finanz- und Personalausstattung auf.
Parallel wurde für die Bereiche des heutigen Klinikums Stuttgart ein eigener Dolmetscherdienst eingerichtet.
Zwischen 1989 und 1993 fanden verschiedene Fortbildungsveranstaltungen statt, in denen die psychologischen und rechtlichen Anforderungen an die Dolmetscher*innen vermittelt wurden, ebenso die Methoden der Sprachvermittlung.
Im Jahre 1995 wurde im Zuge der Haushaltskonsolidierung die Koordination des städtischen Dolmetscherdienstes ohne Personalressource an den Fremdsprachendienst in der Abteilung Protokoll, Empfänge und Ehrungen übertragen (GRDrs 491/1994). Die Aufgabe beschränkte sich seitdem auf die Gewinnung von neuen Dolmetscher*innen und die fortlaufende Aktualisierung der Dolmetscherliste.
Die bis 1994 bei SJG-A zur Verfügung stehenden Mittel für die Dolmetschereinsätze wurden auf die Fachämter übertragen, die diesen Dolmetscherservice in Anspruch nehmen. Die Fachämter beauftragen bis heute auf der Grundlage der vorhandenen Liste Dolmetscher*innen und vergüten deren Einsätze nach festgelegten Sätzen, die erheblich unter den marktüblichen Honorarsätzen liegen.
Zum Zeitpunkt der Übertragung der Aufgabe im Jahre 1995 waren in der Dolmetscherliste 70 Dolmetscher*innen für 18 Sprachen aufgelistet. Die aktuelle Liste umfasst etwa 200 Personen für über 50 Sprachen.
Die bis 2018 zuständige Koordinatorin beim Fremdsprachendienst wies wiederholt auf die Notwendigkeit hin, den Dolmetscherdienst fachlich weiterzuentwickeln: „Die sprachlichen und fachlichen Anforderungen an die Dolmetscher bei Beratungsgesprächen im Gesundheits-, Schul- und Sozialwesen (Fachbegriff: Community Interpreting) steigen ständig. Häufig haben diese immer komplexer werdenden Beratungsgespräche unmittelbare rechtliche und finanzielle Konsequenzen für die Beteiligten. Nicht wenige Dolmetscher der Dolmetscherliste sind diesen Anforderungen nicht gewachsen oder auf diese unzureichend oder überhaupt nicht vorbereitet. Andererseits sind die Anforderungsstellen zunehmend mit einem Klientenkreis konfrontiert, der sprachlich und kulturell immer heterogener wird. Die Sachbearbeiter stehen unter einem hohen Zeit- und Kostendruck und sind von daher um so mehr auf qualifizierte Dolmetscher angewiesen. Der Einsatz von qualifizierten Dolmetschern trägt unstrittig zur effizienten Aufgabenerledigung durch Vermeidung von Doppelarbeit bei.“ (Schreiben an 10-3 vom 25.11.2002)
Damals wurden auch verschiedene Vorschläge zur Neuorganisation des Dolmetscherdienstes gemacht, die aber nicht weiter verfolgt wurden.
Derzeit nehmen vorrangig fünf Ämter Dolmetscherleistungen in Anspruch: Jugendamt, Schulverwaltungsamt, Gesundheitsamt, Sozialamt und Jobcenter. Diese verfügen über einen Haushaltsansatz für diesen qualifizierten Unterstützungsservice.
Die Notwendigkeit eines professionellen Dolmetscherdienstes wurde bereits in der Anlage zur GRDrs 491/1994 beschrieben und gilt weitgehend immer noch:
„Menschen ausländischer Herkunft können bei dolmetschenden Verwandten die Probleme, die den privaten Bereich betreffen, nicht ansprechen oder weichen aus. Die erforderliche Vertraulichkeit und der Schutz der Intimsphäre können so häufig nicht gewahrt werden.
Kinder sind in der Situation als ‚Dolmetscher‘ häufig überfordert; sie sind der Problemlösung, die das gedolmetschte Gespräch ergeben soll, nicht gewachsen. Bei Kindern, die Gespräche Erwachsener dolmetschen, kann dies zu Rollenkonflikten in den Eltern-Kind-Beziehungen führen.
Die Deutschkenntnisse der 2. Generation der ausländischen Mitbürger sind zwar gut, doch beherrscht diese die ‚Muttersprache‘ nur im Bereich der Umgangssprache, d.h. komplizierte oder nicht alltägliche Sachverhalte können so nicht geklärt werden.
Fachbegriffe werden nicht richtig übersetzt.“
Im Gegensatz zu den 1990er Jahren gibt es heute ein vielfältiges Sprachförderangebot für Migrant*innen, damit sie in absehbarer Zeit Deutsch lernen. Drittstaatsangehörige und Bezieher von sozialen Leistungen werden zur Teilnahme an den Deutschkursen verpflichtet. Dennoch steigt der Bedarf an qualifizierten Dolmetschereinsätzen. Dies hängt zum einen mit dem großen Flüchtlingszuzug in 2015 und 2016 zusammen. Unabhängig davon ziehen jährlich 15.000 – 20.000 Menschen pro Jahr aus dem Ausland nach Stuttgart (2018: 17.000 Personen). Die Mehrzahl der Zuzüge kommt aus anderen EU-Staaten. Transnationale Mobilität wird auch in der Zukunft auf einem hohen Niveau stattfinden, insbesondere in wirtschaftsstarken Regionen wie Stuttgart, die auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen sind. Auch wenn viele ausländische Neubürger*innen nach einigen Jahren wieder wegziehen, haben sie während ihres Lebens in Stuttgart Anspruch auf die kommunale Daseinsvorsorge.
Es bedarf mehrere Jahre, bis Neuzugewanderte sich gute Deutschkenntnisse aneignen. Viele von ihnen sind aber von Anfang an auf öffentliche Dienstleistungen angewiesen.
Sprachliche Verständigungsbarrieren erschweren professionelles Handeln insbesondere in sensiblen Bereichen wie Familienkonflikte, häusliche Gewalt, Kindeswohlgefährdung, Hilfen zur Erziehung bei unbegleiteten minderjährigen Ausländer*innen, Beratung und Therapie bei psychischen Erkrankungen, Sucht, Traumatisierung, Entwicklungsauffälligkeiten, chronische Erkrankungen und Behinderungen bei Kindern und Erwachsenen, sozialrechtliche Beratung, Existenzsicherung und anderen Problemkonstellationen, die in der Folge auch eine berufliche (Wieder-)Eingliederung erschweren.
Qualifizierte Dolmetschereinsätze sind bereits seit Jahren ein fester Bestandteil der Elterngespräche in Schulen; diese werden vom Schulverwaltungsamt finanziert.
Im Sinne der Inklusion liegt es in der Verantwortung der Institutionen, Barrieren beim Zugang zur kommunalen/staatlichen Daseinsvorsorge abzubauen. Dies gilt auch für migrationsbedingte Barrieren wie unzureichende Deutschkenntnisse bei Neuzugewanderten.
Künftig kommen mit älteren Migrant*innen der ersten „Gastarbeitergeneration“ verstärkt Menschen mit unzureichenden Deutschkenntnissen in die Pflegeeinrichtungen der Altenhilfe. Dieser Personenkreis ist ebenfalls auf muttersprachliche Betreuung angewiesen.
Der Beratungsbedarf in den verschiedenen Sprachen kann durch die vorhandenen mehrsprachigen Beschäftigten nicht abgedeckt werden. Ein professioneller Dolmetscherdienst bleibt auch künftig ein notwendiger Qualitätsstandard der interkulturell ausgerichteten Verwaltung in der mehrsprachigen Stadt.
Seit den 1990er Jahren gibt es einheitliche Sätze für nebenberufliche und hauptberufliche Dolmetscher*innen. Diese betragen seit längerem 18 €/Stunde für die nebenberuflichen und 36 €/Stunde für die hauptberuflichen Dolmetscher*innen. Hinzu kommt eine Fahrkostenpauschale im Umfang der jeweiligen Sätze (18 € nebenberufliche und 36 € hauptberufliche Dolmetscher*innen).
Die Fachämter gaben 2018 folgende Beträge für Dolmetschereinsätze in € aus:
Jugendamt 145.000 (HH-Ansatz: 162.000)
Schulverwaltungsamt 86.890 (HH-Ansatz: 57.000)
Jobcenter 24.571 (HH-Ansatz: 10.000)
Sozialamt 16.900 (HH-Ansätze 10.000 budgetierter & vorabdotierter Bereich)
Gesundheitsamt 17.746 (HH-Ansatz: nicht gedeckelt)
Somit lagen die Gesamtausgaben dieser fünf Ämter bei ca. 291.100 € im Jahre 2018. Drei Ämter haben ihre Ansätze in 2018 zusammen um ca. 51.000 € überschritten; die Mehrkosten können als budgetierte Sachkosten über einen anderen Titel ausgeglichen werden.
Einige Ämter gehen davon aus, dass die Dolmetscherkosten ab 2020 mindestens auf dem Niveau von 2018 sein werden oder noch etwas steigen.
Die Koordinierung des städtischen Dolmetscherdienstes wurde mit der Organisationsverfügung des Oberbürgermeisters vom 28.08.2018 vom zentralen Fremdsprachendienst L/OB-PRE (F) an die Abteilung Integrationspolitik (SI-IP) ohne die entsprechenden Personalressourcen mit zu übertragen.
Bei L/OB-PRE(F) verbleiben die Übersetzer- und Dolmetscheraufgaben für offizielle Verlautbarungen von Vertretern aus Politik und Verwaltung der Landeshauptstadt Stuttgart in Wort und Schrift.
Diese neuen Koordinierungsaufgaben bei SI-IP beschränken sich nicht auf die Gewinnung neuer Dolmetscher*innen und die fortlaufende Aktualisierung der Dolmetscherliste.
Im Sinne der Qualitätssicherung unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit kommen als Aufgaben dazu:
·
Einzelberatung der Fachämter zu Dolmetschereinsätzen einschl. der organisatorischen und finanztechnischen Fragen (Auswahl der Dolmetscher*innen, Berücksichtigung der neuen Datenschutzrichtlinien, Vereinheitlichung der Formulare zur Abrechnung, MwSt und andere Abrechnungsmodalitäten);
·
Klärung der offenen Fragen und fachliche Weiterentwicklung des Gemeindedolmetschens im Koordinierungskreis der Ämter: Erarbeitung einer einheitlichen Kooperationsvereinbarung zwischen der LHS und den Dolmetscher*innen (fehlt bisher), Vereinheitlichung der Honorarsätze ab 2020 (die derzeit höheren Sätze für die hauptberuflichen Dolmetscher*innen richten sich nicht nach zertifizierten Abschlüssen wie Diplom-Übersetzer, unterschiedliche Fahrtkostenpauschalen nicht nachvollziehbar), Konzeptentwicklung für ergänzende Modelle wie Telefon- und Videodolmetschen, Kriterien für den Einsatz von qualifizierten Dolmetscher*innen für die Stadtverwaltung insgesamt;
·
Überprüfung der erforderlichen Qualitätskriterien (Nachweis guter Deutschkenntnisse und weitere Eignungskriterien) bei der Auswahl neuer Dolmetscher*innen in persönlichen Gesprächen;
·
Organisation eines regelmäßigen Fachaustauschs zwischen den Dolmetscher*innen und Fortbildungen zu den Grundlagen des Dolmetschens im Sozial- und Gesundheitsbereich; insbesondere Schulung der nebenberuflichen Dolmetschenden.
Seitens der Ämter wird ferner ein wachsender Bedarf an Gebärdedolmetschenden gemeldet. Deren Einsatz ist mit höheren Honorarsätzen und langen Wartezeiten verbunden. Der Aufbau eines städtischen Pools an Gebärdedolmetscher*innen gehört nicht zu den an SI-IP übertragenen Aufgaben.
Aus der Sicht der Ämter sollte jedoch für das Gebärdedolmetschen ebenfalls eine Lösung angestrebt werden.
Beteiligte Stellen
Das Referat AKR hat von der Vorlage Kenntnis genommen.
Vorliegende Anträge/Anfragen
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In Vertretung
Peter Pätzold
Bürgermeister
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