Protokoll:
Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen
des Gemeinderats der Landeshauptstadt Stuttgart
Niederschrift Nr.
TOP:
24
1
Verhandlung
Drucksache:
380/2020
GZ:
OBM
Sitzungstermin:
08.05.2020
Sitzungsart:
öffentlich
Vorsitz:
OB Kuhn
Berichterstattung:
der Vorsitzende, BM Fuhrmann, Herr Prof. Dr. Ehehalt (GesundhA)
Protokollführung:
Frau Sabbagh
pö
Betreff:
Cannstatter Volksfest - Verzicht auf die Durchführung im Jahr 2020 aufgrund SARS-CoV-2
Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 30.04.2020, GRDrs 380/2020, mit folgendem
Beschlussantrag:
Abweichend von den Zulassungsrichtlinien für das Cannstatter Volksfest (in der Fassung vom 29.01.2016), wonach das Volksfest jährlich veranstaltet wird, findet das vom 25.09.2020 bis 11.10.2020 geplante Volksfest auf dem Cannstatter Wasen nicht statt.
Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.
Die Anträge Nr. 147/2020 vom 04.05.2020 (FW) und Nr. 150/2020 vom 05.05.2020 (SPD) sind dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.
Vorab informiert OB
Kuhn
zur aktuellen Gesundheitslage in Stuttgart, die den Zahlen nach und auch im Vergleich mit der Region recht gut sei. Hierfür dankt er den beteiligten Akteuren und der Stuttgarter Bevölkerung, die auf die Vorgaben positiv reagiert habe und sie einhalte. Er weist darauf hin, dass seit der laufenden Woche nicht mehr der Bund die Maßnahmen vorgebe, sondern diese Aufgabe nun bei den Ländern bzw. den Landkreisen und kreisfreien Städten liege. Als Notbremse sei eingeführt worden, dass pro 100.000 Einwohner in 7 Tagen nicht mehr als 50 Neuinfektionen - in Stuttgart wären dies 307 Neuinfektionen - auftreten dürften. Bei einer höheren Anzahl müssten wieder Lockdown-Maßnahmen ergriffen werden. Mit 26 Neuinfektionen in der letzten Woche sei man in Stuttgart hiervon weit entfernt.
Dennoch sei das Risiko einer Großveranstaltung Cannstatter Volksfest zu hoch. Hierzu erläutert er kurz die Vorlage. Ergänzend führt er andere Veranstaltungen betreffend aus, das Weindorf sei abgesagt worden, über den Weihnachtsmarkt werde vor der Sommerpause entschieden. Für den am 20.09.2020 geplanten Autofreien Sonntag gebe es zwei Möglichkeiten: verschieben - dann eventuell vergrößert - auf 2021 oder Durchführung ohne besondere Veranstaltungen. Für die Silvesterfeier sei ohnehin die Einschätzung der Sicherheitslage durch die Polizei relevant.
BM
Fuhrmann
bedauert ebenfalls die gebotenen Absagen. Besonders schwierig sei auch, dass in der aktuellen Situation die Schausteller größte existenzielle Sorgen hätten, da sie 2020 quasi keine Umsätze generieren könnten. Er habe den Schaustellerverbänden und den Festzeltwirten angeboten, noch im Mai intensiv über verschiedene Szenarien der Hilfestellung zu beraten. In diesem Zusammenhang ruft er auch die Anträge Nr. 147/2020 (FW) und Nr. 150/2020 (SPD) auf.
Aktuell lägen zwei Konzepte vor: eines vom Schaustellerverband Südwest Stuttgart e. V. unter dem Stichwort "Karusselltage", das zweite von einer Initiative unter dem Stichwort "Herbstfest". Er habe vorgeschlagen, beide Initiatoren an einen Tisch zu holen und die verschiedenen Konzepte zu diskutieren. Ihm seien ein offener Dialog und ein abgestimmtes Vorgehen wichtig. Die Stadt Stuttgart wolle vorrangig Stuttgarter Betriebe unterstützen. Er weist auf Risiken hin. Zum einen seien diese wirtschaftlicher Natur, da die Ausrichtung eines Festes nicht garantiere, dass auch genügend Besucher kämen, und zum anderen hänge alles von der jeweils aktuellen infektiologischen Situation ab. Insofern könne man nur "auf Sicht" planen.
Die Vertreter der Fraktionen danken für die Ausführungen. Auch sie bedauern die Absage, die aber unumgänglich sei. Sie wird deshalb von allen Fraktionen mitgetragen.
Für die Einschätzung der Gesamtsituation dankt StR
Winter
(90/GRÜNE). Dabei betont er auch die große Belastung für die Branche. Es sei richtig, in Bezug auf Veranstaltungen nun alle Möglichkeiten und kreativen Formate zu prüfen. Die Gestaltung des Autofreien Sonntags sollte separat diskutiert werden.
StR
Kotz
(CDU) würdigt zunächst das hervorragende Krisenmanagement der Verwaltung. Nicht ganz schlüssig sei allerdings das Vorgehen, den Rat noch nach einer Pressekonferenz, in der OB Kuhn den Verzicht auf die Durchführung des Volksfestes bekanntgegeben habe, entscheiden zu lassen. Der Autofreie Sonntag müsse gerade auch mit Blick auf die ebenfalls schwer getroffene Automobil- und Zulieferindustrie neu diskutiert werden. In Anbetracht der dramatischen Situation der Schausteller und Festwirte ermutigt er OB Kuhn und BM Fuhrmann, die Gespräche über Alternativkonzepte auf dem Wasen wohlwollend zu begleiten. Außerdem könnte man eventuell auch Straßenkulturtage und -nächte ins Auge fassen, bei denen in kleinen Einheiten Theater und Konzerte an vielen Orten in der Stadt aufgeführt würden. Damit könnte man angesichts des geringen Angebots deutschlandweit auch Touristen nach Stuttgart ziehen. Schließlich verweist er auf einen Antrag seiner Fraktion, die Sanierung des gegenwärtig ohnehin nicht bespielten Marktplatzes zeitlich vorzuziehen. Auswahlkriterium bei der Vergabe müsse neben dem Preis auch die schnelle Umsetzung sein, die Mitte Juli 2021 vor dem Sommerfest der Kulturen abgeschlossen sein müsse.
StR
Rockenbauch
(Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) sieht die Stadt nun am Beginn der politisch schwierigsten Phase, da mit den Lockerungen zugleich die Verteilungskämpfe begännen. Es drohe die Akzeptanz für Maßnahmen verlorenzugehen, da diese gegeneinander ausgespielt werden könnten. Konkret müsse man nach der Absage des Volksfestes nun versuchen, den Schaustellern eine wirtschaftliche Perspektive zu bieten. Bei der Förderung müssten jedoch immer auch ökologische, soziale und Allgemeinwohlkriterien angelegt werden. So müsse bei der Diskussion von Sonderformaten die grundsätzliche strategische Entwicklung der Stadt berücksichtigt werden. Beim Autofreien Sonntag sei seiner Fraktion der Eventcharakter nie wichtig gewesen, entscheidend sei vielmehr die Erlebbarkeit der vom Auto befreiten Stadt gewesen. Für den Vorschlag von StR
Kotz,
einen "kulturellen Teppich" über die ganze Stadt auszubreiten, sei im Übrigen auch eine autofreie Stadt inklusive kostenlosem ÖPNV die Voraussetzung. Dies dürfe aber keine Eintagsfliege sein. Verkaufsoffene Sonntage lehne seine Fraktion dagegen grundsätzlich ab.
Das Land müsse seine wirtschaftlichen Hilfen für das Gastgewerbe auch für die Schausteller öffnen, erklärt StR
Körner
(SPD). Die Stadt sollte die Vereine, die vor allem Feste - Weindorf, CSD - veranstalteten, aus dem Kulturbudget unterstützen. Darüber hinaus müsse die Stadt überlegen, was man wie "in dieser neuen Normalität" organisieren könne. Seine Fraktion begrüße den Runden Tisch mit Verwaltung und den Initiatoren des Herbstfestes auf dem Wasen und ermutige die Verwaltung, auch die Idee eines Autokinos auf dem Wasen zu prüfen. Dabei müsse man gemeinsam mit den Gesundheitsexperten aber gerade mit Blick auf die großen Plätze in der Stadt festlegen, welche Formate unter freiem Himmel aus gesundheitlicher Sicht möglich seien. Er regt an, die Rahmenbedingungen, unter denen der Europapark Rust am 28.05.2020 wieder öffnen dürfe, daraufhin zu prüfen, ob sie auf Stuttgart übertragbar seien.
StR
Neumann
(FDP) merkt an, dass die Haltung seiner Partei in der Presse falsch zitiert worden sei. Die Notwendigkeit einer Absage des Volksfestes stehe außer Frage. Im Übrigen handle es sich beim Cannstatter Volksfest nicht um ein reines Bierzeltfest, und es unterscheide sich vom Münchner Oktoberfest z. B. dadurch, dass es sich in Stuttgart in nicht unwesentlichem Maße um ein Schaustellerfest handle. Insofern unterstütze die FDP sehr gerne den Antrag der Freien Wähler. Eher "ungeschickt" finde er, den Autofreien Sonntag in die Diskussion einzubeziehen. Es sei schwer vermittelbar, zu einem späteren Zeitpunkt ein großes und teures Event Autofreier Sonntag zu planen, wenn man sich aktuell nicht in der Lage sehe, den Schaustellern unter die Arme zu greifen. Deshalb schlage er vor, den Autofreien Sonntag ohne besondere Kosten zu veranstalten und das Geld für ein Schaustellerfest zu verwenden.
Zu bedenken gibt StR
Zaiß
(FW), dass die Pandemie nach einer starken Aufwärtsbewegung nun innerhalb von zweieinhalb Monaten bereits wieder rückläufig sei. Dennoch habe man alle größeren Veranstaltungen für das Jahr 2020 mit Ausnahme des Weihnachtsmarkts abgesagt. Dabei betont er, dass er keineswegs den Fachleuten widersprechen wolle. Problematisch sei in seinen Augen, dass nun Unterstützung in hohem Maße zugesagt werde, obwohl nicht klar sei, wie diese im nächsten Jahr, wenn die massiven Gewerbesteuereinbrüche zutage träten, finanziert werden sollten. Man müsse den Selbstständigen ermöglichen, zu arbeiten und selbst Umsätze zu machen. Wenn nun die Schausteller ein Konzept in Zusammenarbeit u. a. mit in.Stuttgart und dem Gesundheitsamt entwickelten, sollte dies stattfinden können. Mit dem Hinweis auf zunehmende Klagen und Demonstrationen gegen die Beschränkungen plädiert er dafür, mit Augenmaß und einer gewissen Großzügigkeit zu entscheiden.
Mit Blick auf die kulturellen Ersatzveranstaltungen erklärt StR
Köhler
(AfD), diese kämen ihm vor wie eine "Kulturrevolution von oben". Er warnt, man werde zunehmend weniger Zustimmung finden, wenn die Bevölkerung den Eindruck gewinne, dass man die Ausnahmesituation dafür nutze, eine andere Linie in die Veranstaltungen zu bringen: weg vom Bierzelt hin zum "Multikultifest". Deshalb müsse man darauf achten, dass ein breites Programm für alle Leute geboten werde.
StRin
Schumann
(PULS) räumt ein, dass das Volksfest ein großer wirtschaftlicher Faktor sei. Dennoch lasse die aktuelle Situation keine andere Wahl, als es abzusagen.
OB
Kuhn
sagt zu, den Ausschuss über die Ergebnisse der Gespräche zu informieren. Auch er sieht mit den Lockerungen nun die schwierigere Phase erreicht. Hier müsse man grundsätzlich vorsichtig sein. Er macht deutlich, dass die Stadt die Zahl der Neuinfektionen korrekt darstellen werde, auch wenn sie wieder steigen sollte. Sorgen bereiteten ihm diejenigen, die die Gefahren der Pandemie pauschal leugneten und damit das vorsichtige Verhalten, das die Stadt von ihrer Bürgerschaft einfordere, unterliefen.
Herr
Prof. Dr. Ehehalt
bedankt sich für die Unterstützung seines Amtes und erklärt, den von allen Seiten ausgesprochenen Dank an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die gerade mit Nachdruck an sieben Tagen in der Woche arbeiteten, weiterzugeben. Gegenüber StR Körner legt er dar, bislang habe das Gesundheitsamt die Kontaktpersonen immer durchgehend nachverfolgen können. Damit sei momentan quasi das gesamte Amt beschäftigt. Aktuell entwickle man in Zusammenarbeit mit dem Haupt- und Personalamt ein Konzept, die Arbeit so zu gestalten, dass daneben auch noch die dringenden Pflichtaufgaben des Gesundheitsamts erfüllt werden könnten. Nach den Zahlen der Bundeskanzlerin bräuchte das Gesundheitsamt ca. 150 Personen, um die Nachverfolgung der Kontaktpersonen durchgängig gewährleisten zu können. Zu den Freizeitparks lägen ihm noch keine näheren Informationen vor, außer dass ab 29.05.2020 eine Öffnung unter strengen Auflagen vorgesehen sei. Wie diese gestaltet seien, sei insofern von Bedeutung, da sie als Muster für ähnliche Bereiche dienen könnten.
StR
Körner
bittet darum, noch vor den Pfingstferien die Situation im Gesundheitsamt mit Zahlen zu konkretisieren und gegebenenfalls Handlungsbedarf anzuzeigen. Dies sagt OB
Kuhn
zu, überprüfe man doch im Krisenstab ständig die Arbeitskapazität des Gesundheitsamts. In diesem Zusammenhang hebt er die hervorragende Zusammenarbeit zwischen den Referaten und Ämtern in den letzten Wochen hervor.
StRin
Schanbacher
(SPD) fragt nach der Beantwortung des Antrags Nr. 150/2020 ihrer Fraktion, der bislang noch nicht zur Sprache gekommen sei. Hierzu erklärt StR
Winter,
dieser Antrag sollte in der nächsten Sitzung des VA mit einigen ähnlichen behandelt werden.
OB
Kuhn
stellt abschließend fest:
Der Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen
beschließt
einstimmig
wie beantragt.
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