Protokoll: Betriebsausschuss Leben und Wohnen des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 03.04.2023
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BMin Dr. Sußmann
Berichterstattung:Herr Bischoff (ELW)
Protokollführung: Herr Häbe th
Betreff: Aktuelle Pflegepolitische Themen (insbesondere Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz aus Trägersicht) - mündlicher Bericht

Die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigte Präsentation ist dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt. Aus Datenschutzgründen wird sie nicht im Internet veröffentlicht. Dem Originalprotokoll und dem Exemplar für die Hauptaktei ist sie in Papierform angehängt. Seitens der Vorsitzenden wird zugesagt, die Präsentation den Ausschussmitgliedern zu übersenden.


Durch Herrn Bischoff erfolgt im Sinne der Präsentationsinhalte ein ausführlicher Sachvortrag.

Für diesen Vortrag bedanken sich StR Dr. Rastetter (90/GRÜNE), StR Dr. Reiners (CDU) sowie StRin Dr. Hackl (SPD). StR Dr. Rastetter unterstützt das durch Herrn Bischoff Angesprochene. Er spricht Herrn Bischoff im Verlauf der Aussprache großen Dank und Respekt für dessen Arbeit aus.

Für StR Dr. Reiners stehen viele von Herrn Bischoff angesprochene Themen im Zusammenhang mit den kommenden Etatberatungen (z. B. § 42a SGB XI, Jahresbeitrag). Weiter gehörten Themen wie Inflation / Preissteigerungen berücksichtigt.

Gegenüber StR Dr. Rastetter berichtet Herr Bischoff zu Einflussmöglichkeiten auf das Gesetzgebungsverfahren, der ELW sei mittlerweile Teil des Vorstands des Bundesverbandes der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen e.V. (BKSB). Dieser Verband sei offiziell in Gesetzgebungsverfahren eingebunden. Es erfolgten Anhörungen und es bestünden Möglichkeiten, Äußerungen abzugeben. An verschiedenen Stellen der Präsentation seien Kommentierungen ersichtlich. Leider finde aktuell durch das Bundesinnenministerium für Gesundheit (BMG) vor der Verbandsbeteiligung die Pressebeteiligung statt. Dadurch seien oftmals Referentenentwürfe öffentlich bevor die Verbände und die Pflegekassen Stellung hätten nehmen können. Entsprechend seien zudem manchmal die Fristen für Rückmeldungen knapp. Im vorliegenden Fall hätten vier Arbeitstage zur Verfügung gestanden.

Er fährt weiter an Dr. Rastetter gewandt fort, die Telematik (Folie 2) sei spannend. Hierzu solle mit dem Amt 17 (Amt für Digitalisierung, Organisation und IT / DO.IT) ein Projekt geplant werden. Hilfreich sei, dass im neuesten Referentenentwurf der Termin für die verpflichtende Anbindung der Pflegeheime (PH) an die Telematikinfrastruktur auf 01.07.2025 verschoben worden sei. Er vermutet, dass sich durch die kassenärztlichen Vereinigungen bei der Anbindung der PH noch eine zeitliche Verzögerung ergeben wird. Je Einrichtung sehe das Gesetz eine Zuschussdeckelung der Anschaffungskosten auf 12.000 Euro vor. Die Einrichtungen müssten bereits Vorhandenes (z. B. Dokumentations- und Abrechnungssysteme) anpassen. Mit den Programmdienstleistern stehe man im Austausch.

Er, so StRe Dr. Rastetter zu Folie 3, habe während der Coronapandemie den Eindruck gehabt, dass die Probleme mit dem MDK geringer waren. In dieser Zeit habe der MDK von intensiven Prüfungen abgesehen und eher nach Vorlage entschieden. Zu seinen Fragen, denen sich StR Dr. Reiners und StRin Dr. Hackl anschließen, ob wieder ein Rückfall in eine problematische Struktur stattgefunden hat, und ob es seitens der Stadt Hilfe bei Beantragungen von Pflegestufen gibt, bestätigt Herr Bischoff die guten Abläufe während der Pandemie. Vielfach hätten telefonische Begutachtungen mit Pflegedienst- und Wohnbereichsleitungen (PDL/WBL) stattgefunden. Dies habe sich mittlerweile wieder geändert. Zu allen Anträgen würden Begutachtungen vorgenommen. Durch den ELW erfolgten dazu aktive Monitorings; regelmäßige Aufgabe der PDL/WBL sei es, darauf zu achten, ob und gegebenenfalls wie sich Bewohner*innen veränderten (Bedarf es Nachsteuerungen?). Bei Erstaufnahmen würden in der Regel die Angehörigen beraten.

Ergänzend verweist Frau Brüning (SozA) auf die verschiedenen Angebote des Bürgerservice Leben im Alter. Für Bürger*innen seien die Pflegestützpunkte sowie die Seniorinnen-/Senioren-Beratungsbüros in den Stadtbezirken Ansprechpartner. Dort erfolge je nach Bedarf umfassende Beratung, auch von Angehörigen. Sollten Angehörige weit entfernt wohnen, bzw. nicht in der Lage sein, sich beraten zu lassen, oder es gebe keine Angehörige, decke der Bürgerservice sehr schnell die Komplettversorgung ab (alle erforderlichen Antragsstellungen). Zum Teil müsse von einem Tag auf den anderen eine Versorgung gefunden werden. In schwierigen Einzelfällen habe der ELW starke Unterstützung geleistet. Neben der Antragsstellung bei der Pflegeversicherung bestehe häufig noch die Notwendigkeit, Sozialleistungen, also Hilfe zur Pflege, in Anspruch zu nehmen. Damit diese Hilfe schnell gewährt werden könne, gebe es den Fachdienst Pflege. Dieser werde seit der Organisationsentwicklung des Bürgerservice Leben im Alter erprobt. Es handle sich um studierte Pflegefachkräfte. Diese machten am Tag nach der Antragsstellung vor Ort, auch wenn noch kein MDK-Gutachten vorliege, die Bedarfsfeststellung. Diese Bedarfsfeststellung sei Grundlage für die Leistungsentscheidung. Gehofft werde, dass dieser bereits sehr etablierte Dienst weitergeführt werden könne. Zusätzlich unterstützend wirke im Hintergrund die Fachstelle Wohnformen im Alltag. Diese Stelle verfüge über Kompetenzen bei allen Pflege- und Wohnformen für ältere Menschen. Die Beratung fuße sozusagen auf diesem Wissen und werde einzelfallspezifisch abgerufen. Die Antragsstellung und Versorgung in Einzelfällen sei also in Stuttgart gesichert.

Zudem informiert Frau Brüning eine Frage von StRin Dr. Hackl beantwortend, der Bürgerservice versuche sich sehr bekannt zu machen. Es finde ein reger Austausch in den Stadtbezirken mit den hausärztlichen Praxen und Apotheken statt. Zudem sei man bei den anderen Diensten in den Bezirken sehr bekannt. Desweiteren werde regelmäßig versucht zum Beispiel in Zeitschriften Artikel zu platzieren, Flyer auszulegen und Vernetzungen herzustellen. Beispielsweise habe im Amtsblatt eine Kampagne stattgefunden. Eine Wiederholung stehe an. Der Bürgerservice Leben im Alter habe eine eigene Gruppe, die sich der Öffentlichkeitsarbeit widme. Dass die Informationen bei Menschen, die sich nicht in der in Rede stehenden Lebenssituation befinden, nicht ankommen, kann sie sich vorstellen.

Zu Fragen von StR Dr. Rastetter, warum nicht von Anfang an 25 % Förderung für die ersten 24 Monate gewährt wird, berichtet Herr Bischoff, das BGM habe zu dieser Frage geäußert, dass es sich letztlich um eine Budgetfrage handle. Der Gesetzesentwurf entlaste diejenigen, die lange in einem PH lebten, oder über längere Zeit Pflegeleistungen beziehen. Dies seien nicht viele Menschen. Häufig liege die Verweildauer in PH unter einem Jahr. Insofern stelle die Vorgehensweise momentan die günstigste Variante dar. Bei umfangreicheren Förderungen würde sich die Frage der zukünftigen Finanzierung der Pflegeversicherung stellen. Der Anteil der ELW-Bewohner, die Sozialhilfe erhalten, beziffert er auf knapp 20 %. Die Pflegeversicherung sei aktuell keine Vollkaskoversicherung.

Bezugnehmend auf den alten Gesetzestext ergibt sich für StR Dr. Rastetter bei der Bruttolohnentwicklung ein Abschlag. In Pflegesatzverhandlungen, so Herr Bischoff, sei der Tarifvertrag relevant. Auf der Kundenseite schmälerten sich die Leistungen. Vor diesem Hintergrund habe man erklärt, eine Dynamisierung müsse aufgrund steigender Sach- und Personalkosten jährlich erfolgen.

Das Thema Verordnungsermächtigung bezieht sich im Referentenentwurf laut Herrn Bischoff auf die Beiträge zur Pflegeversicherung. Für die Bundesregierung solle laut des Referentenentwurfs eine Verordnungsermächtigung zur Anpassung der Pflegeversicherungsbeiträge vorgesehen werden.

Kritisch äußert sich StR Dr. Rastetter zur Personalgewinnung im Ausland. Er sieht die Gefahr, dass dadurch in den Herkunftsländern Strukturen wegbrechen. Über die Nationalitäten sowie über die Sprachkompetenz angeworbener Fachkräfte bittet StR Dr. Reiners um Informationen. Herr Bischoff schätzt, dass momentan ELW-Beschäftigte knapp 90 unterschiedliche Nationalitäten aufweisen. Darauf werde in einer kommenden ELW-Sitzung im Zusammenhang mit der Darstellung der zukünftigen ELW-Strategie näher eingegangen. Für die Aufnahme der Ausbildung werde bei der Sprachkompetenz übereinstimmend mit der Forderung des Gesetzgebers mindestens das Niveau B2 vorausgesetzt. Der ELW unterstreiche dies dadurch, dass zusätzlich zum eigentlichen Generalistik-Curriculum zu der Pflegehilfeausbildung Deutschunterricht etwas mehr betont werde. Zusätzlich habe der ELW in seiner Pflegeschule drei Deutschlehrer*innen angestellt. Ein Ausbau sollte nicht nur bei diesem Angebot, sondern auch durch den Aufbau von muttersprachlichen Lerngruppen im Sinne einer kollegialen Beratung vorgenommen werden. Derzeit werde dazu ein Konzept erarbeitet. Aus Berlin sei ihm bekannt, dass bereits vor Ort in Zusammenarbeit mit Goethe-Instituten Bewerber*innen auf B2-Niveau gebracht werden. Hier wolle man schauen, ob eine Kooperation möglich sei.

Seiner Auffassung nach ist der ELW generell bei der Fachkräftegewinnung im Ausland noch nicht gut genug aufgestellt. Ausgenommen sei die Ausbildung. 60 - 70 % der Bewerbungen für Ausbildungsplätze kämen aus dem Ausland. Zu der Fachkräftegewinnung sei mit Esslingen, Ludwigsburg (Kleeblatt) und dem Alb-Donau-Kreis ein Treffen vereinbart, um zu schauen, ob gemeinsam dieser Bereich nicht auf professionellere Beine gestellt werden könne. Hierüber werde der Ausschuss weiter informiert. Ein richtiger Einstieg erfordere allerdings einerseits Personal und andererseits Anerkennung. Über die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen würden immer wieder Gespräche mit dem Regierungspräsidium geführt. Andere Bundesländer seien hier flexibler und schneller unterwegs. Diesbezüglich wünsche man sich mehr Unterstützung seitens der Landespolitik. Neben Fachkräften seien davon auch Hilfskräfte betroffen. Hilfskräfte sehe der ELW als neues Berufsbild an, und von daher werde eine entsprechende Anerkennung seitens der Ausländerbehörden als angemessen angesehen.

Im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel heben StR Dr. Reiners und StRin Dr. Hackl die Bedeutung einer Differenzierung, welche Tätigkeiten in der Pflege von wem zu erfüllen sind (Fachkräfte / Assistenzkräfte) hervor. Bezugnehmend auf den Kindertagesstättenbereich muss laut StRin Dr. Hackl darauf geachtet werden, dass die erforderliche fachliche Qualität personalmangelbedingt nicht auf den Prüfstand gestellt wird. Fachkräftequoten seien sinnvoll. Hinterfragt gehöre, was fachlich zwingend notwendig ist und was parallel dazu auch Assistenzkräfte / Pflegehelfer*innen erbringen können. Man wolle Menschen in der letzten Lebensphase gut gepflegt haben. Für StRin von Stein (FW) sind Pflegehilfskräfte grundsätzlich ein gangbarer Weg verbunden mit der Hoffnung, dass viele dieser Kräfte sich weiter qualifizieren.

Eine Frage von StRin von Stein aufgreifend erklärt Herr Bischoff, die Auszubildenden des ELW würden alle nach TVöD vergütet. Die TVöD-Ausbildungsvergütung in der Pflege sei branchenüblich und auch im Vergleich mit anderen Bereichen nicht schlecht. Das Niveau der Anforderungen sei in den drei Jahren der Ausbildung relativ gleich (kontinuierliches Lernen). Neben der Theorie in der Schule werde das Lernen im ELW durch ein Praxiscurriculum unterstützt. Beispielsweise gebe es extra Praxisanleitungstage. Aber es gebe natürlich Auszubildende bei denen im Rahmen der Ausbildung festgestellt werden müsse, dass es zu einer guten Hilfskraft, aber nicht zu einer Fachkraft reiche. Der ELW wünsche sich eine Hilfskraftlösung für den Fall, dass auch beim zweiten Versuch die Abschlussprüfung nicht bestanden werde. Daher werde die Einführung einer Zwischenprüfung, die bei positivem Abschluss zum Abschluss als examinierte Hilfskraft führt, als sehr wichtig angesehen.

Eine Beantwortung der Frage von StR Dr. Rastetter "Wie viele Fachkräfte benötigt der ELW für 30 Plätze tagsüber und in der Nacht?" kündigt Herr Bischoff ein Rundschreiben mit einer Musterberechnung an. Hier müssten viele Einzelfaktoren wie die Pflegegradverteilung eingerechnet werden.

Zudem hinterfragt dieses Ratsmitglied das Thema Dekarbonisierung, und ob es seitens des ELW schon Überlegungen gibt, in Stuttgart eine Level 1 e-Klinik zu realisieren. Eine solche Einrichtung wertet er als sinnvolle Ergänzung.


Einer von StRin Dr. Hackl geäußerten Bitte Rechnung tragend merkt Herr Bischoff zur Personalbemessung in vollstationären Pflegeeinrichtungen (Folie 6) an, es handle sich um einen Versuch des Gesetzgebers, mit dem Thema Fachkräftemangel umzugehen. Als gut empfunden werde, dass dieses Konzept aus der Praxis stamme. In mehreren Einrichtungen sei wissenschaftlich fundiert genau festgehalten worden, wer macht eigentlich was. Daraus sei dann abgeleitet worden, was tatsächlich eine Fachkraftaufgabe sei und welche Aufgaben von Assistenzkräften übernommen werden könnten. Der Bereich sei dabei in zwei Qualifikationsniveaus unterteilt worden. Das Gutachten komme zu dem Ergebnis, dass in Bereichen mit aktuell 50%iger Fachkräftequote und 50%iger Pflegehelfer*innenquote "mehr" Hände mit unterschiedlichen Qualifikationsniveaus benötigt werden (in Baden-Württemberg muss abgewartet werden, ob sich aufgrund der jetzt bereits recht hohen Schlüssel tatsächlich eine Verbesserung in quantitativer Hinsicht ergibt). Der Gutachter komme zu der Quote ein Drittel Fachkräfte, ein Drittel ausgebildete Assistenzkräfte und ein Drittel Assistenzkräfte ohne Ausbildung.

Zu dem durch StR Dr. Rastetter nachgefragten gemeinsamen Modellvorhaben für Unterstützungsmaßnahmen und -strukturen vor Ort und im Quartier (Folie 7) führt Herr Bischoff aus, letzte Woche hätten Gespräche mit der städtischen Sozialplanung, Frau Killgus, darüber stattgefunden, ob eventuell gemeinsam ein sektoraufgelöstes Modellprojekt angegangen werden kann. Dabei habe er in Richtung Sozialplanung die Bitte geäußert, dazu Argumentationshilfe gegenüber der Heimaufsicht zu leisten. Seines Erachtens eignet sich für ein solches Projekt das Gebiet NeckarPark (Bau eines stationären Hauses mit einem gezielt ambulanten Betreuungskonzept), auch was Einbindung von Angehörigen / bürgerschaftlichem Engagement betrifft. Solche Modellhäuser gebe es bereits in Baden-Württemberg. Dem Ausschuss werde noch ein entsprechendes Projekt vorgestellt.

Zum Thema angemessenes Essensentgelt verweist Herr Bischoff StR Dr. Rastetter auf eine seit längerem geführte Diskussion mit dem KVJS. Derzeit subventioniere der ELW jeden Tag jedes Essen mit ca. 1,50 Euro aus der Pflege. Leider sei es schwierig die Preise gegenüber den Pflegekassen durchzusetzen. Der derzeit erstellte Gemeinwohlbericht werde dem Ausschuss Ende des Jahres vorgelegt. Dort werde unter anderem auf die Themen Biolebensmittel und Regionalität bei Ausschreibungen eingegangen.


Diesen Tagesordnungspunkt schließt BMin Dr. Sußmann mit der Feststellung ab:

Der Betriebsausschuss Leben und Wohnen hat vom Bericht Kenntnis genommen.
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