Protokoll: Sozial- und Gesundheitsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 09.07.2018
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BM Wölfle
Berichterstattung:Herr Prof. Dr. Stöver (Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung, University of Applied Sciences, Frankfurt am Main), Herr Dr. med. Dipl.-Psych. Bloching (Klinik für Suchtmedizin und Abhängiges Verhalten, Klinikum Stuttgart), Herr Prof. Dr. med. Günter (Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Stuttgart, Klinikum Stuttgart), Herr Weiß (Leiter Rauschgiftdezernat, Polizeipräsidium Stuttgart)     
Protokollführung: Herr Krasovskij
Betreff: Cannabis - Berichterstattung aus medizinischer,
polizeilicher und sozialwissenschaftlicher Sicht
- Antrag Nr. 142/2018 vom 24.05.2018 (90/GRÜNE,
SÖS-LINKE-PluS, SPD)

Der im Betreff genannte Antrag ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.

Die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigten Präsentationen sind dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt. Aus Datenschutzgründen werden sie nicht im Internet veröffentlicht. Dem Originalprotokoll und dem Protokollexemplar für die Hauptaktei sind sie in Papierform angehängt.


Herr Prof. Dr. Stöver (Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung, University of Applied Sciences, Frankfurt am Main) berichtet den Ratsmitgliedern analog der Präsentation über den aktuellen Diskussionsstand zum Thema Cannabis aus sozialwissenschaftlicher Perspektive.

Einleitend macht er deutlich, dass sich der problematische Cannabiskonsum in Deutschland seit Jahren auf einem stabilen und niedrigen Niveau befinde. In der Hauptgruppe der 18- bis 20-Jährigen hätten laut dem Epidemiologischen Suchtsurvey aus dem Jahr 2015 des Instituts für Therapieforschung München nur 4,6 % der Konsumenten eine Prävalenz zum problematischen Cannabiskonsum.

Herr Prof. Dr. Stöver gibt zu verstehen, dass beim Cannabis dessen Zusammensetzung einen großen Einfluss auf die Wirksamkeit hat. Nur bei einer ausgeglichenen Ratio zwischen dem Tetrahydrocannabinol (THC) und dem Cannabidiol (CBD) könne eine balancierte Wirksamkeit erreicht werden und das Cannabis seine positive Wirkung im medizinischen Sinne entfalten. Beim medizinisch verordneten Cannabis sei eine ausgeglichene Ratio zwischen THC und CBD gewährleistet. Dagegen sei das Cannabis, das auf der Straße verkauft werde, häufig produktionsbedingt deformiert. Denn die Züchter würden in der Regel zulasten des CBD-Anteils auf das THC setzen, da dieses die berauschende Wirkung hervorrufe.

Der Sachverständige fährt weiter fort, dass sich viele Fachleute mittlerweile für eine Überprüfung bzw. Veränderung der aktuellen Gesetzeslage aussprechen. Im Sinne der Präsentation stellt er abschließend Modelle zur Cannabisregulierung vor und erläutert zu den sich daraus ergebenden Chancen und Herausforderungen.

BM Wölfle erklärt, man werde den Ratsmitgliedern die Präsentation von Herrn Prof. Dr. Stöver zeitnah nach der Sitzung elektronisch zur Verfügung stellen.

Herr Dr. med. Dipl.-Psych. Bloching (Klinik für Suchtmedizin und Abhängiges Verhalten, Klinikum Stuttgart) informiert das Gremium analog der Präsentation über den aktuellen wissenschaftlichen Stand zum Thema Cannabiskonsum aus medizinischer Sicht und gibt eine gesundheitliche Risikobewertung von Cannabis als Droge.

Im Folgenden liefert Herr Weiß (Leiter Rauschgiftdezernat, Polizeipräsidium Stuttgart) analog der Präsentation eine Einschätzung der Cannabisregulierung aus Sicht der Polizei und informiert zur aktuell geltenden Rechtslage. Er geht dabei auch auf die Situation in Stuttgart und die polizeiliche Kriminalstatistik des Jahres 2017 ein.

Der Polizeibeamte erklärt, dass trotz intensiver Ermittlungsarbeit und größerer Sicherstellungsmengen es bislang nicht gelungen ist, eine Verknappung an Betäubungsmitteln in der Szene oder eine spürbare Preissteigerung herbeizuführen. Sinngemäß äußert sich auch Herr Prof. Dr. Stöver. Er betont, der Cannabiskonsum sei trotz jahrzehntelangen gesetzlichen Verbots weiterhin verbreitet. Ferner habe die Europäische Drogenbeobachtungsstelle vor Kurzem nachgewiesen, dass es keinen kausalen Zusammenhang zwischen einer Lockerung der Gesetze und dem Konsumverbrauch gebe.

Bezug nehmend auf die aktuell geltende Rechtslage (§ 31a Betäubungsmittelgesetz (BtMG)), wonach die Staatsanwaltschaft im Falle einer geringen festgestellten Menge (in der Regel drei Konsumeinheiten) von einer Strafverfolgung absehen kann, führt Herr Weiß aus, die Polizei unterliege dem Strafverfolgungszwang und müsse auch bei geringen Mengen eingreifen. Eine gewisse Möglichkeit des Ermessens bestehe lediglich in der Eingriffsintensität der Ermittlungen. Bei geringen Mengen würden in der Regel keine qualitativen Stoffuntersuchungen durchgeführt, um den Wirkstoffgehalt festzustellen. Ferner würden überwiegend auch nur Kurzvernehmungen der betroffenen Personen durchgeführt.

Anschließend macht Herr Weiß deutlich, als Polizeibeamtem falle es ihm schwer, sich pauschal für oder gegen eine Regulierung von Cannabis auszusprechen. Die Polizei verstehe sich in ihren Präventions- und Ermittlungsmaßnahmen als wichtiges Element der Vier-Säulen Drogenpolitik in Deutschland. Der Drogenmarkt für Cannabis unterscheide sich dabei von anderen Drogenmärkten, da Marihuana nach wie vor vielfach auf der Straße verkauft werde und diese Delikte im Einschreiten wahrgenommen werden könnten. Die Polizei habe dann auch mithilfe von Frühinterventionsprogrammen wie zum Beispiel FReD die Möglichkeit, rechtzeitig bei erstauffälligen Drogenkonsumenten einzuschreiten, bevor es zu einem problematischen Dauerkonsum mit den entsprechenden gesundheitlichen Folgen komme.

Zum Thema Einstellung der Strafverfolgung nach § 31a BtMG äußert sich im weiteren Verlauf der Aussprache ebenfalls Frau Dathe (Oberstaatsanwältin, Staatsanwaltschaft Stuttgart). Sie erklärt, dass diese Regelung nur für Erwachsene ab 21 Jahren gelte. Bei Heranwachsenden von 18 bis 21 Jahren werde einzelfallbezogen entschieden, ob die Person einem Jugendlichen oder einem Erwachsenen gleichzustellen sei. In der Regel würden die Personen einem Jugendlichen gleichgestellt, falls Reifeverzögerungen feststellbar seien. Für Jugendliche gelte die Einstellungspraxis nach § 31a BtMG nicht. Da im Jugendstrafrecht der Erziehungsgedanke im Vordergrund stehe, setze sich auch die Staatsanwaltschaft sehr intensiv mit diesen Fällen auseinander, und es werde überlegt, in welche Angebote und Hilfsprogramme die Jugendlichen vermittelt werden könnten. Bei manchen Jugendlichen reiche der Einfluss der Eltern aus, andere hingegen bräuchten weitere Hilfestellung von staatlicher Seite. In manchen Fällen müssten sich die Jugendlichen vor Gericht verantworten und Auflagen erfüllen, was im Sinne einer Erziehungsmaßnahme ebenfalls sehr eindrücklich sein könne.

Herr Prof. Dr. med. Günter (Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Stuttgart, Klinikum Stuttgart) äußert die Sorge, dass bei einer Regulierung von Cannabis auch Jugendliche künftig einen leichteren Zugang zu der Droge bekommen. Eine ähnliche Problematik zeige sich beim Alkohol. Unabhängig davon, ob es zu einer Regulierung von Cannabis komme oder nicht, spricht sich Herr Prof. Dr. Günter für Aufklärungs- und Präventionskampagnen aus. Als positives Beispiel erwähnt er, dass durch die verschiedenen Maßnahmen und Kampagnen im Bereich Rauchen der Tabakkonsum von Jugendlichen in den vergangenen Jahren mehr als halbiert werden konnte. Ähnliche Erfolge würde sich der Mediziner ebenfalls bei Alkohol und Cannabis wünschen.

Ferner erklärt er, dass man bei Jugendlichen häufig einen Mischkonsum von vor allem Alkohol, Tabak, Cannabis und manchmal Ecstasy beobachten kann. Dabei verursache der dauerhafte Alkoholkonsum aus medizinischer Sicht langfristig sogar noch gravierendere gesundheitliche Folgen als Cannabis. Dennoch bedeute das nicht, dass man die Wirkung und die Folgen von Cannabis und dessen Gebrauch verharmlosen dürfe. Gerade bei Cannabis konsumierenden Jugendlichen bestehe die Gefahr früher einsetzender Psychosen. Etwa ein Viertel dieser sehr schwer behandelbaren Psychosen beginne bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres, was massive Auswirkungen auf die Qualität der Ausbildung und die gesellschaftliche Integration der jungen Menschen habe.

Nicht außer Acht lassen dürfe man im Zusammenhang mit der Diskussion über Cannabis die sogenannten Neuen psychoaktiven Substanzen (NPS), von denen jährlich bis zu 100 neue Arten auf den Markt kämen, so Herr Prof. Dr. Günter weiter. Diese würden in Laboren synthetisiert und enthielten zum Großteil synthetische Cannabinoide. Die Konsumenten wüssten oft überhaupt nicht, was in den Substanzen enthalten sei, was unter Umständen sehr gefährliche Nebenwirkungen hervorrufen könne. Bisher sei die Verfügbarkeit der NPS aber glücklicherweise nicht derart problemlos wie bei Cannabis.

Nach den Einschätzungen der Sachverständigen äußert sich StRin Bulle-Schmid (CDU) skeptisch zu einer möglichen Regulierung von Cannabis. Sie betont noch einmal die schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen eines chronischen Konsums gerade für Heranwachsende und Jugendliche. Besonders gravierend seien auch die Auswirkungen von Cannabis auf das Gehirn, wenn man bedenke, dass die Hirnreifung erst zwischen 23 und 25 Jahren abgeschlossen werde. Die Stadträtin stimmt Herrn Prof. Dr. Günter zu, dass die Kontrolle des Zugangs zu Cannabis für Jugendliche im Falle einer Regulierung vermutlich nicht umsetzbar ist. Zudem sei sie der Meinung, dass durch die aktuelle Diskussion bezüglich einer Regulierung die Gefahren von Cannabis ein Stück weit verharmlost würden, was nicht zuletzt zu einem sorgloseren Umgang mit der Droge gerade bei Heranwachsenden führen könnte. Sinngemäß äußert sich auch Herr Weiß.

In diesem Zusammenhang verweist StRin Bulle-Schmid auf den Weltdrogenbericht der Vereinten Nationen, der deutlich mache, dass sich das Drogenproblem weltweit und vor allem in Nordamerika noch weiter verschärft habe. Nach Angaben der Experten könnte dieser Anstieg vor allem mit der Legalisierung von Cannabis in vielen US-Bundes-staaten zusammenhängen.

StRin Rühle (90/GRÜNE) sieht in der Regulierung eine Möglichkeit, die Zusammensetzung bzw. Qualität von Cannabis durch ein Absenken des THC-Anteils zu verbessern. Zudem wäre es nach einer Entkriminalisierung des Stoffes einfacher, an die Konsumenten heranzukommen und ihnen einen Zugang zum Hilfesystem zu ermöglichen. Sie möchte wissen, wie eine Regulierung in einer Kommune in der Praxis umgesetzt werden könnte (Stichwort Apothekenabgabe oder Cannabis Social Club).

Dennoch äußert sie Skepsis darüber, ob es gelingen kann, Jugendliche von der Droge fernzuhalten. Bei Alkohol sei es so, dass Jugendliche und Heranwachsende, selbst wenn sie aufgrund ihres Alters noch keinen Alkohol kaufen dürfen, häufig durch ältere Freunde oder Bekannte an hochprozentige Spirituosen herankommen. Im Folgenden zeigt sich StRin Rühle ebenfalls von den gesundheitlichen Folgen von Cannabis betroffen und spricht sich für Präventionskampagnen (auch bei Alkohol) aus. Sie möchte zudem wissen, wie stark der Beikonsum von Tabak in Einzelfällen gerade bei Atemwegs-erkrankungen ist. Ferner bittet die Stadträtin um einen Vergleich der gesundheitlichen Folgen von Cannabis und Alkohol.

Auf die Gesundheitsgefahren von Sucht- und Rauschmitteln gerade in jungen Jahren weist in seiner Wortmeldung des Weiteren StR Ehrlich (SPD) hin. Seiner Meinung nach müsse nun gemeinsam überlegt werden, wie Kinder und Jugendliche vor diesen Gefahren konsequenter beschützt werden könnten, z. B. durch Kampagnen zum Thema Suchtmittel insgesamt, einen intensiveren Appell an die Eltern oder bessere Hilfs- und Beratungsangebote.

Eine kontrollierte Regulierung von Cannabis befürwortet im weiteren Verlauf der Aussprache StRin Halding-Hoppenheit (SÖS-LINKE-PluS). Sie halte es für wichtig, dass Cannabis, welches eine nachweislich schmerzlindernde Wirkung habe, auf Rezept freigegeben werden könne, so die Stadträtin. Sie kenne viele schwerkranke Menschen, denen die Einnahme des Stoffes das Leben erleichtert habe. Dennoch müsse die Abgabe von Cannabis im Zuge der Regulierung streng überwacht und die Präventionsarbeit weiter verstärkt werden, um die Gefahren für Jugendliche zu senken. Eine bedingungslose Freigabe von Cannabis lehne sie aber ab und distanziere sich damit von dem Standpunkt ihrer Fraktionsgemeinschaft, erklärt StRin Halding-Hoppenheit.

Sie halte eine Entkriminalisierung bzw. Regulierung von Cannabis grundsätzlich für sinnvoll, erklärt StRin Yüksel (FDP), weil sie nie verstanden habe, warum Cannabis anders behandelt werde, als andere legale Drogen wie Tabak oder Alkohol. Für sie stelle sich aber die Frage, so die Stadträtin, wie eine Regulierung umgesetzt werden könne, ohne damit gleichzeitig den Jugendlichen einen leichteren Zugang zum Cannabis zu verschaffen bzw. den Stoff in den Augen der Heranwachsenden zu verharmlosen. Dieser Aussage schließt sich auch StRin Gröger (SPD) an.

In der Folge macht StRin Gröger darauf aufmerksam, dass heutzutage bereits Schüler manchmal schon in der Grundschule mit Wissen ihrer Eltern eine Vielzahl an verschreibungspflichtigen Medikamenten bis hin zu Stimmungsaufhellern einnehmen. Die Stadträtin sieht darin ein großes Problem, denn dadurch würden die Kinder schon in jungen Jahren der Gefahr einer Medikamentenabhängigkeit ausgesetzt. Diese Gefahr werde von den Eltern heutzutage aufgrund von manchmal "schwindender Erziehungsfähigkeit und einer allgemeinen Lockerheit" leider zu häufig unterschätzt. Es bedürfe dringend einer besseren Aufklärung der Familien, Kinder und Jugendlichen zum Thema Drogenkonsum und Medikamente im Allgemeinen, so StRin Gröger weiter. Ebenfalls müsste man sich möglicherweise Gedanken über weitere Freizeitangebote für Jugendliche machen, um die Gefahr zu verringern, dass sie aus Langeweile auf die schiefe Bahn geraten bzw. mit Cannabis oder anderen Drogen in Berührung kommen.

Für eine tiefgreifende gesellschaftliche Diskussion zum Thema Sucht, zu den Auswirkungen von (auch legalen) Drogen und eine Sensibilisierung der Eltern auch gegen alle Widerstände der Alkohol- und Tabakindustrie spricht sich auch Herr Dr. Bloching aus. Gegenüber StR Dr. Reiners (CDU) trägt er vor, vielfach bedeute der Missbrauch der legalen Drogen Tabak und Alkohol gerade bei Jugendlichen den Einstieg in die Sucht. Viele würden dann Cannabis ausprobieren, stiegen dann aber nicht selten auf andere Amphetamine um, da die Wirkung von Cannabis aufgrund des Gewöhnungseffektes nicht so steigerbar ist, wie die anderer Rauschmittel. Zudem hätten Studien gezeigt, dass ein Co-Konsum von Tabak oder Alkohol die Wahrscheinlichkeit eines Cannabis-konsums erhöhe.

In diesem Zusammenhang verweist Herr Dr. Bloching darauf, dass das Abhängigkeitsrisiko für Suchtmittel umso höher sei, je früher mit dem Konsum begonnen werde. Beim Alkohol liege das Abhängigkeitsrisiko bei einem Einstieg mit 13 Jahren bei 60 %, mit 18 Jahren sinke es bereits auf 20 % ab und mit 25 Jahren auf nur noch 10 %. Ferner erklärt der Mediziner, Kriminalisierung sei nicht hilfreich, wenn man Menschen mit einer Abhängigkeit wirklich helfen wolle. Dies trage nur dazu bei, dass die Hemmschwelle, das Hilfesystem zu nutzen, weiter erhöht werde. Stattdessen brauche es weitere Hilfsangebote, Therapiehilfen und Beratung.

Von StR Dr. Fiechtner (BZS23) wird die Meinung vertreten, dass die Frage der Regulierung von Cannabis eine bundespolitische Angelegenheit ist und nicht im Stuttgarter Gemeinderat beraten werden sollte. Im Folgenden stellt der Stadtrat die Belastbarkeit und Evidenz der durch die Referenten präsentierten sozialwissenschaftlichen und medizinischen Studienergebnisse infrage, wie beispielsweise den dargestellten Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und einer Vorverlagerung von psychischen Erkrankungen oder die signifikante Erhöhung der Gefahr für Konsumenten, an Hodenkrebs zu erkranken. Gerade die CaPRis-Studie sei hauptsächlich eine Literaturstudie, der es an Fallbezogenheit fehle, was aber dem Zustand geschuldet sei, dass der Untersuchungsgegenstand kriminalisiert sei. Ähnlich äußert sich auch StR Urbat (SÖS-LINKE-PluS). Studien zu Cannabis sollten in Staaten gemacht werden, in denen der Stoff nicht verboten sei, um belastbare Zahlen und Ergebnisse zu erhalten, erklärt er.

Laut StR Dr. Fiechtner könne ebenfalls die polizeiliche Kriminalstatistik nur bedingt als Grundlage für etwaige Entscheidungsprozesse in Sachen Drogenprävention herangezogen werden. Die Statistik würde lediglich die festgestellten Deliktsfälle abbilden und sei stark abhängig von der personellen Ausstattung der Polizei und der Einsatzintensität, die die Beamten im Bereich der Drogenbekämpfung aufbringen würden. Der Stadtrat vermutet eine hohe Dunkelziffer der Drogenkonsumenten. Sinngemäß äußert sich StR Dr. Reiners. Er stellt die Frage, ob sich die Personalausstattung bei der Polizei an der Aufklärungsquote orientiert. Dazu teilt Herr Weiß mit, eine Korrelation der Stellebesetzungen zur Aufklärungsquote wäre nur dann möglich, wenn ausschließlich spezialisierte Beamte tätig wären. Dies sei in der Regel bei der Polizei aber nicht der Fall. Er fährt an StR Dr. Fiechtner gewandt fort, somit sei es auch nicht möglich darzustellen, welches Personalpotenzial durch eine Legalisierung von Cannabis freigesetzt würde. Schwerpunktaktionen der Stuttgarter Polizei richteten sich nicht per se gegen Drogenkonsum oder Drogendelikte, sondern die Einsätze erfolgten dann, wenn Drogensituationen in die Öffentlichkeit ausstrahlten und als Belastung wahrgenommen würden.

Im Folgenden spricht sich StR Dr. Fiechtner für eine Freigabe von Cannabis und die Abschaffung der BtM-Pflicht für den Stoff aus. Die Cannabispflanze habe unbestritten heilsame medizinische Effekte, die ausgenutzt werden sollten. Wie StRin Yüksel verweist er darauf, dass beispielsweise Alkohol, dessen Missbrauch zu gravierenderen gesundheitlichen Folgen führe, nicht verboten sei. Seiner Meinung nach gebe es ein Recht auf Rausch, so der Stadtrat, und jeder Mensch müsse die Konsequenzen seines Handelns selbst tragen.

Im Folgenden plädiert Herr Binder, sachkundiger Einwohner für den Bereich Sucht und Vertreter von Release Stuttgart e. V., für eine kontrollierte Regulierung von Cannabis. In der Vergangenheit sei zunächst auch kontrovers über das Thema Diamorphin-Substitution diskutiert worden. Als diese dann unter wissenschaftlichen Bedingungen erprobt worden sei, konnten die Erkenntnisse valide ausgewertet und entsprechende Maßnahmen getroffen werden. Heute sei die Substitution ein bewährtes Angebot im Bereich der Suchthilfe. Eine ähnliche Vorgehensweise würde er sich im Falle von Cannabis wünschen, so Herr Binder.

Auch StR Urbat spricht sich für das Beschreiten neuer Wege in Sachen Cannabis und eine kontrollierte wissenschaftlich begleitete Regulierung aus. Es gehe darum, kranken Menschen, denen Cannabis aus medizinischer Sicht helfen könne, das Leben zu erleichtern. Der Stadtrat kündigt an, dass seine Fraktionsgemeinschaft einen Antrag zum Thema Cannabis Social Club in Stuttgart vorbereitet. Ferner bittet er darum, künftig die Präsentationen zu den Vorträgen der Experten zur besseren Vorbereitung vor Sitzungsbeginn elektronisch zu erhalten.

StRin Seitz (90/GRÜNE) erklärt, sie stehe einer Regulierung von Cannabis gerade auch aus Gründen des Jugendschutzes skeptisch gegenüber. Die Stadträtin möchte wissen, ob es Studien gibt, die beweisen, dass der Konsum von Cannabis mit einer ausgewogenen Mischung von THC und CBD geringere gesundheitliche Folgen nach sich zieht, bzw. ob nachgewiesen werden konnte, dass sich nach der Legalisierung des Stoffes in einigen US-Bundesstaaten die Qualität des Cannabis dort verbessert hat. Hierauf antwortet Herr Dr. Bloching, ihm seien solche Studien nicht bekannt. Für verlässliche Aussagen zu diesen Fragen brauche man langfristige wissenschaftliche Erhebungen. In diesem Zusammenhang erkundigt sich StRin Bodenhöfer-Frey (FW) nach der genauen Zusammensetzung des medizinischen Cannabis im Hinblick auf den THC-Gehalt.

Im Folgenden äußert Herr Prof. Dr. Stöver die Meinung, eine Regulierung von Cannabis sei aufgrund der aktuellen Diskussion und der übereinstimmenden Meinung vieler Fachleute wohl nicht mehr zu vermeiden. Deshalb spricht er sich ebenfalls für breitangelegte und zielgruppenspezifische Aufklärungskampagnen zu den Themen Sucht und Drogen sowie eine stärkere allgemeine Gesundheitsdiskussion aus, die sich mit allen Rauschmitteln und deren Risiken und Gefahren auseinandersetzt. Ziel des Diskurses müsse sein, den Konsum von Cannabis, aber auch beispielsweise den übermäßigen Gebrauch von Alkohol in den Augen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen als "schädlich und uncool" darzustellen. Dies sei bereits beim Thema Rauchen vielfach erfolgreich gelungen und habe dazu geführt, dass die Zahlen der Jugendlichen, die regelmäßig Tabak konsumieren, in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen sind. Ähnlich äußert sich Herr Prof. Dr. Günter.

Zusätzlich brauche es begleitende strukturelle gesetzliche Veränderungen und eine bessere staatliche Kontrollpolitik, erklärt Herr Prof. Dr. Stöver weiter. Seiner Meinung nach habe Deutschland hier im europäischen Vergleich großen Nachholbedarf. Hierzulande dürfe beispielsweise die Alkohol- und Tabakindustrie noch großflächig für ihre Produkte werben, es gebe in Deutschland rund 340.000 Tabakautomaten und die Altersverifikation beim Zigarettenkauf sei erst vor fünf Jahren eingeführt worden. Im Tabakkontrollatlas stehe Deutschland europaweit an 33. Stelle von 34 untersuchten Ländern.

Es werde vermutlich nicht gelingen, Jugendliche gänzlich von Cannabis fernzuhalten, betont Herr Prof. Dr. Stöver abschließend. Ähnlich wie StRin Rühle sieht er aber in der Regulierung eine Möglichkeit, die Qualität des Cannabis durch ein Absenken des THC-Anteils zu verbessern bzw. die Zusammensetzung des Stoffes besser zu kontrollieren. Diese Meinung teilen im weiteren Verlauf der Aussprache auch Herr Dr. Bloching und Herr Prof. Dr. Günter.

Im Folgenden stellt StRin Dr. Hackl (SPD) einen Geschäftsordnungsantrag auf Ende der Debatte.

BM Wölfe lässt über den Antrag abstimmen und stellt fest:

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss stimmt dem Antrag mehrheitlich zu.

Anschließend betont der Bürgermeister, die Stadt Stuttgart müsse und werde ihren Beitrag zu einer gesamtgesellschaftlichen Debatte zum Thema Suchtprävention leisten. In diesem Kontext merkt er an, dass kaum eine andere Großstadt in Deutschland ein so ausdifferenziertes Hilfesystem im Bereich der Suchthilfe hat wie Stuttgart. Bezogen auf Cannabis erklärt BM Wölfle, in Zukunft würden sich Vertreter der Verwaltung in dem Netzwerk, welches sich mit der Thematik der Regulierung von Cannabis auf Bundesebene beschäftigt, weiterhin aktiv beteiligen. Der Vorsitzende dankt anschließend den Referenten für ihre Ausführungen und dem Gremium für die sachliche und konstruktive Diskussion des Themas. Dem Dank an die Referenten schließt sich der Ausschuss an.


Danach stellt BM Wölfle fest:

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss hat vom Bericht Kenntnis genommen.
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