Protokoll: Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
142/2024
GZ:
WFB
Sitzungstermin: 19.04.2024
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BM Fuhrmann
Berichterstattung:
Protokollführung: Frau Sabbagh fr
Betreff: Änderung der Vergabemodalitäten für die Verpachtung städtischer Rebflächen

Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Wirtschaft, Finanzen und Beteiligungen vom 02.04.2024, GRDrs 142/2024, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Den geänderten Vergabekriterien für die Verpachtung städtischer Rebflächen gemäß Anlage 1 wird zugestimmt.

2. Die aktuellen Pachtpreise bei Neuverpachtung werden, je nach aktueller Bewertung der Pachtfläche, entsprechend den Kategorien gemäß Anlage 2, wie folgt festgelegt:

3. Städtische Rebflächen, die auch unter maximaler Ausschöpfung der Kriterien unter Beschlussziffer 1 und 2 nicht mehr verpachtbar sind, werden künftig zum Zwecke der Herstellung von Arten-/Naturschutz- oder Ausgleichsmaßnahmen oder für die Biotopverbundplanung gerodet und nicht als bestockte Weinberglandschaft ohne wirtschaftlichen Nutzen weiter erhalten.


Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.

Eingangs skizziert BM Fuhrmann kurz die Lage. Er macht darauf aufmerksam, dass der Antrag 82/2024 der GR-Fraktion Bündnis 90/GRÜNE in der Vorlage nur zum Teil beantwortet und damit noch nicht erledigt sei.

StRin Munk (90/GRÜNE) dankt für die zügige Reaktion auf den Antrag ihrer Fraktion. Angesichts der Tatsache, dass die Pachtpreise zuletzt 2004 geändert worden seien, sehe ihre Fraktion dringenden Handlungsbedarf für eine Neuregelung. Dabei gehe es nicht nur um den Schutz und die Unterstützung des Weinbaus, sondern auch um den Erhalt der Kulturlandschaft - "Stadt zwischen Wald und Reben". Die Umsetzung sollte so erfolgen, dass ein Flickenteppich im Landschaftsbild vermieden werde. Sie regt an, bei Beschlussantragsziffer 2 die Preise für Terrassenlagen noch deutlicher zu reduzieren. In Direktzuglagen, die nahezu Terrassenlagenniveau hätten, sollte die Spanne reduziert werden. Die Erhöhung der Pachtdauer auf 20 Jahre sei bei Neuanlagen durchaus gut. Allerdings sollte - und dies beantrage ihre Fraktion - die pachtfreie Zeit bei Neuanlagen von 2 auf 3 Jahre erhöht werden, da in dieser Zeit kein Ertrag zu verzeichnen sei. Bei Flächen, die nicht mehr verpachtet werden könnten, sollte das Landschaftsbild im Wege einer Umlegung oder eines Tausches geschützt werden. Dem in Anlage 1 dargestellten Ranking und der Punktevergabe stimme ihre Fraktion zu.

Als dramatisch bezeichnet StRin Porsch (CDU) die Lage im Weinbau und ebenso im Weinhandel. Aktuell gehe man davon aus, dass in den nächsten drei Jahren bis zu 2.000 ha von 11.000 ha Rebfläche in Württemberg verschwänden. Es sei deshalb wichtig, die Pachten anzupassen, was im Übrigen auch im BGB geregelt sei. Nach § 593, Abs. 1 könne auch der Pächter diesbezüglich auf den Verpächter zugehen. In Heilbronn würden die Steillagen mittlerweile umsonst verpachtet und habe die übrigen Preise auf 10 EUR gedeckelt. Ihre Fraktion plädiere dafür, die Terrassen komplett pachtfrei zu übergeben und im Direktzug die Kategorie 3 ebenfalls zu 0 EUR sowie die Kategorien 1 und 2 zwischen 4 und 10 EUR zu vergeben. Bei Neuanlagen erwarte sie einen Vorschlag der Verwaltung, der sich zwischen 2 und 4 Jahren Pachtfreiheit bewege. Sie spricht sich klar gegen die in Beschlussantragsziffer 3 erwähnte Rodung der Flächen aus. Nicht mehr bewirtschaftete Flächen sollten mit ein oder zwei Pflegedurchgängen im Jahr gesichert werden. Sie ruft die Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger, die gerne im Weinberg spazierten, auf, hin und wieder eine Flasche Wein aus dem heimischen Weinberg zu kaufen. Vielleicht würde sich die Situation so wieder ändern.

Auch StR Dr. Jantzer (SPD) lobt die schnelle Reaktion auf den Antrag 82/2024. Es gehe ja nicht nur in Stuttgart, sondern generell um die Frage, ob man den Weinbau in Baden-Württemberg langfristig halten könne. Im Kaiserstuhl habe man bereits massiv mit der Trockenheit zu kämpfen. Die Erträge sänken, was die Wirtschaftlichkeit beeinträchtige. Deshalb sei ein Absenken der Pachtpreise sinnvoll, und in Anbetracht des Verwaltungsaufwands halte er es für vernünftig, bei Terrassenlagen gleich auf 0 EUR zu gehen. Weiter plädiert er für Agri-Photovoltaik in den Weinbergen, wodurch u. a. die Feuchte unter den Reben besser gehalten und so die Ertragslage verbessert werde. Ein solches Projekt werde derzeit beim Städtischen Weingut erprobt und er sei fest davon überzeugt, dass sich dies auf die Wirtschaftlichkeit auswirke. Ein wichtiges Kriterium sei hier die Größe, und in Stuttgart habe man einen Flickenteppich mit kleinen Flächen. Insofern sollte man sich eine Strategie überlegen, wie man in Stuttgart vorgehen könnte.

Den Antrag 82/2024 begrüßt auch StRin Tiarks (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) im Namen ihrer Fraktion. Sie unterstützt auch die weiteren Anträge von StRin Munk. Im Hinblick auf die Kompensationsflächen (S. 4 der Vorlage) schließt sie sich StRin Porsch an, man müsse Möglichkeiten suchen, wie die Rebflächen erhalten bleiben könnten.

StR Puttenat (PULS) erklärt ebenfalls, den Anträgen zu folgen. Er lese die Vorlage so, dass junge Winzer*innen, die ja oft mit neuen Ideen kämen, gute Chancen erhielten. Das stark von den Weinbergen geprägte Stadtbild Stuttgarts müsse als Kulturgut bewahrt bleiben.

Letzterem schließt sich StR Serwani (FDP) an. Er spricht sich dafür aus, die Terrassen komplett und die Neuanlagen für drei Jahre von Pachtzinsen zu befreien.

Für den Antrag 82/2024 und dessen schnelle Einbringung in den Ausschuss bedankt sich auch StR Zaiß (FW). Er zitiert aus einer Analyse, wonach ein Überangebot an Wein auf den rückläufigen deutschen Markt treffe. Die Produktionskosten seien in den letzten fünf Jahren um bis zu 50 % gestiegen. Er bestätigt StRin Porsch in ihrer Aussage, dass man damit rechne, dass allein in Württemberg ca. 2.000 ha stillgelegt würden. Sogar in einer der besten Lagen des Landes, dem Altenberg in Untertürkheim, seien bereits Flächen in Steigungen aus der Bewirtschaftung genommen worden, u. a. auch, weil Kollegen im Rentenalter die schwere Arbeit in Direktzuglagen nicht mehr erbringen könnten. Für gute Lagen halte er eine Pacht von bis zu 10 EUR für vernünftig. Im Direktzug sollte die Pacht für Kategorie II 6 EUR nicht übersteigen, für schlechte Lagen halte er 0 - 4 EUR für angemessen. In Terrassenlagen, bei denen es sich i. d. R. um klein parzellierte Flächen handle, sollte die Pacht auf 0 EUR festgesetzt werden. Wichtig sei - auch von Hobbywinzern - die Vorlage eines Pflanzenschutznachweises. Er geht davon aus, dass es in nächster Zeit sehr viele Flächen auf dem Markt geben werde. Die zurückgegebenen Flächen müssten gerodet werden, was auch für die Stadt einen Kraftakt darstelle. Ohne Rodung werde ein Pflanzenschutz erforderlich. Einige der Flächen könnten im Biotopverbund mitaufgenommen werden. An dieser Stelle betont er, die Abstandsflächen müssten vom Biotopverbund getragen werden und nicht von den angrenzenden Rebflächen, um diese nicht noch weiter zu reduzieren. Selbstverständlich sollten die Bestandspächter ebenso von den verminderten Pachtpreisen profitieren. Die Verlängerung der Pachtdauer auf 20 Jahre halte er für sinnvoll. Die Pachtfreiheit für die ersten drei Jahre sei bei privaten Verpächtern bislang schon üblich gewesen. Er betont, auch im Hinblick auf Agri-PV, den Ausschlag für die Aufgabe von Winzern habe in der letzten Zeit nicht das etwas trockenere Wetter gegeben, sondern die Weinmarktlage. Für viele ausgeschriebene Weinberge gebe es keinerlei Nachfrage. Wenn man das Stuttgarter Stadtbild mit seinen extremen Lagen erhalten wolle, müsse man den Winzern entsprechend entgegenkommen.

StRin Halding-Hoppenheit (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) signalisiert ebenfalls die Zustimmung zu den Vorschlägen.

StRin Munk ergänzt, eine Lösung werde auch für die Trockenmauern gesucht. Deren Erhalt sei gerade in der Terrassenlage sehr aufwendig, weshalb ein Förderprogramm aufgelegt worden sei. Doch könnten die Pächter*innen städtischer Flächen nicht darauf zugreifen, da es sich nur an Eigentümer richte.

Ein weiteres Problem in Stuttgart benennt StR Zaiß. Im Gegensatz zum Land sei in Stuttgart die Vermarktung erschwert. So sei es nicht möglich, an Sonn- und Feiertagen Wein auch im Gelände auszuschenken. Damit müsse sich der Ausschuss ebenfalls beschäftigen.

Im Hinblick auf die Pachtzinsen plädiert er dafür, eine Fläche ab einer Steigung von 40 % als Steillage zu definieren. BM Fuhrmann merkt an, die Definition erfolge durch das Landwirtschaftsamt. Hier widerspricht StR Zaiß. Flurbereinigte Lagen seien nicht kategorisiert, könnten aber durchaus eine Steigung von über 40 % aufweisen, ohne als Steillage zu gelten. Deshalb sollte der Ausschuss eine Zahl festlegen. BM Fuhrmann regt eine pragmatische Sichtweise an. Die Verwaltung verfolge das Ziel, möglichst viele Flächen zu verpachten, weshalb sie die Konditionen möglichst attraktiv gestalten wolle. Er schlägt vor, in einer der folgenden Sitzungen gemeinsam mit Fachleuten über die einzelnen Themen zu beraten.

BM Fuhrmann fasst die Antragslage wie folgt zusammen: Terrassenlage 0 EUR, im Direktzug Kategorie I und II 4 - 10 EUR, bei Kategorie III ebenfalls 0 EUR. Pachtfreie Zeit bei Neuanlagen 3 statt 2 Jahre. Hierüber stellt er Einigkeit im Ausschuss fest.

Grundsätzlich merkt er in Bezug auf Rodungen an, hier befinde man sich in einem Spannungsverhältnis. Einerseits brauche man Ausgleichsflächen für Baumaßnahmen, andererseits müssten möglichst viele Weinbergflächen, insbesondere Steillagen, erhalten werden. Hierbei handle es sich um ein Kulturgut, das Stuttgart präge. Teilweise übernehme das städtische Weingut diese Aufgabe. Aktuell stimmten sich Garten-, Friedhofs- und Forstamt, Liegenschaftsamt und Stadtplanungsamt darüber ab, wie in Zukunft der Flickenteppich in den Weinbergen vermieden werden könne. Dies solle durch Arrondierung, die Zusammenfassung größerer zusammenhängender Flächen, die nicht mehr bewirtschaftet werden könnten, erfolgen. Hier müssten dann auch Winzer bereit sein, Flächen zu tauschen. Insgesamt sei dies ein sehr aufwendiger Prozess.

StRin Munk ergänzt den Antrag ihrer Fraktion um die Bitte, bei nicht verpachteten Flächen vor einer Rodung nochmals einen Versuch mit den neuen Kriterien zu starten. Die Rodung sollte auf diese Weise um ein Jahr verschoben werden.

Dagegen darf eine Rodung für StRin Porsch nur die Ultima Ratio sein. Wenn jedoch im Beschlussantrag von Rodung die Rede sei, bestehe die Gefahr, dass zu schnell gerodet werde. Deshalb sollte in der Vorlage stehen, dass zunächst nicht gerodet, sondern gepflegt werde. Im Übrigen halte sie es für wenig wahrscheinlich, dass man Pächter finde, und eine Pachtdauer von 20 Jahren sei nicht unbedingt vorteilhaft, denn viele Hobbywinzer hörten nach 2 - 3 Jahren aufgrund des enormen Arbeitsaufwands wieder auf. Angesichts der erwarteten Rückgabe vieler Flächen fordert sie ein Commitment der Fraktionen, die städtischen Weinbauflächen zu erhalten. Dafür solle das Garten-, Friedhofs- und Forstamt ein Konzept erarbeiten. Ohne Pflanzenschutzmittel werde dies nicht gehen.

StRin Fischer (90/GRÜNE) hebt nochmals hervor, es sollten unbedingt zusammenhängende Reb- und Kulturflächen angestrebt werden. Vorrangig gehe es um den Erhalt von Weinbauflächen, was auch in den Beschlussantrag unter Ziffer 3 aufgenommen werden sollte. Dies wird von StR Dr. Jantzer unterstützt, der jedoch darauf hinweist, dass die Stadt auch Ressourcen für die Umsetzung brauche.

BM Fuhrmann äußert Verständnis für das Anliegen von StRin Fischer. Das Ziel existiere in der Verwaltung, doch solle die aktuelle Vorlage zunächst nur Kriterien für die Verpachtung definieren. Er schlägt vor, dem Gemeinderat zu gegebener Zeit eine Vorlage zu präsentieren, über die sich die Verwaltung intern noch abstimmen müsse. Hinzu komme, dass es z. B. für den Bau von Trockenmauern oft nicht genügend Fachfirmen gebe. Evtl. könnten Schulungen hier Abhilfe schaffen.

StRin Munk regt an, die Beschlussantragsziffer 3 komplett zu streichen, woraufhin BM Fuhrmann zu bedenken gibt, dass es einzelne Flächen gebe, die nicht mehr bewirtschaftet werden könnten. Dann stelle sich die Frage, was mit diesen geschehen solle. Gleichzeitig bestehe in Bezug auf Ausgleichsflächen ein hoher Handlungsdruck vonseiten des Stadtplanungsamts. Aus seiner Sicht könne die Ziffer 3 beibehalten werden, da man extrem restriktiv damit umgehen werde.

Herr Wolf (LiegA) merkt an, auf einigen Flächen habe man raschen Handlungsbedarf, da es dort Schädlingsbefall gebe. Für eine dauerhafte Pflege reiche die Kapazität nicht aus, zugleich könne man aber auch nicht abwarten. StR Zaiß bestätigt, die zurückgegebenen Flächen seien bislang nicht geschnitten worden. In 14 Tagen stehe dort eine grüne Wand, die ihre Sporen im weiten Umkreis verteile. Herr Wolf erklärt, er werde sich die betroffenen Flächen nochmals darstellen lassen und dann das konkrete weitere Vorgehen im Ausschuss diskutieren.


Abschließend stellt BM Fuhrmann fest:

Der Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen beschließt einstimmig die Ziffern 1 und 2 mit den folgenden Änderungen: Terrassenlage 0 EUR pro Ar, im Direktzug Kategorie I und II 4 - 10 EUR pro Ar, Kategorie III ebenfalls 0 EUR pro Ar. Bei Neuanlagen gilt eine pachtfreie Zeit von 3 statt 2 Jahren. Ziffer 3 wird gestrichen.

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