Protokoll: Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
84/2021
GZ:
Sitzungstermin: 23.03.2021
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BM Pätzold
Berichterstattung:Herr Daude, Herr Forderer (beide S/OB)
Protokollführung: Frau Schmidt de
Betreff: Pendlerprojekt "Stuttgart fährt mit"

Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 19.03.2021, GRDrs 84/2021, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Die Verwaltung wird ermächtigt, am kooperativen Förderprojekt "Stuttgart fährt mit", im Zeitraum von 2021 bis 2024 teilzunehmen.

2. Der Eigenanteil der Landeshauptstadt Stuttgart in Höhe von rund 62.500 EUR pro Jahr wird entsprechend der Darstellung im Abschnitt "Finanzielle Auswirkungen" finanziert.


Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


Angesichts der weiter sinkenden Zahl an Personen pro Auto signalisiert StR Peterhoff (90/GRÜNE) Zustimmung zur Vorlage. Es müssten weitere Möglichkeiten geschaffen werden, um die Zahl an Fahrzeugen insgesamt zu senken. Er bittet um einen Bericht zum betrieblichen Mobilitätsmanagement und verweist auf die Diskussion im Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik im vergangenen Jahr (NNr. 443/2020), bei der es um die Weiterführung von Parkplätzen bei der Firma Daimler gegangen sei. Es gebe einen Pendelbus der Firma Daimler, der zwar die Parkhäuser, aber nicht öffentliche Haltestellen anfahre. ÖPNV und betriebliche Busse müssten besser vernetzt werden. Zur weiteren Verzahnung regt er die Weiterentwicklung von SSB Flex an, worüber Angebote gemacht werden könnten. Abschließend stellt er die Frage, was aus dem Projekt "Park & Share" geworden sei. Eventuell könne dies eingebunden werden.

Aus der Sicht von StR Ozasek (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) spielt das betriebliche Mobilitätsmanagement eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Verkehrsprobleme in Stuttgart. Herausforderung bei Mobilitätslösungen sei der Umgang mit flexibilisierten Arbeitszeitmodellen. Bedauerlicherweise seien bisher alle "Mitfahr-Apps" gescheitert, weil die Anreizkulisse nicht groß genug gewesen sei, um das persönliche Verhalten zu ändern. Ausgehend von der Vorlage sei der evolutionäre Schritt zu einer neuen Lösung noch nicht zu erkennen. Kritisch sieht er vor allem die "Insellösung"; das Vorhaben müsse über die Stadtgrenzen hinaus auf ganz Baden-Württemberg angewandt werden. Aus der Vorlage sei leider nicht zu entnehmen, welche Eigenleistungen von den beteiligten Firmen zur Neumodellierung der Anreizkulisse eingebracht würden. Anreize zur Nutzung von Pkws würden fortgeführt. Insgesamt sei dies zu wenig, und die Stadt dürfe nicht Türöffner für einen Fördertopf von über 600.000 Euro und städtischen Eigenleistungen werden.

Für StR Goller (AfD) sind Mitfahrgelegenheiten die effizienteste und umweltfreundlichste Lösung, um Verkehrsaufkommen zu reduzieren. In der Vergangenheit seien die Möglichkeiten für derartige Projekte begrenzt gewesen. Die Gründe des Scheiterns seien zwar identifiziert worden, trotzdem müsse ein neuer Ansatz versucht werden. Knackpunkt bei Mitfahrgelegenheiten seien derzeit die Pandemie und auf lange Sicht die Motivation des Fahrers, der mit einem privilegierten Stellplatz rechnen könne. Leider werde dies in der Vorlage sofort wieder relativiert, da als Hauptziel die Forderung einer umweltfreundlicheren, betrieblichen Mobilität ausgegeben werde. Dies entwerte das Konzept; des Weiteren sei Neidkultur im Rahmen dieser Vorlage deplatziert.

Bei dieser Frage befinde man sich stets auf einer Gratwanderung, so StR Kotz (CDU). Die Politik müsse die Rahmenbedingungen für das Handeln der Menschen setzen, auch wenn dies Autofahren sei. Es sei eine Frage der Auslegung, wie weit dies reiche. In den Innenstädten habe es in den vergangenen Jahrzehnten einen Wandel weg vom Auto gegeben, allerdings müssten große Industriestandorte weiterhin - auch aus der Region - gut mit einem Fahrzeug erreichbar sein. Dass weite Teile der Berufstätigen im SynergiePark komplett mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommen, halte er nicht für das, was gewünscht werde. Die Vorlage begrüßt der Stadtrat, denn es handle sich um ein zusätzliches Anreizsystem, das sicherlich von einigen Personen genutzt werde. Man wolle die Menschen nicht erziehen, sondern Angebote machen.

Der Vorlage stimmt StR Körner (SPD) gerne zu. Die Pendlerzahlen seien erheblich und machten einen Großteil der Verkehrsprobleme aus. Jede Initiative, die dieses Problem angehe, sei zu begrüßen. Auf die Frage, wann man sich mit der Parkplatzthematik bei der Firma Daimler beschäftige, erklärt BM Pätzold, dieser Termin befinde sich noch in Abstimmung.

StR Serwani (FDP) begrüßt den günstigen Anreiz, Pendlerströme in gewissem Maße aus der Stadt herauszuhalten. Er habe nicht erwartet, dass dies zu einer Neiddebatte führen werde. Schichtarbeitende könnten vor allem morgens nicht in großem Maße auf den ÖPNV umsteigen.

Zu den Wortmeldungen nimmt Herr Forderer (S/OB) Stellung. Der Vorschlag zu SSB Flex sei begrüßenswert, allerdings sei aktuell das Personenbeförderungsgesetz novelliert worden, und gemeinsam mit dem Amt für öffentliche Ordnung werde nun ausgelotet, was dieses Gesetz an Neuerungen bringe. Davon seien auch On-demand-Systeme betroffen, und es müsse mit großen Veränderungen gerechnet werden. Ursprünglich sei das Pendlerprojekt in größerem Rahmen geplant gewesen. Gemeinsam mit Bosch, Porsche und Daimler sei das Mobilitätsverhalten von 160.000 Mitarbeiter*innen analysiert worden. Dabei sei festgestellt worden, dass die "erste Meile" das größte Problem darstelle. Dazu sei ein System eines firmenübergreifenden Shuttles vorgesehen gewesen, was derzeit pandemiebedingt allerdings auf Eis liege. Er betont, das Pendlerprojekt sei ein wirkliches Testprojekt, das die Vor- und Nachteile aufzeigen werde und verweist auf die europaweite Ausschreibung.

Herr Daude (S/OB) ergänzt, Fahrgemeinschaften seien ein Baustein in der nachhaltigen sowie in der betrieblichen Mobilität. Durch das Förderprojekt könnten neue Technologien erprobt werden, und es sei hilfreich, die Zahl der Fahrzeuge auf den Straßen zu reduzieren bzw. sie effizienter zu nutzen. Er betont, es habe lediglich die Möglichkeit gegeben, dass eine Kommune diesen Antrag stelle. Das Konsortium sei mit den Universitäten Stuttgart und Hohenheim, der Mercedes Benz AG, dem Marienhospital u.a. sehr breit aufgestellt. Die Stadt wolle eng mit den Partnern aus Wirtschaft, Forschung und Wissenschaft zusammenarbeiten und versuchen, dieses Thema weiter voranzubringen. Aus diesem Grund stelle dies ein Handlungsfeld im "Aktionsplan Nachhaltig mobil in Stuttgart" dar. Abschließend bittet Herr Daude um Zustimmung zum Projekt.

Unterstützung für das Vorhaben signalisiert StR Schrade (FW). Er greift die Mitarbeiter-Befragung der Landeshauptstadt Stuttgart aus dem Jahr 2019 auf und erfragt deren Ergebnisse.

StR Ozasek wirft die Frage auf, was die Beteiligten des Konsortiums beitragen, um ein betriebliches Mobilitätsmanagement wirksam werden zu lassen. Die ursprüngliche Idee firmenübergreifender Shuttles halte er für eine sehr gute Lösung, aber lediglich eine weitere App in einer langen Reihe werde sich ebenfalls nicht bewähren. Er regt an, das Konsortium größer anzulegen und die Landkreise miteinzubeziehen, da die Verkehrsströme gemarkungsübergreifend seien. Insellösungen bergen die Gefahr, dass sie für teures Geld entwickelt würden und am Ende scheiterten.

Das Projekt kann für StRin Köngeter (PULS) nur erfolgreich sein, wenn auch Push-Faktoren gegeben seien. Sie bitte um Informationen darüber, warum die Verwaltung glaube, die neue App sei erfolgreicher als die vorhergehenden.

StR Goller verweist auf die Studie von Herrn Prof. Dr. Sabow (NNr. 187/2020), die dargelegt habe, warum Menschen das Auto für den Arbeitsweg nutzten. Dabei seien keine "Wohlfühlfaktoren" genannt worden, sondern an die Existenz gehende Faktoren von Kosten und Zeit. Menschen, die das Auto für die Strecke zum Arbeitsplatz nutzten, befänden sich in einer Zwangssituation. Es sei unrealistisch, diesen noch mehr Push-Faktoren aufbürden zu wollen. Des Weiteren dürfe das Beisteuern der Firmen gegenüber diesem Ansatz nicht auf die Waagschale geworfen werden. Betriebsbusse stellten wieder eine zentralistische, sternförmige Lösung dar; bei der App handle es sich um einen Ansatz für eine organische, dezentrale Lösung. Die Umstände änderten sich regelmäßig und somit müsse erneut ein Forschungsprojekt gestartet werden.

Eine andere Studie innerhalb Vaihingens habe gezeigt, so StR Peterhoff, dass viel mehr Menschen mit dem Auto zum Arbeitsplatz kommen, wenn dort viele Stellplätze vorhanden seien. Ziel sei, die noch mit dem Auto anreisenden Pendler*innen zusammenzufassen. Er bitte darum, die Verknüpfung an den ÖPNV im Blick zu behalten und die vorhandenen Parkplätze zu prüfen. Wichtig sei, das Land und große Arbeitgeber wie Mahle oder LBBW einzubeziehen. Er erwarte gerne nach einem Jahr einen Bericht sowie eine Darstellung seitens der SSB, wie das Thema "angepackt" werde. Mit dem Jobticket sei bereits ein erster, richtiger Schritt getan worden; weitere konkrete Angebote müssten folgen.

Für StR Goller ist es eine Milchmädchenrechnung, dass bei null Parkplätzen niemand mit dem Auto komme. Stattdessen müsse den Menschen ein lebenswertes Leben ermöglicht werden, in dem entsprechende Angebote gemacht werden. Das Verhalten der Menschen sei ausreichend, wenn die Angebote vorhanden seien.

Herr Forderer erklärt, die Ergebnisse der städtischen Mitarbeiterbefragung seien im SOLID bereits veröffentlicht worden. Das Pendlerprojekt wiederum sei in der Plattform "Urbane Mobilität" entstanden. Dabei sei die Skalierung von Anfang an sehr wichtig gewesen. Aus dem Forschungsprojekt heraus solle die Möglichkeit geschaffen werden, dass sich möglichst viele Arbeitgeber beteiligten, denn wenn mehr Masse erzeugt werde, könnten auch mehr Menschen das Angebot nutzen. Es gebe einige Firmen, die bereits Interesse bekundet hätten. Er nehme gerne mit, das Land und die SSB anzusprechen. Bezüglich der Frage, warum eine App diesmal funktionieren solle, verweist er auf den Probelauf bei der Firma Daimler in Sindelfingen. Dort gebe es 19.000 Parkplätze und bis zu 20 Minuten Wegezeit zu Fuß vom entferntesten Parkplatz bis zum Werkstor. Direkt am Eingang seien privilegierte Parkplätze für Fahrgemeinschaften eingerichtet worden. Befragungen unter Teilnehmern hätten ergeben, dass als größtes Problem die Rückfahrt angesehen werde. Aus diesem Grund werde eine Rückfahrgarantie angeboten, um Ängste gegenüber dem System zu nehmen. Es werde nun getestet, wie durch eine Mischung aus Angeboten und Sanktionen das Ziel erreicht werden könne. Herr Forderer sagt regelmäßige Berichte im Ausschuss zu und hält abschließend fest, neben den bekannten P&R-Parkplätzen gebe es in der Region nur wenige (Wander-) Parkplätze, die zusätzlich genutzt werden könnten.

Zu der Frage des Verfahrens nimmt Herr Daude Stellung. Man habe sich auf einen Kern eines Konsortiums geeinigt, der die Plattform mitentwickeln und testen soll. Danach solle diese selbstverständlich ausgebreitet werden. Aktuell werde ein sehr komplexer Konsortialvertrag ausgearbeitet, der einer hohen Abstimmung bedürfe. Wenn im ersten Schritt viele andere beteiligt worden wären, hätte die Einreichung nicht rechtzeitig erfolgen können. Der heutige Beschluss sei für die Unterzeichnung des Konsortialvertrages wichtig, denn erst danach könne formal die Zuwendung angenommen und mit dem Projekt gestartet werden. Er betont, alle Partner würden in ihren eigenen betrieblichen Mobilitätskonzepten eingebettet. Die Standortfaktoren seien bei allen Beteiligten unterschiedlich. So sei beispielsweise das Marienhospital mit einem sehr hohen Parkdruck daran interessiert, dass nur die Mitarbeiter eine Parkberechtigung erhielten, die ansonsten keine andere Möglichkeit hätten. Die Firmen könnten ihre eigenen Akzente setzen.




StR Ozasek signalisiert Zustimmung zur Vorlage, betont aber die Eigenleistung der Konsortialpartner. So könnten Zielquoten festgelegt werden, um eine gewisse Verbindlichkeit zu erreichen. Es dürfe kein Mitnahmeeffekt entstehen. Im Wege der Evaluation könnten die Ergebnisse geprüft werden.



Nachdem sich keine weiteren Wortmeldungen mehr ergeben, stellt BM Pätzold fest:

Der Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik beschließt einstimmig wie
beantragt
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