Protokoll:
Sozial- und Gesundheitsausschuss
des Gemeinderats der Landeshauptstadt Stuttgart
Niederschrift Nr.
TOP:
29
1
Verhandlung
Drucksache:
GZ:
Sitzungstermin:
25.03.2019
Sitzungsart:
öffentlich
Vorsitz:
BMin Fezer
Berichterstattung:
Die Herren Odörfer (Amtsgericht Bad Cannstatt), Ferrentino (Trägerforum Altenhilfe e. V.), Gölz und Spatz (beide SozA)
Protokollführung:
Herr Krasovskij
de
Betreff:
Stuttgart ohne Fixierung (SoFi)
- mündlicher Bericht -
Die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigte Präsentation ist dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt. Aus Datenschutzgründen wird sie nicht im Internet veröffentlicht. Dem Originalprotokoll und dem Protokollexemplar für die Hauptaktei ist sie in Papierform angehängt.
Eingangs äußert sich BMin
Fezer
zustimmend zum Konzept "Stuttgart ohne Fixierung (SoFi)" und verweist auf die zu diesem Thema erstellte Broschüre.
Die Herren
Gölz
(SozA),
Odörfer
(Direktor des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt) und
Ferrentino
(Trägerforum Altenhilfe Stuttgart e. V.) informieren die Ratsmitglieder anschließend analog der Präsentation ausführlich über das Projekt SoFi. Die Referenten betonen übereinstimmend die Vorzüge der interprofessionellen Stuttgarter Initiative, indem durch das neue Verfahren insgesamt eine deutliche Reduktion von freiheitsentziehenden Maßnahmen in der stationären Langzeitpflege und ein „Mehr an Bewegungsfreiheit“ für die Bewohnerinnen und Bewohner erreicht werden konnte.
In ihrer Wortmeldung bezeichnet StRin
Bulle-Schmid
(CDU) freiheitsentziehende Maßnahmen als ein sehr "problematisches Feld, in dem es um eine Abwägung zwischen dem Sicherheitsgedanken und dem Freiheitsgedanken" gehe. Sicherungsmaßnahmen sollten als letztes Mittel angewandt werden. Dennoch, tue man Menschen, die sich selbst gefährden könnten keinen Gefallen, wenn man sie nicht sichere, so die Stadträtin. In diesem Zusammenhang könne sie auch die Ängste vieler Angehörige um ihre Familienmitglieder verstehen. Im Weiteren begrüßt StRin Bulle-Schmid das Vorgehen im Rahmen der Initiative SoFi und bedankt sich bei allen Beteiligten für ihre Arbeit. Aufgrund der Komplexität des Themas halte sie eine intensive Einzelfallprüfung unter Abwägung aller Alternativen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen (wie z. B. kleinere Bettengitter) für richtig und geboten, erklärt die Stadträtin. Sie hoffe, dass in den Alten- und Pflegeheimen wirklich auch genügend Zeit für diese intensive Prüfung sowie den Austausch mit den Angehörigen aufgewendet werde.
Auf den Konflikt zwischen Eigengefährdung und Menschenwürde bei diesem Thema weist auch StRin
Münch
(90/GRÜNE) hin. Jede Fixierung sei eine Freiheitsberaubung, deshalb sollte eine jede Anordnung sehr sorgfältig überlegt werden. Diese Auffassung teilt auch StRin
Yüksel
(FDP). Wie schon ihre Vorrednerin äußert sich auch StRin
Münch
im Namen ihrer Fraktion zustimmend zur Initiative SoFi und der praktizierten Vorgehensweise der intensiven Prüfung, die zuletzt zu einer deutlichen Abnahme der Fixierungen geführt habe.
Nach Rückfragen der StRinnen Münch und Gröger (SPD) erklärt Herr
Odörfer
, er habe als zuständiger Unterbringungsrichter für die Psychiatrie in Bad Cannstatt den Eindruck, dass das Thema freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der psychiatrischen Unterbringung ebenfalls sehr sensibel behandelt werde. Sein subjektives Empfinden sei, ohne die genauen Zahlen zu kennen, dass die Zahl der Fixierungen auch in diesem Bereich rückläufig sei. In diesem Zusammenhang begrüßt Herr Odörfer die Pläne, das Thema Fixierungen im Rahmen der Psychiatrie aufgrund des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes (PsychKHG) gesetzlich zu regeln.
Das Konzept von SoFi und das Vorgehen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens werden im weiteren Verlauf der Aussprache auch durch StRin
Gröger
, StRin
Halding-Hoppenheit
(SÖS-LINKE-PluS), StRin
Bodenhöfer-Frey
(FW) und StRin
Yüksel
ausdrücklich begrüßt.
StRin
Gröger
macht allerdings auch deutlich, dass freiheitsentziehende Maßnahmen nicht ausschließlich in der stationären Langzeitpflege in Alten- und Pflegeheimen angewandt würden. Auch in Krankenhäusern (außerhalb der Psychiatrie) würden ältere Menschen nicht selten fixiert. Zudem gebe es aufgrund der Zunahme der häuslichen Pflege ein großes Dunkelfeld in diesem Bereich, so die Stadträtin. Denn mittlerweile könnte jedermann verschiedene Arten von Fixierungshilfen ohne jegliche Berechtigung einfach so im Internet bestellen. Darin sieht StRin Gröger ein großes Problem und plädiert für eine stärkere Sensibilisierung der Gesellschaft. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass Fixierungen in manchen Herkunftsländern nicht so streng gesehen würden wie in Deutschland.
In diesem Kontext plädiert auch Herr
Odörfer
angesichts der Zunahme der häuslichen Pflege für eine stärkere Aufklärung im Hinblick auf das Thema Fixierungen.
Der Aufklärungsbedarf im Hinblick auf den ambulanten Bereich bestätigt auch Herr
Spatz
(SozA). Die Beratungsaufgabe obliege hier den Pflegekassen, erklärt er. Allerdings wolle auch das Sozialamt im Rahmen der Arbeit der Pflegestützpunkte beratend tätig werden. Der Leiter des Sozialamtes betont, dass man in Stuttgart beim Thema Betreuung und freiheitsentziehende Maßnahmen immer versuche, einen Spagat zwischen Selbstbestimmung und Betreuung zu schaffen. Durch die intensive Auseinandersetzung liege Stuttgart bei der Quote der Betreuungsfälle unter dem Bundesdurchschnitt.
Bezogen auf die Fixierungen in Krankenhäusern, beispielsweise auf Intensivstationen, spricht Herr
Odörfer
von einer schwierigen Thematik im Rahmen des Betreuungsrechts, da es hier im Gegensatz zu den im Rahmen von SoFi betreuten Fällen oftmals ungeklärte Rechtsgrundlagen gebe. So könne es durchaus vorkommen, dass Personen mittleren Alters nach einer Operation fixiert werden müssten, sie aber noch keinen offiziellen Betreuer und/oder keine Vorsorgevollmacht hätten. In solchen Fällen seien die rechtlichen Grundlagen unklar. Es gebe zwar die Möglichkeit ein Betreuungsverfahren einzuleiten, allerdings sei es fraglich, ob dies bei einem absehbar kurzen Fixierungszeitraum (z. B. nach einem postoperativen Delir) wirklich sinnvoll sei. Er würde es begrüßen, so Herr Odörfer, wenn der Gesetzgeber hier eindeutigere Grundlagen schaffen würde.
Herr
Ferrentino
ergänzt, das Thema Fixierungen auf Intensivstationen sei heikel. Man müsse aber auch hier bedenken, dass sich die Patientinnen und Patienten unter Umständen selbst gefährden könnten, wenn sie nicht fixiert würden. Er habe insgesamt das Gefühl, dass die Krankenhäuser sehr reflektiert mit diesem Thema umgehen. Im Folgenden betont Herr Ferrentino die gute Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten im Rahmen der Initiative SoFi und spricht sich für ähnliche Organisationsformen für den Krankenhausbereich aus.
Im Folgenden plädiert StRin
Gröger
erneut für eine stärkere Aufklärung für das Thema freiheitsentziehende Maßnahmen sowohl in der häuslichen Pflege als auch im Krankenhausbereich. BMin
Fezer
sichert daraufhin zu, dass man prüfen werde, in welcher Form die Erkenntnisse aus dem Projekt SoFi auch in diese Bereiche übertragen werden könnten.
Gegenüber StRin Bodenhöfer-Frey erklärt Herr
Odörfer
, die Kosten für die Verfahrenspfleger/-innen seien Verfahrenskosten, und würden entweder durch die Staatskasse oder den/die Betroffene(n) übernommen. Die Kosten betrugen circa 35 EUR/Stunde.
Im Folgenden erklärt StRin
Yüksel,
bezugnehmend auf die Verfahrenspfleger, sie würde es befürworten, wenn diese einen pflegefachlichen Hintergrund aufweisen würden.
Auf eine Frage von StRin Yüksel eingehend, erläutert Herr
Odörfer
, freiheitsentziehende Maßnahmen würden durch die Gerichte grundsätzlich nur für einen bestimmten Zeitraum genehmigt. Während dieses Zeitraumes finde kein automatisches Überprüfungsverfahren statt, außer, dem Gericht würden Umstände bekannt, die das notwendig machen. In der Regel würden die Genehmigungen höchstens für 1 Jahr erteilt, in Ausnahmefällen für 2 Jahre. Nach Ablauf des Genehmigungszeitraumes sei eine Verlängerung notwendig und hierbei werde dann kritisch hinterfragt, ob die Maßnahme weiterhin notwendig ist. Grundsätzlich seien die Betreuerinnen und Betreuen aber jederzeit gehalten, freiheitsentziehende Maßnahme auch während des Genehmigungszeitraumes zu beenden, wenn sie als nicht mehr notwendig erscheinen. Dies werde so auch in den Beschlüssen deutlich formuliert.
In seiner Wortmeldung betont auch StR
Dr. Fiechtner
(BZS23) die überragende Bedeutung der persönlichen Freiheit in unserer Gesellschaft. Dennoch möchte er hinterfragen, ob freiheitsbeschränkende Maßnahmen wie beispielsweise ein Bettseitenteil oder ein Niederflurbett, die in den meisten Fällen zum Schutze der Betroffenen getroffen werden, tatsächlich so kritisch bewertet werden sollten. Zudem behauptet der Stadtrat, dass es beim medizinischen Personal und den Pflegerinnen und Pflegern eine große Sensibilität gegenüber dem Thema gebe. In seiner Tätigkeit als Arzt am Katharinenhospital habe er nicht erlebt, dass Fixierungsmaßnahmen grundlos oder unüberlegt vorgenommen worden sind, so StR Dr. Fiechtner. Auch betrachte er GPS-Tracker nicht als freiheitsbegrenzende Maßnahme, da diese Geräte dabei helfen können, den Aufenthaltsort dementer Menschen zu bestimmen.
Die Entscheidung für oder gegen eine Fixierung oder weitere Schutzmaßnahmen sei eine schwierige Güteabwägung und müsse immer auch davon abhängig gemacht werden, inwiefern der Betroffene durch sein Verhalten die Allgemeinheit belaste.
Gegenüber StR Dr. Fiechtner erklärt Herr
Odörfer,
es sei durch den Bundesgesetzgeber geregelt, was als eine freiheitsentziehende Maßnahme angesehen werde. Dazu würden laut der derzeitigen Rechtsprechung auch Bettseitenteile gehören.
Im Weiteren verweist StR
Dr. Fiechtner
wie schon StRin Gröger auf die Möglichkeiten, im Internet zahlreiche Fixierungshilfen zu erwerben. Ferner erklärt er, auch Medikamente, die eine beruhigende und sedierende Wirkung hätten, wie z. B. Psychopharmaka, müssten seiner Ansicht nach als Fixierungsmaßnahmen begriffen werden.
Hierzu erklärt Herr
Ferrentino
, man versuche die Ärzteschaft für einen bewussteren Umgang mit Psychopharmaka und auch für die Gefahren der Polypharmazie im Alter zu sensibilisieren. Allerdings tangiere dieses Thema die ärztliche Behandlungsfreiheit und nicht jeder Mediziner lasse sich da gerne reinreden.
Nach einer Frage von StR Dr. Fiechtner zu den Ursachen für den Rückgang freiheitsentziehender Maßnahmen nach Anlauf der Initiative SoFi berichtet Herr Ferrentino in Bezug auf die Einrichtungen des Caritasverbandes über eine Steigerung des Problembewusstseins für das Thema Fixierungen aufgrund der Arbeit der Verfahrenspfleger.
BMin
Fezer
bedankt sich bei allen am Projekt Beteiligten für deren Einsatz und stellt danach fest:
Der Sozial- und Gesundheitsausschuss hat von dem Bericht
Kenntnis genommen
.
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