Protokoll: Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
113/2021
GZ:
Sitzungstermin: 04.05.2021
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Nopper
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Schmidt
Betreff: Modellhafte Erstellung eines Klimamobilitätsplans
- Vertagung -

Vorgang: Ausschuss für Klima und Umwelt vom 30.04.2021, öffentlich, Nr. 14
Ergebnis: Einbringung

Der Antrag Nr. 166/2021 vom 04.05.2021 (90/GRÜNE, FrAKTION, SPD, PULS) ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 12.04.2021, GRDrs 113/2021, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Die LHS wird als eine von vier Kommunen in Baden-Württemberg bis Ende 2022 modellhaft einen Klimamobilitätsplan erstellen. Der Beschaffung der damit in Zusammenhang stehenden Leistungen Dritter mit einem Volumen von 404.005 Euro (brutto) wird zugestimmt.

2. Der Aufwand für die Erstellung des Klimamobilitätsplans i. H. v. 121.201 Euro im Jahr 2021 und 282.804 Euro im Jahr 2022 im THH 810 - Bürgermeisteramt, Amtsbereich 8107015 - Referat Strategische Planung und Nachhaltige Mobilität, Kontengruppe 440 - Sonstige ordentliche Aufwendungen, wird entsprechend der Darstellung im Abschnitt Finanzielle Auswirkungen gedeckt.

StR Kotz (CDU) schlägt angesichts des aktuellen Antrages Nr. 166/2021 vor, heute keine Abstimmung über die GRDrs 113/2021 vorzunehmen und diese entsprechend zu vertagen.

Diesem Vorschlag stimmt StR Peterhoff (90/GRÜNE) zu, möchte aber trotzdem zum jetzigen Termin den Tagesordnungspunkt beraten. Der Stadtrat verweist zunächst auf die Aussprache im Ausschuss für Klima und Umwelt am 30.03.2021 (NNr. 14/2021), wonach der Antrag die Wortbeiträge dieser Sitzung widerspiegele. Es sei ausdrücklich zu begrüßen, dass Stuttgart Modellkommune werde und einen Klimamobilitätsplan (KMP) erstelle. Dafür erhalte man einerseits Fördermittel, andererseits gebe es die Möglichkeit, zum Beispiel für Projekte zum ÖPNV-Ausbau eine erhöhte Förderung zu erhalten. Er fordert, die Ausarbeitung eines solchen KMPs ernst zu nehmen, um die Verkehrswende voranzutreiben. Diesem widersprächen die in der Vorlage enthaltenen Prämissen, die vor allem die Interessen der Region und deren gute Erreichbarkeit Stuttgarts mit Kraftfahrzeugen vertreten. Abschließend erläutert der Stadtrat die im Antrag enthaltenen geänderten bzw. neu hinzugefügten Prämissen.

Für die Vorlage dankt StR Kotz (CDU) und begrüßt ebenfalls die Vorreiterrolle Stuttgarts in dieser Frage. Gleichzeitig zeigt er sich überrascht über die harsche Kritik, wonach die Vorlage nicht an Klimaschutzzielen ausgerichtet sei. Im Grundsatz könne seine Fraktion der Vorlage zustimmen. Zum Antrag merkt er an, Push- und Pull-Faktoren dürften nicht in gleichem Maße eingesetzt werden. Stattdessen müssten Anreize eine stärkere Rolle spielen als Restriktionen. Bei der Reduzierung des Kfz-Verkehrs müsse der Anteil betrachtet werden, der Diesel und Benzin in klassischer Form nutze; der Verbrenner im Grundsatz sei weniger problematisch je nachdem, welcher Treibstoff enthalten sei. Elektromobilität sei anders zu bewerten als ein Euro-4-Diesel-Fahrzeug. Kfz-Verkehr dürfe nicht - wie im Antrag enthalten - über "einen Kamm geschert" werden.

StR Ozasek (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) erklärt, heute gehe es nicht um das Planwerk selbst, sondern die strategischen Ziele, die in Prämissen übersetzt werden. Mit diesem KMP verbinde auch er weitreichende Vorstellungen zur Transformation der Stadt hin zu einer sanften Klimamobilitätskultur. Insofern sei man in gewissem Sinne über die Vorlage "gestolpert", die diesbezüglich einen anderen Fingerzeig aufweise. Unter einem KMP verstehe er ein Planwerk, das mit Klimaneutralität zu tun habe und diesem Ziel entsprechend Raum einräume, doch dazu sei in dieser Vorlage nichts enthalten. Mit dem vorliegenden Änderungsantrag wolle man deutlich an den Prämissen "rütteln". Gesetzt sein müssten Maßnahmen, die den Anteil des Kfz-Verkehrs am Verkehrsgeschehen kontinuierlich senkten. Push- und Pull-Faktoren seien dabei gleichrangig zu behandeln. Als Beispiel nennt er die Verkehrsmengendosierung der Stadt Zürich, um den Motorisierten Individualverkehr zurückzudrängen und Raum für den Umweltverbund frei zu machen. Des Weiteren wolle er die Ziele zur Klimaneutralität mit den entsprechenden Zwischenzielen verankert wissen. Er fordert die Verwaltung auf, sich mit eigenen Ideen zur Formulierung von Zielwerten für den Modal Split einzubringen. Diese Debatte sei bereits im Kontext zum Prozess "100 % Klimaschutz" geführt worden. Damals sei auf Betreiben seiner Fraktion ein "Plus-Szenario" entwickelt worden, das heute nicht mehr aktuell sei, da weitere Zielbeschlüsse wie der Beschluss "Echte Fahrradstadt" hinzugekommen seien. Dies müsse zusammengeführt und in einen sinnvollen Korridor übersetzt werden, um das Verkehrsgeschehen in der Stadt nachhaltig zu verändern. Abschließend zeigt sich der Stadtrat erfreut über das neue Instrument, um strategisch auch bei Investitions- und Haushaltsmaßnahmen steuern zu können.
Grundsätzliche Zustimmung äußert StR Körner (SPD) zur Vorlage, mit der man sich auf den Weg mache, einen KMP zu erstellen. Unter anderem seien damit höhere Zuschüsse für Projekte der SSB verbunden. Grundlage für den KMP sei das Klimaschutzgesetz des Landes Baden-Württemberg, das nach seiner Auffassung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch wesentlich verfassungswidriger sei als das Klimaschutzgesetz des Bundes. Die vom Land für das Jahr 2030 formulierten Klimaschutzziele lägen "um Welten" unter den vom Bund beschlossenen Zielen. Er gehe somit davon aus, dass das Klimaschutzgesetz auch im Land geändert werden müsse. Die Kritik am Änderungsantrag könne er nicht nachvollziehen, denn mit dem Antrag werde erklärt, auf welchen Grundsatzbeschlüssen ein KMP aufbauen müsse. Selbstverständlich müssten dafür Push- und Pull-Faktoren zum Einsatz kommen. Er wirbt für den Antrag als Ergänzung zur Vorlage und bittet um Zustimmung.

Auf die "Ausschreibung" des Landes mit schon gesetzten Rahmenbedingungen als Grundlage für die Vorlage weist StR Dr. Oechsner (FDP) hin. Eine Bedingung für die Erstellung eines KMPs sei die Betrachtung der gesamten Region, insofern könne er die Antragsziffer 1 nicht nachvollziehen. Die Interessen der Region seien ebenso klima- und mobilitätsrelevant. Im Antrag spiegele sich ein gewisses Misstrauen gegenüber der ausführenden Verwaltung wider, denn für ihn sei vollkommen klar, dass die Beschlüsse des Gemeinderates in den KMP einfließen werden. Es biete sich nun die Gelegenheit, durch neue Maßnahmen eine vernünftige Planung der zukünftigen Mobilität hinsichtlich des Klimas "hinzukriegen"; daher stimme er der Vorlage zu.

In ähnlicher Form äußert sich StR Schrade (FW). Er halte die Vorlage für sehr gelungen und könne die Kritik daran nicht nachvollziehen. So werde an verschiedenen Stellen der Drucksache auf die städtischen Klimaziele hingewiesen (S. 2: "Hierdurch werden die städtischen Klimaziele ergänzt bzw. sogar überlagert." und S. 3: "So sollen für Stuttgart passgenaue Maßnahmen entwickelt werden, die dazu beitragen, die städtischen Klimaziele zu erfüllen und gleichzeitig auch den Klimabonus für Infrastrukturprojekte in Anspruch nehmen zu können."). Er schlägt vor, die Förderung des Landes für den KMP in Anspruch zu nehmen und das Modellprojekt auf den Weg zu bringen. Aus seiner Sicht gebe es keinen Verbesserungs- oder Ergänzungsbedarf.

Einen KMP auf kommunaler Ebene sieht StR Goller (AfD) kritisch. Es werde eine weitere Ebene eingezogen und ein weiteres Regelwerk erstellt, obwohl die Kommunen nicht verpflichtet seien, ein solches umzusetzen. Problematisch sei vor allem die technologische Einschränkung auf Batteriemobilität. Gegenüber StR Körner merkt er an, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes könne dazu führen, dass die Fixierung auf Batteriemobilität als verfassungswidrig angesehen werde. Zum heutigen Zeitpunkt seien batteriebetriebene Elektroautos nicht für CO2-Einsparung geeignet, denn zum einen werde Effizienz erst ab 100.000 Kilometern Fahrleistung erreicht und zum anderen tauschten Verbraucher bei der geringsten Leistungseinbuße ihren Akku aus, was die komplette CO2-Bilanz ruiniere, die sich beim Elektroauto vor allem in der Produktion verstecke. Solange in Deutschland noch Kohlekraftwerke in Betrieb seien, liefen Elektroautos mit Kohlestrom. Die finanziellen Anreize eines KMP seien Makulatur, solange die nachfolgenden Maßnahmen ineffizient oder gar nutzlos seien. Mit dem Antrag würden die Interessen der gesamten Region gestrichen und Push-Faktoren, "also Zwang", forciert. Das Ziel sei nicht der Klimaschutz, sondern die Senkung des Individualverkehrs. Der ganzheitliche Weg zur Klimaneutralität im Individualverkehr führe jedoch über die Technologie synthetischer Kraftstoffe.
Gegenüber StR Goller bestätigt StRin Köngeter (PULS) das Ziel, den motorisierten Individualverkehr senken zu wollen "und zwar von jeder Art".

StR Goller skizziert eine Mobilitätszukunft, wonach ein geschlossener Kreislauf etwa mittels Solarenergie für alle Fahrzeuge CO2-neutral möglich sei. Stattdessen werde das Recht der Bürger auf Individualverkehr beschnitten.

Vehemente Kritik an den Äußerungen von StR Goller übt StR Rockenbauch (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei). Den Ausschussmitgliedern werde unterstellt, nicht seriös und faktenorientiert Politik zu machen. Er verweist auf die Studie "Mobiles Baden-Württemberg", worin klar nachgewiesen werde, dass zur Erreichung der Klimaziele die Verkehrsleistung, egal welcher Verkehrsträger, um 70 % reduziert werden müsse. Dies bedeute einen gigantischen Umbau der Städte und der Ökonomie und sei nicht nur eine technische, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Ein verantwortlicher Umgang mit der Erde sei anders nicht möglich. Der Klimawandel habe sich in den letzten Jahren drastisch zugespitzt; das Zieljahr habe sich von 2050 auf 2030/35 vorverlagert. Aus diesem Grund sei es enorm wichtig, heute präzise zu formulieren. Die dargestellten Ziele seien längst nicht so ambitioniert wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die geforderte Präzision sei keine Schikane, sondern schlichtweg notwendig, um das Klima für zukünftige Generationen zu schützen.

OB Dr. Nopper schlägt vor, heute keine Klima-Grundsatzdebatte zu führen, da Ältestenrat und Fraktionsvorsitzende darum gebeten hätten, Präsenzsitzungen so kurz wie möglich zu halten.

Die Kritik von StR Goller greift StRin Köngeter auf und betont, es gehe nicht darum, welchen Kraftstoff ein Fahrzeug verbrauche oder wieviel Material in der Produktion verwendet werde. Ein Großteil der Fahrzeuge stehe meist ungenützt im öffentlichen Raum, der stattdessen für mehr Grün- und Spielflächen oder als Versickerungsfläche für Wasser zur Kühlung der Städte herangezogen werden könne. Für Individualverkehr gebe es zum Beispiel die Möglichkeit des Carsharings. Nicht jeder Mensch brauche ein Auto, das 23 Stunden am Tag nur herumstehe.

Gegenüber StR Rockenbauch wiederholt StR Goller seine Kritik. Man habe ihm nicht nachweisen können, dass seine Argumente falsch seien. Er habe lediglich dargelegt, dass durch Batterieautos das Klima nicht geschützt werde.

Grundsätzlich erinnert StR Kotz an das Thema der Toleranz. Bei diesem Tagesordnungspunkt gehe es lediglich um eine Einschätzung, und somit müsse der Diskurs ausgehalten und mit einem toleranten Maß reagiert werden. Er glaube nicht, dass die Gesellschaft ihre Mobilität - egal in welcher Weise - um 70 % reduzieren werde. Insofern werde er diesen Weg nicht aktiv begleiten. Mobilität werde weiterhin hoch bleiben und sich verändern, und es sei Aufgabe des Rates, diese Mobilität mit klimapolitischen Themen zusammenzubringen. Wer sich dieser Diskussion verweigere, mache es sich zu einfach.

Der Forderung nach Toleranz bei Vorträgen und Wortbeiträgen kann sich StR Peterhoff anschließen. Er bittet insbesondere StR Goller darum, in seinen Äußerungen auf die Vorlagen Bezug zu nehmen. So sei beispielsweise Elektromobilität weder in der Vorlage noch im Antrag enthalten.
StR Dr. Oechsner erklärt, Wissenschaft sei mit Ausnahme der Mathematik nicht exakt und stets Auslegungssache. Der Stadtrat hält es für sinnvoll, wenn eine Abwägung der Wünsche des Bürgers und der Politik ins Zentrum gestellt werde. So seien auch E-Fuels aufgrund Kapazitätsproblemen keine endgültige Lösung, sondern nur ein Schritt in die richtige Richtung. Man müsse aufhören, die "eigene Wissenschaft" als alleiniges Zentrum der Wahrheit zu betrachten.

In der Wissenschaft gebe es eine Abstufung der Exaktheit, so StR Goller, und es gebe nur die eine Wissenschaft mit verschiedenen Aussagen. Nur weil es verschiedene Aussagen gebe, sei nicht eine davon ungültig. Er habe den Antrag zurückgewiesen, weil damit Individualverkehr mit Zwang abgeschafft werden solle. Der Hinweis, dass synthetische Kraftstoffe aufgrund Ressourcenknappheit nicht funktionierten, sei falsch, denn diese basierten auf der Rückholung von Kohlenstoff aus der Atmosphäre. Hingegen gebe es bei der Batteriemobilität zahlreiche Ressourcenengpässe.

Nachdem sich keine weiteren Wortmeldungen mehr ergeben, schlägt OB Dr. Nopper vor, die Beschlussfassung im Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik am 11.05.2021 vorzusehen. Dagegen erhebt sich kein Widerspruch.

Der Vorsitzende stellt fest:

Der Tagesordnungspunkt wird auf die Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Technik am 11.05.2021 vertagt.
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