Protokoll: Sozial- und Gesundheitsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 16.12.2019
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BMin Dr. Sußmann
Berichterstattung:Herr Peeß (Jobcenter)
Protokollführung: Herr Krasovskij fr
Betreff: "Jobcenter-Praxis der neuen Rechtslage anpassen - Sanktionierungen über 30 Prozent des Regelbezugs sofort stoppen"
- Antrag Nr. 1214/2019 v. 08.11.2019 (Die FrAKTION
LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei)
- mündlicher Bericht -

Der im Betreff genannte Antrag ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.

Zu Beginn führt Herr Peeß (Jobcenter) in das Thema ein. Er informiert die Ratsmitglieder über die bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts geltenden gesetzlichen Vorgaben für die Jobcenter.

Auf das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichtes eingehend betont der Amtsleiter, dass das Gericht den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, um unter Androhung von Sanktionen die Mitwirkung der Arbeitssuchenden zu garantieren, stark eingeschränkt habe. Das Gericht habe geurteilt, dass Sanktionen über 30 % des Regelsatzes nun nicht mehr zulässig seien. Zudem dürften die Sanktionszeiträume fortan nicht starr festgelegt sein. Ferner habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil verfügt, dass die Sanktionen unverzüglich aufgehoben werden müssten, wenn die von den Sanktionen betroffenen Menschen mitwirkten oder glaubhaft versicherten, in Zukunft mitzuwirken. Bisher mussten die Leistungskürzungen in der Regel für drei Monate ausgesprochen werden.

Es müsse geprüft werden, ob eine außergewöhnliche Härte vorliege, beispielsweise, wenn die Sanktionierung zu einem Wohnungsverlust führen würde oder wenn dadurch der Erfolg eines fortgeschrittenen Privatinsolvenzverfahrens gefährdet wäre. Der Amtsleiter macht deutlich, dass die Prüfung des Vorliegens einer außergewöhnlichen Härte aufwendig sei und künftig zu einer intensiveren Bearbeitung der Sanktionsfälle durch die Kolleginnen und Kollegen des Jobcenters führen werde.

Das Bundesverfassungsgericht habe eine sofortige Umsetzung des Urteils ohne jegliche Übergangsfristen verfügt.

Abschließend betont Herr Peeß, dass das Jobcenter Stuttgart auch schon vor der Urteilsverkündung sehr verantwortungsvoll mit dem Thema Sanktionierung umgegangen sei und die Verhältnismäßigkeit beachtet habe. Bei aktuell rund 19.000 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten käme es derzeit monatlich in durchschnittlich nur rund 480 Fällen zu einer Sanktionierung, was einer im Vergleich zu anderen Jobcentern unterdurchschnittlichen Sanktionsquote von 1,4 % entspreche. Den Großteil von 67 % würden dabei die "einfacheren" Sanktionen wegen Terminversäumnissen bilden, 17 % würden wegen Pflichtverletzungen sanktioniert, und weitere ungefähr 17 % wegen sonstigen Konstellationen. Der komplette Regelsatz werde durchschnittlich im Monat bei den unter 25-Jährigen bei nur fünf Personen und bei den über 25-Jährigen nur bei dreizehn Personen gestrichen. Insbesondere bei den unter 25-Jährigen suche das Jobcenter intensiv den Kontakt zu den sanktionierten Personen, um die Situation z. B. durch die Verkürzung des Sanktionszeitraums zu verbessern.

Das neue Urteil des Bundesverfassungsgerichts werde durch das Jobcenter nun nach einer Verständigungsphase der Bund-Länder-Arbeitsgruppe entsprechend einer Handlungsanweisung seit dem 5. Dezember dieses Jahres umgesetzt. Für die Leistungsberechtigten des Jobcenters entstehe durch die Übergangszeit zwischen der Urteilsverkündung und der Handlungsanweisung kein wirtschaftlicher Schaden. Das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte oder zwischenzeitlichen Mitwirkung werde gerade in 580 Fällen geprüft.

StR Pantisano (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) bittet um eine schriftliche Zusammenfassung und Zusendung der durch Herrn Peeß gemachten Erläuterungen, um Folgefragen zu dem Thema vorzubereiten. Dies wird durch BMin Dr. Sußmann zugesagt.

Im Weiteren äußert sich StR Pantisano ablehnend hinsichtlich der Harz IV-Gesetzgebung und des Sanktionssystems im Allgemeinen. Er betont das Recht auf ein Existenzminimum und weist in diesem Zusammenhang auf die ausweglose Lage derjenigen hin, deren Regelsatz unter Umständen komplett gestrichen wird.

Von StRin Rühle (90/GRÜNE) wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts begrüßt. Durch die Rücknahme der verschärften Sanktionspraxis erhoffe man sich vor allem auch eine Verbesserung der Situation für die unter 25-Jährigen. Dies teilt auch StR Mörseburg (CDU). Er bezeichnet es als positiv, dass durch das Jobcenter mitunter große Anstrengungen unternommen würden, um von Sanktionen betroffene oder gefährdete unter 25-Jährige zu erreichen und zu einer Zusammenarbeit zu bewegen.


Im Folgenden weist StRin Rühle auf die Problematik hin, dass psychisch- und suchtkranke arbeitssuchende Menschen aufgrund ihrer Situation oftmals besonders große Schwierigkeiten hätten, Termine wahrzunehmen, oder auf durch etwaige Sanktionen ergebende Probleme zu reagieren. Ähnlich äußert sich auch StRin Yüksel (FDP). Sie spricht dabei von Menschen, die sich ihrer Ansicht nach fälschlicherweise im Arbeitslosengeld II-Bezug befinden würden.

Hierauf erklärt Herr Peeß, dass sich das Jobcenter um einen sensiblen Umgang mit diesen Personengruppen bemühe. Vor diesem Hintergrund sei auch zu begrüßen, dass mögliche Sanktionen bei einer Mitwirkung künftig aufgehoben werden müssten. Auch BMin Dr. Sußmann plädiert für einen sensiblen und einzelfallbezogenen Umgang mit dem Personenkreis der psychisch- und suchtkranken arbeitssuchenden Menschen.

In seiner Wortmeldung äußert sich StR Mörseburg kritisch zum vorliegenden Antrag Nr. 1214/2019 (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei), da man grundsätzlich davon ausgehen sollte, dass das Jobcenter die gültige Rechtslage umsetzen wird. Darauf eingehend widerspricht StRin Meergans (SPD) der Kritik und verteidigt die Inhalte des Antrags. StR Pantisano erklärt, der Antrag seiner Fraktion sei "kein Angriff auf das Jobcenter", sondern diene durch die gestellten Fragen der Informationsgewinnung.

Im weiteren Verlauf der Aussprache begrüßt StRin Meergans wie schon StRin Rühle das Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Im weiteren Verlauf der Aussprache äußert StRin Yüksel auf StR Pantisano eingehend die Auffassung, dass erwerbsfähige Menschen bei fehlender Mitwirkung durchaus sanktioniert werden sollten. Allerdings müsste, wie durch das Bundesverfassungsgericht gefordert, die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Die Stadträtin bezeichnet in diesem Zusammenhang die Härtefallprüfung als ein gutes Instrument, um auf Einzelfälle einzugehen.

StR Dr. Mayer (AfD) erkundigt sich in seiner Wortmeldung nach der Effektivität und der Nachhaltigkeit der verhängten Sanktionen.

Im Zuge der Beantwortung einiger Verständnisfragen macht Herr Peeß deutlich, dass die Grundlagen für die Sanktionen die Eingliederungsvereinbarungen seien, die entsprechend dem SGB II mit jedem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten geschlossen werden müssten. Dies geschehe vor Ort gemeinsam mit den persönlichen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern. Falls die Leistungsberechtigten nicht zum vereinbarten Termin erscheinen oder gegen die Vereinbarungen der Eingliederungsvereinbarung verstoßen, käme es eben zwangsläufig zu einem Meldeversäumnis oder einer Pflichtverletzung.

Gegenüber StRin Meergans betont der Amtsleiter die sehr hohen formalen Anforderungen an die Formulierung der Eingliederungsvereinbarung und der Rechtsmittelbelehrung, weshalb manche Sanktionen nachträglich bei einem entsprechenden Widerspruch durch die Sozialgerichte für rechtswidrig erklärt und aufgehoben worden seien.



Danach stellt BMin Dr. Sußmann fest:

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss hat vom Bericht Kenntnis genommen.

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